Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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III. Wer war der größte Held,
wer der billigste Gesetzgeber?


Ein Gespräch.Aus Brooke's Fool of Quality, Tom. I. p. 149. London 1767. Der deutsche Uebersetzer dieses Romans hat gut gefunden, die Zwischengespräche zwischen der Geschichte des Romans auszulassen. – H.

Freund. Dein Held, Freund, ist ein rechter Held; er muß jedem Knaben gefallen.

Verfasser. Viel Ehre für ihn. Aber was für Ingredienzien hast Du zu einem Helden? was für eine Idee machst Du Dir von ihm?

Freund. Nun, ein Held ist ein Held, ein Mann von großen Eigenschaften, von heroischen Thaten; in Allem, was er thut und ist, ist er ein Held. Du lachst, Freund? Ich will Dir Beweise geben, die von der ganzen Welt anerkannt, die von Poeten, Malern, Bildhauern, Bildschnitzern, Geschichtschreibern als solche berühmt gemacht und gepriesen sind: den Ninus von Assyrien, den Sesostris aus Aegypten, den Cyrus aus Persien, den griechischen Alexander, den römischen Cäsar und näher zu uns den großen Condé aus Frankreich, Karl aus Schweden, den persischen Kulikan. – Du lachst noch?

Verf. Ich lachte über den dummen Themistokles, der, als er gefragt ward, wen er für den größten Helden hielte, antwortete: »Nicht Den, der erobert, sondern der rettet und erhält; nicht Den, der zerstört, sondern der aufbaut, der aus einem Dorf eine Stadt, aus einem verachteten Völkchen eine Nation zu machen weiß.«

Freund. Nach dem Begriff wäre also der Barbar Peter Alexejewitsch in Rußland der größte Held, der je gelebt hat.

Verf. Ohne Zweifel. In einem zahlreichen Volk entwilderte er Jeden, außer sich selbst nicht; doch auch er, nach Billigkeit gesprochen, muß diesen Ruhm mit seiner Käthe theilen. Sie humanisirte ihn, wie er die Nation humanisirte.

Freund. Im Alterthum, wen hältst Du für den größten Helden?

Verf. Ohne Vergleich den Lykurgus; für den größten Helden und den größten Gesetzgeber. In jenen frühen Zeiten waren die Lacedämonier äußerst rauh und unwissend; sie wußten von keinem Gesetz, als was ihnen ihr Wille oder ihr Beherrscher gebot. Lykurg hätte den Scepter ergreifen können; sein Ehrgeiz aber strebte zu einer höheren und dauerhafteren Herrschaft über die Seelen und Sitten seines Volks und dessen Nachkommenschaft. Er gründete die sonderbarste Verfassung, die je in eines Menschen Kopf oder Herz gekommen ist; sie sollte eine neue Schöpfung bewirken. Die Reichen überredete er, ihre Länderei mit den Armen zu theilen. Geld, wie es unter andern Völkern galt, verbot er; so auch alle Waaren und Materialien der Pracht und des Luxus. Seine Lacedämonier mußten gemeinschaftlich essen, frugal und einfach. Er verbot allen kostbaren Aufwand in Hausgeräth und Kleidung. Kurz, er machte es zur Pflicht, jede sinnliche und selbstische Begierde zu unterdrücken, dagegen täglich harten, mühvollen, körperlichen Uebungen sich zu unterziehen, Schmerz ertragen zu lernen und den Tod edel zu verachten. Zuletzt gab er eine ihm nothwendige Entfernung auf eine Zeit vor und nahm von den Lacedämoniern einen Eid, seinen Gesetzen ohne die kleinste Aenderung nachleben zu wollen, bis er wiederkomme. Er kam aber nicht wieder; aus Liebe zu seinem Lande verbannte er sich auf immer und nahm bei seinem Tode Maßregeln, daß sein Körper nie gefunden, mithin auch nicht nach Lacedämon zurückgebracht werden könnte, damit sich unter diesem Vorwande seine Landsleute nicht etwa ihres Eides entbänden.

Freund. Peter den Großen an seinen Ort gestellt, wen hältst Du unter den Neueren für den größten Helden?

Verf. Die Wahrheit zu gestehen, unter Allen, von denen ich gehört oder gelesen habe, war der Held, dem ich am Meisten zugethan bin, ein Narr, und der Gesetzgeber, dem ich am Meisten zugethan bin, ein Thor.

Freund. Recht so; und Du würdest jetzt nicht schreiben, wovon Du schreibst, wenn Dir nicht von Beiden etwas zu gut gekommen wäre. Heraus denn mit der Auflösung des Räthsels! Wo kann man von Deinem Favorithelden und Favoritgesetzgeber etwas finden?

Verf. In einem Fragment der spanischen Geschichte, das der Welt unter dem Namen eines gewissen Sennor Cervantes bekannt ist.

Freund. O mein alter Bekannter! Dein Pegasus hat also auch wol Einiges vom berühmten Rosinante?

Verf. Wenigstens seine Keuschheit. Aber Du denkst, ich scherze? Frage Dich selbst aus dem Gedächtniß: Wodurch im ganzen Lauf der Geschichte sind die großen Helden berühmt worden? Es wird Dir antworten: »Nur durch Unglück! Dadurch, daß sie Verwüstung und Elend unter Menschen verbreiteten.« Wie edel, ja wie göttlich-größer war mein Held von Mancha! Er zog aus, dem Unrecht Recht, Gewaltthätigkeiten Vergütung zu schaffen, zu heben den Gefallenen, niederzuwerfen Den, den Ungerechtigkeit gehoben hatte. Bei diesem wundersamen Unternehmen was für Püffe, Schläge und Rippenstöße bekam er! Aber Müh' und Arbeit war ihm ein weiches Lager, das Haus des Schmerzes ein Lusthaus, weil er sich als Den ansah, der Andern Erleichterung, Glück, Ruhe zu geben Pflicht und Beruf habe. Wenn die Erfolge den Unternehmungen seines Herzens nicht entsprachen, so ist dies nicht dem Mann, sondern seiner Krankheit beizumessen; hätte seine Macht so weit als sein guter Wille gereicht, mit Leibes- und Lebensgefahr hätte er alles Verwachsene und Schiefe gerade und schlicht hingestellt wie eine Ceder.

Doch ich wende mich und küsse ehrerbietig den Kleidessaum des achtungswürdigsten aller Statthalter und Gesetzgeber, des Sancho Pansa. Welche Urtheile fällte, welche Einrichtungen machte er! Minos, Solon und der von der Göttin Egeria begeisterte Numa, wie werden sie durch ihn verdunkelt! Du warst ein Bauer, Sancho, ein Ungelehrter, als Mensch ein Duns, ein Engel als Statthalter; denn als ein ächtes Widerspiel aller Statthalter verlangtest Du nichts, begehrtest nichts, wandtest Dein Auge auf nichts als – auf das Wohl Deines Volks. Von dem konntest Du nicht fort, Du hattest andershin keine Lustfahrt. Hätte Aesop's Klotz Bewegung erhalten können, nach dem nämlichen Principium zu handeln, die Regentschaft der Störche hätte nie Macht bekommen unter Menschen. Wie zürne ich, Pansa, wenn ich Dich grob angefallen, wie leid thut mir's, wenn ich Dich Deiner Würde entsetzt sehe! Außer den Reichen einer gewissen Majestät sage ich und seufze bei mir selbst: »O wäre die ganze Erde so Dein wie Barataria, Deine Insel, und Du, Sancho, wärst ihr Gesetzgeber, ihr Regierer!«

Freund. Ich fühle Ueberzeugung. Aber sage mir, Freund, wie kam es, daß alle Zeitalter und Nationen hindurch die Welt allgemein den Namen und Ruhm des Heroismus dem Eroberer zugewandt hat?

Verf. Aus Respect, glaube ich, für die Gewalt. Der Mensch ist von Natur schwach; in und zu einem Stande der Abhängigkeit ist er geboren. Natürlich sieht er also nach Hilfe umher, und wo er die größte Macht bemerkt, dahin wendet er sich und fleht um Schutz. Würde nun auch diese Macht ihm zum Schaden angewandt, statt ihn zu beschirmen, dies ändert in seiner Hochachtung für die Gewalt nichts. Zitternd bückt er sich; indem er verabscheut, betet er an. Es geht hierin mit Menschen wie mit Gott selbst. Im Sonnenschein und im sanften Thau seiner Vorsehung und Güte erscheint er dem gemeinen Sinn nicht so ehrwürdig und majestätisch, man merkt auf ihn nicht so sehr, als wenn er sich in Blitz und Donner, in Wolken und Ungewitter zeigt.

Ein Held, ein Heros bedeutet in drei SprachenHero, heros, ἥρως – H. einen Halbgott, ein Wesen von übermenschlicher Macht. Wie kann sich dies Übermenschliche nun zeigen? Heitere Handlungen der Wohlthätigkeit, die linde, sanfte Stimme der Güte sind nie von Geräusch und Prunk begleitet. Aber Aufruhr und Tumult, das Getümmel geplünderter Städte, das Wehgeschrei geraubter Weiber, das Aechzen sterbender Nationen, sie füllen die Trompete der Fama. Männer von Gewalt und Ehrgeiz finden auf diesem Wege Ruhm und Auszeichnung, ihnen bereit und leicht zu erlangen; denn es ist ohne Vergleichung leichter, zu zerstören als zu erschaffen, zu tödten als zu beleben, niederzureißen als aufzubauen. Verwüstung und Elend auf die Erde zu bringen als Fülle und Frieden.

Freund. Wären in dieser Rücksicht die Menschen nicht ebenso blind gegen ihr eignes Interesse als missethäterisch, Dem Ruhm zu geben, dessen man sich nur schämen sollte?

Verf. Sie zeigen sich, wenn sie es so machen, auf einmal als Betrogne und als Opfer ihrer eignen Thorheit. Gieb einem Kinde Lobsprüche über sein Genie zu boshaften, schädlichen Streichen, Du führst es durch Deine aufmunternden Lobsprüche geraden Wegs zum Galgen. Ebenso hat die weise Welt ihre Helden, diese Verworfnen! emporgebracht, wenn sie Thaten ehrte und beklatschte, denen Infamie und Galgen gebührte. Seit ihrem Anbeginn war die Welt ein geduldiger Esel, und sie wird bis ans Ende ihrer Tage ein Rappelkopf bleiben.

Vom Anfange der Dinge an (es ist lang her) hat die vereinte Erfindung des Menschengeschlechts nur zwei Methoden entdeckt, Unterhalt auf der Erde zu verschaffen: die eine ist eigner Hände Arbeit, die zweite, Andrer Hände zu gebrauchen.

Zu Denen, die nicht arbeiten wollen, dürfen wir Alle rechnen, die das Glück haben, zu keinem Endzweck geboren zu sein, als: die Mönche jedes Landes, die Derwische in Persien, die Braminen in Indien, die Bonzen in China; in unsern freien und policirten Nationen sind es die Gentlemen (die Edelleute). Diese haben nichts zu thun als zu schlafen, zu wachen, zu essen, zu trinken, zu tanzen, zu scherzen, zu schwärmen, zu lärmen, sich zu ergetzen in der glücklichen Ernte, die ihnen die Welt von Jovialitäten der künftigen zugewandt hat.

Zu Denen, die die Arbeit Andrer stören, rechne ich alle jene tollen Alexanders und Cäsars, alte und neue, die in ihren Anfällen von Narrheit und Thorheit ausrissen, Laternen zerschlugen, die Wache prügelten, zu großer Bestürzung der Weiber und zum Schrecken der kleinen Kinder; jene Helden, die zu glauben scheinen, der Himmel habe Nasen und Köpfe nur dazu gegeben, daß sie zerbrochen und blutig gehauen würden. Wenn ich von diesen Burschen reden höre, geht mir alle Geduld aus. Ich bin nicht halb so außer mir, wenn ich meine eignen Werke lese. Mach fort, ich bitte, lies weiter! so komme ich vielleicht wieder in guten Humor.

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