Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IV. Ereignisse und Charaktere
des
vergangenen Jahrhunderts.


Am nordischen Himmel gingen mit dem Anfange des vergangenen Jahrhunderts prächtige Gestirne auf: ein sonderbares Meteor, Karl XII. von Schweden, Peter der Große von Rußland, ein mächtiger Bootes, die neue preußische Krone, und was sich zwischen diesen Sternbildern an andern Gestirnen zeigte. Was haben sie ihren Reichen und Europa gebracht? was haben sie der Menschheit für Dienste geleistet?


1. Karl XII.

Fast unter keinem Namen erscheint in modischen Schriften dieser Regent und Feldherr als des nordischen Don Quixote, des tollen Ritters aus Norden. Seit Pope ihn in seinen Reim brachte:

»Vom tollen Macedonier zum tollen Schweden«,

noch mehr, seit der Anti-MacchiavellFriedrich's des Großen. – D. sich jugendlich stark über ihn erklärte und Voltaire die romantische Geschichte desselben schrieb, eilt man, bei seinem ausgezeichneten Schwedenkopf zu sagen: »Der tolle Alexander!« Verdiente nicht aber diese Tollheit selbst, wenn sie es war, Beherzigung? Woher dem Rasenden solche Macht? Ist's gut, daß er sie hatte? War er es ursprünglich? oder ward er gereizt? Karl kam gegen das Testament seines Vaters im fünfzehnten Jahr auf einen (so hieß es) unumschränkten Thron, der an Titeln reich, durch seine Vorfahren groß, an innern Kräften aber nicht der gewaltigste war und einer klugen Haushaltung bedurfte. Ein noch gefährlicher Werkzeug war ihm der Muth seiner Schweden; denn schwedische Männer hatte sein Reich in allen Ständen. Vielleicht ist kein Land der europäischen Geschichte voll so ausgezeichnet fester Charaktere als Schweden. Hofmäßig also war der Prinz erzogen, in Vorurtheilen einer unumschränkten Macht, ohne daß man ihn die Schranken, die Verfassung und das Wohl seines Reichs kennen gelehrt. Daß er den Curtius in seiner Jugend vor Andern gelesen und aus ihm den Alexander in sein Herz geschlossen habe, ist eine Fabel; der Alexander, der in ihm lag, ward erweckt durch sonderbare Zeitumstände. Fest war sein Charakter, hart seine Stirn und sein Körper, sein Wille gerecht aber unbiegsam. Von Jugend auf, sagen seine Biographen, ritt er heftig, setzte gern über an den gefährlichsten Orten. Die Bärenjagd war sein Zeitvertreib, und zwar den Bären ohne Schuß und Spieß mit hölzernen Gabeln oder Handschlingen lebendig zu fangen; da ihm denn einer dieser unhöflichen Gegner die Perrücke vom Kopf riß. So war der griechische Alexander in seiner Jugend nicht; aus Curtius hatte Karl dies nicht gelernt. Als der junge König (den 24. December 1697) zu Pferde stieg, um nach der Kirche zur Salbung zu reiten, fiel ihm auf dem Schloßplatz die Krone vom Kopf, die er sich wider die Reichsgewohnheit zu Hause selbst aufgesetzt hatte. Kurz, mit Eindrücken eigenmächtiger Unumschränktheit, die sein Vater erlangt habe, war er erzogen; diese verließen ihn auch nicht, bis ihn die Kugel vor den Kopf traf.

Was bildet und mißbildet das Gemüth eines künftigen Beherrschers? Nicht Unterricht allein, vielmehr Grundsätze und Sitten, nach denen man ihm begegnet. Ueberfüllet ihn mit goldnen Lehren, um sich aber sehe er eine schmeichelnde Welt: o, aus dieser werden ihm Blicke schon zuwinken, Stimmen zuflüstern, »wer er sei! wie viel er dereinst vermöge'.«

Gegen den königlichen Jüngling, dessen Reich mit ganz Europa in sicherm Frieden war, entspann sich ohne seine Schuld ein geheimes Bündniß dreier benachbarter Mächte. Dänemark lüstete nach Schleswig, das es mit völliger Souveränetät an Holstein hatte abtreten müssen, König August von Polen nach Livland und nach galantem Kriegsruhm, den Czar Peter I. nach einem Hafen an der Ostsee. Diese schlummernden Neigungen, die vielleicht sonst nicht oder anders ausgebrochen wären, weckte auf – ein Verräther. Patkul, der unter Karl XI. in Schweden für die Rechte des livländischen Adels laut und nach Meinung des Hofes zu laut gesprochen hatte, war eingezogen worden; er entfloh und glühte fortan gegen Schweden von Rachsucht. Er war's, der dem ruhmbegierigen August und seinem eiteln General Plane vorlegte, Bündnisse vorschlug, ihm den raschen Beitritt des livländischen Adels versprach, solchen auch obwol fruchtlos zu bewirken suchte.In Büsching's »Magazin für die Geographie und Geschichte« sind Patkul's Plane gedruckt; an ihnen ist kein Zweifel. S. Th. 15. S. 279 f. – H. August ward bethört; dem Czar kam das Bündniß recht; Dänemark that in Schleswig den ersten Angriff. Zu einer Zeit, da die Gesandten ihrer Höfe Freundschaft versicherten, ward in Moskau der Krieg erklärt. Erklärt und beschleunigt; August haschte nach Riga, Peter nach Narva. Eine Kriegsflamme entstand, die die unmenschlichsten Verheerungen angerichtet, Schweden arm, so viele tausend, tausend Unglückliche gemacht hat; und weswegen? Für die Rechte oder Unrechte des livländischen Adels sollte der ganze Norden, Polen und ein großer Theil von Deutschland bluten?

Die Vorsehung lenkte die Sache anders; statt unter Polen kam Livland unter den russischen Scepter. Und die Leidenschaften der Regenten, ihr geheimes Bündniß gegen einen ihrer Meinung nach Unbewehrten, wie sieht man es jetzt an? Ihr, die Ihr Treue von Euren Unterthanen fordert, auf der nicht etwa nur Eure Macht, sondern Euer Dasein gebaut ist, Ihr handelt nach beschwornen Verträgen vor aller Welt Augen gegen einander also?

Auf einmal entsagte der junge König, als er vom Ueberfall seines Schwagers in Schleswig Nachricht bekam, allen Ergetzungen des Hofes. Er trank fortan nur Wasser, aß schlechte Speisen, schlief über einer Decke auf der Erde; und als der Zug nach Seeland ging, sprang er bei der Landung (den 25. Juli 1700) selbst in die See, um den landenden Truppen ihre Posten anzuweisen. »Niemand litt bei diesem sieghaften Vorrücken in Dänemark«, sagt Lagerbring, »als des Feindes Hirsche und Rehe; sonst was man ins Lager brachte, ward bezahlt und dem geringsten Bauer wohl begegnet.« Bald und auf höchst billige Bedingungen ward der Friede geschlossen; den 23. August war Karl schon zurück in Schonen.

Wie unser erstes Werk die Gestalt unsrer Seele gemeiniglich am Reinsten zeigt, so ist dieser erste Feldzug Karl's ein Spiegel seiner Denkart, als sie noch weniger gereizt war. Dies um so mehr, da er den Frieden frei schloß, indem er von den andern Ueberfällen noch nicht wußte.

Sechs Tage nach der Rückkunft in sein Reich ward gegen Schweden Krieg in Moskau erklärt und sogleich angefangen mit Verwüstung. Sobald Karl davon Nachricht erhielt, eilte er zu Schiff und war den 6. October zu Pernau. Bald folgte der Angriff aufs verschanzte russische Lager mit 8000 auf 80,000 Mann und ein Sieg, dem kaum ein andrer in der Geschichte gleich kommt. Nach dem hartnäckigsten Gefecht ergab sich das ganze russische Lager, das man abziehen lassen mußte, weil man zum Gefangennehmen selbst zu schwach war; ein für Karl schädlicher Sieg, wie für die Russen eine vorteilhafte Niederlage, da Jener an seine Allgewalt glauben, diese hingegen fechten lernten. Als August's Feldzug gleichfalls unglücklich ablief, indem einmal über das andre Polen und Sachsen geschlagen wurden, verlor Karl das Gleichgewicht der Ueberlegung. Alle Friedensvorschläge wurden von ihm ausgeschlagen; August sollte und mußte entthront werden, welches denn auch geschah. Bis nach Sachsen verfolgte ihn der siegende König, wo er den entsetzten König freundschaftlich selbst besuchte. Hier nun war das Ende der sieghaften Laufbahn des nordischen Helden; er war über den Rubicon gegangen; er hatte die Linie der Nemesis überschritten, die ihm bald einen gefährlichen Feind zusandte.

Es war der schmeichelnde Marlborough, der, um ihn vom Schauplatz seiner Siege zu entfernen, ihn persönlich besuchte und den Grafen Piper mit englischem Gelde bestach, damit er auf gute Art den König aus Deutschland brächte. »Nimm das Geld!« sagte der König; »ich gehe doch, wohin ich will.« Und er brach auf, nicht um sein verwüstetes Livland zu retten, das in den Händen der Russen war, sondern den beleidigten Hetman der Kosacken zu unterstützen, in die Steppen der Ukraine. Hier, bei dem bekannten Pultawa, wandte die Göttin das Rad. Der König war verwundet, die Generale neidig auf einander; das Pulver taugte nicht; die Kanonen waren beim Feldzeuge, indeß die Russen mit 132 Stücken spielten; die Feldherrn unterstützten einander nicht; Alles gerieth in Unordnung. Kaum 11,000 Schweden waren zum Treffen gekommen; nach den äußerst beschwerlichen Märschen im härtesten Winter, in dem sich die erstarrten Vögel mit Händen greifen ließen, waren 5000 Kranke bei der Armee. 1500 Mann begleiteten den König, der von seinem unglücklichen Heer mit Mühe getrennt werden mußte; die andern, unter Löwenhaupt, der Angabe nach 16,000 Mann, ergaben sich zu Kriegsgefangenen. Sie wurden nach Sibirien verstreut; Wenige davon sahen ihr Vaterland und die Ihrigen wieder. Wem pocht hiebei das Herz nicht? wer ergrimmt nicht über Den, der den König zum Marsch nach der Ukraine listig lockte? Wenn man die ausdauernde Geduld, die Treue und Standhaftigkeit der Soldaten liest, die für ihren König auf den beschwerlichsten Feldzügen litten, hungerten, dursteten, fast erfroren, und dann den Familienhaß einiger Generale gegen einander, die diese Treuen, die ihren König selbst aufopfern – Gnug!


So kam denn der bis in China berühmte, sonst überall siegreiche, jetzt kaum entronnene Held durch die Tatarei in die Türkei an, die ihn in Schutz nahm, und in der er auf andre Art bei einem ungeheuren Willen unglaubliche Kräfte zeigte. Der Vertriebne sprengte gleichsam die Pforte; ein Vezier ward nach dem andern entsetzt, bis der Krieg gegen Rußland erklärt war. Hier nun am Flusse Pruth kam Peter beinah in dieselbe Notwendigkeit, in der Karl bei Pultawa gewesen war, sich mit seinem ganzen Heer zu ergeben, wenn ihn nicht, wie bekannt ist, seine Kathinka durch ihre Kostbarkeiten, als Geschenke an den Groß-Vezier, losgekauft hätte. Ward durch diese Erfahrung des Czaren Herz (wie dort des Cyrus, als Krösus nach den Rädern des Triumphwagens, vor dem er ging, rückwärts blickte und an Solon's Wort gedachte) zu einem für Schweden anständigen Frieden bewegt? Fast scheint's; aber Karl war gegen Peter zu erbittert, und da er in dem gemachten Frieden vom habsüchtigen Groß-Vezier fast ganz vernachlässigt war, ward die Erbitterung in ihm so stark, daß er statt des Friedens auf nichts als Rache sann. Stanislaus' Erbietung, der nach Bender zu ihm kam und der Krone entsagen wollte, verwarf er: »es werde sich ein andrer König von Polen finden, wenn er's nicht sein wolle; August solle es nie werden« u. s. w.

Der Pforte selbst ward Karl jetzt überlästig, zumal sich bei ihr Keiner als der französische Gesandte seiner annahm, die Gesandten der Kaufmannsmächte waren ganz auf des Czars Seite. Lebendig oder todt sollte er endlich nach Adrianopel geliefert werden, da er sich denn zu Warnitza mit seinen wenigen Leuten in seinem Hause so herzhaft wehrte!

Die ihm dies für Tollkühnheit anrechnen, mögen angeben, was er denn hätte thun sollen. Gnug, er erreichte seinen Zweck und setzte sich, nachdem er seine zu türkischen Sclaven gemachten Treuen befreit hatte, sobald es ihm gefiel, mit seinem im Widerstande gegen die Türken verbrannten Gesicht zu Pferde und ritt, von einem Gefährten begleitet, von Demotika nach Stralsund, d. i. 286 Meilen in 14 Tagen. Ein Ritt, den kein Monarch Europa's gemacht hat, schwerlich auch machen wird. Um unerkannt zu sein, steckte der König unter einer Perrücke in einem schlechten braunen Rock. Er sattelte sein Pferd selbst, wie sein Gefährte Döring, trank seiner Gewohnheit nach nur Wasser und kam über Wien, Regensburg, Franken, Hessen u. s. w. den 11. November 1714 nach einem fünfjährigen Aufenthalt in der Türkei um Mitternacht vor Stralsund an. Was ihn dort so lange zurückgehalten hatte, war sein unablässiges Streben, in einem großen Plan durch die Pforte das zu bewirken, wozu er unter christlichen Mächten keinen Beistand sah. Im tiefsten Unglück zeigte er eine große, unerschütterte Seele.

Traurig und fast widrig ist der Anblick, wie er die Dinge fand. Seine Feinde hatten sich vermehrt und theilten sich in die Beute des Löwen; außer Russen und Dänen war England, Hannover, Preußen, Jeder seines Orts, auf dem Kampfplatz. Sein Reich war verarmt, auch die Pest hatte es entvölkert; die Armee zu Lande, das Seewesen, Artillerie und Munition waren im schlechtesten Zustande; Schwedens deutsche Provinzen, Livland, ein Theil von Finnland, waren oder gingen bald verloren. Mit größter Lebensgefahr rettete sich der König aus Stralsund auf einem Fischerkahn; auf der Insel Jasmund fand er die Fregatte nicht, die ihn erwarten sollte; unvermuthet traf er sich mit ihr auf offnem Meere. Durch Vorsprache und eignes Darlehn hatte ihn der holsteinische Minister Görtz gerettet, zu dem er fortan auch das größte Zutrauen faßte.

Hell und vorsichtig waren die Mittel, die dieser in den Dienst des Königes gezwungene Mann zur Rettung Schwedens und zu einem ehrenhaften Frieden vorschlug;S. Rettung der Ehre des Freiherrn von Schlitz. 1776. 8. – H. König und Stände genehmigten sie, und sogleich nach Karl's Tode wurden sie ihm durch eine schimpfliche Gefangennehmung und durch das Beil vergolten. Eine Partei hatte sich im Königreich zusammengethan, die Karl zu großmüthig übersah; von ihr kam wahrscheinlich auch die Kugel, die den König, den das wildeste Verhängniß geschont hatte, nicht schonte. Vor Friedrichshall in Norwegen stand er Abends in den Laufgräben, und nicht aus der Festung, sondern aus der Nähe kam eine Flintenkugel; der Held sank, die Hand fest am halbgezogenen Degen, daß man sie kaum davon losbringen konnte. Die Partei wußte den Tag seines Todes. Er starb, als sein Leben am Unentbehrlichsten war; man eilte zu einem schimpflichen Frieden, der Schweden auf immer in Armuth stürzte. Der Czar (dies sagte er selbst), wenn er Bedingungen vorzuschreiben gehabt hätte, würde sie kaum so vorzuschlagen gewagt haben; alles auswärtig Errungene Gustav Adolph's und andrer tapfern Schweden ging bis auf einen kleinen Strich verloren.


Wie nun? Gebührt von dem Allen die Schuld Karl XII.? War er's, der die Kriege anfing? war nicht sein Anfang der nothgedrungenste, gerechteste Krieg, den vielleicht je die Erde sah? Nach seiner Rückkunft aus Bender, gab er sich nicht Mühe, einen rühmlichen, wenigstens leidlichen Frieden von seinen Feinden zu erhalten? Vergebens! Die Gelegenheit ihrer Vergrößerung war ihnen zu gelegen; ein Schweden in solchen Umständen kommt nicht so leicht wieder. Auch der persönliche Haß, den Karl gegen seine Feinde trug, ist zwar politisch nicht zu rechtfertigen; ist er aber nicht menschlich zu entschuldigen? Wie er aufrichtig liebte, haßte er auch aufrichtig; zu ungerecht, hinterlistig und niedrig fand er sich beleidigt; nach alter nordischer Heldensitte nahm er die Sache seines Reichs persönlich. Als das Unglück ihn verfolgte, konnte er die Geringschätzung seiner Feinde gegen ihn am Wenigsten tragen.

Was Karl ins Verderben brachte, war weder Hochmuth noch Ruhmgier, sondern daß er seinen Zweck vergaß und so wenig die Kräfte seines Reichs als des aufstrebenden Rußlands kannte. Zu diesem Reiche schlug sich fast Alles; ihm trat Alles fern oder rupfte, wo es rupfen konnte. Die niedrige Art, wie der englische Gesandte einen Privatmann in Constantinopel verhindern wollte, dem Könige Geld zu seiner Rückreise vorzuschießen, der Plan, den man früher gemacht hatte, ihn auf dieser Rückreise aufzuheben, und so viel Andres zeigt, wie man gegen ihn dachte. Hätte er nach seinen ersten Siegen sich auf die Beschützung seines Reichs eingeschränkt und dies durch Bündnisse gesichert! Aber ein hartes Loos ist und bleibt es, wenn nachbarliche Regenten so verschiedner Denkart mit leidenschaftlichen Entwürfen in eine Zeit treffen; nur Unglück oder der Tod scheiden sie aus einander.

Die persönlichen Tugenden Karl's XII. verkennt Niemand. Mäßig, arbeitsam, unermüdlich, hart gegen sich, gerecht gegen Andre, gottesfürchtig, züchtig, im höchsten Grad redlich war er wie durch Natur, ohne daß er daraus sich ein Verdienst machte; eine lange Gewohnheit hierin war ihm zur Natur worden. So wollte er, daß auch Andre gegen ihn sein sollten. Sein Verstand war hell; er liebte die mathematischen Wissenschaften, hielt Den nur für einen halben Menschen, der sie nicht liebte, und Todfeind war er den Wollüsten.

Jungfräuliches Antlitz Karl's! wenn ich Dich in Deiner Todtenmaske, die Kugel in der Stirn, betrachte und daran denke, wie viel unselige Mühe Du Dir, wie viel Unglückliche Du wider Willen gemacht hast, wer beneidete noch das Schicksal, zu einem unumschränkten Herrscher geboren zu sein und jugendlich das Glück zur Freundin gehabt zu haben? Sie lockt und verlockt, die falsche Göttin; festen Charakteren zumal ist sie gefährlicher als schlüpfrigen, leichten!


Eintritt Karl's XII. in die Walhalla.

Als Gustav Adolf aus dem Sterngezelt
(Auch droben war er noch um Schwedens Wohl
Bekümmert) niedersah in dunkler Nacht,
Hört' er die Kugel, die vor Friedrichshall
Die eh'rne Stirn des Königs traf. »Er fällt«,
Sprach er, »wie ich, von des Verräthers Hand;
Ich will entgegengehn dem Kommenden.«

Betäubt, doch unerschüttert nahte Karl
Dem Ueberirdischen, die Hand am Griff
Des Degens, halb gezuckt. »Laß diesen da!«
Sprach Gustav; »hier, hier ist das Land der Ruh',
Die lebend Dir versagt ward und Du Andern
Versagen mußtest. Sohn, wie lässest Du
Dein Reich? In wessen Händen sind die Länder,
Die ich erwarb mit tapfrer Schweden Blut?
Doch, wie gewonnen, so verloren. Komm!«

Sie gingen fürder, schweigend Karl; und Gustav
Fuhr freundlich fort: »Ich werde Dich nicht richten;
Dich strengete mein Vorbild an, doch falsch.
Nicht Alles wird durch einen festen Willen
Und Muth; auch Klugheit ziemt und Mäßigung
Dem Manne, der regieret, der in Stürmen
Das Steuer führet. Kommt, Ihr Treuen, kommt!
Die er voran in manchen Schlachten sandte,
Dem Waffenbruder, kühlet ihm die Stirn!«

Sogleich umschloß ihn welch ein zahlreich Heer
Der Tapfern, die er sich vorangesandt.
Sie küßten seine Hand, sie kühlten ihm
Die glüh'nde Stirn; sie wollten ab ihm gürten
Den Degen. »Diesen«, sprach er, »lasset mir!
Auch in Walhalla trag' ich ihn so lang,
Als einer meiner Treuen drunten noch
Gefangen ist. Die Braven!«

                                            Gustav führt'
Ihn freundlich fort. »Du wirst gerichtet werden,
Von Deinem Vater nicht; er stehet Dir
Mit Andern hart entgegen; doch ich will
Vertheidigend, so weit ich kann, Dir beistehn.
Nicht nach Erfolgen, nur nach Recht und Pflicht
Und That und Willen wird parteilos Dich« –
»Wer?« fragte Karl. »Held Gustav Wasa richten.
Da kommt er.«

                          Was des alten Königes
Gerechtes Urtheil war, die Worte sind
Dem Lauschenden entronnen. Ach, die Blätter
Des obern Schicksals sind den Sterblichen
Unlesbar, unverständlich. Aber als
In Kurzem (denn da droben schwinden Jahre
Minuten gleich) des zwölften Karl's Befeinder
Auch nach und nach ankamen, und dann auch
Ankam Peter der Große, sahe Karl
Ihn stumm an, wandte weg den trocknen Blick
Und ging mit Oxenstierna, Torstenson
Und Banner, Wrangel, Löwenhaupt und andern
Schwedischen Männern in den nächsten Hain.Nachahmung der Stelle in der »Odyssee« (XI. 563 f.), wo Ajas auf die Anrede des Odysseus sich stumm entfernt. – D.


Glück und Unglück fester Charaktere.

Ein fester Charakter verdient Ehrerbietung und Nacheiferung; wie alle große Tugenden aber ist auch er im Uebermaß gefährlich. Er kann viel tragen, muß aber auch oft viel tragen, zumal wenn er es sich selbst durch unbiegsame Festigkeit zuzog.

Seine erste Gefahr ist die Einseitigkeit. Niemand übersieht in Allem Alles. Gewöhnte er sich nun zu einer Gedankenreihe, so wird ihm bald jede andre unsichtbare unerträglich, zuletzt so unvernehmbar, daß man Andrer Sprache und Sinn durchaus nicht mehr versteht und sich nur hört. Da aber bekanntermaßen Umstände und Zeiten, da mit ihnen Ansichten der Dinge und Leidenschaften wechseln, und man sodann einseitig, fest auf seinen alten Meinungen sich wie in einer neuen, unbequemen Welt befindet: wie könnte man in ihr Theil nehmen, da uns zu dieser Theilnehmung Biegsamkeit, Lust und guter Wille fehlt? Wir sprechen sodann als alte Siebenschläfer, die aus ihrer Höhle hervortraten, als Männer des Testaments der Urzeit.

Zweitens. Nichts ist gefährlicher als fixe Ideen, wenn sie auch nicht einseitig wären. Nach ihnen modeln wir alles Neue; an sie hangt dieses sich als etwas Altes an. Mit jeder fixen Idee verliert das Gehirn Elasticität und Gewandtheit; wir wiederholen uns und werden Andern zur Last, mithin werden wir lästig wiederholend. Sind diese fixen Ideen nun sogar falsch, überspannt, traurig, so zieht sich ein dunkler Faden durch unsre und Anderer Denkart. Eine Lüge wird zur Gewohnheit, d. i. zur sein sollenden Wahrheit; wir und Andre denken und handeln in einer Welt des Wahnes. Wie zahlreich verschieden diese Welten sind, wird man nur dann gewahr, wenn man auf die fixen Lieblingsideen verschiedner, insonderheit bejahrter, fester und sogenannt großer Charaktere merkt.

Drittens. Festigkeit, wenn sie zur Härte wird, fordert von Andern viel, weil sie sich selbst viel zutraut. Und da wir gegen uns immer parteilich sind, auch in Gedanken leichter etwas für möglich halten, als wir es selbst zur That bringen könnten, so wird insonderheit bei befehlenden Ständen die Festigkeit leicht Härte des Charakters. Ihr Schutz wird, selbst gegen die Vernunft, ihrer Lieblinge Bollwerk, und ihr stürmender Angriff, zumal wenn er mit Zutrauen geschieht (dem junge, liebende, aufbrausende, unternehmende Charaktere selten widerstehen mögen), äußerst gefährlich. Wie mancher Jüngling ist durch das Zutrauen, das man zu ihm hegte, über seine Linie gesprengt worden! Glücklich, wenn er sich zusammennimmt und erholt! Aeußerst gefährlich sind bei blendenden Seiten aufdringende Menschen. Sie lassen von ihrem Vorsatz nicht ab; um Ruhe zu haben, willigt man, was man nie willigen würde, zu seinem und ihrem Schaden.

Viertens. Ein fester Charakter, der über die Linie hinaus ist, kehrt selten zurück. Er will sich nicht widersprechen und rennt in sein Unglück. Da Verschlossenheit meistens mit Festigkeit gepaart ist, so vertraute sie ihr Herz Niemanden, und wem sie es vertraute, an den glaubte sie vielleicht fester, als sie sollte. Daher und aus mehreren Ursachen, daß leichte, lose, schlüpfrige Menschen unter ähnlichen Menschen leichter ihr Glück machen als feste Charaktere, wenn diese nicht auszeichnend das Schicksal begünstigt. Jenen sind alle Wege und Formen recht; sie drehen und wenden sich nach der Zeit, täuschen sich und Andre mit einer Art Lügenfreude und stehen, wie man sie wirft, aufrecht. Für Schälke, sagt man, ist die Welt gemacht; sie will betrogen sein und wird betrogen. Wie die Natur nichts durchaus Hartes leiden kann, so nagt und frißt sie am Meisten an harten Charakteren. Was sich nicht beugen läßt, bricht, früher oder später.


Von Karl XII. ist dieser Charakter allein nicht abgezogen; denn eine Person, zumal ein König, giebt keinen allgemeinen Charakter. Karl war bescheiden, hörte genau, schwieg und bemerkte. Er zankte nie, fuhr Niemanden an, befahl nicht zu gehen, sondern ging voran, war sehr gefühlvoll über jedes Unrecht, das er zugefügt zu haben glaubte. Indessen auch er trug die Folgen eines festen Charakters. Bei seinen fixen Ideen verkannte und vergaß er die Welt; seinen braven Schweden muthete er in Polen, in der Ukraine, in der Türkei und in Norwegen Dinge zu, die nur er und Wenige ertragen konnten. Die Freunde endlich, denen er Zutrauen schenkte, wurden fast alle, wenigstens nach seinem Tode, unglücklich.

Hätte Karl aber auch gelebt, wäre er wol dem Versprechen, das er dem Freiherrn von Görtz that, treu geblieben, die Münzpapiere nur bis auf solche Zeit, in solcher und keiner größern Anzahl gelten zu lassen? Oder hätte ihn bei fortdauernd widrigen Umständen sein fester Geist nicht auch über die Linie geführt? Mit einem festen Charakter, der unumschränkt handeln darf, mithin die wohlthätigsten, aber abgemessenen Plane zu verderben, jeden Augenblick im Stande ist, hat man ein böses Gewerbe. Der blinden Macht kann endlich nur die blinde Macht obsiegen.

Einer der Anhänger Karl's, der glücklich entkommen, aber der Welt, wie sie damals um ihn ging, müde war, schrieb vor seinem Tode:

      Las!
Las de boire et de manger,
Las de trahir les créanciers,
Las de lasser les amis,
Las de la poursuite des ennemis,
Las de vivre en torture,
Las de voir la même turlure,
Las enfin de moi-même,
Je meurs d'une résignation extrême.

à Herzberg,
ce 22. de Mai 1728.

Adieu!
Sam. Fr. v. Hagen.

So endigen nach erlebten großen Scenen, in die sie von festen Männern gezogen wurden, weichere Charaktere. Sie wurden überstrengt und – erschlafften.



 << zurück weiter >>