Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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16. Er und Sie.

Marlborough und Lady Sarah.

Hand in Hand muß dies vornehme Paar zur Ewigkeit eingehn; denn sie heben einander. Er und sie, in der Jugend beinah die Schönsten des Königreichs, er (so jauchzte England und Deutschland) der größte Held, der Retter Europa's; sie Günstling der Königin, die Senderin ihres Gemahls, sein Schutz, seine Unterstützung. Er die Höflichkeit und Leutseligkeit selbst; sie gebietend, wegwerfend, die oft kaum die Königin anzusehen werth hielt. Er und sie geizig und stolz, Jeder auf seine Weise. Er, seit er vom Felde zurückkam, unbedeutend; sie nimmer ruhig, auf alle Welt scheltend und schmähend, ihren Töchtern, Enkeln und Schwiegersöhnen Verdruß und Plage.S. Horaz Walpole's Historisch-literarische Schriften, S. 74, 85, 97, 265. Noch heller schildern sie: The Opinions of Sarah, Dutchess of Marlborough, published from Original Ms. 1788; Apology for the conduct of the dowager Dutchess of Marlborough from her first coming to court to the year 1710 in a letter from herself. Lond. 1742. – H. Dem Gemahl ließ sie vor jenem von der Königin ihm gebauten Schloß Blenheim (der Name eines Dorfs an der Donau wurde nach England hinübergetragen) einen Obelisk aufrichten, auf welchem sie ihn »den größten Helden nicht nur seiner Nation, sondern auch seiner Zeit, das unbewegliche, importante Centrum nannte, welches die vornehmsten Mächte Europa's zu einer gemeinschaftlichen Sache vereinigt und einen Einfluß erlangt habe, welchen kein Stand, kein Ansehen, keine Gewalt, nur erhabne Tugend geben könne« u. s. w.

In eben dem Ton spricht der britische Lebensbeschreiber von Marlborough als von dem Helden Europa's, »der Britannien durch seine Bemühungen dazu erhoben, daß es die vornehmste Nation sein sollte, so wie er zu der Zeit, in welcher er lebte, mit Recht für den größten der Menschen gehalten wurde.«Britische Biographie, I. 235. – H. So sangen englische Balladen;A Pill to purge State Melancholy or a Collection of excellent new Ballads. Lond. 1715. Eine Sammlung Volkslieder gegen die Torys, den Utrechter Frieden, die Südseegesellschaft u. s. w., die glücklichen Tage der Lady Sarah und des großen Marlborough's preisend. Von vielen ist d'Urfey der Verfasser. – H. auch die deutschen Musen kreischten sich heiser. Er und sie indeß, er der Größte, sie die Klügste der Menschen, wußten ihre Zeit und ihren Ruhm zu nutzen; sie häuften Schätze, zum Theil auf niedrigen Wegen. Er durch Geschenke, die er nach eignen Eingeständnissen vorm Parlament (außer jenem berühmten kaiserlichen Degen) von den Lieferanten bei der Armee, selbst den Brodlieferanten erhoben hatte, nebst 2½ Procenten, die er dem ganzen Heer an seiner Löhnung abzog; sie durch die Intriguen, die sie zur Verlängerung des Krieges spielte. Doch gnug von diesem vornehmen Paar der vornehmsten Nation Europa's, den Größten der gesammten Menschheit!

Fade ist das Lob, das auch Würdigen unwürdig gegeben wird; ertheilt man es auf Kosten andrer, ja aller Nationen in einer zweideutig-faulen Sache, eigennützig, herrschsüchtig, ehrgeizig, so wird es ekel. Lebten zu Marlborough's Zeit nicht auch außerhalb England Feldherrn? Lebte kein Eugen, der seinen Ruhm länger und gefährlicher erprobt hat als jener Brite, dem Alles zu Gebot war, und gegen den schlechte Feldherrn standen? Als Vendôme ihm gegenüber war, blieb es ein müssiger Feldzug.

»Nichts zu viel!« sagt Nemesis. Ueber Eugen's Reiseperrücke, in der er der Königin aufzuwarten Bedenken trug, spottete Swift; und wie reichgebildeter war Eugen's Seele vor dem Gemahl der Lady Sarah!

Wenn wir das Wort groß aussprechen, so nennen wir sogleich das Werk oder Verhältnis, worin Jemand groß ist, um seine Größe auch schätzen zu können. Ein großer Tänzer, Geiger und Flötenspieler, jeder in seiner Kunst groß, ist schwerlich doch einem großen Feldherrn oder Staatsmann gleichzuschätzen, der eine Nation rettet und ordnet. Wiederum nennt man an einem Künstler oder Feldherrn das, worin und wodurch er in seiner Kunst groß ist. Man zerlegt sein Werk, man charakterisirt seine Seelenkräfte. Jener Maler z. B. ist in der Farbengebung groß, seine Zeichnung kann schlecht sein; dieser Dichter in der Versification, seine Gedanken sind schwach, seine Bilder unkräftig. Ein Feldherr von kaltem Verstande, von reifer Ueberlegung, nicht ohne Kriegskunst, wohl berathen, in Kundschaften schlau und emsig, in Angriffen bedächtig, wird, wenn er auf Gegner trifft, wie er sie sich selbst kaum wünschen möchte, ein sehr glücklicher Feldherr sein; er wird Geld gewinnen und Ruhm, auch der Sache, für die er ficht, sehr aufhelfen: ist er aber deshalb der größte der Menschen? Das blutige Schauspiel ist gespielt, der Vorhang fällt; ab legt der Held seine Rüstung, der Schauspieler seine Kleider, und Beide sind in ihrem Hausrock oft die gewöhnlichsten Menschen. So blieb es Marlborough nach geschlossenem Frieden bis an sein prächtiges Begräbniß; sollte aber, damit der große Schauspieler immer groß bliebe, das blutig-kostbare Spiel nie enden?

Wenn über einen Artikel menschlicher Größe das Urtheil des Jahrhunderts sich scharf gewetzt hat, so ist's über die Größe der Kriegshelden. Ludwig XIV. selbst hat den Wetzstein hergereicht und dadurch dem vagen Kriegsruhm sehr geschadet. Sowol treffliche als in den letzten Jahren übelgewählte Feldherrn traten unter ihm auf; sie wurden von Ihresgleichen oder von ihren Bessern scharf gemustert, einsehend getadelt; denn die besten der französischen Feldherrn schrieben. Diese Musterung ging mit dem Jahrhundert hinab; die Mémoires blieben in aller Sachverständigen Händen. Außer England ward es also nicht leicht, der größte der Feldherrn zu sein, geschweige der größte der Menschen. »Tachez,« schrieb Eugen an den Grafen Merci 1734, vor der Schlacht bei Parma (man fand den Brief in der Tasche des Generals, der im Treffen Sieg und Leben verloren hatte), »tachez de battre le général Français, car pour les soldats de cette Nation n'espérez pas de les vaincre

Ueberdem pflegt man bei einem großen Mann auch die Hindernisse in Anschlag zu bringen, die er zu bezwingen, die Gefahren, die er zu bestehen hatte. Wem der Weg zur Ehre so offen ist, daß als Page und als Colonel Königinnen sich in ihn verlieben, wer durch Frau und Töchter, durch Schwiegersöhne, Schatzmeister, Minister, Partei und Balladensänger Alles gilt, wer die Ruhezeit des Feldzuges dazu anwendet, an Deutschlands Höfen umherzureisen und einem neuen Könige von Preußen die Serviette zu reichen, der kann ein liebenswürdiger, kluger Hofmann sein, ist er deshalb aber der erste der Menschen? Das »unbeweglich-importante Centrum der Mächte Europa's« war Marlborough so wenig, als wenig er seine Nation auch nur im Kriegsruhm zur vornehmsten in Europa gemacht hat. Oder sie müßte sich bei dieser Erhebung so angegriffen haben, daß seitdem das Jahrhundert hinab auf dem festen Lande sich kein britischer Feldherr als der größte der Menschen erwiesen. Zu Ende des Jahrhunderts war Marlborough's Feldzug eine französische Romanze worden, die man dem unglücklichen Dauphin in der Wiege vorsang.

St. Pierre hat über den großen und den berühmten Mann geschrieben,Oeuvres de St. Pierre, Tom. XI. 33 ff.: Sur le Grand Homme et sur l'Homme Illustre. – H. da er dann nicht nur mehrere Namen des Alterthums und neuerer Zeiten, Solon, Epaminondas, Alexander, Scipio, Cäsar, Sylla, Cato, Heinrich IV., Descartes, Karl V., nach seinen bekannten Grundsätzen mustert, sondern zuletzt für einen großen Mann tout court keinen erkennt als Den, der das Glück des Menschengeschlechts im Ganzen vermehrt hat. Habe er z. B. als ein denkender Kopf die Kenntnisse beträchtlich vervollkommnet, die dem Wohl der Menschen wichtig und werth sind, Wahrheiten entdeckt, die zu Vermehrung des Wohls der menschlichen Gesellschaft ansehnlich dienen, oder habe er thätig zur Vermehrung des Glücks einer Nation geholfen, als König oder als Minister, als Feldherr oder als Obrigkeit: zu einem großen Mann werde dreierlei erfordert: 1) ein großes Motiv, d. i. ein strebendes Verlangen nach öffentlichem Wohl; 2) Ueberwindung großer Schwierigkeiten, mithin Standhaftigkeit, eine aushaltend-muthige Seele sowol als große Talente eines geraden, weiten, an Hilfsmitteln fruchtbaren Geistes; 3) große Vortheile, die man der Menschheit im Ganzen oder einer Nation im Besondern verschafft hat. Hiernach mißt er große Plätze, große Eigenschaften, große Charaktere. Er unterscheidet den großen Mann von allerlei Arten berühmter Männer, die mit einander wetteifern, einander übertreffen. »Große Männer«, meint er, »sehen Wenige neben oder unter sich groß; daher sei ihr Lob so schätzbar. Das Wort, das Montecuculi über Turenne sagte, als ihn die Kanonenkugel hingerissen hatte: Er machte der menschlichen Natur Ehre,Cet homme-là faisait honneur à la nature humaine. Oeuvres de St. Pierre, T. XIII. 266. – H. sei ihm die größte Lobrede.«

»Der schönste Titel,« meinte St. Pierre, »den es unter Titeln des Ruhms gebe, sei: Friedestifter von Europa.Le pacificateur de l'Europe. Oeuvres, T. XII. 96. – H. Dieser Name zeige der Welt die vier größten Eigenschaften des Menschen, große Gerechtigkeit, große Güte, große Macht, große Weisheit, ruhmwürdige Eigenschaften, die man der Gottheit selbst beilegt. Eigne Macht, eigne Einkünfte, oder sein Gebiet durch Eroberungen zu erweitern, sei ein gemeines, niedriges Motiv, das Motiv eines Kaufmanns, der mit Sorgen und Mühe, ja mit Lebensgefahr Nacht und Tag arbeitet, nur seine und seiner Familie Glücksumstände zu vermehren. In diesem Motiv sei nichts Edles, nichts Großes, da es nur auf Privatvortheil ziele.

»Das Unternehmen, Europa Frieden, einen dauerhaften Frieden zu geben, die schrecklichen Unglücksfolgen des Kriegs zu verbannen und nicht seinen Unterthanen allein, sondern allen Familien aller christlichen Nationen die Summe ihres Glücks durch ruhige Bewerbsamkeit fortgehend zu vermehren, das sei das edelste Motiv der Menschheit. Zum mächtigsten Monarchen könne man geboren sein, den höchsten Thron der Welt könne ein Narr und Geck, ein Schwachkopf, ein Wüstling, ein grausamer Bösewicht, ein Nero besitzen. Zu einem weisen Gebrauch seiner Macht seien drei Eigenschaften erforderlich:

»1. Ein weiter und doch grader Geist, die schönsten und besten Unternehmungen zu kennen, die besten Mittel zu erfinden, die geradesten Maßregeln zu Erreichung des Zwecks zu nehmen.

»2. Ein großer und fester Muth, sich von Schwierigkeiten nicht scheu, von neuen Hindernissen nie verdrießlich machen zu lassen.

»3. Ein großer Eifer fürs öffentliche Wohl, ein brennender Trieb nach der erhabensten Tugend, Wohlthätigkeit. Wer Europa einen dauernden Frieden gebe, habe sie geübt.«

So dachte St. Pierre.

Marlborough und Lady Sarah dachten nicht also. Gingen auch hundert deutsche Dörfer mit ihren Familien zu Grunde, heißt doch nach einem Dorfe in Deutschland das Siegsschloß des Helden Marlborough in England – Blenheim.Hier folgte als Beilage: »Nichts bewundern! Horaz' Br. 6. B. 1« (Herder's Werke, VIII. S. 65–67). – D.



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