Johann Gottfried Herder
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Johann Gottfried Herder

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20. Pope. Bolingbroke.

Pope heißt seinen Landsleuten ein »Fürst des Reims, der große Vernunftdichter«;»The prince of rhyme, the great poët of reason«. – H. beider, insonderheit des ersten Namens, ist er werth. Ueberreimt hat er in seiner Sprache alle Vorgänger, den Dryden selbst; den Homer hat er verreimt. Auch Vernunftsprüche, Geschmacks- und Verstandesbemerkungen, feine Sittenlehren und Charakterzüge lassen sich schwerlich in kürzere Worte und Reime fassen, als er es that; man könnte sagen, er habe alle wohlklingenden Worte seiner Sprache eingereimt.

Dabei hat Pope sich fast an allen Gattungen des Vortrages versucht, vom Liede und der musikalischen Ode an bis zum Heldengedicht, von der Hirtenpoesie bis zum philosophischen Versuch über den Menschen; ans Drama allein und an die höhere Epopöe (Homer's Übersetzung ausgenommen) hat er sich nicht gewagt. Und allenthalben sind zierliche Beschreibungen, moralische und Geschmackslehren, in Lob und Tadel schneidende Striche die unübertroffene Kunst dieser kleinen Nachtigall (wie man ihn in der Kindheit hieß), einer Nachtigall, die sich bei Gelegenheit auch in eine stechende Wespe zu verwandeln wußte. Wer wollte Popens ganze Kunst und alle Befriedigungen derselben mit Popens ganzem Ich erhandeln?

Häßlich ist die Satire, die persönliche Beleidigungen (meistens nur Kränkungen der Eigenliebe und einer ungemessenen Ehrsucht, oft auch nur eine mindere Verehrung, als die man erwartet) mit einem ganz andern Gewehr, als der Beleidiger brauchen kann, mit Versen, rächt. Noch häßlicher, wenn man ohne gemeldete Veranlassung, ohne geführte Bescheinigung schuldlose Namen unversehens wie Diebe in Versen aufknüpft. Der englische Reimprinz und Vernunftpoet hat dies nicht etwa nur in seiner »Dunciade« gethan, sondern auch in seinen »Moralischen Versuchen«, wohin Rückenstiche dieser Art am Wenigsten gehören. Denn was wollen diebisch eingeflickte oder wie vom Büttel angeheftete Namen im Tempel der Musen? Was thun sie in der Poesie, in der sich nicht Namen, sondern lebendige Darstellungen durch das, was sie sind, selbst erweisen? Mehr als einen Namen, den Pope's Vorbild, Boileau, in seinen Versen zur Schau stellte, nennt die Welt mit gleicher oder mit mehr Achtung als den seinen; den Versificator verachtet man vollends, der sich vor Denen bückt, die er ansticht, und gegen Den, der sich nicht mehr rechtfertigen kann, einen Todten, Libelle aussendet. Schuldig oder unschuldig, die Rache ist niedrig.

Glaubt das leicht beleidigte Dichtervolk (genus irritabile vatum),Hor. Epist. II. 2. 102. – D. ihm sei die blanke Spitze des Stils dazu verliehen, daß es beleidigter Eitelkeit wegen Unschuldige, sogar auf bloßen Argwohn, morde? Glaubt es, daß die Welt an seinen Indigestionen auch nur Theil nehme? Keinem Beleidigten hat die »Dunciade« mehr geschadet als ihrem Dichter.

Aber auch aus dem Schlamm blühen Blumen; diese bricht man und läßt jenen. Der größte Theil des cultivirten Europa hat Pope's Aussprüche der Vernunft genützt, weil sie oft nicht schärfer, nicht feiner ausgesprochen werden mögen. Zum »Versuch über den Menschen« gab Popen bekanntlich Bolingbroke die Hauptideen, die aber auch nicht sein waren; Shaftesbury und Leibniz hatten sie in einem schöneren Zusammenhange folgenreicher gedacht, als Bolingbroke sie zu ordnen, der Versificator sie anzuwenden wußte.S. »Pope ein Metaphysiker!«, von Lessing und Mendelssohn (Lessing's Werke, XVIII. S. 33-67). – H. Der Inhalt selbst indeß gab dem Gedicht große Stellen, insonderheit wo in ihm das Unermessene in Bezug auf den Menschen erscheint.

Uns Deutschen hat Pope sehr genutzt, indem er unserm Hagedorn ein feineres Richtmaß gab und Haller weckte. Dieser ersetzt an Bündigkeit der Gedanken, was ihm an Popischem Glanz fehlt; mehrere seiner Lehrgedichte sind uns an des Briten Statt. Auch der Windsorforst grünt für uns in Haller's »Alpen«.

Dem weisen Frohsinn des Horaz kam Hagedorn näher als Pope, bei dem sich das Rosenöl stets mit Essigtropfen mischte. Leider aber ist kein deutscher Dichter so im Munde der Nation wie der Brite im Munde der seinigen, ob sich gleich seine Moral oft um sehr flache Grundsätze und Weltmanieren dreht. Stand, Reichthum, Bequemlichkeit sind ihm große Gegenstände. In Allem diesem dachte Swift fester! Gegen ihn, den Vernunftmann, war Pope doch nur ein Vernunftreimer.


Den Bolingbroke nehmen Swift und Pope als dritten Mann mit, in ihren Briefen sowol als in seinen Werken. Diesen, so asiatisch-beredt sie geschrieben, so reich sie mit Stellen aus den Alten durchwebt sind, fehlt es oft an dem, woran es ihrem Verfasser im Leben fehlte, an Zusammenhang und (unersetzlicher Mangel!) an Reinheit des Charakters. Uns Deutschen sind die meisten sehr entbehrlich, vollends die gegen die Religion geschrieben, in denen sich bei einem hellen Kopf fast durchgängig Mißverstand und Unkunde der Sache äußert. Auch die Sache seines Ministeriums verdarb dieser talentreiche Lord-Alcibiades durch seine unzeitige Anhänglichkeit an den Prätendenten. Das beste Werk, zu dem er beitrug, ist der Utrechter Friede. Wer ihn entwarf und durchsetzte, dachte großmüthig für Europa.Hier folgte: »Rechtshandel über die Satire. Horaz' Erster Sermon, B. 2« (Herder's Werke, VIII. S. 51-54). – D.



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