Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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14. Epopöe

Als Deutschlands erster Sänger, Klopstock, starb und ein so zahlreicher Leichenzug ihm zum Grabe folgte, war es gemeine Frage: »Wie? von Denen, die ihm oder vielmehr sich selbst diese schöne Ehre erzeigen, wie viel oder Wenige mögen sein, die ihn kennen, die ihn gelesen, die von seinen Verdiensten auch nur einigen Begriff haben?« Und nicht neidig war die Frage, sondern natürlich; seinen innigsten Freunden war sie die nächste.

»Als im Jahr 1748 die drei ersten Gesänge seines »Messias« zuerst erschienen,« sagte Kritias,Den Namen entlehnte Herder dem gleichnamigen Gespräch des Plato. – D. »wie war uns, meine Freunde? Nicht anders, als (um in des Dichters eigner Sprache zu reden) wie, wenn

»»Ueber beeisete Höh'n ein festlicher Morgen emporsteigt.«Es schweben wol die Verse des »Messias«, I. 603 ff. vor. – D.

»Nicht nur eine neue Sprache, sondern gleichsam eine neue Seele, ein neues Herz, eine reinere Dichtkunst. Als wir, Jünglinge noch, seine ersten lyrischen Gedichte lasen, war es nicht, als ob die Alten uns näher gerückt, als ob, um in unsrer Sprache zu dichten, Horaz und die Musen vom Himmel niedergestiegen wären? Ohngeachtet des wilden Krähgeschreies über diese Sprache und Dichtkunst währte der Eifer für dieselbe ein Viertheil-Jahrhundert und länger fort, bis, als der elfte Gesang des »Messias«, als die späteren lyrischen Gedichte, als »Salomo«, »David«, »Hermann« erschienen, in Vielen dieser Eifer ungeheuer erkaltet war. Wie Wenige mögen »Hermann's Tod«, wie Wenige des »Messias« zwanzigsten Gesang, noch weniger seine »Gelehrte Republik«, seine »Grammatischen Gespräche« gelesen haben! Declamirte man nicht endlich gegen alle biblische Poesie? und sagte laut genug, die Zeit der Patriarchaden, der Epopöe überhaupt sei zu Ende?«

»Das wolle der Himmel nicht!« sagte Olympicus.Einer der Sprecher in den »Tischreden« Plutarch's (III. 5.) heißt Olympicus. – D. »Damit wir aber nicht über oder gar für Den zu reden scheinen, der unsrer Fürsprache gar nicht bedarf, so wollen wir lieber die Materie rein erfassen, und, als ob wir am Fest Apoll's TheoxenienPaus., VII. 27. 2. – D. feierten, alle Götter zu uns einladen.«

Sie wurden über die Einrichtung dieses Festes eins, daß es ein friedlicher Kampf sein sollte, in welchem Niemand namentlich auf den Vortrag des Andern Rücksicht nehmen und Olympicus den Anfang machen sollte.


Theoxenien

I. Vom Heiligen der epischen Dichtkunst

»Wenn die Romanze so gern und am Liebsten Abenteuer singt, und der Held der Epopöe dergleichen auch am Liebsten besteht, verfolgen beide nicht einen Zweck aus verschiednen Wegen, die Romanze in kurzen Versen und Strophen, die Epopöe in jener längeren Versart, die eben deswegen auch die heroische und von einem Lieblingsgedicht der mittleren Zeiten, dem Heldengedicht »Alexander« nämlich, die Alexandrinische genannt ward? Für den Gesang theilte jene (die Ballade) den Vers; dem lesenden Auge rückt diese (die Epopöe) zwei Zeilen an einander; so ward mittelst einer Cäsur der Vers heroisch. Und da das Auge länger lesen als die lebendige Stimme singen kann, so dehnte man, wie das Silbenmaß, so auch das Abenteuer aus, man unterbrach's mit Episoden; im längeren Gange ward der Schritt gehaltner, fester, die Stellung anständiger, würdiger; so bildete sich aus der Romanze die epische Dichtung.

»Dem Allen wohl; das Anständigste, Würdigste aber, was dieser Dichtung ziemte, blieb dennoch das Göttliche (ϑεῖον), das Leben der Götter mit Menschen, die Einwirkung des Himmels auf die Erde: dies ist die Seele des epischen Gedichtes. Nehmt das Göttliche aus Homer, so schwach und albern es uns zuweilen dünke: Ilias und Odyssee werden nichts als Abenteuer sagen, die eine bloße Ankündigung und Anrufung der Gedächtnißmuse bei Weitem noch nicht zum Epos erheben. Nehmt der Ilias den Sohn der Thetis: ihre ganze Zurüstung ist dahin. Durch den Beistand der Götter dagegen, durch der Unsterblichen Rath und That segelt und spricht selbst die Argo, Agamemnon träumt,Den Traum hatte ihm Zeus gesandt, um ihn zu schädigen. – D. und Patroklus und Hektor fallen; der Göttersohn Achilles schafft die ganze Iliade. Nur durch Poseidon's Groll und Pallas' Freundschaft irrt Odysseus umher und findet endlich sein geliebtes Ithaka wieder. So und nicht anders ist die Odyssee worden.

»Lasset uns umherblicken auf unserm Erdball; wo im lebendigen Wort der Nationen eine Stimme der Musen episch erschallt, ist's in dieser Verbindung des Himmels und der Erde. Die Götter sind zu den Menschen niedergestiegen, die Menschen wandeln mit Göttern. So z. B. die heiligen Sagen der Indier, deren Theile so zahl- und glorreiche Gedichte gewähren.S. Baghavad-Gîtâ, Gitagovinda u. s. w. – H. Wischnu, der Aufseher der Menschen, verkörperte sich, um dem Verderben auf der Erde zu steuern, in mancherlei Verwandlungen oft und viel; neben ihm erschienen andere Göttergestalten, und seine letzte vollendete Zukunft steht bevor. Dies gab ihnen Stoff zu tausend Epopöen und epischen Sagen.

»Warum aber nach Indien? Ein uns bekannteres, das einst lebendige Wort der ebräischen Nation schwebt uns näher in dieser epischen Gottes- und Menschengemeinschaft; die Anlage dazu gründet bereits der erste Begriff des Menschengeschlechts, sein Stammvater. Als Stellvertreter der Elohim tritt er auf, dem die Schöpfung feierlich übergeben, dessen Waltung und Fortbildung sie anvertraut ward. Mit ihm und den Erlesenen seines Geschlechts wandelt fortan sein Schutzgott und dessen Boten, rettend, strafend, prüfend, segnend.

»Ein engerer Bund zwischen Gott und dem Stammvater eines Hirtenvolks wird darauf dieses Volks Losung, auf den sich alle seine Schicksale beziehen, aus dem sich seine Hoffnungen entwickeln. Die Befreiung dieses Volks, die Gesetzgebung Moses', ein herrliches Epos! Wunderbar ward der Befreier erhalten; wunderbar, aber dem Ort und Zweck höchst gemäß wird ihm sein Beruf, die Rettung und Bildung seiner Nation, mit Zeichen in die Hand gegeben. Durch rächende Schicksale beurkundete ihn der Gott seiner Väter; die Ausführung des Volks, die Gesetzgebung auf Sinai, die Zubereitung der Stiftshütte, die Anordnung des künftigen Staats, vor ihnen her ihr sichtbarer Führer, dessen Rache gegen die Widersacher, das Manna, der grünende Stab des obersten Priesters, der Tod des Helden: sind sie nicht mehr als Vulcan's Schild oder als die streitenden Götter vor Troja – hoch episch? Gab es noch keinen Ebräer, der aus diesen Materialien ein Ganzes schuf und damit das alte heilige Wort seiner Nation ihr näher ans Herz führte?Es hat ihn gegeben. S. die Moseïde von Hartwig Wessely, Berlin 1795, und andre ebräische, italienische, deutsche Dichter. – H.

»Da über Homer und Virgil es keiner Rede bedarf, so schreite ich zum Epos der westlichen Völker. In Ossian's Gedichten sind zwar keine Götter, desto mehr aber die Schatten der abgeschiedenen Väter gegenwärtig wirksam, himmlische Gestalten der Vorwelt. In den Sagen andrer Völker sind's gute und böse Geister, Feen oder Alfen; in der Mythologie der mittlern Zeit waren es Engel und Genien, Teufel der Hölle oder die Heiligen des Paradieses. Zu ihnen flüchteten Dante, Tasso, Camoens und selbst nach hell angebrochnem Licht der Wissenschaften Milton, so manche Disparate es dabei geben mußte. Das epische Gedicht wollte, es forderte einen göttlich-menschlichen Schauplatz.

»Und warum forderte es solchen? Nicht etwa nur hing damit der Kranz des Verdienstes, der dem Helden des Gedichts zu Theil werden sollte, höher, sondern sein Charakter ward dadurch, nur dadurch episch. Zu schlechten Thaten, zu gemeinen Handlungen wollte, konnte und durfte doch kein Verständiger diese himmlischen Wesen mißbrauchen; es mußte also eine reine, große, ewige That sein, zu welcher der geöffnete Himmel mitwirkte, der sich die ganze Hölle widersetzte. Daher, daß man in der politischen Geschichte selbst bei großen Begebenheiten, bei Gründung der Völker und Reiche z. B., so wenig Stoff zur Epopöe fand. Kein Arthur, kein Heinrich, kein Belisar bestand der hohen Anforderung der Lagerung eines Himmels um ihn auf die Erde. Wohlbedächtig unterließ Pope seinen »Brutus«, Klopstock seinen »Heinrich den Vogler«; Hermann bearbeitete er nur dramatisch, nicht episch. Das Feld der Epopöe, wenn es dieses Namens werth sein soll, fordert gleichsam die Mitwirkung der ganzen Natur, die ganze Ansicht der Welt zwischen Himmel und Erde, mithin auch die ganze Wissenschaft und Seele des Dichters. Im Herzen und Geist der Nation soll es ein Schauplatz des Weltalls, ein lebendiges Wort für Alle, in Allem werden; so ward es Homer, weil sein Gesang von Allem, was im Gesichtskreise seiner Nation lag, gleichsam die Krone erfaßte. So umfaßten Dante, Milton, Klopstock, Jeder in seinem Gesichtskreise, Himmel und Erde.

»Hiemit tritt der Grund hervor, warum unter mehreren christlichen Nationen mehrere epische Dichter vor Allem zur biblischen Geschichte griffen und einen Helden derselben zu ihrem Thema wählten. »Das Wort von ihm«, sagten sie sich selbst, »liegt (nach damaliger, vielleicht nicht nach jetziger Erziehung) als ein früher Eindruck oder gar als ein Samenkorn des Glaubens in meiner Hörer Herzen (denn gehört sollte das Epos werden, nicht gelesen). Erziehen will ich also zum lebendigen Baum voll Frucht und Blüthe dies heilige Wort.« So sprach Milton zu sich und erschuf sein doppeltes »Paradies«; so Klopstock, Bodmer, Geßner, und wer sonst die heilige Palme berührte.Daß Herder Lavater's nicht gedenkt, fällt auf. – D. Das Verdienst jedes dieser Männer in jedem seiner Werke zu wägen, ist hier mein Werk nicht; daß aber jener veraltete Spott über biblische Epopöen ebenso ungerecht als abgeschmackt sei, liegt am Tage. Perser und Araber, die sich an der Geschichte Joseph's und der Zulika ergetzen, werden deshalb keine Juden; Niemand darf es sein, um an »Adam«, »Noah«, und wie die Partriarchaden weiter heißen, nicht minder an den Thaten und Schicksalen eines Christus Geschmack zu finden. Mißrieth manche Bearbeitung dieser Helden, sang von einigen die Muse schwach, von andern erbärmlich, so zeigt die Harfe Andrer, daß die Schuld hiebei nicht daran lag, daß dieser Gegenstand zu einer Religion gehörte. Gewiß konnte das Religiöse an ihm der Epopöe nicht schaden, so lange das Menschliche, das Verständliche des Helden unversehrt blieb; vielmehr mußte es demselben aufhelfen, oder es war nicht, was es sein sollte, göttlich.

»Welch großes, ewiges, lebendiges Wort (ἔπος) in aller Menschen Herzen ist, recht verstanden, der Christus! Eine reine Gestalt, die Gottheit im Menschen, sichtbar, gegenwärtig, verklärt.Vgl. Herder's Werke, XIII. S. 631 f. – D. Und da das Werk und der Zweck einer Gottheit auf der Erde nichts Anders sein kann als Rettung und Beglückung des ganzen Geschlechtes durch Rath und That, auf die reinste Weise, wie, wenn dies Werk an sich und in allen seinen Folgen anschaubar gemacht und gleich einer neuen Schöpfung ans Herz gelegt werden könnte: wäre sein Sänger nicht der erste christliche, ja der erste menschliche Dichter? Gern vergäßen wir an ihm Nationen, Sprachen, Secten, geschweige Lehrbegriffe und Vorurtheile, sobald und so lang er in uns das lebendige Wort, d. i. den Begriff und die That eines einzig möglichen Weltheilandes sprechen machte. Ob dies göttliche Werk (ϑεῖον ποίημα), und wo es geschrieben sei, ob und wann es einen für unsre Zeit kräftigen Ausleger erlangen werde, darüber darf unser Fest keinen Aufschluß geben.

»Waltet Gottheit mit unserm Geschlecht, wirkt Göttliches in der Menschheit, und ist ihr das Edelste, das Beste, das sie besitzt, durch Menschen worden: so lasset uns an einem Plan dieses Werks, mithin an einem Epos der Gottheit im Fortgange der Menschheit nicht zweifeln! Auch an einem Sänger, der

                                          »den hohen Rath
Des Menschengottes mit der Menschenschaar,
Wie er durch Nebel und durch Dämmerung,
Aus Finsterniß und Irren sie geführt
Und führen wird zum Lichte,«

verkündet, der es meldet, wie der hohe Genius der Menschheit,

»Wie er die Strahlen dieses Lichts zerstreut
Durch Völker, Zonen und Jahrhunderte,
Und nichts verlor und alle sammeln wird
Zu einer Sonne der Glückseligkeit« –Aus dem Anfange von Herder's Gedicht: »Gottes Rath und That über das Menschengeschlecht«, Werke, I. S. 212. Nur steht dort V. 4 »Durch« statt »Aus«, V. 7 »Jahrtausende« und V. 8 »Und alle kennt und alle«. – D.

zu seiner Zeit wird es an einem solchen Sänger nicht fehlen. Die Themata des vergangenen Jahrhunderts, seine Eroberungs-, Handels- und Successionskriege, geschweige das fürchterliche Ungewitter am Abende, d. i. am Ausgang desselben, waren harte, schreckliche Mitklänge zum Spruch dieses großen Wortes.

»Immer wird es also wol eine doppelte Epopöe geben. Eine, die genienlose, die bloße Sagen singt und sich um die höhere Leitung, die Haushaltung menschlicher Begebenheiten wenig bekümmert; sie kann höchst angenehm und lehrreich sein; denn sind es nicht so manche trefflich versificirte Geschichten und Märchen der Arioste, der Spensers, der Novellisten? Die andre, die in den Verwirrungen der Menschheit den höheren Gang ihres Genius darzustellen strebt; freilich hat sie bisher in den befreiten Italien und Jerusalems, in den Colombiaden und Lusiaden, selbst in den Epopöen höheren Inhalts, den verlornen und wiedergefundnen Paradiesen fast nur umhergetappt und sich versuchend geübt; aber jeder selbst mißlungene Versuch, jede zu einem so hohen, alle Zeiten umfassenden Zweck angestellte Uebung ist von Werth.«


So weit Olympicus. Kritias an dem ihm bestimmten Tage nahm also das Wort:

II. Vom Langweiligen, das die Epopöe oft begleitet

»Niemand,« sagte er, »wird es selbst bei Homer und Virgil leugnen, daß manche Kämpfe und Schlachten, so nothwendig sie vielleicht dem Dichter waren, ihm, dem Leser, langweilig wurden. Und so sehr Dante, Ariosto, Tasso, Camoens, Ercilla die Begebenheiten ihrer Gesänge zu wechseln bemüht sind, wem widerfuhr es nicht zuweilen, daß er ermattete und den Dichter beiseit' legte? Geschah dies bei Epopöen unbekannten Inhalts, wie öfter möchte es bei denen der Fall sein, deren Geschichte uns von Jugend auf erzählt worden. Daher sanken Bodmer's Patriarchaden so bald in Vergessenheit; ja, von Klopstock's »Messias« selbst, ich wiederhole meinen Zweifel, wie Wenige haben vielleicht dessen letzten Gesang geendet! Woher diese Schlummerkörner im Füllhorn der epischen Muse?

»Offenbar erstlich, weil dies oft zu voll, weil das wesentliche Erforderniß der Epopöe, die Größe habende Handlung, zu lang und breit war, als daß sie in Ohr und Auge als ein Ganzes behalten werden konnte. Schon Aristoteles warnt vor dieser Ueberlänge des epischen Gedichts; er will, daß es übersehbar bleibe und ungefähr nur auf das Zeitmaß berechnet werde, das die an einem Tage aufgeführten Trauerspiele einnehmen dürften. Auch sieht man bei den Griechen selbst, daß, je mehr die Aufmerksamkeit der Hörer abnahm, das spätere Heldengedicht der Alexandriner sich der Kürze befliß und den Knoten enger schürzte.

»Dies mit Recht; denn wie ja das Epos nur aus der Erzählung entstanden war und es des Erzählers erster und letzter Wunsch ist, daß er mit wechselnder Aufmerksamkeit, mit steigendem Vergnügen gehört werde, wie deshalb die Rhapsoden die schon gebundenen Gesänge sonderten und zu rechter Zeit aufzuhören wußten, kurz, wie das längere Epos nur aus zusammengeschobnen oder an einander gereihten Gesängen entstanden war, so bleibt es wol die erste Pflicht des Sängers oder Lesers, daß er aufzuhören wisse, ehe uns der sanfte Gott Schlummer oder seine Vorgängerin, die Langeweile, überschleicht. Um so mehr ist dies der Fall, wo, wie z. B. bei Camoens, Ercilla, Tasso u. s. w., ein Theil des Gedichts historisch oder, wie bei Dante, Ariost, Spenser u. s. w., rein imaginativ ist; wer wollte da nicht lieber den Flug der Einbildung zweckmäßig kürzen oder das Feld der Geschichte historisch durchlaufen, als daß er das Ziel seiner Bemühung episch verfehlen sollte? Nachdem, was wir bei Shakespeare's Trauerspielen selbst, geschweige bei jenen langweiligen Romanen der Mittelzeiten, erfahren, ist's offenbar, daß entweder unser Blut schneller fließe oder unsre Aufmerksamkeit eher ermüde, als es bei dem langsameren Gedankenzuge und den stärkeren Organen unsrer geduldigern Vorfahren zutreffen mochte. Schonet unsrer Schwachheit also, Ihr epischen Dichter, und singet uns mit Euern neun oder vierundzwanzig Musen nicht zu Tode! Fürchterlich ist das Gefühl, wenn man bei Trauerspielen und Epopöen das Ende erwartet, und es immerdar – nicht kommt. Durch den mißverstandnen Ausdruck Aristoteles', daß die Handlung der Epopöe eine Größe haben müsse, und durch die Verkettung der Homerischen Gesänge zu zwei so langen Größen ist seitdem viel Schlaf bewirkt und die Göttin Langeweile zur epischen Muse feierlich eingekleidet worden; da doch Aristoteles' erstem Begriff nach die Handlung der Epopöe übersehbar, mithin umgrenzt sein sollte. Denn wer liebt, wenn er Paradiese sucht, siberische Steppen oder afrikanische Wüsten, bei denen das Auge kein Ende, der matte Fuß kein Ziel findet?

»Zweitens. Noch öfter ward die epische Göttin Langeweile von einer bösen Mutter, der Unkunst, geboren, diese betreffe nun Fabel, Sitten, Episoden, oder was sonst zum Epos gehört. Im Gefühl ihrer Oberherrschaft, gleichsam aus Furcht der Ermattung, weist Aristoteles die Epopöe strenge auf die Regeln der Tragödie, sie gleichsam mit diesen Banden zusammenziehend und festknüpfend; strenge sondert er sie ab von der unendlichen Geschichte. Wie fern und weit liegen nun jene beiden, Epopöe und Tragödie, in neueren Zeiten aus einander! Ist z. B. die Handlung gar nicht anschaubar, sondern dogmatisch, allegorisch, tropisch, mystisch, ist sie an sich selbst klein und gering, ob sie gleich in Folgen sehr groß sein kann, und muß also durch Herbeiführung dieser oder gar fremder Nebenumstände erst groß und merkwürdig gemacht werden: wie viel Kräfte verschwendet der Dichter, ohne daß er dennoch zu seinem Ziel kommt! Ihm ersterben in Herbeiführung der Episoden die Hände, dem Hörer das Ohr, so gern er manches Intermezzo allein, hier aber eigentlich nur fort und zu Ende hören möchte. Es ist bemerkt, daß jeder epische Dichter gern die ganze Encyklopädie seines Wissens, mithin Himmel und Erde, einige auch die Hölle selbst, in sein Gedicht bringen möchte. So webte Camoens seiner »Lusiade« die Geschichte der portugiesischen Könige und ihrer Eroberungen, die Geographie der Weltreiche, Milton seinem »Paradiese« den Abfall der Engel, den Bau der Hölle, die künftigen Scenen des Menschengeschlechts ein; und was haben Dante, Ariost, Spenser u. s. w. nicht eingewebt! Kostbarkeiten, oft schöner und brauchbarer als das Thema selbst, nur daß sie nicht – hieher gehörten. Gefährlich ist's, wenn der Dichter, selbst Langeweile fürchtend, zu fremden Dingen seine Zuflucht nahm; er schien dadurch an der Hauptsache selbst zu verzagen. Himmel und Erde, Götter und Heilige schützen uns sodann nicht vor der tödtenden Langenweile: der Dichter gähnt, wer wollte nicht mitgähnen?

»Drittens. Das einförmige Silbenmaß des Epos leistet hiezu gute Dienste; unübertrefflich ist der klappernde Hexameter im Mühlwerk schlechter Dichter. Da dies Silbenmaß nämlich zu seiner schönen Wirkung das reinste Ohr, die gehaltenste Aufmerksamkeit, die reichste Abwechselung fordert, so kann es seinem Verweser, dem Amboß- und Polterhexameter, an seiner Wirkung, der widrigsten Schlaftrunkenheit, nie fehlen. Aus Verdruß schliefen wir zuerst beim Mühlengeklapper oder dem Amboß des Grobschmiedes ein; bald wird es uns zur einschläfernden Gewohnheit. Oder wir fahren auf den Wellen unserer Heiraths-EpopöenUnter denen hoffentlich »Hermann und Dorothea« nicht mitbegriffen ist, deren Uebergehung bezeichned für Herder's Verstimmung ist. Doch scheinen auch die »neun Musen« der epischen Dichter auf der vorigen Seite darauf zu deuten. – D. unter mancherlei Stößen den Styx hinunter.

»Nun giebt es zwar auch epische Jamben, und allerdings hindert der raschere Jamb den selig eindringenden Schlaf, uns so bald zu übermeistern; gewiß aber gehört auch zu Ausbildung dieses Silbenmaßes in einem langen epischen Gedicht nicht weniger Geduld und Kunst, Ohr und Declamationsgabe als zum Hexameter. Milton arbeitete an seinem Gedicht lehr langsam, brachte Tage lang oft nur wenige Verse zuwege; dafür sind es aber auch Milton'sche Jamben, deren Wohl- und Hochklang vielleicht alle Dichter Britanniens. Thomson nicht ausgenommen, nachstehn. Die feinen Bemerkungen, die mehrere englische Blätter über dies Silbenmaß machten, feilten es sehr; ich zweifle, ob wir Deutsche, obgleich Kleist, Gleim, Klopstock. Lessing, Zachariä u. A.Dies »u. A.« ist sehr bezeichnend, da in ihm auch Goethe und Schiller ruhen. – D. in ihm gearbeitet haben, zu jeder Schönheit desselben gelangt seien, ohne welche auch dies ein eintöniges Metrum bleibt. Mit Recht wandte sich Zachariä in seinem »Cortes« zu ihm, da er sich bei der Übersetzung Milton's mit seinen Hexametern an diesem Dichter schwer versündigt hatte.Vgl. Herder's Werke, XIII. S. 588. – D. Da wir Deutsche so wenig laut und öffentlich lesen, so nickt und entschläft über dem Pult unsre dramatisch-epische Muse zu leicht, wo sie die Verse nicht herauspoltert.

»Die Stanze endlich, in der es den Epopöen der Südvölker Europa's zu wohnen beliebt hat, ist ohne besondre Vorsicht dem Schlummer auch günstig. Einförmig, wie italienische oder spanische Stanzen einhergehn, sollen sie ohne besondre Aufmerksamkeit auf die Versart das Ohr im Inhalt selbst nur fortleiten; mit jedem Fall und Schluß derselben genießt das Ohr eine Befriedigung, die es weiter zu hören einladet oder dem Schlafe zufördert. Das Rettungsmittel, das einige deutsche DichterWie Wieland. – D. dagegen in Gang gebracht, jede Stanze zu verändern und aus ihr mit neuer Anordnung der Zeilen einen eignen Blumenstrauß zu flechten, erneut zwar die Aufmerksamkeit im Einzelnen ruckweise; indem es aber den ganzen gleich-fortschwebenden Flug des Gesanges stört und in jeder Stanze festhält, mithin den Zweck, wozu die gleichmäßig wiederkommende Stanze eigentlich erfunden ward, aufhebt, so kann es dennoch schwerlich jenen ewigen Schlummer (aeternum soporem) abhalten, sobald er über einer epischen Sage schwebt.

»Kurz, an keiner Gattung der Dichtkunst wird so ganz das Sterbliche und Unsterbliche eines menschlichen Heldengesanges kennbar als an dieser. Wie viel Sagen und Erzählungen, die einst begierig gelesen wurden, und die uns gar nicht mehr interessiren! Selbst der einst beliebte Ton der Erzählung, die Wendung der Bilder und Gleichnisse, die Sprüche, am Meisten aber die Neigung der Menschen, an Dem oder Jenem Lust und Freude zu finden, wechseln mit den Zeiten. Der Geschmack an Kreuz- und Ritterzügen, an blutigen Schlachten, an Eroberungen und Siegsfesten ist verlebt; die prächtigste oder genaueste Beschreibung dieser Herrlichkeiten lohnen wir dem Dichter gähnend. So wird die Nachwelt Manches nicht kennen, was jetzt von der Cabale beklatscht wird, was wir mit nachgesagter, nicht mit gefühlter Bewunderung zum Himmel erheben.

»Wie unter Sternen einst den jungen Scipio sein edler Ahn zur Erde niederschauen ließ und ihm das Aechte und Unächte menschlicher Bestrebungen und Würden im Traum zeigte,In Cicero's »Traum des Scipio«. – D. so hebt die Seele sich dahin, wenn sie im raschen oder trägen Strom der Zeiten die Reihe der Heldensagen und Heldengeschichten durchgeht, die dann und dort Triumph hielten. Wie viele sind in den Schlamm der Vergessenheit völlig versunken! andre schwimmen zerstückt, krüppelhaft, unbeachtet. Was sich allein im Werth erhält, ist, was innern Werth hat, was Menschlichkeit fühlte, was über die Zeit erhoben, für künftige Zeiten hinaus die Menschheit hob, ihr nutzte und frommte. Genien meines Geschlechts, Entdecker, Erfinder, seine Wohlthäter, seine Retter und Freunde, Euch gebührt, so lange Völker sprechen und singen, Euch gebührt der epische Kranz, prachtvoll oder in Zweigen! je wahrer und bescheidner, desto dauernder und schöner. Blos um Eure Stirnen blüht er ohne welkende Schlummerblumen.

»Ich habe das Meine gethan und der Göttin gehuldigt, die unserm Fest nicht fehlen durfte, der Langenweile


So schloß Kritias seine Rede, und AgathonDer Dichter Agathon tritt in Plato's »Gastmahl« auf. – D. an seinem Tage begann also:


III. Vom gefährlichen epischen Gedichte

»So unentbehrlich jedem Volk, das über Thiere erhaben sein will, das Epos, d. i. ein lebendiges Wort ist, das es in Herz und Munde führt, so gefährlich wird diese Losung, wenn sie, unrein aufgenommen, vom Fortgange im Wahren und Guten zurückhält, menschliche Seelen verschleiernd, menschliche Herzen verderbend. Alle rohen und wilden Mythologien geben davon Erweise.

»Es war z. B. verzeihlich unserm Geschlecht, daß es in seiner Kindheit, mit den Ursachen und dem Zusammenhange der Naturbegebenheiten unbekannt, sich Theogonien oder Kosmogonien schuf und dieselben in Sagen und Märchen ehrwürdig oder gefällig einkleidete. Dem schwachen, dürftigen Geschlecht war's unumgänglich, daß, da es über das Schädliche und Böse in der Natur weder erklärend noch thätig hinauskommen konnte, es einem bösen Princip sein Knie bog, dem Beelzebub Hymnen sang, dem Beelzebub dichterisch und opfernd frohnte. Eindrücke der Furcht und des Entsetzens, das Gefühl übermannender Stärke ist, zumal in der Kindheit, so einwirkend grausam, daß es wie mit Klauen Furchen gräbt, deren Narben spät oder nie verschwinden. Wenn nun aber ein reinerer Strahl der Vernunft und Erfahrung diesem Volk die höhere Regel zeigt, von der Gutes und Böses in der Natur ausgehn, und sie als eine Regel der Vollkommenheit bewährt, soll da noch jenen Geschöpfen einer kranken Einbildungskraft und Unwissenheit gehuldigt werden? müßten wir da noch den Beelzebubs, Leviathans und Behemoths dienen? Licht ist stärker als die Nacht; der erste Strahl einer aufgehenden Morgenröthe verkündigt nicht nur, sondern bewirkt auch den heller und heller kommenden Tag; Alles, was sodann Schattengebilde festhalten will, gehört in Krankenhäuser, in tiefe Thäler und Grüfte. So war's, so ist's mit den Mythologien und Epopöen aller Nationen des Erdkreises, so wird's werden. Priester und Dichter hielten sie eine Zeit lang fest und wollten das Licht dämmen; Vernunft und Sonne schritten glorreich fort, die Welt ward erleuchtet. Man ward gezwungen, die alte rohe Mythologie entweder zu verfeinen oder aufzugeben; man schämte sich ihrer. Glücklich, wenn man jeden alten Praß von mythologischer Dichtung so aufgäbe, der die Einbildungskraft fesselt, den Verstand aufhält und ein Spielwerk alter Jugendzeiten ist, das dem Manne zu nichts dient! Ueber der Prätexta und dem Paludament verschmäht er die kindische BullaDie Bulla trugen Kinder am Halse; die Prätexta und das Paludamentum waren die Tracht der obrigkeitlichen Personen und Feldherrn. – D. zu tragen.

»Beobachtete man dies Gefühl der Anständigkeit, wie überhaupt, so in den Uebungen und in der Kritik der Dichtkunst, welcher eiteln Nachäffungen, welcher thörichten Anstrebungen, wieder ein Kind zu werden und im Flügelgewande zu schreiten, entäußerte man sich, Platz und Raum gewinnend zu männlichern Schritten! In Kunst und Dichtkunst sind wir einmal und immer keine Griechen mehr; ihren Göttern und Helden, ihrem Epos und Drama auch in Fehlern und Schwachheiten kindische Ehrerbietung, ja Nach- und Voreiferung zu bezeigen, ist – kindisch. Ein großer Theil von dem, was Terrasson u. A. über Homer und die Griechen gesagt haben, ist wahr, so einseitig sie es sagten; man sieht das Kindische der alten Mythologie in der meisten Neueren Gebrauche. In Sannazar, Camoens u. s. w. welche Spielwerke sind, auch ohne Beziehung aufs Christenthum, mit dem sie vermischt sind, die Göttermaschinen! Sind sie im Gebrauch der neueren Kunst etwas mehr und Anders? Figuranten.

»Als an die Stelle des heidnischen christlicher Aberglaube kam, tief streckte er seine Wurzeln und Zweige auch ins Epos der Völker. Zuerst weihte man den Heiligen Kirchen, bald Himmel und Erde. Und welchen Dienst hatten sie zu verrichten! welch possierlich-niedriges Zutrauen setzte man auf Engel und Geister! und wie mißverstand, wie mißbrauchte man die Bibel! Kaum durch den kühnsten und lautsten Spott hat dieser Ungeschmack hie und da geschwächt werden mögen; verdrängt ist er allenthalben noch nicht. Das große Epos des Aberglaubens ist noch in vollem Gewerbe.

»Von Schwärmerei, Stolz, Habsucht, Raubgierde gestützt, indem es Ungeheuer zu Helden erhob, welche Gräuel hat es geboren! Wären je Kreuzzüge betrieben und besungen worden, wenn man sie nicht für verdienstlich-heilige, für große Thaten gehalten hätte! Und wie lange dauerte diese Wuth, dieser Wahn, dieser Frevel! Wie man sie betrieb, so besang man sie in Epopöen, in Hymnen; Europa erschallte vom Siegsruf der frommen WaffenAnspielung auf den Anfang von Tasso's »Befreitem Jerusalem«. – D. und fernen Helden. Konntest Du, der Du die Geschichte kanntest, Dein eigen Herz überwinden, um Die zu singen, die Du sangst, zarter Tasso? Alle Dein läuternder, mildernder Fleiß war an ihnen verloren.

»Und es folgten Andre Deinem Beispiel. Auch die Eroberungen Mexico's, Peru's, begonnen im grausamsten Gold- und Christeneifer, wurden besungen; auch Cortez, auch Pizarro, der Teufel selbst ward Held der christlichen Epopöe. Wie zu Muth war Dir, tapfrer und guter Ercilla,Vgl. Herder's Werke, VII. S. 265, Anm. 1. – D. wenn Du die Grausamkeiten Deiner Spanier gegen die Araucaner, Du selbst ihr Augenzeuge, zu singen unternahmst und das Recht, die Tugenden und Tapferkeit der Feinde weder verschweigen wolltest noch konntest. Auf der einen Seite Nationalstolz, Wahn einer Pflicht für Vaterland, Christentum, Europa umnebelten Dich, indeß von der andern der Geist der Menschlichkeit Dich zuweilen doch zu Scham und Mitleid regte. Wie verschoben mußte das Regelmaß des Rechts und der gemeinsten Billigkeit sein, wenn man Handlungen der Art als Großthaten des menschlichen Geschlechts epopöirte! Ein halb Jahrtausend hin dauerte dieser Wahn; in einem großen Strich aller vier oder fünf Erdtheile wird die Ausbeute desselben, die habsüchtig mordende, stolze Christen-Epopöe noch gefeiert,

Tantum relligio potuit suadere malorum.Lucr., I. 102. – D.


»Seit Dante und der philosophische Milton der Epopöe zu einem höheren Zweck eine reinere Gestalt gaben, feierte freilich man nicht mehr den Beelzebub und Satan; man lud das Göttliche nicht mehr hernieder, um Menschen zu würgen, Menschenglückseligkeit zu zerstören. In Milton, wie rein und edel, dabei wie schwach und zart ist der Charakter der Menschennatur gehalten! Ein von der Mutterhenne bebrütetes Ei, ein Keim, der der sorgfältigsten Wartung bedurfte und ihrer werth ist. Milton's Gesänge schildern diese göttliche Wartung; aber gegen wen? worin? und wie unkräftig! Ohne Zweifel lag's an dem zu Milton's Zeiten angenommenen System, daß er den ewigen Vater, daß er den glorreichen Sohn, daß er Engel und Teufel so darstellte und gleichsam auf Excavationen des Abgrundes seine neue Schöpfung baute. So viel Stärke des Genius, so viel Macht der Sprache und Gedanken in diesen Beschreibungen hervorleuchtet, fühlen wir nicht in uns etwas Widerstrebendes? Indem wir das Göttliche im Dichter mit verdecktem Antlitz betrachten, kehren wir gern zur Menschheit zurück und gewinnen diese in ihm desto lieber.

»Klopstock endlich. Wo er mit Milton in einem Labyrinth ging, wo er, tropischen Vorstellungen zu treu, einer helleren Führung seines Gedichtes entwich und sich an Worten begnügte: aus Liebe zum Dichter änderten wir gern die Worte des Gesanges, wünschend, daß er der eignen Hoffnung des Dichters gemäß eine Sprache der Ewigkeit würde. Greifen wir damit aber nicht zu tief ins Wesentliche, in den Plan und die Verzierungen des Gedichtes?

»Im Thor des Himmels sprach ein Unsterblicher:
»Eilt, heil'ge Stunden, die Ihr die Unterwelt
    Aus diesen hohen Pforten Gottes
        Selten besuchet, zu jenem Jüngling,

»Der Gott, den Mittler, Adam's Geschlechte singt!
Deckt ihn mit dieser schattigen kühlen Nacht
    Der goldnen Flügel, daß er einsam
        Unter dem himmlischen Schatten dichte!

»Was Ihr gebaret, Stunden, das werden einst,
Weissaget Salem, ferne Jahrhunderte
    Vernehmen, werden Gott, den Mittler,
        Ernster betrachten und heilig leben.«Aus Klopstock's Ode »Die Stunden der Weihe«. – D.

Nicht nur eine ernstere Betrachtung, die ganze Zustimmung der Seele wünschen wir einem Gegenstande, der unsers ganzen Geschlechts Rettung, Hilfe, Sieg und Triumph sein soll.


»Noch ein Gefährliches, das die epische Dichtung mit sich führt, ist die ihr zukommende eigene, höhere Sprache. Nothwendig ist diese ihr, da sie heilige, göttliche Dinge verkündigt und der epische Sänger als Vertrauter der Götter, als Ausleger der Begebenheiten und Verhängnisse redet; auch hat sich jeder ächte epische Dichter durch sie beurkundet; Homer und Virgil, Dante, Milton, Klopstock bildeten sich ihre Sprache, durch welche dann auch Klopstock, ob man sie gleich anfangs verspottete, ungeheuer Platz gewann und beinah die ganze Dichtersprache der Nation umschuf. Ein reiches Feld für die Beobachtung sowol als für den eignen Gebrauch der Sprache, dem kindischen Nachäffer aber ein Fallstrick zum Verderben. Er bleibt in ihr hangen; sein Geist ermattet: wie viel Dichterlinge haben sich in Klopstock's lyrisch-epischer Sprache erdrosselt! Würdiger ist sie indeß immer als das »bethuliche, zauberisch verzuckerte« Spielwerk, das auf sie gefolgt ist, dem sogar oft die Richtigkeit fehlt. Geben die Götter uns epische Sänger, wenn und wie oft es ihnen gefällt, nur seien sie keine Verstandverwirrer, keine Sitten- und Sprachverderber! Aufgesteckten Blutfahnen, verewigten Tropen und Hieroglyphen zu folgen – die Zeit sei endlich vorüber!«


So sprach Agathon, und Olympicus nahm das Wort, wie folgt.

IV. Vom letzten Ziel des epischen Gedichts.

»Die Tragödie ist eine Poesie der Menschlichkeit; denn wegen eines kleinen Fehltritts, der Jeden ereilen kann, leidet der Held, oft unrettbar. Aufschreckt sie also den träge schlummernden Geist, gießt in die kalte Brust Mitleid, den emporgehobnen Blick dem Gericht der wägenden Nemesis öffnend. Durch Leidenschaften wirkt sie auf die Leidenschaft; durchs Anschauen, mit der Gewalt des Moments ergreift sie Sinne und Herzen des Volks, das nur durch diese Mittel ergriffen werden konnte.

»Anders die epische Dichtkunst. Ihr Held darf frei dieses Fehltritts sein und auf seiner glorreichen Bahn doch mit dem Schicksal kämpfen; Hindernisse, die ihm widerstehn, überwältigen ihn nicht, sondern feuern seinen Muth an; denn sein hochaufgestecktes Ziel ist rein und für die Menschheit ewig ersprießlich. Er erreiche es nun oder nicht (beging er Fehler, so hat er, wie der tragische Held, diese auszukosten), sein Gang in wachsender Größe ist edel ermunternd.

»Werden nun, wie Kritias mit Recht fordert, zu diesen Helden nur große Seelen und Herzen, wahre Wohlthäter unsers Geschlechts gewählt, wird, wie Agathon fordert, der Werth ihrer Wohlthat gewürdigt und dabei der Kampf ihrer Empfindungen, das Zweifelhafte ihres Geschenks, das Hilfreiche der Gottheit, die sie unterstützt, nicht verschwiegen, so daß wir allenthalben das Schwache und Starke der menschlichen Natur, ihr Niedriges und ihre Erhabenheit sehn oder ahnen: was gliche dieser Epopöe an Würde und Hoheit, an gehaltenem Tritt und schöner Ueberraschung, im Ausgang endlich an hoher Befriedigung und Selbstbelehrung? In unsern Epopöen, selbst wenn sie mit verrenkten Gliedern auf ein unwürdiges, gar teuflisches Ziel hinausgehn, wie wohl thun uns die in sie gestreuten edlen Stellen in Charakteren und Sentenzen! Wie, wenn nun, sparsam mit diesen, das Ganze selbst, thätig ausgesprochen, eine so erhebende Gestalt wäre, wie hoch stiege das Wort von ihr über Tragödie und Lustspiel, beide in sich vereinend! Da jede Rührung nur Mittel, nicht Zweck ist, so wollen wir in der Epopöe nicht stärker gerührt sein, als sie uns durchs Ohr, nicht durchs Auge, geistig und herzlich rühren kann und soll; das Licht dagegen, das sie umleuchtet, die Flamme, die sie entzündet, ist höherer als tragischer Art, himmlisch.

»Wenn in einer Colombona z. B. der anfangs so glückliche Entdecker der neuen Welt Held einer Epopöe würde, großer Gegenstand! Eine moralisch-physische neue Welt liegt dem Dichter vor Augen, die er im Gegensatz des ältern Hemisphärs uns vorführte. Lange Jahrhunderte deckte der Schutzgeist jenes jüngeren Welttheils ihn dem Auge seiner älteren Schwester; aber das Schicksal gebeut, die Zeit der Entdeckung rückt heran, übereilt durch die Habsucht der Völker, unaufhaltbar. Umsonst wendet der Schutzgeist jener kindhaften Nationen jenseit des Meers Alles an, sie, bis die Cultur und Politik Europa's, das sie nach dem Schluß des Verhängnisses cultiviren soll, selbst reiner und menschlicher werde, die Entdeckung zu verspäten; der von Kreuzzügen, Wissenschaften, Lastern und Armuth aufgeregte Entdeckungseifer zündet fort, er trifft in Colomb. Rastloser Trieb beseelt den Mann, die Ostwelt zu entdecken, die Marco Polo u. A. beschrieben hatten und er, westwärts gesucht, nahe glaubte. Mit Anerbietungen tritt er in Genua, Portugal, Spanien, auch durch seinen Bruder in England auf; endlich erlangt er, was er suchte, dingt sich große Bedingungen aus, fährt, das nahe Gewürz- und Goldland vor seinen Augen. Nach Unmuth und Lebensgefahr liegt Land vor ihm, wirklich eine neue, d. i. jüngere Welt, bewohnt von Völkern, die wie Kinder behandelt werden sollten, in der er aber nichts als jenes Gold- und Gewürzland Marco Polo's, Mandeville's sucht und wünscht. Da man ihn so gutmüthig aufnimmt, da er die Schwäche der Einwohner und die Schönheit einer neuen Schöpfung in so großen Strecken, in so vielen Inseln vor sich sah: hätte ihn nicht St. Salvador selbst belehren sollen, daß er jetzt diesen Namen zu erwerben habe und keinen andern? Aber der Durst nach Golde und Gewürzen, das traurige Bedürfniß selbst, Spaniens Hoffnungen von seinem Zuge, die Erwartungen des Hofes und der Teilnehmer quälen ihn unerbittlich; seine rohen Spanier schweifen aus; Unglückfälle erfolgen; er wird verschwärzt, gestürzt; mit dem größten Undank werden seine Verdienste vergolten. O Nemesis, an großen Männern, wie strafst Du selbst den Irrthum, die Uebereilung, den stolzen, zu raschen Eifer so hart, indeß die Folgen ihrer Irrthümer fortdauern! Was an diesem leidenschaftlichen Gegenstande des Epos gezeigt worden, findet mehrere seinesgleichen in der Geschichte, die des Epos wahrlich doch werther sind als das Wiedersingen der geraubten Europa und Helena, der Hero und Leander's, Pyramus' und der Thisbe. Nur allenthalben schwebe droben die Göttin, die auch bei anfangs sehr reinen Bestrebungen, wenn sie in ihrem Fortgange sich beflecken, Maß und Wage in der Hand hält! Auch außer der leidenschaftlichen, bei der rein ethischen Epopöe lege sie diese nie beiseite!«


Mich dünkt,« hielt Olympicus inne, »wir hätten bei unserm friedlichen Wettkampf, bei dem wir um keinen Gewinn stritten, die Götter nicht umsonst zu uns bemüht, meine Freunde; wir dürfen, so unsäglich viel über das Heldengedicht geschrieben ist, einige Linien ziehn, die Andern manche Verwirrung ersparen:

»1. Wie viel hat man in der Theorie der Epopöe von Göttermaschinen geredet! Hier der sinnloseste Name! Dem Theater mögen Maschinen gehören und bleiben; dieser Erzählung, die zwischen Himmel und Erde vorgeht, sind Götter so wesentlich als Menschen, Beide aber nicht Maschinen, sondern zusammen und in einander wirkende Wesen, ja jene, die Götter, mächtiger, früher, ursprünglicher wirkend als diese. Mit dem ersten Gesange schlösse sich die Ilias, wenn Thetis nicht aus den Wellen des Meeres emporstiege, ja, der Dichter hätte sie nie begonnen. Iris und Here sind ihr so wahr und unentbehrlich als Achilles und Agamemnon, Beide zu einer Haushaltung gehörig. Mit Recht spottete Klopstock der Politike u. s. w., die in einem bekannten sein sollenden HeldengedichtVoltaire's »Henriade«. Vgl. Klopstock's Epigramm »Die Henriade«, in der »Gelehrtenrepublik«, im »Ersten Morgen«. – D. als allegorische Maschinen erscheinen; in einem ganz allegorischen Gedicht mögen dergleichen Gespenster spuken und machiniren, nur bleiben sie einer Erzählung fern, in der Alles belebende Wahrheit sein soll!

»2. Der Name »göttlich« ist der Epopöe keine bloße Titulatur, kein übertriebner Ehrenname, sondern Eigenthum, Wahrheit. Ein »Gotterzeugter, Gottgeliebter«Nach dem Homerischen διογενής, διίφιλος. – D. ist der epische Held; göttlicher Art sind seine Gedanken, seine Kräfte, sein Gang, seine Gestalt, sein Beruf göttlich. Vermöge dieses Ursprunges und der ihm einwohnenden Art überwindet er Hindernisse, schlägt schlechte Charaktere nieder, gelangt zum Ziele. Wer wollte einem Helden der Art nicht auf seiner Bahn folgen? Wer möchte ihm Fehler anwünschen, weil geschrieben steht, daß der Held der Epopöe kein vollkommner Charakter sein dürfe? Je vollkommener, desto mehr schlingen wir uns an ihn; denn er ist nur vollkommen auf dieser seiner Bahn, was ihn sonst auch für Fehler begleiten mögen. In den mit- oder gegenwirkenden Charakteren werden diese nicht mangeln. Dies wäre das ethische Epos.

»Wie aber, wenn der epische Held eben kein Göttersohn, wohl aber mit göttlichen Gaben begabt wäre? Da dürfen und müssen ihm vielleicht, wie dem Achilles Zorn und Stolz, mancherlei Fehler anhangen, er mag für dieselben, wie Achilles durch den Tod seines Patroklus, büßen müssen; diese Epopöe wird leidenschaftlich, pathisch. Sie rückt der Tragödie näher, sie vollendet sich ganz in der Menschheit. Damit wäre also der Streit geschlichtet, der über die Zulässigkeit und den Gebrauch vollkommner Charaktere in der Epopöe geführt worden; für die Bühne schlichtet er sich anders.

»3. Desgleichen der mit mancherlei Mißverständnissen geführte Zank über Fabel und Charakter des Drama, des Epos. Sagt Aristoteles denn, daß eine Tragödie ohne Charaktere gerade die beste Tragödie sein würde? Wohl aber, daß ohne sie Heldenspiele möglich seien, keins aber ohne Fabel. Und dies besteht mit der Wahrheit. Eine Fabel muß da sein, zu der Charaktere gehören; durch ihre Gegen- und Zusammenwirkung vollführt sich, sofern sie an Charakteren hangt, die Fabel.

»Nicht aber ganz darf sie sich durch sie vollführen; denn es giebt über ihnen allen ein Göttliches, ein Verhängniß. Dies eben webt die Fabel; es bedient sich der Charaktere, durch sie wirkend, nicht aber, daß es ihnen dienen, Alles aus ihnen herlangen, Alles durch sie thun müsse; denn wie Vieles, das Entscheidendste oft, hangt im Lauf der Begebenheiten von Umständen, von unvermeidlichen Zufällen ab, weder vom Charakter, noch vom Verstande! Die also in der Epopöe wie im Trauerspiel den Charakter obenan setzen und aus ihm, wie in der Poesie überhaupt, Alles, Alles herleiten wollen, knüpfen Fäden, die an Nichts hangen, und die zuletzt ein Windstoß fortnimmt. Lasset beiden untrennbar ihren Werth, der Fabel und dem Charakter; oft dienen beide einander und vertauschen ihre Geschäfte, das Göttliche dem Menschlichen, die Fabel dem Charakter; zuletzt aber erscheint's doch, daß es nur Herablassung, Mittheilung der Eigenschaften war und ohne geordneten Zusammenhang der Fabel kein Charakter etwas vermochte. Als die Welt begann, waren vor Construction Himmels und der Erde charakteristische Geschöpfe möglich? In welcher Arche hausten sie? ja, waren auch in einem Limbus, ehe die Welt gedacht war, zu der sie gehören sollten, ihre Gestalten und Wesen nur denkbar? Wer also in Kunst und Dichtkunst das Charakteristische zu ihrer Haupteigenschaft macht, aus der er Alles herleitet, darf gewiß sein, daß er Alles aus Nichts herleite.

»4. »Aber wo bekomme ich das Wunderbare, das Göttliche her in unsern gott-, götter- und wunderlosen Zeiten?« Wer so fragt, dem ist die epische Muse nie erschienen. Sind, seitdem Griechen lebten, nicht Wunder gnug entdeckt? Erfanden Newton, Dollond, Herschel ihre Fernröhre vergeblich? Und auf unsrer Erde, umschifften kühne Weltumsegler sie umsonst? wagte Cook sich umsonst bis an die Pforte des Südpols? sahen die Forster, die Bougainville nichts Neues, nichts Wunderbares? Und im Reich der Kräfte, haben der Magnet, die Elektricität, der Galvanismus keine neuen Ansichten der Dinge verliehn? Haben Linné, Haller, Werner den Dingen der Welt keine neue Ordnung gegeben? Im Drange des Systems selbst sind manche ihrer Darstellungen so neu poetisch, daß sie gleichsam rufen, zur Handlung mit Empfindung beseelt zu werden. Und im Reich der Menschen, haben wir keine Vorurtheile abgelegt, an die sich leider das alte Epos knüpfte, von denen es ausging, die es bezweckte? Kennen wir keine andern als die Würgengel unsers Geschlechts, Eroberungs-, Verfolgungs-, betrügerische Staats-, niedrige Reichthumshelden? oder gar noch tolle Ritter, buhlerische Damen nach Ritterweise? Sind keine Principien der Ehre und Schande, des Wohlstandes des Staates, des Zweckes und Werths der Menschheit, des Zusammenhanges unsers Geschlechts, der Religion, der Handelsgemeinschaft seitdem ans Licht getreten, die, ob sie gleich bei Weitem noch nicht im Gange sind, dennoch mit lauter Stimme Jedermann ins Ohr rufen: »Wir sind da! wir sind geboren! wir leben! wir sind unsterblich!« –? Hat Niemand sich um diese Grundsätze, Kinder der Wahrheit, theoretisch und praktisch bemüht? Niemand für sie Gut und Blut, Zeit und Leben aufgeopfert? Arbeitet für sie die Vorsehung nicht selbst? liegen nicht eben sie im Kampf des Schicksals? Wer in der Geschichte unsers und der vergangnen Jahrhunderte, im aus- und einspringenden Strom menschlicher Begebenheiten und ihrer Charakter keinen Stoß zum Epos, kein lebendiges Wort findet, der thut wohl, wenn er die Welt mit Geschichten verschont, die nichts bedeuten. Der Karls und Alexanders, der Hänse und Greten sind wir satt und müde. Erröthet man nicht, wenn man das Verzeichniß der Epopöen liest, an denen sich Jahrtausende lang unsre geduldigen Vorfahren taub gehört, blind gelesen? Ein andrer Achill, der mit Göttern wandelt, ein andres Troja als Ziel seiner Bemühungen stehe vor uns, oder die Epopöe schweige!

»5. »Ach aber, daß uns, da die alte so abgenutzt ist, eine Mythologie fehlt!« Wer hat sie abgenutzt, als schlechte Schreiber? und wenn sie eines andern Volks, einer andern Zeit ist, was hätten wir an und mit ihr verloren? Als Denkbild der Schöpfung, als Nomenclatur charakterisirter Wesen nutzt sich keine wahre, d. i. tief gedachte und empfundene Mythologie ab, obgleich eine uns näher liegt als die andre. Wer sie in Hederich und Pomey, Mallet und OetingerL. Hederich schrieb ein mythologisches Lexikon (zuletzt 1771 herausgegeben), der Jesuit Franz Pomey ein Pantheon mythicum (erste Ausg. 1659), Mallet gab die Sagen der Edda (1756) heraus. Auch Oetinger betrifft die Edda. – D. suchen muß, thut besser, daß er sie gar vergesse und überschlage. Jedes Volk hat seine Mythologie; denn es hat eine Sprache. In dieser liegen seine Stammbegriffe und Dichtungen wie seine Hoffnungen und Wünsche: lebendige Abdrücke seiner Seelenkräfte und Neigungen, die der Lauf der Zeiten vermehrt, vermindert und vielfach umformt. Außer dem tiefgeprägten Charakter unsrer, einer Ursprache sind uns aus Ost und Nord so viele Mythologien zugebracht worden, daß wir wie Tantale in einem Strom stehen, in dem die schwimmenden Aepfel uns vor den Lippen umherschweben.

»Bedenklichkeiten dieser Art zeigen, wovon anders als vom Unvermögen des Schreibers? wohin auch die über das zu wählende Silbenmaß gehören. Jambus, Hexameter, Stanze, in »Cissides und Paches«,Von E. von Kleist. – D. im »Messias« und »Oberon« zeigen sie, daß sie nur auf den Wink des Mächtigen warten. Der Epopöe scheint das Silbenmaß das angenehmste, das bei der reichsten Mannichfaltigkeit an Abwechselungen den einförmigsten Tritt und Gang hat, mittelst welches es uns wie fortzieht. Unlustig geht sich's mit einem Gänger, der keinen Tritt hält; auch mit dem Epossänger giebt es ein böses Verkehr, der uns, wenn auch nur durch Fehler, in jeder Zeile an sein Silbenmaß erinnert. Des Silbenmaßes wegen lesen wir nicht, wohl aber wünschen wir, daß dieses uns, allenthalben dem Sinn und der Sache angemessen, angenehm stolz auf seinen Flügeln trage.«


So weit Olympicus. Er hatte seinen Freunden damit neue Pforten geöffnet.


V. Vom Funde der Gesänge Ossian's.

»Hätte die Sammlung und Uebersetzung der Gesänge Ossian's auch nichts bewirkt,« fuhr Agathon an seinem Tage fort, »als der Welt ein Beispiel vor Augen zu legen, daß epische Gesänge auch ohne Blutdurst und Mord, ohne Eroberungssucht, Schwärmerei, Aberglauben und Götzendienst, ohne Gespenster und Teufel bestehen mögen, so waren sie erwünschte Geschenke. Aber sie haben viel mehr genutzt und werden noch Mehreres bewirken.

»Lange wußte man, aus BuchananSeiner Rerum Scoticarum historia (1582). – D selbst, daß die Galen Hochschottlands und der Inseln Gesänge bewahrten, die ihren Stolz, ihre Freude ausmachten; mit der unverstandnen, barbarisch geachteten Sprache blieben sie fremden Völkern indeß ein vergrabener Schatz, ein Lüftchen, das in jenen einsamen westlichen Gegenden wie auf einer Geisterinsel tönte. Erst mit dem Anfange des verflossenen Jahrhunderts fing eine nähere Kunde jener Gegenden an, und das Jahrhundert verlief über die Hälfte, ehe die »traurig-süße Harfe, die Stimme vergangener Zeiten« Europa und der Welt ertönte. Unbefangene Gemüther haben sie mit Verwunderung, mit Freude und Entzücken gehört; andre, mit Vorurtheilen ihrer Sprache umstrickte, einem andern Geschmack ergebene fanden sie leer und ermüdend; Voltaire verglich sie gar mit dem Jagdgebell auf jenen nackten Gebirgen. Wie dem auch sei, Macpherson's, des Sammlers und Ordners, Blair's, des trefflichen Commentators, Smith's und aller ferneren Förderer der galischen Gesänge Verdienst dauert und wird mit wachsendem Ruhm dauern. Wer zur Bekanntmachung der Gedichte selbst in der Landessprache, zu ihrer Erläuterung aus solcher und der Landesmusik beiträgt, den erwartet ein neuer Ruhm; denn eine Sprache, in welcher menschliche Empfindungen dieser Art erklingen, sie muß nicht aussterben, kann und darf auch forthin nicht als eine barbarische Sprache betrachtet werden. Dem angefangenen Jahrhundert stehen diese längst gehofften Verdienste und Beschäftigungen bevor.

»Die angenehmste Gestalt indeß, in der Ossian's Gedichte sich mir zeigten, war nicht die epische, sondern die ursprüngliche, die simpelste und erste, da sie in einzelnen Fragmenten, als Lieder erschienen.»Fragmente der alten hochschottländischen Dichtkunst«. Uebersetzt Hamburg 1764. – H. [Vgl. Herder's Werke, V. S. 345 ff. – D.] In dieser Gestalt haben sie nicht nur die trefflichste Rundung, eine überschaubare Kürze, sondern erregen auch das Gefühl der Vollendung, ohne welches ein musicalischer Gesang nie sein sollte. Glücklicherweise haben die meisten und schönsten Stücke galischer Poesie diese ihnen natürliche Urform erhalten. Wenn Macpherson andre zusammenschob und seinen Fingal, sein Temora als Epopöen hinstellte,»Fingal, ein Heldengedicht«. Uebersetzt Hamburg 1764 und sonst häufig. – H. so thut man wohl, wenn man dem Inhalt seine ächte Gestalt wiedergiebt, d. i. die Gesänge vereinzelt und auseinanderschiebt. Man gewährt sich damit Ruhe des Genusses dieser Empfindungen und Ansichten, indem man, etwa des Inhalts wegen, nicht Bücher hindurch gejagt wird. Diese Gattung Gesänge und Scenen wollen Ruhe, wollen Erholung.

»Ossian's Gesänge, man hat es oft wiederholt, geben dem Pinsel keine Homerischen Bilder. Wer hat Dir gesagt, Pinsel, daß sie Dir solche geben wollten und müßten, daß der Dichter für Dich singe, oder vielmehr daß das empfindende Herz für Dich dichte? Sehr natürlich ist's zwar, daß, wenn, wer Dich trägt, großmüthig-liebliche Abenteuer hört, er das Täfelchen hervorzieht, Gestalten entwirft und eine Bilder-Iliade, einen Homerischen Katechismus in Figuren haben möchte, wie man voreinst, als Bücher selten und theuer waren, sich an einer Armenbibel in Holzschnitten begnügte. Für Kinder mag so etwas gelten, auch an den Fensterscheiben der Kirche und Klöster waren diese Gemälde nicht unrecht; willst Du aber, daß der menschliche Geist ein Kind bleibe, daß das menschliche Herz an Deinen gemalten Ulyssen und Polyphemen erlechze, daß eine Armenbibel dieser Art gar Maßstab Homer's, Ossian's werde, so wisse, Freund Pinsel, für Deine kindische Graphik hat weder Homer noch Ossian gedichtet! Gerade wo der Pinsel verstummt und der Stimme nicht folgen kann, d. i. wo die Gestalt Geist wird und durch Ohr und Auge im Herzen wohnt, gerade da wirken und schweben die Geister. Und in Ossian wären keine dergleichen? keine Geister, keine Gestalten? Wäre Ossian ein Engländer, längst stünde in London eine Ossian-Galerie da, one Shilling der Eingang, das Büchelchen gratis.

»Kein Wunder, daß die Culdeer gegen Ossian's Gesänge und Geschlecht so erbittert waren. Hier waren keine Götzenbilder zu zerstören, keine Gespenster zu bannen, keine Dämonen zu vertreiben; unvertreiblich wohnten die Gestalten in Seelen, in Herzen die Dämonen. Man lebte und starb auf diese Gesänge und ihren Inhalt; bei Männern war an keine Grillenhängerei, bei Weibern an kein Wollustpfuschen zu denken, wodurch man andern Nationen das Netz anzuknüpfen wußte. Hier bestand Alles im Gebiet und in der Form armer, beschränkter, aber reiner Menschheit, dem falschen Blendwerk der Sinne wie unzugangbar.

»Angenehm ist's zu denken, was, hätte die Entdeckung Ossian's in Klopstock's Jugendzeiten getroffen, Jener auf Diesen gewirkt hätte; zwei so verwandte Genien und Harfen! Vielleicht – doch wozu dies Vielleicht? Jetzt stehen (Gewinn für uns!) Beide neben einander.

»Und was der Erste zeigt, wie viel der Dichter entbehren könne, wenn er sich vom Ungethüm der Götzen und PhantasieSoll wol Phantome heißen. – D. fern hält, wie viel dagegen er gewinne, wenn er dem Verstand und Herzen, nicht blos dem Auge dichtet: dies hat Klopstock, ohne Ossian zu kennen, nicht minder erwiesen.

»»Wie?« sagt man, »ein fleckenloser Held die Seele der Epopöe? eine reine, häusliche Liebe sammt dem ganzen Ahnenruhm und Thatenstolz der Nation die Seele des Dichters? keine Phantome, weder als Feinde noch als Hilfsmaschinen, und dennoch Alles belebt, Alles voll geistigen Lebens?« Wem dies ein Widerspruch scheint, lese Ossian, sehe, wie er gleich seinem Vater Fingal sich nur durch Großmuth rächt und noch rächen werde; denn ungerächt liegt allerdings noch Fingal's Geschlecht, und Fingal's Rache, auch in seinen Tönen, ist keine andre als Wohlthat. Das Licht alter wird ein Gesang neuer Zeiten werden, der Schwanengesang Ossian's die Stimme eines neubelebten Phöbus.

»Insonderheit wird und muß das weibliche Herz der Harfe Ossian's immer geneigt bleiben, da es aus ihr im Glanz des Mondes und der abendlich untergehenden Sonne die kühnsten und sanftesten Gestalten beider Geschlechter aufsteigen sieht, die ihm selbst aus Herz und Seele zu entspringen scheinen.

»Uebrigens mögen Iren und Schotten mit einander kämpfen, wer von ihnen beiden die besten und eigenthümlichsten Gesänge der galischen Sprache hervorbringe. Gewiß ist's zwar, daß dieser große Völkerstamm sich nicht von Nord nach Süden hinab, sondern von Gallien nordwärts hinauf verbreitet habe, mithin die Gallier des festen Landes, die Galen der Insel Foin (Irland), ältere Einrichtungen gehabt haben können und müssen als die Galen der Hebriden und der schottischen Gebirge; ebenso gewiß ist's aber, daß sich alle Völker in dergleichen weiten Verbreitung stark, oft feindlich und wesentlich geschieden, und daß meistens die, die das hohe Ufer oder Gebirge und dürftige Gegenden besessen, sich vor denen hervorthaten, die in flachen, mildern oder überhaupt den früheren Sitzen blieben. Hier bestanden die alten Einrichtungen und Sitten als Fesseln; hier besaß man, dort wollte man erwerben. So hat hohes und niederes Land oder Ufer Normänner, Dänen, Schweden, Ober- und Niedersachsen, Nord- und Süddeutschland von einander geschieden; Inseln, Meerbusen u. s. w. scheiden noch mehr und bringen neue Bestrebsamkeiten, einen frischeren Charakter unter die Völker.Einen angenehmen Localcommentar sowie einige treffliche dem Gange der Ursprache gemäße Übersetzungen Ossianischer Gedichte giebt eine neuere Beschreibung einer Reise in die Hochlande: »Caledonia«, von der Verfasserin der »Sommerstunden« (Emilia Harms). Hamburg 1802. 1803. – H. [Die Verfasserin, frühere Frau von Berlepsch, war Herder persönlich bekannt. – D.] Irland mag also Hirtengedichte oder Druiden-Gesänge seiner Art gehabt haben, Fingal's und Ossian's Lieder werden wahrscheinlich ihren Gegenden und Helden, ihren Thälern und Höhen, Strömen und Buchten mit örtlichem Ruhm bleiben.

»Der letzte Ton, in dem Alles gleichsam erstirbt, drückt auf ihre Urkundlichkeit das Siegel. Die Irland in Schlachten nie hatte bezwingen können, unterwirft es durch Mönche; Fingal's Geschlecht geht unter und verhallt in Ossian's letztem Seufzer. Die Geschichte zeigt, wie leichter Erin zum Christenthum zu bringen war als dies zerstreute Heldengeschlecht, und wie thätig sich jenes erwies zum Fortbau des Culdeismus. Alles der Natur der Sache und Gegenden gemäß. Je näher den Ursitzen der Druiden-Religion, desto gewohnter ist man an strenge Gebräuche; geschah der Wechsel einmal, ist der Culdeer so eifrig wie einst der Druide, dagegen in der Entfernung, unter kleinen Stämmen und Familienhäuptern, wie Fingal war, das Härteste im Druiden-Cultus verschwinden oder unmerklich werden konnte, gewiß aber nicht mitgesungen werden durfte. Auch diese Analogie ist bei andern weit umher verbreiteten Religionen merklich. Im Schooß der freien Natur spricht das menschliche Herz zwangloser und lauter als am Druiden-Altare.«


Beilage.
Volkssagen über Ossian,

von einem gelehrten Hochländer.Hochschottländer. Erhielt Herder etwa diese Mitteilungen handschriftlich? Die Bekanntschaft eines Hochschottländers hatte er im Jahr 1800 gemacht. Vgl. Knebel's Brief an Herder vom 4. August 1800. – D.

Die Sagen eines Volks, bei dem noch nicht Wissenschaften blühen, werden als ein Gemisch von Leichtgläubigkeit, Betrug und Thorheit betrachtet; es ist der Ton unserer Zeit, ihnen keinen Glauben beizumessen. Niemand, der die Wahrheit aufrichtig liebt, wird historische Schlüsse auf sie allein bauen; indeß in Verbindung mit übereinstimmenden Umständen geben sie jenen mehr Festigkeit. Ein dunkler Schleier deckt die hochländischen Volkssagen und ist Denen, die in jenem Lande nicht geboren sind, nicht lange Zeit sich darin aufgehalten haben, undurchdringlich. Hieraus entstanden jene sonderbaren abgeschmackten Begriffe von diesem Lande, die Reisende, die weder Sprache noch Sitten des Volks kannten, verbreiteten. Ihnen mußten die dichterischen Volkssagen der alten Hochländer unverständlich, oft widersinnig scheinen, indeß sie Dem, der im Lande erzogen ist, leichter zu entschleiern sind.

Die Geschichte Hochlands stützt sich allein auf die Sagen und Gesänge der Thaten und Schlachten dieses Volks.

Da Ossian in einigen Stellen seiner Gedichte »den König der großen Welt«, so auch »das Gold der Fremden« und »die Männer des Caracalla« erwähnt haben soll, so haben Einige, und besonders der scharfsinnige Dr. Smith in Campbeltown, das Leben Ossian's in das dritte Jahrhundert gesetzt, in die Zeit, als Caracalla eine römische Armee in den westlichen Theil Schottlands sandte. Doch in allen den Gesängen, die ich im Hochland gehört, habe ich nie etwas gefunden, was Bezug auf die Römer haben könnte. Fingal's Feinde sind darinnen blos die Dänen, Irländer und Ostpikten oder Unterschotten. Bestimmt will ich indessen hierüber nicht entscheiden; nur so viel ist gewiß, daß die allgemeine Volkssage Ossian einige Jahrhunderte später leben läßt. Sie erzählt nämlich: »Ossian war ein alter Mann, als die Culdeer anfingen, die päpstlichen Lehren fortzupflanzen. Wie nun das Christenthum sich mehr ausbreitete, wurden Alle, die noch an der alten Religion hingen, mit katholischem Eifer verfolgt und die Druiden in ihren Tempeln, indem man diese anzündete, getödtet.« Einige Gesänge, die in dieser Zeit von den Druiden gemacht sein sollen, führt John Mawdram in seinem vortrefflichen Gedicht über die Auswanderung nach Amerika, 1769, an. Daß die Tempel der Druiden wirklich durch Feuer zerstört wurden, sieht man an den noch häufig im Hochland, besonders im Unterland gefundenen runden Plätzen, breiten Steinen und Ueberbleibseln verbrannter Eichen. Fast bei jedem Dorf findet man solche Ruinen, auch manchmal in unbewohnten Gegenden, bei einem See oder Fluß. Die Druiden wurden in der galischen Sprache weise Männer genannt.

Die alten Hochländer glaubten, wie es noch viele ihrer Gedichte ausweisen, an ein höchstes Wesen, welches sie selbstständig Wesen nannten. Ihre Meinungen über ein zukünftiges Leben scheinen uns, da wir solche blos aus Gedichten kennen, die einen andern Zweck, als ihr Glaubensbekenntniß zu besingen, hatten, verworren. Die Wolke war der Wohnsitz des Patriotismus und der Liebe, ein freundliches Herz die Belohnung im künftigen Leben. Die Stimme des Ruhms, das ist der Gesang der zurückgebliebenen Freunde, dem Verstorbenen zu Ehren, den sie hochschätzten, führte sie bei ihren Vorfahren ein. Mit einem Seufzer und einer Thräne wurden sie zugleich unter freundlichem Lächeln von ihnen empfangen. Die Gestalt dieser war klar und durchsichtig wie die kräuselnde Wolke, die der West zertheilt, schwach ihre Hände, ihre Stimme tief, doch sanft wie des lispelnden Rohrs auf Rego. Sie schwebten über ganz Caledonien, und als Segen erfreuten sie sich eines endlosen Raums. Diesen schätzten sie über Alles, so wie eng und eingeschlossen ihnen ein Bild des Schreckens und des Abscheus war. Daher nannten sie das Grab das enge Haus und ein niedriges Gemüth den Athem einer engen Seele. Sie wurden nicht alt, aber immer weiser; denn sie unterhielten sich mit den guten Menschen anderer Zeiten. Hingegen wurden die Seelen der bösen Menschen wirbelnd in einen dicken Nebel getrieben, der immer über einem stinkenden Morast schwebt. Nie kommen sie aus diesem Nebel, erblicken die Sonne nie. Keiner weiß den Namen des Andern. Ihre Blicke sind auf einander geheftet wie die des rothäugigen Dänen unter dem herabhängenden Augbraun auf das Schwert Fingal's. Das schwarze Wasser ihres morastigen Sees ist ihr einziges Gespräch, Reihergekreisch und Entengeschnatter ihre Musik; sich die Ohren haltend, entsinken ihnen matt die Hände. Jeden plötzlichen Tod schrieben sie einer unsichtbaren Hand zu, die einen Stein aus den Wolken wirft, und den sie Pfeil der verheerenden Frau nannten.

Dies ist ein leichter Umriß des Glaubens der alten Caledonier, so wie ich ihn in den alten Gesängen, Sagen und zum Theil noch existirendem Aberglauben der Hochländer und Inselbewohner fand. Obgleich diese Strafen und Belohnungen einem erleuchteten Christen lächerlich vorkommen, so zeugen sie doch von einem moralischen Gefühl. Ihr Hauptbegriff des höchsten Wesens war, daß es die Wolken und himmlischen Körper regiere und Freude an der Tapferkeit und dem Glücke der Menschen habe, daß es aber immer unsichtbar blieb, aus Furcht, der ganze Erdboden möchte es fangen und einkerkern.

Die Römisch-Katholischen, worunter ich die Culdeer verstehe, verbunden mit den Unterschotten und den andern Feinden der armen Caledonier, entschlossen sich, diese mit Gewalt zum neuen Glauben zu bekehren, da sie es durch Ueberzeugung nicht vermochten. Die Sage erzählt: von diesen frommen Männern sei ein öffentliches Fest zu Ehren des unter ihnen und den Caledoniern errichteten Friedens veranstaltet worden. Bei diesem hätten sie den Saft einer giftigen Pflanze in den Trank der Caledonier gegossen, wodurch diese 25 ihrer besten Krieger verloren hätten. Den übrigen Caledoniern erzählten sie, daß diese Gestorbenen durch ein Wunder ihres Gottes umgekommen wären. Dies mußte den Caledoniern um so wahrscheinlicher sein, da sie Gift und seine Wirkung nicht kannten. Viele von ihnen nahmen hierauf die christliche Religion an. Dieselbe Sage fährt fort, daß Ossian ebenfalls in seinem 120sten Jahre vergiftet worden, nachdem er zuvor folgendes Gespräch mit einem Katholischen, Namens Padruig, gehabt:Vgl. das erste Gespräch über Nationalreligionen, oben. – D.

Padruig. Ossian, Dein Vater ist –

Ossian. O wo, sag, Du weiser Padruig. wo ist er?

Padruig. Dein Fingal, Dein Vater ist in der kalten Hölle, mit all Deinen Freunden in einen engen Raum eingeschlossen.

Ossian. Sprich, Du Unheil lächelnder Padruig, wo ist diese kalte Hölle? Und ist sie nicht ebenso viel werth als der Aufenthalt der Seligen Deines Gottes, wenn Wild und schnellläufige Hunde sie bewohnen?

Padruig. Dein Gott ist schwach, der meinige ist allmächtig.

Ossian. Wären Carril und Haull, der braunhaarige Diarmid und mein Oskar – mein Sohn, noch unter den Lebenden, der Gott der Männer wie Du hätte uns Wände gebaut, Eure Anführer einzuschließen.

 

Lange Zeit, ehe diese Unterredung stattgehabt, erzählt die Sage weiter, hätte man mehrmals versucht, Ossian zu bekehren. Seine unveränderte Antwort aber war diese: »Ich bin alt und wünsche mit Fingal in seiner Wolke zu leben; ich mag nicht in den Himmel der Schwachen.« Da er sich in seinem blinden Alter ohne Schutz, ohne Hilfe sah, folgte er Malvina's Rath: »Laß unbetreten Cona, wenn roth ist sein Strom!« Er sprach nicht mehr über Religion. Die meisten Gedichte, die wir von Ossian besitzen, sind aus dieser unglücklichen Periode seines Lebens; alle seine Freunde waren todt, daher diese tiefe Melancholie, die seine Gedichte athmen.

Diese Sage über Ossian, die ich von meiner Kindheit an gehört, hat immer tief meine Seele bewegt. Ich gebe ihr allen Glauben, verlange aber deswegen nicht, daß Andere mir hierin folgen sollen; ebenso wenig vermag ich zu entscheiden, ob die Einführung des Christenthums oder vielmehr die Art, wie solches geschah, jene glänzende Epoche der Caledonier stürzte.

Jede Übertreibung, auch der besten Sache, bringt schädliche Folgen. Die Geschichte zeigt uns hell genug, wie oft die wohlthätigsten Lehren durch Haß und Rache ihre Gestalt verloren.

Die Mohammedanische Religion wurde durch Feuer und Schwert gepredigt; doch in jenen Gegenden, bei der verpesteten Luft, dem Gezische der Schlangen, dem Geheul der Hyänen und der Blutgier der Löwen und Tiger, konnte Menschlichkeit sich nicht ansiedeln. Aber in Europa – in England – wie konnten da Christen so handeln – den friedlichen Ossian in seinem hilflosen Alter vergiften!

Dieser edle Greis, als er die Wirkungen des Gifts spürte, ging in den einsamen Hain, wo er gewöhnlich seine Harfe und das Schild seines Vaters ertönen ließ, legte sich mit dem Gesicht auf die Erde und – ward schlafend gefunden.

N. S. In keinem von Ossian's Gedichten finden sich Spuren vom zweiten Gesicht (second-sight). Diese Wundermacht ist von den Missionairs der römischen Kirche eingeführt worden.

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