Johann Gottfried Herder
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Johann Gottfried Herder

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9. Der Mann und sein Schatte Niemand.


Deutsche P.Politik? – D.

Fragment.

 

1.

Mann war der Name des deutschen Mannes, des Sohnes Teut, des landgebornen Gottes. »Mann«, sprach die Weissagerin Belleda (Andre nennen sie Hulda), »Mann soll er sein, oder er wird ein Schatte von ihm, Niemand.« In seine Brust nahm Mann den Gottesspruch auf und nannte seine sieben Söhne Männer, Wehrmänner, Germanen.

 

2.

So lange die Söhne bei und mit einander auf ihrer Mutter Schooß Hertha als Mark- und Allemannen im Bunde mit einander blieben, stärkte sie ihres Stammes Kraft und ihrer Hulda Segen; als sie aber Schweifer und Wandler (Svever und Wandalen) wurden, erstarb ihre Stammeskraft. In fremden Ländern, bis in die Wüste Afrika's hinaus, verloren sie ihre Namen; kaum blieb in einem derselben, und zwar beim armen Lombard oder etwa bei Ställen, Rossen, Knechten, Wirthshäusern, Hofstellen und Trinkgelagen in Worten und Namen ihr Andenken übrig.

 

3.

Die im Mutterlande Zurückgebliebenen betraf ein nicht linderes Schicksal. Einer seiner Brüder, Frank, hatte sich in ein nachbarliches Reich gedrungen, und einer seiner Nachkommen, Kerl der Große, war von einem ausländischen Priester gerufen, ihm wieder auf seinen Altar zu helfen. Kerl zog dahin; der Priester rief ihn in den Saturnalien der dunkeln Christnacht zu einem Cäsar aus, gegen welchen Namen Jahrhunderte lang die Deutschen gestritten hatten, und so ward ihnen auf Jahrhunderte hinaus mit diesem Namen eine römische Kette um den Hals geschmiedet.

 

4.

Jahrhunderte lang trugen sie sie in wilder Verwirrung; ein Fürstenstamm nach dem andern rückte herzu und bot der Kette den Hals dar, bis dieser im fremden Lande ab- und wund und zu Tode gescheuert einem andern Stamme, zu scheuern und gescheuert zu werden, Platz machte. So erloschen die Männer (Mannen), ihr Blut floß allenthalben; auf fremden Ebnen, für und wider nichts, sanken ihre Leichname, treu dem Bunde ihrer Väter, aus Pflicht und Gehorsam. Im Mutterlande indeß erhoben sich Raubschlösser, Burge.Eine auch bei Voß u. A. vorkommende Mehrheitsform. Adelung erkennt nur Bürge an; Burgen ist nach ihm oberdeutsch. – D. Nicht Männer wohnten hier mehr, sondern Raubgesindel, Ritter und edle Knechts, deren Namen großenteils noch jetzt von ihrem Ursprung zeugen. Der Heer- und Wehrmann war ein Oger, ein Burgdrache worden, von dem Ihr so manche furchtbare Märchen gehört habt. Gezittert und geweint habt Ihr über die Unthaten der verwünschten Schlösser und Burge.

 

5.

Allmählich sollte Ordnung kommen ins Land; man schrieb Gesetze, man blies in die Posaune. »Männer,« rief die Drommete, »Söhne des Mann!« Und erschrecklich! – die Wälder, Berg' und Hügel umher antworteten: »Niemann!«

Ein Gottesmann erschien (Lauter, Luther war sein Name). Er rief die deutschen Männer von jenem fremden Priesterdienst jenseits der Gebirge zurück. Ein Theil der Männer kamen, den andern in den Weinländern behagte ihre Weise; sie riefen seiner Stimme zurück: »Niemann!« So ward Teut's Geschlecht getheilt; die Brüder lagen einander selbst in den Haaren.

 

6.

Feinde mischten sich zu Beilegung ihres Zwists unter sie; ihr gefährlichster Feind war der, dessen Sprache und Sitten sie annahmen. Mit Annahme seiner Sprache und Sitten huldigten sie ihm, ehe er durch Waffen sie überwunden hatte, und aus Vergötterung seiner eilten sie, ihm zu helfen in einer Gefahr, die ihnen nicht oblag. Das Schicksal strafte sie unerbittlich.


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