Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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Charakterzüge einiger Vorgenannten.

»Wilhelm von Oranien hatte eine verwundernswürdige Ernsthaftigkeit an sich; es schien, als ob er sein selbst nicht wahrnehme oder das Geringste wider seine Person befürchte. Ich hatte von einem brutalen Savoyarden gehört, der geschickt war, die ärgste That vorzunehmen, sich nämlich des Prinzen zu bemächtigen, da dieser oft ans Ufer von Schevelingen fuhr und nur eine Person bei sich, ein paar Pagen hinter sich hatte. Der Savoyard hatte sich erboten, mit einer kleinen Fregatte von 20 Stücken dahin zu segeln, unter Schevelingen zu ankern, hernach in einem Boot mit sieben Personen ans Land zu fahren, den Prinzen aufzuheben und nach Frankreich zu bringen. Dies schrieb er an Louvois, der ihn darauf nach Paris kommen ließ und ihn dazu mit Gelde versah. Der Savoyard, ein geschwätziger Kerl, that groß mit diesem Auftrage, zeigte Louvois' Brief sammt einer Copie des seinigen und ging sogleich nach Paris. Als ich dem Prinzen dies sagte und Fatio zum Zeugen rufen konnte, bewegte ihn dies wenig; die Prinzessin hatte die Sache dem Herrn Fagel und einigen andern Staaten gemeldet, die darin übereinstimmten, daß sich so etwas leicht thun ließe. Sie baten ihn, er möchte eine Garde mitnehmen, wenn er ans Ufer spazieren führe; sie hatten aber viel zu thun, ehe sie ihn dahin bringen konnten. Ich bildete mir ein, sein Glaube an eine Prädestination mache ihn beherzter, als nöthig sei; er aber sagte, er glaube an eine göttliche Vorsehung, und wenn er von diesem Glauben abwiche, müsse seine ganze Religion dabei leiden. Nun begriffe er aber nicht, wie diese Vorsehung gewiß sein könne, wenn sich nicht alle Dinge nach dem unveränderlichen Rathschluß Gottes richteten. Ich fand, daß, die ihn erzogen, mehr Sorge getragen hatten, ihm die Calvinische Meinung von den unveränderlichen Rathschlüssen beizubringen, als ihn gegen die bösen Wirkungen in Anwendung dieser Lehre zu bewahren. Die Unterdrückung Frankreichs war die Hauptabsicht seines ganzen Lebens.«

Burnet.Geschichte, die er selbst erlebt hat. B. I. S. 785. – H.


Lady Sarah Marlborough hat es nöthig gefunden, ihr Betragen selbst zu rechtfertigen;An Account of the Conduct of des Dutchess of Marlborough from her first coming to Court to the Year 1717. London 1742. Worauf ein Ungenannter Remarks on the Account herausgab, denen A full vindication of Her Grace and of her Charakter in general folgte. Ihre Geschichte war als Histoire secrète de la Reine Zarah et des Zaraziens (Oxford 1711. 1712) erschienen. – H. allenthalben aber zeigt die Rechtfertigung, was sie vernichten soll, den stolzen, kühnen, heftigen, parteimachenden, gewinnsüchtigen Charakter einer Frau von Stande, die ihren Gemahl und ihre Familie groß und reich zu machen Alles daran setzt. Die Prinzeß, nachher Königin Anna (deren zweite, nachher erste Lady of the bedchamber sie war), erscheint in diesem Account ihrer abgedankten Freundin nicht zu ihrem Nachtheil. In der ersten Hälfte des Buchs ist sie der Lady Sarah wärmste Freundin; alle Zureden, alle harten und verächtlichen Begegnungen König Wilhelm's und der Königin Maria, ihrer Schwester, die gewiß weit gingen, konnten sie nicht bewegen, eine dem Staat gefährliche Person, die ihre Freundin war, von sich zu entfernen. Lady Sarah erlaubt sich in dieser Periode harte Ausdrücke gegen die Königin Maria, unter andern daß sie no bowels, kein Gefühl gehabt habe.She wanted bowels, S. 25. – H. Jede wahre Freundin, würde sie nicht, eben der Freundin zu Liebe, die ihretwegen so viel Unannehmlichkeiten ausstand, sich von ihr entfernt und keine Feindschaft zwischen Schwestern gestiftet haben, die auch der Tod nicht versöhnte? Nicht aber so Mrs. Freeman (so nannte sich Sarah in ihren Briefen an Anna) gegen Diese, die sich in ihren Briefen an sie Mrs. Morlay und nach dem Tode ihres Sohns, des Herzogs von Glocester, die arme, traurige Morlay nannte. Wie eine Klette hing sie an ihr, von der sie viel hatte und als der nächsten Erbin des Throns noch mehr erwartete.

Als nach einer Reihe von Jahren die Königin endlich das Joch abschüttelte, welch ein Benehmen gegen sie von ihrer zudringlichen Freundin! sogar, daß diese sie auf das gemeine Gebetbuch (common prayer-book) und die ganze Pflicht des Menschen (the whole duty of man)Die gemeinsten Volksbücher in England. – H. wies, um die Pflichten der Freundschaft daraus zu lernen. Und wie geht's über die arme Hill (Mrs. Masham) her, die ihr die Gunst der Königin geraubt hatte! Armuth, erzeigte Wohlthaten, was sie weiß und kann, wirft sie dieser, ihrer Anverwandten vor, im Druck, vor den Augen der Welt nach einer Reihe von Jahren; was wird sie nicht im Feuer des Unmuths gethan haben! Niedrig-vornehmer, vornehm-niedriger Conduct, vor dem die Königin sich nicht anders zu retten wußte, als daß sie fest blieb und wenige, aber dieselben Worte stets wiederholte.

In einem Codicill zu ihrem Testament befiehlt die große, reiche Frau, daß zwei Gelehrte, Glover und Mallet, das Leben ihres Gemahls, des weiland Herzogs von Marlborough, unter der Aufsicht des Grafen Chesterfield schreiben, ja aber »keine Verse hineinbringen sollten.«»I desire, that no part of the said history may be in verse.« The true Copy of the last Will and Testament of her Grace, Sarah. London 1744. S. 81. – H. Wenn die gedachte Geschichte des weiland Herzogs zum Wohlgefallen des genannten Grafen ausfiele, sollten die vorgedachten beiden Geschichtschreiber genannter Geschichte die Summe von 500 Pfund erhalten. So bestellt man die Unsterblichkeit des weiland Größten der Helden und Menschen mit 500 Pfund anordnend.


Beim ersten Doctor-Examen wurde Swift puncto der Dummheit und Untüchtigkeit abgewiesen. Blos an seinem Eigensinn lag hiebei die Schuld; denn er disputirte nicht etwa schlecht beim Examen, er disputirte gar nicht, ließ sich gar nicht darauf ein. Er erzählte, daß er die alten Tractate von Smeglesius, Keckermann u. s. w. oft angefangen zu lesen, sei niemals aber über drei Seiten gekommen. Als ihn seine Lehrer anmahnten, sich ja vorzüglich der Logik zu widmen, weil sie in großer Achtung stehe und zu Erlangung des Doctorgrads unumgänglich nöthig sei, fragte Swift, was er denn aus jenen Büchern lernen solle. »Ich bin mit der Portion Vernunft, welche mir der Himmel geschenkt hat, zufrieden«, setzte er hinzu, »und will es der Zeit und Erfahrung überlassen, sie zu stärken, ihr die gehörige Richtung zu geben, und mich nicht der Gefahr aussetzen, sie durch das abgeschmackte System jener Schriftsteller irre zu leiten. Man hat leider zu viel traurige Beispiele an den größten Logikern von dem Schaden, den diese Werke anrichten.«Swift's Leben, von Sheridan. – H. Beim zweiten Examen wurde er zwar nicht abgewiesen, ihm aber nur ex speciali gratia die Doctorwürde ertheilt. Dies sollte heißen, aus besondrer Nachsicht; als er aber das Diplom in Irland aufzeigte, nahm man den Ausdruck für eine Ehrenerklärung, als ob man ihm aus besondrer Gunst und Affection mit auszeichnender Hochachtung die Doctorwürde ertheilt habe. Wie nahe grenzen beide Auslegungen! und in welchem Sinn schafft man die meisten Doctoren?


Swift's Zurücksetzung, daß er zu keinem Bischofthum kam, bewirkte eine beleidigte Frau, die Gräfin von Sommerset, die ihm die Erwähnung ihrer in seiner Windsor-Prophezei nie vergab. Zuerst mußte der Erzbischof von York, Rath der Königin bei Vergebung geistlicher Stellen, das Wort entfallen lassen: »Ihro Majestät müsse sich erst überzeugen, ob der Mann, den sie zum Bischof machen wolle, auch ein Christ sei«; dann wandte sie sich fußfällig an die Königin selbst. Und so ward das ziemlich grobe Märchen von der Tonne, das Swift, ungerecht gegen die Presbyterianer, zu Gunst der hohen Kirche geschrieben hatte, von dieser selbst mißdeutet oder mißverstanden, die ungerechte Ursache seiner Zurücksetzung. Der schwache Erzbischof entschuldigte sich nachher bei Swift und bat um Verzeihung; das Wort aber war gesprochen, Swift wurde nie Bischof.


»In den Jahren seines Glanzes fand Swift sein ganzes Glück in großmüthig-menschlichen und freundschaftlichen Handlungen; diese Gesinnungen suchte er auch Allen, mit denen er in Verbindung stand, einzuflößen. Er war das Haupt und die Seele der berühmten Gesellschaft von Sechzehn, die aus den vornehmsten, geistvollsten, edelsten Männern des Zeitalters bestand, und die Swift, um sie enger an einander zu knüpfen, vermochte, den Brudernamen unter sich einzuführen, so wie auch ihre Frauen sich Schwestern und sogar ihre Kinder sich Vettern nannten. Die Wenigen, welche in dieser angenommenen Verwandtschaft mit Swift standen, schätzten sich dies für ein Glück, bedienten sich auch gegen ihn dieses Namens; Andre, der Herzog von Ormond, bewarben sich um die Ehre. Man wählte nur Männer von Talenten und von Gewicht dazu, und damit die Gesellschaft nicht etwa in einen politischen Club ausarten möchte, widersetzte sich Swift gleich anfangs der Aufnahme des Lord-Schatzmeisters und Lord-Siegelbewahrers; sie wurden abgewiesen und ihre Söhne statt ihrer gewählt. Bei den Zusammenkünften ward oft für Nothleidende gesammelt, und Swift besorgte die Austheilung dieser Wohlthaten. Er gab sich so viel Mühe, diese wohlthätigen Gesinnungen unter allen seinen Bekannten zu verbreiten, daß ihn Lord Peterborough in einem seiner Briefe damit aufzieht, daß er es vermuthlich darauf anlege, »das goldne Zeitalter wieder einzuführen und alle Menschen mit einander durch Liebe zu verbinden«. Damals äußerte sich noch keine Spur von der Bitterkeit und verdrießlichen Laune, die in der Folge Krankheit, getäuschte Erwartungen und mancher andre herbe Kummer bei ihm erzeugten, und die mit den Jahren zunahm. Er besaß eine ungewöhnlich heitre, fröhliche Laune, Jedermann suchte seine Gesellschaft.«Swift's Leben, von Sheridan. – H.


»Als er sah, daß von England aus nichts zu hoffen und er dazu verdammt sei, in einem Königreich zu leben, das er unter allen Ländern der Welt am Wenigsten zu seinem Aufenthalt gewählt haben würde, entschloß er sich, künftig nur für Andre zu leben und in ihrem Glück sein Unglück zu vergessen. In dieser Absicht fing er an, verschiedne Schriften herauszugeben, worin er die Hauptquellen des Elendes, worunter sein Vaterland fast erlag, entdeckte und zugleich die Mittel angab, wodurch diesem abgeholfen werden könnte. Er unterstützte die am Nützlichsten eingerichteten Armenanstalten, worauf er mehr verwandte als irgend ein Mann in England. Schon von der Zeit an, da die Schulden, welche die Einrichtung in seiner Dechanei veranlaßt hatte, abgetragen waren, theilte er seine jährliche Einnahme in drei gleiche Theile. Einen davon bestimmte er zum Unterhalt seiner Haushaltung, und weil damals Alles sehr wohlfeil und er ökonomisch war, so fiel es ihm nicht schwer, damit anständig und seinem Range gemäß zu leben. Den andern legte er zurück, um gegen alle Unfälle des Lebens gesichert zu sein; den dritten theilte er an Arme und Unglückliche aus. Und da er diese Gegenstände selbst und mit Behutsamkeit aufsuchte und sich darin auf Andre nicht verließ, so wurde dies Geld fast immer nützlich verwendet. Besonders nahm er sich der armen arbeitsamen Krämer aus den niedrigsten Volksclassen an, lieh ihnen ohne Zinsen in kleinen Summen fünf oder zehn Pfunde, die er sich nach und nach bei zwei oder vier Schillingen wöchentlich wieder erstatten ließ. Das auf diese Weise eingesammelte Geld theilte er dann wieder an einem gewissen Tage jedes Monats an Andre aus und vervielfältigte durch diesen schnellen Umlauf die Wohlthaten. Um aber diesen Fonds vor Verminderung zu schützen, machte er's sich zur Regel, nur solche Männer daran Theil nehmen zu lassen, die hinlängliche Sicherheit für regelmäßige Wiedererstattung geben konnten; denn er war überzeugt, daß jeder als ehrlich, mäßig und arbeitsam gekannte Mann seine Nachbarn leicht bewegen könne, Bürgschaft für ihn zu leisten. Auch liefen diese gar keine Gefahr dabei; denn Swift benachrichtigte sie gleich davon, sobald seine Schuldner nicht ordentlich zahlten, und überließ es ihnen, sie dazu anzuhalten. Auf diese Weise blieb der Fonds unvermindert, und verschiedne Handelshäuser in Dublin, die jetzt in großem Ansehen stehen, haben diesem Fonds ihr Glück zu danken.

»Der Ruf seiner Klugheit und Rechtschaffenheit war nun so ausgebreitet, daß ihn die Kaufmannschaft in Handelsgeschäften oft um Rath fragte und bei allen streitigen Fällen zum Schiedsrichter wählte; auch untersuchte er die Mißbräuche aller Art, welche damals in Dublin herrschend waren, auf das Genaueste und bemühte sich, sie abzuschaffen. Mit einem Wort, er hatte sich durch die allgemein anerkannte Ueberlegenheit seiner Talente, durch strenge Rechtschaffenheit und durch unermüdeten Eifer für das Wohl des Vaterlandes bei seinen Landsleuten in ein Ansehen gesetzt, dessen sich noch nie ein Privatmann in irgend einem Zeitalter hat rühmen können. Im ganzen Königreiche war er unter dem Namen der Dechant bekannt, gleichsam als gäbe es nur einen in der Welt; und mit diesem Namen verband man die Vorstellung des größten und ersten Mannes im Lande. Sobald es hieß: »Der Dechant hat dies oder jenes gesagt oder gethan«, fand es Jedermann recht gesagt, recht gethan; man bezeugte einen so blinden Glauben an seine Unfehlbarkeit als die Katholischen an die Unfehlbarkeit des Papstes. »Ich weiß,« sagt Lord CarteretVicekönig in Irland. – H. in einem Briefe an ihn, »ich weiß es aus Erfahrung, daß die Stadt Dublin Euch als ihren Beschützer ansieht und alle von der Regierung zu St. Patrik ausgefertigten Befehle auf das Genaueste erfüllt werden. Wenn mich die Leute einst fragen sollten, auf welche Weise ich Irland beherrscht habe, so würde ich antworten: Indem ich mir Swift's Beifall zu erwerben suchte.«

»Indessen schränkte sich Swift's Sorge hauptsächlich auf die mittlern und untern Stände ein; auf die mittlern besonders, vermöge seines Grundsatzes, daß man darin die besten Menschen finde, indem sie weder durch Ueberfluß verderbt, noch durch Armuth und Elend niedergedrückt seien. Auch waren ihm diese Menschenclassen gänzlich ergeben; die untern Stände beteten ihn an und betrachteten ihn fast als ein Wesen höherer Art. Sein bloßer Anblick oder ein Wink mit seiner Hand zerstreute oft einen Volksauflauf, wogegen die vereinte bürgerliche und kriegerische Macht nichts vermocht haben würde.

»Die höhern Stände hielt Swift für unverbesserlich und wich desfalls aller Gemeinschaft mit ihnen aus. Er gesteht selbst, daß er die Lords und Grafen des Königreichs fast nicht einmal persönlich kenne und die Glieder des Unterhauses als feile Schelme betrachte, die ihre Grundsätze und das Wohl des Vaterlandes ihrem Ehr- und Geldgeiz aufopferten. Auch lebte er in immerwährendem Kriege mit ihnen und ließ sie oft den scharfen Stachel seiner Satire fühlen, indeß sie auf der andern Seite sich durch Verleumdungen aller Art an ihm, den sie mehr als irgend einen Menschen auf der Welt fürchteten und haßten, zu rächen suchten.

»Für die Armen seines Kirchspiels sorgte er so, daß Niemand außer demselben bettelte. Er hatte ihnen ein Armenhaus bauen lassen, das er oft besuchte und in welchem er strenge auf Ordnung und Reinlichkeit hielt.

»Um in Austheilung seiner Wohlthaten gerecht zu sein, und damit sie stets sowol den Verdiensten und Bedürfnissen Derer, die sein Mitleid anflehten, als seinen Umständen angemessen sein möchten, füllte er seinen Beutel immer mit verschiednen Münzsorten vom silbernen Threepence an bis zur Krone.«Swift's Leben, von Sheridan. – H.

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