Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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7. Mandeville's Bienenfabel.Vgl. Hettner, a. a. O. S. 206 ff. – D.

So frei das Feld sein muß, das dem menschlichen Geist in Erforschung jeder Wahrheit (es betreffe diese die Gründe und Beschaffenheit oder den Umfang unsrer Erkenntniß in allgemeinen Begriffen oder in Thatsachen der Geschichte) gebührt, so frei er also auch in Erforschung der Werkzeuge, die dazu gehören, mithin der Schriften, Traditionen und Einrichtungen jedes Zeitalters sein muß, daß nirgend ein falscher Schein ihn blende oder zurückscheuche: so ist's mit der Freigeisterei des Herzens und der Sitten weit ein Anders. Das moralische Gesetz ist uns in die Brust geschrieben; man darf's weder aus den Wolken herab-, noch aus dem Todtenreich heraufholen. Die Stimme des Gewissens spricht Jedem, der sie ehrlich vernimmt und anwendet; das zeigen auch die sonst uncultivirtesten Völker, Grönländer, Eskimos und sogenannt Wilde. Aufs Sittengesetz ist jede Gesellschaft, von der häuslichen an bis zu Staaten hinauf, selbst die Gesellschaft der Räuber ist darauf gebaut, so lange oder kurz sie währt. Eine Philosophie also, die an diesem Gesetz schnitzelt oder es zernichten will, die jede Unvollkommenheit menschlicher Charaktere und Einrichtungen aufbietet, um das Regelmaß zu zerbrechen, nach welchem jene und diese vollkommner werden könnten und sollten, ist eine verderbliche Philosophie, schwach an Geist, schädlich in Wirkung.

Im Jahr 1706 gab Bernhard von Mandeville, ein Arzt, aus Dort gebürtig, in London wohnend, in englischen Reimen die sogenannte Bienenfabel, oder der summsende KorbThe grumbling hive, or knaves turn'd honest. – H. heraus, die zuerst nur 26 Seiten einnahm, im Jahr 1714 aber mit Anmerkungen durchs ganze Alphabet hindurch, mit Untersuchungen über den Ursprung der sittlichen Tugend, über die Beschaffenheit der menschlichen Gesellschaft, über die Christenliebe und Armenschulen,The fable of bees, or private vices, public benefits, with an essay etc. Lond. 1724. Edit. III. – H. späterhin mit Gesprächen über die Ehre, über die Nutzbarkeit des Christenthums im Kriege u. s. w. dergestalt vermehrt wurde, daß ihre französische Übersetzung vier Bändchen füllt,La fable des abeilles, ou les fripons devenus honnêtes gens. Londr. 1721. – H. des Autors freie Gedanken über Religion, Kirche, Staat und Glück der Völker ungerechnet.Free thoughts on religion, the church and national happiness. 1720. Man hat von ihnen auch eine französische Uebersetzung von dem bekannten van Effen 1738 und eine frühere deutsche 1726. Auch der zweite Theil der Bienenfabel, die Gespräche über den Ursprung der Ehre u. s. w., ist leider, und zwar unter dem betrügerischen Titel übersetzt worden: »Anti-Shaftesbury, oder die entlarvte Eitelkeit der Selbstliebe und Ruhmsucht. Frankfurt 1761«. – H. Wie mehrmals, so ward auch hier aus einem verfehlten Spaß ein gräulicher Ernst gemacht und damit das Vergnügen der Zuhörenden nicht eben vermehrt.

Wahrscheinlich nämlich hatte Mandeville in seinen ersten Blättern, »Der summsende Korb, oder ehrlich gewordne Schelme«, zur Absicht, mit einer Nation Scherz zu treiben, in welcher der einen Partei politisch nie recht ist, was die andre thut, die deshalb den Staat so oft für verloren hält und über Regierung, Minister, Gang der Geschäfte murmelt und summset. Anderntheils wollte er wol auch Denen die Decke vom Gesicht spielen, die unter dem Schein der Ehrbarkeit ehrlosen Gewinn, unter dem Vorwande des allgemeinen ihren Privatvortheil suchen und betreiben, wie dies in allen, besonders in Kaufmannsstaaten der Fall ist, im reichen und vielbedürftigen England aber vorzüglich der Fall sein mußte. Kurzsichtigen Mißvergnügten also und honneten Schelmen wollte Mandeville auf einmal die Larve entreißen; ein Kunststück, zu welchem gewiß ein geschickter Taschenspieler gehörte. Der war aber Mandeville nicht. Seine Bienenfabel, als Fabel und Allegorie gleich schlecht, behauptet ungereimte Dinge, unzusammenhängend in sich und in der Anwendung. Die Bienen murren nämlich und wollen bei ihrer reichen, ordnungsvollen und glücklichen Verfassung keine Schelme unter sich leiden. Jupiter, ihres Summsens müde, macht sie alle honnet, und nun geht ihr Staat zu Grunde. Wo ist hier Zusammenhang? wo durchgeführte Wahrheit? Weder auf den Bienenkorb, noch auf menschliche Staaten paßt die Fabel.

Dabei hatte Mandeville jede Gattung von Ausschweifungen und Lastern namentlich und so frech in Schutz genommen, daß er der menschlichen Gesellschaft Hunger und Laster gleich unentbehrlich hielt, jenen zum Appetit, dieses zum Wohl des Staates. »Laster«, meint er, »seien die zwar unansehnlichen, aber nothwendigen Reben, auf denen die volle Traube des Staatsruhmes und Staatsreichthums prange.« Elend verschobene Fabel! Als Satire zu plump, als Philosophie und Staatsweisheit erbärmlich. Da Mandeville ein Arzt war, hätte er wol bedenken können, daß, obgleich der zarte und zusammengesetzte Bau des menschlichen Körpers mit allen seinen Umgebungen und Functionen mancherlei Krankheiten allerdings ausgesetzt bleibt, deshalb die Krankheit keine Gesundheit sei, noch minder, daß, um einen Menschen höchst gesund zu machen, man ihm alle Krankheiten auf einmal einimpfen müsse, da dann eine der andern entgegenwirke und die ganze Maschine im höchsten Flor sei. Kann man schlechter deraisonniren?

Schon die Namen Schelmerei und Treue, Spitzbube und honneter Mann sprechen ihr Geheimniß aus. Wer wird sich einem Schelm anvertrauen? welch Ungeheuer wäre ein Staat, nicht nur voll Schelme, sondern ganz auf Schelmerei gebaut, aus Schelmen bestehend! Unsinn der Vernunft, Abscheu der Menschheit. Auf Treu' und Ehre ist jede Gesellschaft gebaut, von der kleinsten häuslichen zur bürgerlichen, ja zur Gesammtgesellschaft des menschlichen Geschlechtes hinauf. Bannet Treue hinweg, wer würde nicht mißtrauisch gegen Jeden? mithin gegen den Schelm ein ärgerer Schelm oder – ein Menschenfeind und flöhe die Zunft der Schelme. Man schämte sich, ein Mensch zu heißen.

Daß es in jedem Stande honest knaves, ehrbare Schurken gebe, wer weiß es nicht? wer leidet nicht durch sie, auch schon in ihrem Anblick? Daß aber auf diese und auf die Kunst, die sie treiben, das Wohl des Staats gebaut sei, ist eine Lästerung aller Staaten. Die ganze menschliche Natur mußte Mandeville selbst unter das Thier erniedrigen; denn welche Thiergattung wäre auf Treulosigkeit gegen sich als Individuum und als Gattung oder Geschlecht gegründet? Swift setzte den Yahoos wenigstens seine ehrlichen Huynhms entgegen; Mandeville macht alle Staatsbürger zu Yahoos, nur in verschiednen Masken und Functionen. Er vernichtet jede Blüthe der Menschheit, indem er sie samenlos, gleichsam aus Eiter und Gift entsprießen läßt – welche teuflische Schöpfung! In England nannte man seine Behauptungen a system of difformity, ein System der Mißform; aber auch dieser Name, der sich schon den Worten nach widerspricht, sagt zu wenig. Wird man ein Concert nennen, wo nicht nur jede Stimme falsch spielt, sondern wo auf dies falsche Spiel jeder Stimme die Wirkung des Ganzen berechnet sein soll? Ebenso wenig kann eine Zusammensetzung von Mißformen politisch und philosophisch je ein System heißen. Eine Fata Morgana ist's, ein häßlicher Traum! – – –Das Folgende ist in Herder's Werken, II. S. 292–302, schon abgedruckt; wir mußten den Anfang hier des Zusammenhanges wegen wiederholen. – D.


Beilage.Die Bezeichnung Beilage fehlt in der Adrastea. – D.

Der Garten der Ehre

Nach altdeutschen VersenHerder hat diese Sprüche aus der ihm genauer bekannten Jenaischen Handschrift der Minnesinger unter einer ihm angehörigen, dem ersten Gedichte entnommenen Ueberschrift zusammengestellt. Wir führen die betreffenden Lieder nach van der Hagen's Ausgabe in unseren Noten an. – D.


              Dem EdelstenDer Goldener. 4 (III. 52). – D.

Im Ehrengarten ward ein Kranz
Geflochten von so lichtem Glanz,
Daß er dem Edelsten gebühre,
Den wegen Treu' und Männlichkeit,
Zucht, Weisheit, Milde, Freundlichkeit
Der Lobpreis aller Guten ziere,
Deß hohe Thaten sie im Schwung
Erheben mit Begeisterung
In frohe, selige Reviere.
Ich fragte Frau'n und Ritter drum:
»Weß ist der Kranz? weß ist der Ruhm?«
Und sieh, er ward – Dein Eigenthum!

 

              Die RitterrüstungMeister Singus, 1 (III. 49). – D.

Wer Ritters Namen will empfahn,
Wie es gestiftet hat der Mann,
Der erst den Ritter machte,
Der soll die Scham zum Schilde han,
Die Zucht soll er sich kleiden an,
Wie es sein Meister dachte.
Sein Gürtel sei der Milde Ort;
Sie preiset eines Ritters Wort.
Sein Speer soll sein die Muthigkeit,
Sein' Mantelschnur mit Lob geleit;
Sein Schwert soll Freud' erwecken,
Sein Hut vor Schand' ihn decken.
So ist der Ritter falschheitfrei,
Und Ehre wohnt ihm bei.

 

              Der Mann ohne EhreDer Guotäre, 2. 1 (III. 42). – D.

Ist ein Mann sonder Ehre gut?
Das kann Niemand beweisen;
Wer auf Ehre richtet seinen Muth,
Deß Leben soll man preisen.
Gott und Ehr', die Zwei soll Niemand scheiden
Und froh dabei der Bösen Schalkheit leiden.
Wer Ehre liebet, dem wird Ehr', hör ich die Weisen sagen;
Wer Schande liebet, dem wird sie in seinen letzten Tagen,
Da Gott Gericht hält: Deß, der, unwerth wahrer Ehren,
Hier mit der Schand' umging, wird er dort nicht begehren.

 

              Untreu' und Treue MeisterMeister Stolle, 8 (III. 4). – D.

Untreu' auf einer Straße fuhr, Treu' ihr entgegen kam.
Sie sah der Untreu' großes Heer. »Wo soll ich hin für Scham?«
Sprach sie; »dem Himmel will ich's klagen,
Daß ich so unwerth bin, muß meiden offne Straßen.« –
»Die mußt Du hier und überall mir lassen,«
Sprach Untreu'; »denn ich darf Dir sagen:
Als Hofgesinde fahr' ich breit;
Es muß mir Alles weichen.
Du – tritt mir aus den Augen weit!
An mich kannst Du nie reichen.«
Die Treue sprach: »So bleibt mir nichts am Ende,
Als daß ich mich zu Gott und an die Guten wende.«

 

              Die Dürrung in der Luft.Meister Stolle, 9 (III. 5). – D.

Ein König vor einem guten Mann
An einem Wald vorüber ritt,
Der ohne seine Schuld viel manchen Kummer litt.
Bei seinem Haus ein Garten lag;
Darin hatt' er einen Galgen aufgerichtet.
Der König fragt', warum er dies gethan.
Der gute Mann sprach: »Manchen lieben Tag
Hat Unkraut mir das beste Kraut vernichtet.
Das zieh' ich aus mit meiner Hand
Und häng' es an die Hölzer, daß es dürre.
Ihr Herren seid durch mich gemahnt.
Damit das Unkraut Euer Land nicht wirre,
So hört, wie Euch der Ausgesogne ruft,
Und dörrt die Schelme in der Luft!«

 

              Ein Rath an die Jugend.Der Unverzagete, 1 (III. 43). – D.

Junger Mann von zwanzig Jahren,
Lerne Tugend früh bewahren!
Liebe Gott! das ist mein Rath.
So mag Dir nichts mißgelingen;
Deine Jugend sollst Du zwingen,
Daß sie frei sei übler That!
Treu' und Scham wird Deinem Leben
Freud' und Seligkeit vermehren,
Und wirst Du die Frauen ehren,
So wird Dir der Engel Lob gegeben.

 

              Der junge Herr nach der Mode.Meister Stolle, 10 (III. 5). – D.

Welch junger Herre bald Lob und Ehr' erwerben will,
Der soll der Messe und des Gebetes achten nicht zu viel;
Bei nüchterm Trunk ein Morgensegen,
Schlingt er den früh, was mag ihm mißgelingen?

Ein junger Herre fest lügen und trügen soll,
Viel dräuen und wenig thun, das ziemt ihm Alles wohl.
Er soll auch loser Worte pflegen,
Nach Lotterei und schlechten Weibern ringen,
Soll niedern Grußes und Gespräches sein;
Die guten Speisen und guten Wein
Soll er sich auf den Winkel sparen
Und über Tisch sich jämmerlich gebaren.
Meineid und Untreu' – Alles recht gethan!
Den Freunden Wolf, den Feinden Schaf,
Und seine Diener in Nöthen lan!

 

              Strauß und Löwe.Meister Stolle, 12 (III. 5). – D.

Der Löw' erweckt seine Kinder mit der Stimme so,
Daß sie aufspringen muthiglich und froh.
Dagegen, sagt man, brütet der Strauß
Seine Jungen mit den Augen aus.
Des Herren Pflicht ist, daß er Beiden gleiche.
Zu allen Zeiten hab' er Löwenruf
Und denke, daß ihn Gott dazu erschuf,
Mit seinem Schwert zu schaffen Ruh dem Reiche!
Auch soll er Straußes Augen han,
Sein Volk zu lieben und ihm beizustahn!
Den Edlen soll er Ehre geben;
Sie verdienen's wol auf einen Tag; sie opfern ihm ihr Leben.

 

              Haushalt der Tugenden.Der Hardegger, 1 (II. 134). – D.

Ist jener Spruch der Alten wahr und treu,
Daß nur die Tugend edel sei,
So ist's auch wahr, daß ohne Zucht
Vergebens man die Tugend sucht;
So will die Zucht Bescheidenheit
Zu ihrem Ingesinde han;
So will Bescheidenheit die Maße
Zum Rathe bei ihr lan;
Die Maße will, daß Milde nie
Durchs ganze Jahr ihr von der Rechten weiche;
Die Milde will, daß ihr die Scham
Der Ehre Spiegel vor die Augen reiche;
Dann kommt die Gottesliebe treu und zart:
Welch Herz mit diesen Allen erfüllet ward,
Ist alles Falschen frei und jeden Ruhmes werth,
Besitzet mehr als Gold, und was die Welt gewährt.

 

              Falscher Ruhm.Meister Stolle, 27 (III. 8). – D.

Gelogen und unverdientes Lob will Manchen hoch erheben,
Der ganzes Lob mit rechter Folg' nie konnt' erstreben.
Wie, daß er vor die Besten tritt, Würd' und Ehr' zu empfangen?
Seine krumme Ehr' ist falsche Farb' auf trüben blassen Wangen,
Abscheulich beide Jedermann, den Guten und den Weisen.
Der kranke Glanz, der falsche Ruhm, sie werden abereisen.abe ist ältere gangbare Form für »ab«. – D.
Die Würde wird an Solchen Schand',
Wie der im Löwenbilde schrie
Und an den langen Ohren
Bald ward erkannt.

 

              Tugend und SchandeDer Lietschouwäre, 2 (III. 46 f.). – D.

Nun hat die Schande Treu' und Ehr' verjaget,
Daß man sie wenig sieht, die Schande desto mehr.
An allen Orten bricht sie durch die Wehr,
Daß auch der Edlen Mund nicht mehr die Wahrheit saget.
Die Schande große Wunder thut;
Sie selber gilt als Ehre gut,
Ist guten Dingen stets gehaß
Und drückt ohn' Unterlaß
Keuschheit und Zucht. Wer Lasterthat begeht,
Den lohnet sie. Gar lästerlichen Sold
Giebt sie, wer bei der Tugend steht;
Denn Tugenden war nie die Schande hold.



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