Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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2. August von Polen und Stanislaus I.

Ein andrer Charakter als Karl XII. war Friedrich August. Von der Natur mit tausend Geschicklichkeiten, mit Schönheit und einer Riesenstärke begabt, mit Neigungen zum Glanz, zur Pracht, zum Wohlleben überreichlich versehen, ward er ein galanter Held in einem Grad, wie es außer dem Roman in der Geschichte wenige geben möchte. Wäre auch nur die Hälfte dessen wahr, was das Galante SachsenLa Saxe galante. Amsterdam 1734. – H. erzählt, so sprächen wir: »Gnug!« und wünschten im Artikel der Lustbarkeiten, der Verschwendungen, der Liebschaften, der Hof- und Minister-Intriguen dergleichen galante Helden der Welt nicht viele. Manche Scenen dürften jetzt auch kaum mehr gespielt werden können; so sehr hat sich durch Uebermacht der Vernunft und Sittlichkeit auch bei sogenannt königlichen Ausschweifungen der Ton geändert.

Daß seine theuer erkaufte Wahl zur polnischen Krone diesem Reich sowol als seinen Erbstaaten schädlich gewesen, findet jetzt keinen Zweifel mehr, da ein ganzes Jahrhundert hinab die Folgen am Tage liegen. Nicht nur, daß durch den leichtsinnigen Angriff Livlands und durch das Bündniß mit dem Czar zwanzig Jahre hindurch Verwüstungen in Polen veranlaßt wurden, wie sie seit den Zeiten der Tataren kaum gewesen waren, und daß August seinen Erblanden selbst den Feind auf den Hals zog: er hielt, als ob er dazu berufen gewesen wäre, dem furchtbarsten Nachbar Polens die Leiter, zu einer Höhe hinaufzusteigen, auf welcher dessen Nachfolger fortan dies unglückliche Reich niedriger als eine ihrer eignen Provinzen beherrschten. Der Geist, der unter Johann Sobieski den Charakter der Polen achtbar gemacht hatte, erlosch mit ihm völlig, an dessen Stelle Pracht, Luxus und Ueppigkeit traten. Die alte polnische Nationalmacht ward eine glänzende Garde; die obern Stände gewöhnten sich zu einem Aufwande, den weder Jude noch Sclave bestreiten konnte, und da in Polen der erwerbende Mittelstand, die Säule eines Staats, fehlte, auch Niemand daran dachte, daß, wenn alle umliegende Länder ungeheure Fortschritte machen, ein in üppiger Barbarei zurückbleibendes Mittelland um so ärmer, schwächer und verächtlicher, zuletzt aber gewiß den Stärkern zur Beute werde: so ward in langen Prachtaufzügen ein halbes Jahrhundert hindurch vorbereitet, was gegen das Ende des Jahrhunderts rasch erfolgt ist: Polens Zerreißung. Mit August's I. Wahl war sie unterzeichnet worden: denn eine Nation, die ihre Krone mehreren Auswärtigen feil bietet und sie dann zuletzt dem Meistbietenden zuschlägt, ist keine Nation mehr; indem sie sich jedem mächtigen Auswärtigen zur Beute gegeben, hat sie sich zu Allem verkauft.

Polens Magnaten, zürnt Ihr, daß man Euch mißhandelt? Zürnt und schämt Euch Eurer Väter, die Euch verkauften!

Es war wol nicht Eigensinn allein von Karl XII., daß er auf einem Piasten bestand, der Polens König sein sollte; er sah den Zustand der Länder rings umher, dabei auch Polens Zustand. Ein ruhiger, patriotisch-thätiger Piast allein konnte ihm aufhelfen; schwerlich ein Gewirr auswärtiger Cabinette, und ein fremdeingeführter Luxus niemals. Es ist ein angenehmer Traum, sich den vielerfahrnen, vielgeprüften, dabei gesetzten, ruhig überlegenden Stanislaus die lange Zeit, die er gelebt hat, auf Polens Throne zu denken. Hinter Romulus-Sobieski ein Numa. Gewiß würde er Polens Geist erweckt, den arbeitenden Mittelstand emporgebracht, seinem Reich eine Nationalmacht verschafft, diese durch kluge Bündnisse befestigt haben; seiner Nation würde er in seinem langen Leben der wohlthätige Philosoph worden sein, der er jetzt in seinen Schriften nur heißt. Drei Schläge that das Schicksal, als es Polen seinem Untergange entgegenlaufen sah; drei Schläge that es an den Wahlpalast, ob Jemand vernähme. Den ersten, als Karl XII. auf seinem Kopf für Stanislaus bestand; ganz Polen hätte ihm zufallen sollen und für den eingebornen König gegen die Nachbarn mit Gut und Blut fechten.

Vergebens! Den zweiten Schlag that es, als nach Friedrich August's Tode Stanislaus, mächtig unterstützt, wieder zur Wahl kam. Jetzt gebot schon der mächtigere Nachbar; es war vergebens. Den dritten that's, als Adam Czartoryski zur Krone gelangen sollte. Geschah es zur Ruhe dieses edeln Mannes, daß ihn durch einen schnellen Wechsel der Dinge die Vorsehung damit verschonte? oder war Polen zum Untergange reif?

Sonderbar, daß keine Nation aus rein slavischem Stamm sich ihre eigne Gesetzgebung (Autonomie) hat erhalten können, so blühend viele derselben waren. Denn wohnten slavische Völker nicht im östlichen Deutschland bis zur Elbe, von der Ostsee bis zum adriatischen Meer, bis an die Grenzen Griechenlands hinunter? Und wie fleißig, wie ländlich blühten voreinst diese Länder! wie kriegerisch wurden sie vertheidigt! Was war's, was diese Völker allenthalben unter fremde Botmäßigkeit brachte? Ihre unzusammenhängende Verfassung, die bestechliche Weichheit und Ueppigkeit ihrer Magnaten. An aufbrausendem Muth fehlte es den Völkern nie, desto mehr aber an festbeharrendem, überblickendem Sinn, an Treue und Eintracht.

Wohlthätig rettete das Glück Polens wohlwollenden König-Philosophen, Stanislaus Leszczynski. Nie drang er sich vor. Als Karl durch ihn in Gefahr kam, verbat er die Krone; noch einmal gewählt, grämte er sich abermals nicht, als man ihn zurücksetzte. Sein Lothringen ward ihm ein schöneres Polen, in welchem Alles als einen Vater ihn liebte und ehrte, sein Hof ein Musensitz, den er sich, wiewol auf andre Weise, in seinem Geburtslande auch würde geschaffen haben.


Inhalt der Werke des wohlthätigen PhilosophenOeuvres du Philosophe bienfaisant, d. i. Stanislaus Leszczynski. Paris 1763. 4 Volumes. – H.

Nicht durch Witz und stechenden Scharfsinn zeichnen sich diese Werke aus; wohl aber sind sie mit dem Gepräge des richtigen Verstandes und eines ebenso gesunden Herzens durchaus bezeichnet. Auch im kleinsten Aufsatz spricht Bonhommie, Redlichkeit, Güte.

Den Anfang des ersten Bandes macht ein väterlicher Rath des Königes an seine Tochter, die Königin in Frankreich, würdig, aufrichtig, liebreich. Ein Schreiben des Königes über seine Flucht aus Danzig, voll ruhigen Gefühls in Betrachtung überstandener Gefahren, billig gegen seine Feinde, dankbar gegen seine Erretter und Wohlthäter, folgt.Vol. I. p. 46. – H. Ein andres Schreiben unter fremdem Namen (d'un Seigneur Polonais), geschrieben zu Königsberg, seine zweite polnische Wahl betreffend;P. 156. – H. Mäßigung und Liebe zu seinem Vaterlande haben es dictirt.

Der folgenden Aufsätze Namen dürfen nur genannt werden: »Das wahre Glück besteht darin, wenn man glücklich macht«. »Hoffnung ist ein Gut, dessen Werth man nicht gnug kennt«. »Gedanken über die Gefahren des Witzes«. »Gespräch eines Souveräns mit seinem Günstlinge über das scheinbare Glück menschlicher Stände«. »Von Wünschen«. »Ueber das Glück des Lebens«. »Brief an die Akademie zu Nancy, sie zu neuem Eifer aufmunternd und belebend«.

Der zweite und dritte Band enthalten »Bemerkungen über die Staatsverfassung Polens«. Verständig, väterlich, gütig. Warum konnten diese Bemerkungen nicht thätige Hilfe werden? »Gespräch eines Europäers mit einem Insulaner des Königreichs Democala«. In einem erdichteten Lande realisirt Stanislaus seine Wünsche für die politische Glückseligkeit eines Volkes, da man ihm, sie in seinem Vaterlande zu realisiren, nicht gönnte.

Der vierte Band widerlegt »die Irreligiosität aus Grundsätzen des gesunden Verstandes«. »Ueber die Unsterblichkeit des Namens«. »Moralische Reflexionen«. »Ueber Freundschaft, Religion, Philosophie, Gesetze, Gesellschaften, Tugenden und Laster, über Leidenschaften, Glück und Unglück, Zustände des Lebens, Vergnügungen«. Eine Antwort auf die bekannte Preisschrift Rousseau's, »Ob Künste und Wissenschaften den Verfall der Sitten bewirken?« Discours, worin eine der vornehmsten Ursachen des Verfalls der Wissenschaften in diesem Jahrhundert darin gezeigt wird, daß »Die, welche Wissenschaft treiben, sich mehrere Talente zutrauen, als sie haben.« Wahr!

Ohne Anmaßung, mit hellem, schlichtem Verstande sind alle diese Materien bearbeitet, der Person Stanislaus', der kein Gelehrter von Profession sein wollte, würdig. Wie entfernt von dem After- und Aberwitz, der damals schon durch Voltaire's Nachäffer Mode zu werden anfing. Lebenslang ward der König geliebt und geachtet; immer wird man ihn als einen gutmüthigen Mann, als einen redlichen Staatsweisen ehren.

    Weh, unglücksel'ges Polen, Dir,
Daß Deinem Biedersohne Du
Zweimal die Krone gabst und nahmst!
Du solltest nicht, befreit durch ihn
Von Unterdrückung, Neid und Haß,
Von Trägheit, grober Ueppigkeit,
Ein Reich der Freiheit, der Vernunft,
Der Eintracht werden; solltest nicht
Aufblühen zu Democala.Entretien d'un Européen avec un Insulaire du Royaume de Democala. Oeuvres du Philosophe bienfaisant. T. III. p. 223–33. – H.
Aus sprachest Du Dein Veto selbst;
Und das Verhängniß unterschrieb.

    Wohl aber, Stanilaus, Dir,
Daß vom Herculisch-langen Kampf
Das Schicksal Dich befreiet sprach,
Vom Kampfe mit der Hydra, mit
Den Stymphaliden! Schrien sie nicht
Ihr Machtwort: »Nie poswalam« aus
Zehntausend Schnäbeln? Auch vom Stall
Augias' und dem Stier, dem Hirsch,
Dem Eber und der Nähe des
Dreileibigen Geryon! Dir
Beschied die Gütiglohnende
Ein Paradies, das Dir zum Reich
Der Wissenschaft und Kunst gedieh,
Lothringen, Dein Democala.


Kunstsammlungen in Dresden.

Für Deutschland und das Kurfürstenthum Sachsen war es ein Verlust, daß ein Fürst von so seltnen Vorzügen, die Friedrich August körperlich und geistig besaß, durch die polnischen Verwirrungen und Kriege gehindert ward, für Deutschland allein zu leben. Der großmüthige, durch Reisen gebildete, kunst- und welterfahrne Kurfürst würde den Wissenschaften in seinem Lande, das reich an Naturproducten und Anlagen zur Wissenschaft ist, vor vielen andern Ländern Deutschlands den neuen Glanz gegeben haben, auf den es seit der Reformation den ersten Anspruch hatte. Leibniz schlug dem Kurfürsten eine Akademie der NaturmerkwürdigkeitenCollegium Curiosorum Augstum. Eine Nachricht davon findet sich in Tenzel's »Curioser Bibliothek« des Jahrs 1704. S. 45 ff. – H. zu Sammlung und Erforschung derselben nach einem großen Plan vor, den er einesteils durch reiche Sammlungen dieser Art in Wirkung setzte, anderntheils unter den polnischen Händeln aufgab. Dresden indeß zierte sein prachtliebender Geist mit Gebäuden; unter ihm war es eine Schule der Artigkeit und ist es geblieben. Vor Allem aber sind die Kunst- und Alterthumssammlungen, die er mit ansehnlichen Kosten stiftete, Trophäen seiner Regierung. Was ein Friedrich August im Anfange des Jahrhunderts anfing, hat ein anderer Friedrich August am Ende desselben vollendet.Die erste Sammlung an Münzen hatte Kurfürst August schon 1560 gemacht; Johann Georg III. hatte sie mit Streithämmern, Urnen und Idolen vermehrt. Von Friedrich August I. schreibt sich aber die eigentliche Kunst- und Alterthumssammlung her; Friedrich August II. hat sie vermehrt und zu einem Museum geordnet. S. Lipsius, »Beschreibung der Antiken-Galerie«, Dresden 1798. Einleitung. Zwischen 1720–1730 wurde das Meiste gesammelt; 1785 und 1786 geschah die Versetzung in den japanischen Palast. – H. Durch sie ist Dresden in Ansehung der Kunstschätze ein deutsches Florenz worden.


»Wie aber?« sagt man, »ist's gut, daß Italien seiner Kunstreichthümer beraubt werde? dies Land, das zu ihrer Aufbewahrung erschaffen zu sein scheint? Unter jenem glücklichen Himmel, in Regionen der Ruhe, milder Regierungen und eines Pontificats standen sie da, jedem Künstler zu jeder Zeit zugangbar. Ein großer Theil war anvertraut-erbliches Gut alter Familien. Aus Vorurtheil und Stolz der Geschlechter waren sie der Nation werth. Verpflanzt in andre Gegenden, hie und da in ein Gewühl, das den ruhigen Künstler stört, oder gar in unsichtbar gewordne einzelne Schlösser und Paläste, sind sie nicht mehr, was sie in den Museen und Villen Italiens waren.«

So spricht man und hat in Einigem sehr Recht. Wenn Pluto z. B. die schönsten Statuen in Albion's zerstreute Parks entführt, so sind sie dort, der Proserpina gleich, verschwunden. Der Lord und die Lady studiren an ihnen nicht; und welcher ausländische Künstler ist reich genug, um in den zerstreuten Parks der Großen Albion's Kunstwerke zu sehen, wie er sie in Rom sah und studirte? Auch in das schöne, aber ferne Spanien sind Kunstwerke wie ins ferne Elysium nahe den Herculischen Grenzen verflogen. Und wer mag sie besuchen am Nordpol? Wie im geräuschvollen Paris ihre Anwendung sein werde, wird die Zeit lehren. Verglichen mit allen diesen Ländern, macht Deutschland (verzeihe man dem Deutschen diese Vorliebe!) eine Ausnahme. Mit Italien ist Deutschland nur eigentlich ein Land; denn ein großer Theil der Einwohner dieses Sitzes der Kunst ist deutscher Abkunft, und seit einem Jahrtausende waren beide Länder in Ansehung des Handels und der Regierung fortwährend in Streit oder in Gemeinschaft. Aber auch diesen Zusammenhang nicht gerechnet, hat Deutschland seit Wiedererweckung der Künste mit Italien in ihnen gewetteifert und war ihm, aller seiner Nachtheile ungeachtet, in manchen Erfindungen vorgeeilt. Vielleicht hat auch der deutsche Künstler vor andern fremden Nationen den Vorzug, daß er keine unablegliche Manier zu den Kunstwerken Italiens bringt; es müßte denn, seit Dürer, Holbein und ihren Vorgängern, Richtigkeit der Zeichnung und Charakterwahrheit, die oft in strenge und dürre Härte überging, ihre Manier sein. Von solcher aber singen die Griechen und ältern Florentiner auch an, ja sie ist aller Kunst Eingang. Wenn also deutsche Fürsten Gemälde und Alterthümer in ihren Ländern sammelten, als es noch Zeit war, und die Galerien zu Wien, München, wo auch Mannheim und Düsseldorf ist, Dresden, Cassel u. s. w. noch blühen, so sind sie als Colonien der Kunst, als Vorbereitungen zu betrachten, die den Schüler über die Alpen hinleiten. Sind (um nur die neuesten Zeiten zu nennen) Mengs und Winckelmann nicht Deutsche? Von Dresden's Kunstsammlungen geweckt, wurde Winckelmann Lehrer der Kunst für alle Nationen. Sein erstes Buch: »Ueber die Nachahmung griechischer Kunstwerke«, schrieb er in Deutschland. Seitdem sind alle Völker Europa's, die an der Kunst Theil nehmen, seiner Spur gefolgt.Vgl. Herder's Werke, VIII. S. 137 f. – D.

Blühe, deutsches Florenz, mit Deinen Schätzen der Kunstwelt!
        Stille gesichert sei Dresden-Olympia uns!
Phidias-Winckelmann erwacht' an Deinen Gebilden,
        Und an Deinem Altar sprossete Raphael-Mengs.


Ueber alles Kunstlob erhebt sich der kurze Zusatz, daß, wenn ein Friedrich August vor Anfange des verflossenen Jahrhunderts die polnische Krone kostbar suchte, ein anderer Friedrich August sie vor Ausgange des Jahrhunderts fürs Beste seiner Länder gerecht und würdig ausschlug. Das Jahrhundert, das ein Alcibiades begann, beschloß ein Aristides.



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