Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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5. Händel.

Georg Friedrich Händel war ein Deutscher, 1685 zu Halle geboren. In seiner zartesten Kindheit meldeten sich schon seine großen Anlagen zur Tonkunst, die nach geringer Unterweisung auf Clavier und Orgel sich dergestalt auszeichneten, daß er in Weißenfels, wohin bald sein Vater ging, sodann in Halle, Berlin, Hamburg bemerkt und als Kind schon bewundert wurde. Er bildete sich unter Zachau, Buononcini, Agnello. Kaum funfzehn Jahre alt, ward er in Hamburg Director des Orchesters der Oper und componirte eine »Almira«, eine »Florinde«, ging nach Italien, wo in Florenz, Venedig, Rom, Neapel Stücke von ihm mit Beifall gegeben wurden und die berühmte Sängerin Vittoria sich in ihn verliebte. Er kam zurück, trat zu Hannover in kurfürstliche Dienste, ging über Düsseldorf, Holland nach England, wo er im glänzendsten Zeitraum der Königin Anna mit einer Bewunderung empfangen ward, die ihn stolz und, wie die Briten sagen, oft hart und eigensinnig machte. Er hatte das Glück, für den Utrechter Frieden das Te Deum zu componiren, gewann die Gunst des Adels, bald auch des Königes, schrieb prächtige Opern und war eine Zeit lang der Gott der musicalischen Bühne. Die Streitigkeiten und Parteien, die sich zwischen ihm und Buononcini, nachher mit Venesino, dann mit Porpora und Farinelli erhoben, über die man auch Swift's Sarkasmen kennt, brachten ihn nicht nur aus der Gunst der Großen, sondern auch um einen Theil seines Vermögens und seiner Gesundheit. Diese stellte ihm Aachen wieder her, und Dryden's »Alexandersfest«, das er nach seiner Rückkunft gab, schaffte ihm nicht nur die Gunst der Nation wieder (1736), sondern ward auch ein Grundstein seines bleibenden Ruhmes; denn seine Opern und Sonaten sind verhallt, sein »Alexandersfest« dauert.

Den zweiten Grundstein legten die Oratorios, die er in Gang brachte, weil er sie, wie sein Lebensbeschreiber sagt, »dem angebornen Ernst der Engländer sehr angemessen erachtete«. Sie sollten als dramatische Gespräche in Opernpracht aufgeführt werden; dies ward aber, weil ihr Inhalt biblische Geschichte war, verboten. Ein glückliches Verbot, auch für die Kunst; denn nachhinkend der Oper, hätte die Cantate ihren eigentümlichen Charakter nie gewonnen, und schwerlich erschienen wäre sodann Händel's »Messias«. Dies große Stück, auf einfachen biblischen Worten beruhend, ist werth zu dauern, so lang eine Saite gerührt, ein Instrument angehaucht wird. Kalt ward es zuerst in London, desto wärmer 1741 in Dublin empfangen; seit 1743 ist es in London und überall die dauernde Drommete von Händel's Ruhm geworden und geblieben.

Seit 1751 war Händel blind und blieb es nach schmerzlichen Operationen; 1759 starb er, acht Tage nach der Aufführung seines letzten Oratoriums, bei welchem er noch gegenwärtig war. In der Westminster-Abtei ward er begraben, wo ihm auf sein Verlangen und auf seine selbsteignen Kosten ein Denkmal errichtet wurde. Die großmüthige Nation, die den Fremden so hold ist, vergaß auch hier bei einem Manne, der fünfzig Jahre in ihr gelebt, für sie gearbeitet und ihrer Tonkunst unleugbar den ihr angemessensten Schwung gegeben hatte, sie vergaß auch auf Händel's Grabe des Deutschen (German's) nicht. In Schlafrock und Pantoffeln sitzt er nachlässig da, die Lyra in seiner Hand, unter ihm die Flöte, glücklicherweise Shakespeare gegenüber.

Händel's Charakter war in Tugenden und Fehlern Charakter der Tonkünstler. »Besaß er Stolz,« sagt sein britischer Biograph,Gentleman's Magazin 1760, April, Mai. – H. »so war sein Stolz einförmig; er war nicht heute ein Tyrann und morgen ein Sclave, nicht hier ein Tadler und dort ein Schmeichler. Seine Unabhängigkeit behauptete er in Umständen, in welchen Andre sich eine Ehre daraus würden gemacht haben, unterthänig zu sein. Er war freigebig, selbst in seiner Armuth; als er reich ward, bedachte er seine alten Freunde. Schon als ein Knabe schickte er seiner Mutter Geld zu, da er sich verbunden achtete, sie zu unterstützen; an die Wittwe seines alten Lehrmeisters Zachau, als er hörte, daß sie Mangel litt, sandte er mehr als einmal Geschenke. Den größten Theil seines ansehnlichen Vermögens hinterließ er seiner Schwester Tochter; seine musicalischen Schriften vermachte er Herrn Smith, von welchem die Oratorios stets fortgesetzt werden.« Und so ruhe, gewaltiger Mann, der mit seinen Tönen einen Cherub vom Himmel hätte herabzwingen mögen! Ruhe auf Deinem britischen Grabe in Schlafrock und Pantoffeln aus; die Lyra aber in Deiner Hand, die Flöte und jedes Deiner Instrumente verhalle nie dem nordischen Europa!


Da in einem der vorigen Stücke vom Melodrama die Rede war, so mögen wir Händel's Andenken nicht besser ehren, als wenn wir von der Gattung reden, die er so hoch emporbrachte, dem

Oratorium und der Cantate.

Wie unterscheidet es sich vom Melodrama?

Specifisch, als eine reine Gattung, die ins Melodrama nicht überlaufen darf.

Im griechischen Drama begleiteten Töne das Spiel, d. i. Handlung, Charakter, Action, Geberdung; in der Oper herrschen Töne und Tänze. Man hat eine Mittelgattung aufs Theater gebracht, da man, getrennt von einander, bald spricht, bald geigt, und in welcher doch Worte und Töne für einander sein sollen. Eine mißliche Gattung, die bald widrig werden kann, weil Töne die Worte, Worte die Töne, als unvereinbar mit einander, jagen. »Warum singst Du nicht,« rufe ich der Declamantin oder einem PygmalionIn Rousseau's gleichnamigem Melodrama. – D. zu, »da Dir die Töne nachlaufen?« »Weil ich nicht singen, sondern nur declamiren kann,« antworten sie; und die Kunst antwortet: »So declamire entweder ohne zwischeneinfallende Töne; sie stören mich, indem ich während ihrer entweder Dein Spiel oder die Töne vergessen muß und Eins mich vom Andern wegruft. Oder, wenn Du Dich getrauest, so agire bei fortgehender Musik, die Deine Empfindungen ausdrückt, ohne Worte, d. i. sei Pantomim! Jetzt bist Du den fliegenden Fischen gleich, die in beiden Elementen ihre Feinde finden; Deine Action wird zerstückt, und die Musik, ihr vor- oder nachtrillernd, bleibt kraftlos.« Diese GattungGemeiniglich wird sie Monodrama genannt. – H. ist also ein Mischspiel, das sich nicht mischt, ein Tanz, dem die Musik hintennach, eine Rede, der die Töne spähend auf die Ferse treten.

Das Oratorium ist eine reine Kunstgattung, vom Ton- und Geberdenstreit sowol als von der Oper gesondert. Sein Vorbild ist der reine griechische Chor oder der Psalm und Hymnus. Ein viel in sich fassendes Vorbild. Hoch wie der Himmel der Phantasie, tief und breit und wellenreich wie das Meer der Empfindung, zugleich auch ein Land voll Thäler und Höhen, voll Mondesberge und Mondesgrüfte ist sie. Die lyrische Composition begreift Alles in sich, was Gesang und Töne ausdrücken können, ohne Geberdung.

Durch diese Trennung von der Geberde wird ihr ein freies Reich geöffnet; denn so vielausdrückend die theatralische Declamation sein mag, so weiß man doch, wie viel sie auch ausschließt. Da in ihr Alles der Action angemessen werden muß, so gebietet diese. Und mit ihr gebieten die Töne; unter beider Herrschaft müssen die Worte sich fügen. Wie nun? Hat die Musik sich ein eignes freies Feld in Ouvertüren, Sonaten u. s. w. eröffnen dürfen, wo sie, unbehindert von jeder andern Kunst, ihre Flügel ausbreitet und oft den höchsten, wildesten Flug nimmt: warum sollten Poesie und Musik, zwei Schwestern, sich nicht auch gesellen, um gemeinschaftlich ohne Rücksicht des Zwanges einer dritten Kunst ihre Kräfte zu üben? So wird das Oratorium, die Cantate. Es kommt wie vom Himmel, ohne zerstreuenden, das Auge fesselnden Theaterschmuck, verhüllt gleichsam wie eine Vestale. Oder vielmehr, unsichtbar fließen nach und nach Stimmen und Töne in unsre Seele, vom zartesten Tropfen bis zum vollsten Strom, an keinen Faden gereiht als an den leisen, aber mächtigen, unzerreißbaren, der Empfindung. In diesen Ufern oder auf diesem hohen Meer leitet und regiert das Schiff der Meister.

Große Idee! und sie ist natürlich. Sobald ein Wesen sang, folgte es dem Strom der Empfindung. Vom einfachsten Liede an, in Tönen der Freude, der Liebe, des Seufzers, der Klage, in Ode, Elegie, Hymnus, Canzone, bis zum feurigsten Dithyrambus öffnete sich das menschliche Herz, seine Gefühle aussprechend, austönend. Es erhebt sich im Fluge und senkt sich nieder; es weitet und schließt sich, immer aber macht es sich Luft. Vielbewegt, harmonisch besänftigt fühlt es im Aether der Töne sich wie mit himmlischem Trank gelabt, der ganzen Natur gleichstimmig, glücklich. Ungebundenheit scheint also die erste Bedingung der Gesangessprache zu sein; und doch, was bindet fester als die Harmonie? Eben in dem süßen Bande ihres Gesetzes liegt der Zauber. Daß man sich diesem sanften und hohen Gesetz unentweichlich, alle seine Empfindungen in ihm verschlungen fühlt; daß Leid und Freude, das ganze innere Gefühl in seiner Weite und Tiefe sich nicht anders als harmonisch aussprechen kann, daß es melodisch ertönen muß: dies ist die heilige Gewalt, die uns ergreift und umschränkt und im Innern regelt, ja, die uns unter dieser Regel mit Allem zusammenband, mit Allem zusammenstimmte.

Denn nun treten entweder mehrere Stimmen zu einander, es wird ein Chor, das Feierlichste, das je ein irdisches Ohr hörte; ein von vielen Stimmen und Instrumenten gehaltener harmonischer Ton durchdringt die Seele. Oder die Stimmen theilen sich, sie antworten oder begleiten einander; süße Eintracht, das Bild himmlischer Zusammenwirkung, Liebe und Freundschaft. Oder sie verfolgen einander, kämpfen, umschlingen, verwirren sich und lösen einander zur süßesten Beruhigung auf; treffliche Darstellung des ganzen Gewebes unsrer Empfindungen und Bemühungen auf dem Kampfplatz des Lebens. Wem Worte und Töne dies verbündet ausdrücken, der wird über sich, aus sich hinausgezogen; nicht etwa nur in einem Spiegel erblickt er, er empfindet, wenn man so kühn reden darf, die Ethik und Metaphysik seines menschlichen Daseins, wozu wir geboren wurden, was wir sein sollen, wie Alles vielartig zusammenstimme und nach dem härtesten Kampf im liebevollen Zwist sich harmonisch auflöse.

By music, minds an equal temper know,
    Nor swell too high, nor sink too low.
If in the breast tumultuous joys arise,
Music her soft, assuasive voice applies;
    Or, when the soul is press'd with cares,
    Exalts her in enliving airs.
Warriors she fires with animated sounds;
Pours balm into the bleeding lovers wounds;
    Melancholy lifts her head;
    Morpheus rouzes from his bed,
    Sloth unfolds her arms and wakes,
    Listening Envy drops her snakes;
Intestine war no more our passions wage,
And giddy Factions hear away their rage.
Pope's Ode on St. Cecilia's day (1708), 1. – D.


Fortsetzung.

Daß dies von je her der Gesangpoesie Amt gewesen, zeigt das alte Buch der ebräischen Psalmen. In ihnen spricht das menschliche Herz alle seine Empfindungen aus, in jeder Situation des Lebens, steigend, sinkend, in Kummer und Freude, in Schmerz und Hoffnung. Es bändigt oder erweckt sich, beruhigt sich, lobpreist, jubelt. Alle Töne, deren unsre Natur fähig ist, liegen in diesem Psalterion verborgen; wer sie erwecken und binden kann, erneut das älteste Odeum der Vorwelt.

Auch fortgeleiteter Gesang ist in einigen Psalmen, Gesangeshandlung, durch unterbrochne, einander entgegengesetzte Chöre. Dies Chormäßige erstreckt sich bis auf die einfachsten Theile dieser Compositionen; denn die beiden Glieder jedes Verses sind einander antwortende Stimmen, Anklang und Antiphonie, Strophe und Antistrophe.

Außer den Psalmen sind die Salomonischen Lieder, das »Hohelied« genannt, ein Concert wechselnder und doch gebundener Stimmen der Liebe. Auch in ihnen ist ein Gang durch alle Töne, vom leisesten Seufzer der Sehnsucht steigend zur Liebe, zum Preise, untermischt mit Kummer und Klage. In Ordnung gestellt, würden diese Stimmen ein Frühlingsfest, ein Nachtigallen-Concert geben, wie es der Orient in Tönen und Gesängen liebte.Vgl. Herder's Werke, XIII. S. 368 f., und seine Bearbeitung des »Hohenliedes« als »Lieder der Liebe. Die ältesten und schönsten aus dem Morgenlande« (1778). – D.


Bei den Griechen war die lyrische Poesie nichts Anders als ein solcher Schwung der Empfindung durch mancherlei Töne. Im ältesten Chor bewegten sich Strophe und Antistrophe gegen einander, sich antwortend, zuletzt einstimmend mit einander. Der feierliche Hexameter war der Griechen älteste Gesangweise. Da die Naturvölker einfache Melodien lieben, so war diese älteste Nationalmelodie der Griechen ihrer Sprache gemäß glücklich gewählt; Alles konnte die Empfindung in ihr sprechen und der Verstand sie reich ausbilden. Als die Doppelflöte erfunden ward, die Freude und Leid, heroische und sanfte Töne wechselnd sang, so ward dem heroisch vortretenden Mann gleichsam eine Gattin, der Pentameter, zugeordnet. Breit und prächtig trat jener auf; diese nahm sich zusammen, zart und lieblich.

Die Tonarten vermehrten sich, mit ihnen die Zusammenordnung der Silbenmaße; an Bacchischen Festen stieg ihr jubelnder Wechsel zum Dithyrambus. Verloren ist leider der größte Theil dieses Schatzes von Tönen aus der Leyer Apollo's; aber auch die kleinsten Reste zeigen die Vieltönigkeit seines »Köchers voll Gesangespfeile«.Anspielung auf Pind. Ol. II. 92. – D. Catull und Horaz haben nur die leichtesten gewählt, die sie dem Ohr der Römer und ihrer Sprache anmuthig fanden; die schnellsten Pfeile ließen sie ihren unerreichten Vorgängern, den Griechen, an deren Tafeln selbst Polyhymnia sang, in Skolien, d. i. in wechselnden Reihetönen. Eintönigkeit schien den Griechen nirgend zu gefallen, selbst nicht in Klagen.

Den Chor, aus welchem das griechische Drama hervortrat, muß man also auch als ein Concert der Empfindungen ansehen, von einem Punkt zum andern kunstreich geleitet. So auch die Gesänge Pindar's. Der Chor klagt und jubelt, hofft und wünscht, fürchtet und zweifelt, warnt, lehrt, erzählt; Alles dies unter einer Gesangesregel. Zur Melopöie war die ganze griechische Sprache geordnet.


Als nach Jahrhunderten der Barbarei Poesie und Tonkunst sich wieder hoben, und man von Sonetten, Madrigalen, Kling- und Singgedichten zu einer Form hinanstieg, die der ganzen Brust voll Empfindungen in Tönen freien Lauf geben möchte, ward – der italienische Canzone.»Der Canzone« schreibt Herder richtig nach dem Italienischen. – D. Dank dem Provençalen, der ihn in Gang brachte! Der Phantasie sowol als der Empfindung hat er Schwingen und Fittige gegeben; Fittige, auf welchen Dante sich seiner Beatrice, Petrarca seiner Laura nach in den Himmel schwangen, auch hienieden auf der Erde jede Entfernung gleichsam vernichtend und der Seele wie dem Herzen den freiesten Raum gewährend. Spanische Canzonendichter sind den Italienern schnell nachgefolgt und übertrafen sie zuweilen in schönen Schwärmereien der Freude und Liebe oder der Schwermuth und ahnenden Hoffnung. Kürze und Länge der Zeilen wechseln in dieser lyrischen Verkettung so angenehm ab, daß man sich gesetzlos glaubt, indem man aufs Strengste dem Gesetz folgt.

Auch die britischen Monodien oder sogenannt Pindarischen Oden gehören zu dieser Gattung, obwol fester gebaut, oft mit Beiwörtern und Bildern überladen. Alle sollten durchaus musicalisch sein, d. i. ohne bestimmte Melodie einer Strophe (die auf die andern nicht passen würde) sollten sie wie Phantasien in Tönen durchgeführt werden können, wie wenn der Tonkünstler Dichter, der Dichter Musicus wäre. Wie David oder Ossian an der Harfe, Alcäus an seinem goldenen Plectrum,Nach Horaz' Carm., II. 13. 26, 27. – D. begeistert von der Muse selbst, in Klang und Gesang süße Töne verbanden, so naht sich vor allen Gattungen der Poesie die lyrische Gattung der Eingebung oder Eingeistung am Nächsten, indem sie eigne Gefühle singt, wie der Moment sie giebt, und gleichsam schrankenlos den Geist erhebt. Jede wahre Ode sollte ein solcher Flug der Phantasie und Empfindung sein, die bald wie ein Adler aufstrebt und schwebt oder niederfährt und ergreift, bald wie eine Taube girrt und wie die Nachtigall schmettert. Am zarten Faden der Empfindungen oder im rastlosen Gange der Gedanken und Gefühle hangt der Zauber der lyrischen Poesie, den in allen seinen Wendungen die Musik mit allen ihren Modulationen begleitet.

Ueber eine Ode solcher Art, »Alexandersfest«, breitete sich Händel's Geist aus; andre, von andern Dichtern, Pope, Congreve, Gray, Smart u. s. w. sind ihr gefolgt. Eine eigne Göttin, die heilige Cäcilia, hat sie ans Licht gefördert.

Wer ist diese heilige Cäcilia, in Bildern und Tönen gleich berühmt? Wie kommt sie als Schutzgöttin der Musik zum Fest des Gesanges und der Tonkunst? Lasset uns ihre Legende auch musicalisch hören!


Fortsetzung.
Cäcilia.Vgl. Herder's Werke, II. S. 76 ff., und den Aufsatz »Cäcilia« aus den »Zerstreuten Blättern« (1793) im folgenden Theile von Herder's Werken. – D.

Wo glänzt die Lilie,
Die nie verwelket?
Wo blüht die himmlische
Ros' ohne Dornen?
Im Kranze blühen sie
Schuldloser Liebe;
Engel bewachen sie,
Laben mit Düften sie
Des Paradieses.

Am Hochzeitfeste war
Alles versammelt,
Da saß Cäcilia
Als Braut des Himmels;
Ihr Bräut'gam neben ihr,
Ein schöner Jüngling,
Flöten und Saitenklang
Tönten im Chorgesang
Lieblicher Stimmen.

Nur Dir, Cäcilia,
Im stillen Herzen
Erklang ein andrer Ton
Zarterer Liebe.
Die heil'ge Seele war
Im Himmel droben,
Horchend dem hohen Klang,
Singend den Weihgesang
Der Engelsbrüder.

Als ihr in Einsamkeit
Der Liebling nahte,
»Darf ich vertrauen Dir?«
Sprach sie vertraulich,
»Freund, meiner Seele Du,
Wiss' ein Geheimniß:
Da, wo ich stehe, steht,
Da, wo ich gehe, geht
Mit mir ein Jüngling.

»O könntest schauen Du
Sein süßes Antlitz!
O könntest hören Du
Die Engelsstimme!
Er wird ein Freund Dir sein,
Er ist Dir ähnlich,
Wenn wir in Lauterkeit,
Wenn wir in süßem Streit
Himmlisch uns lieben.«

Darauf berührte sie
Sein holdes Auge,
Und er sah neben ihr
Stehen den Engel.
Glänzend in Himmelsglanz,
Strahlend im Blicke,
Kränzt' er mit Blumen sie,
Labte mit Düften sie
Des Paradieses.

»Nimm«, sprach der Himmlische
Zu dem Geliebten,
»Auch eine Blume hier,
Die nie verwelket!
Sie wird Dich laben stets
Mit reiner Liebe.
Nimm diese Lilie!
Nimm hier die himmlische
Ros' ohne Dornen!«


Freilich scheint's sonderbar, daß die Innung der britischen Tonkünstler eine Heilige dieser Art mit dem Alexandersfest begrüßte, einem Trinkfest, wo die Buhlerin und der Tonkünstler mit ihr einen berauschten König zum Trunk, zur Wollust, zur Rache, zum Brande Persepolis' wecken und treiben. Werden nun gar alle diese bösen Effecte als Wirkungen der Tonkunst nicht nur angeführt, sondern selbst in Wirkung dargestellt, so ist das Fest ein ebenso schlechtes Lob auf die Musik als ein unwürdiges Geschenk für die Heilige. Wahrscheinlich verließ man sich auf die Andacht, d. i. auf die Geistesabwesenheit der himmlischen Patronin, wenn man ihr solche Gesänge und zuletzt dann hinter der Geschichte einer Thaïs oder Amphion's, des Orpheus u. s. w. sie mit ihrer Orgel vom Himmel kommen ließ, die Bälge zu beleben. Der Anruf an sie war das Sendungscompliment, das man am Schluß dem Canzone gewöhnlich mitgab: Va, Canzone!

Nicht um das Lob der Heiligen, um Wirkungen der Musik war es dem singenden, spielenden Haufen an seinem Innungsfest zu thun und an einer Geschichte, die diese Wirkungen zeigte.

Wie aber? Wirkungen der Musik gezeigt, d. i. erzählt, in einer alten Geschichte, sind sie denn auch die unsrigen? Rasen wir mit, mit Alexander, weil er rast? Jammern wir mit Orpheus, stehen mit Amphion? u. s. w. Allerdings; so lange diese aufgeführten Personen selbst sprechen, dringen, von Tönen unterstützt, ihre Empfindungen mit zauberischer Gewalt in uns und werden die unsern. Ordnet der Tonkünstler seine Töne überhaupt noch dahin, daß sie entweder uns gewohnte oder uns überraschende, höchsterfreuende Lieblingsgänge unsrer Herzensmelodie enthalten, so entgeht ihm unsre Mitempfindung nie. Alle großen Meister, unter ihnen auch Händel, kannten diesen Weg zum Herzen; sie wußten es durch Nationalmelodien mächtig anzusprechen, oft in den einfachsten Tönen. Wo ihre Töne dergleichen nicht waren, wurden sie es bald, weil sie dem Nationalgefühl correspondirten.So im »Alexandersfest« Händel's: »None but the brave, Bacchus ever young« u. s. w. – H.

Ein Anderes ist's mit der blos beschreibenden Poesie (descriptive poetry), so musicalisch sie ausgedrückt sein möge. Zwar brachten die Briten dazu den ganzen Wohlklang ihrer Sprache zusammen; Pope ließ die

Dreadful gleams,
Dismal screams.
Fires that glow,
Shrieks of woe,
Sullen moans,
Hollow groans,
And cries of tortured ghosts!
Ode on St. Cecilia's day, 4. – D.

seufzen, ächzen, glühen, stöhnen, schreien u. s. w. Wirken diese Beschreibungen aber, wirkt diese Nachahmung der Schälle und Töne, was Poesie, zumal musicalisch-lyrische Poesie wirken soll? Die Töne der Leyer Ossian's selbst vermöchten dies nicht, wenn nicht die Stimme seiner Empfindung sie belebte, der sie nur als Einleitung oder als Contrast voranstehn. Nicht das Fallen des Darius,

falls, falls, falls,

sondern die in Dryden's Beschreibung herrschende traurige Empfindung, wie der mächtigste Monarch der Erde

– fällt, fällt, fällt,
Von seiner Höhe fällt
Und liegt im Blut.
Verlassen in der letzten Noth
Von Allen, die sein Herz geliebt,
Auf kalten Boden hingestreckt,
Ohn' einen Freund, der ihm das Auge schließt,

diese menschlich rührende Scene dringt auch in Händel's Tönen uns an die Brust. Wir sehen, hören, fühlen, jammern, vergessend des Mediums der Sprache und Töne.

So allenthalben, wo Bewegung der Natur in Tönen geschildert wird. Die Musik kann sie trefflich nachahmen; nur dann aber ahmt sie solche mit Wirkung nach, wenn dieser, aus Bewegung des menschlichen Herzens entsprungen, Bewegungen desselben Herzens zueilen, mithin Natur und Herz sich gleichsam verschmelzen.

Auf eine dreifache Weise kann sich also diese Cäcilien-Feierlichkeit nicht nur, sondern die Musik überhaupt versündigen. Zuerst, wenn sie ein ungereimtes Thema wählt oder gar ihre eigne Schande, häßliche Wirkungen, singt, die die Musik nie hervorbringen sollte. Tolle Trunkenheit z. B., Wollust, Rache, Wuth, Wahnsinn. Zweitens, wenn sie, statt Empfindungen auszusprechen, sich bei Gegenständen derselben malend aufhält, mithin schildern dem Auge will, da sie das Herz rühren sollte. Drittens, wenn sie sich gar bei den Werkzeugen der Töne, den Instrumenten, verweilt und deren Schall, wol gar ihre Gestalt und Behandlung in ausgesuchten Worten schildert:

Descend, ye Nine! descend and sing;
The breathing instruments inspire,
Wake into voice each silent string,
And sweep the sounding lyre!
    In a sadly-pleasing strain
    Let the warbling lute complain:
        Let the loud trumpet sound,
        Till the roofs all around
        The shrill echoes rebound.
While in more lenghthen'd notes and slow
The deep, majestic, solemn organs blow
Hark! the numbers soft and clear
Gently steal upon the ear;
Now louder and yet louder rise,
And fill with spreading sounds the skies:
Exulting in triumph now swell the bold notes
In broken air, trembling, the wild music floads;
Till, by degrees, remote and small,
    The strains decay
    And melt away
In a dying, dying fall
.Pope am Anfange der angeführten Ode. – D.

So entzückt der Halbkenner sein wird, daß die gewählten Worte den Instrumenten so genau nachtrompeten, nachtrommeln und nachpfeifen, so wird einem Andern, der die wahre Wirkung der Musik empfinden will, bei dieser Musterung der Instrumente, in der Peloton nach Peloton aufgerufen ward, jener Operndirector des »Cimarosa« einfallen,L'impresario in angustie. – D. der, gequält und verlassen von Sänger und Sängerinnen, mit der Geige und Trompete, mit dem Violoncello und Baß freundliche Gespräche führte.


Fortsetzung.

Darf also die Musik und mit ihr die lyrische Poesie eigentlich nicht schildern, ist die Musterung und Aufrufung der Instrumente ihr Zweck nicht, hält sie sich lediglich an den Faden und Gang der Empfindung ohne Geberdung: so tritt sie eben hiemit in eine unsichtbare, geistige Sphäre. Was sich der Phantasie irgend darstellen mag, ist vor ihr; Alles aber nur in Bewegung, in leidenschaftlicher Wirkung. Daher der wesenhafte Unterschied schildernder und lyrischer Dichter, den jede Empfindung fühlt, wenn sie ihn gleich nicht ausspricht. Jenen steht die Schöpfung in Gestalten und Farben da, sie schildern. Thäten sie es auch in den lieblichsten Worten, im sanftesten Numerus: sobald der Geist der Musik, Bewegung, Rhythmus der Leidenschaft fehlt, weiß der Tonkünstler kaum, was er mit den schönen Beschreibungen soll, die wie Bildsäulen vor Dädal'sDer zuerst die Füße der Statuen trennte, so daß sie im Gegensatze zu den frühern Bildern zu wandeln schienen. – D. Zeit da stehen, unbelebt. Gesänge dagegen, wie Ossian's, Klopstock's, Gerstenberg's u. s. w., sie leben für die Musik in jedem Hauch, in jedem Gliede. Tadle eine Gattung der Poesie die andre nicht; jede hat ihren Werth, jede kenne ihre Grenzen.

Im »Messias« also, in Worten der Propheten und Apostel that sich Händel's Geist am Mächtigsten hervor. Von der ersten Stimme:

Tröstet, tröstet mein Zion!
Spricht Euer Gott,

bis zur letzten:

Er regieret ewig und ewig,
Der Herr der Herren,
Der Götter Gott. Hallelujah!

herrscht beinahe bildlos der starke und sanfte Geist aller Empfindungen, die das weite Feld der Religion einhaucht. Kaum berührt wird die Erzählung, allenthalben vom tiefsten Gefühl hervorgedrungen und beherzigt.

Er war verachtet,
Verachtet und verworfen,
Verworfen von Menschen,
Ein Mann der Schmerzen,
Befreundet der Noth.
Wahrlich, wahrlich, er trug unser Leid,
Er litt unsern Kummer.
Wir gingen All' in Irren umher,
Wir gingen Alle, Jeder seinen Weg,
Der Herr legt' auf ihn unsre Missethat. –
Würdig ist das Lamm,
Das für uns starb,
Zu nehmen Macht und Reichthum
Und Weisheit, Kraft und Ruhm
Und Hoheit
Und Dankpreis.

In prophetischen und apokalyptischen Verkündigungen hebt sich das ganze Chor der Kirche, eine Gemeine der Seelen, eine Geisterversammlung, kein Theater. Alle Theile der sogenannten Messe, die auch der Lutheranismus nicht verworfen, sondern in seiner Liturgie nur auseinandergerückt hat, von der Anrufung des Geistes und dem Gloria an bis zum Bekenntniß, dem Sanctus, Sanctus, dem Benedictus, dem Agnus Dei, dem Hallelujah sind Stimmen aus dem Chor Himmels und der Erde, zusammentönend im stillen Herzen des Menschen. Auch wo ein sichtbarer Gegenstand vorsteht, der Gekreuzigte, die Mutter mit ihrem Kinde u. s. w., schildert die Musik nicht, sondern spricht Worte der Empfindung. So in Pergolese's Stabat mater, so in jedem Salve Regina:

Sei gegrüßet, Königin,
Mutter der Barmherzigkeit,
Süßes Leben, unsre Hoffnung,
Sei gegrüßt!

Zu Dir rufen wir verbannte Evas-Kinder,
Zu Dir seufzen wir und ächzen weinend
Hier im Thränenthal.

Wende Deine milden Blicke
Voll Erbarmen zu uns nieder,
Selige Fürsprecherin!

Und das Kind in Deinen Armen,
Selige, Gebenedeite,
Sprosse fröhlich! Freundlich zeige
Jesus Christus uns sein Antlitz,
Wenn geendet unsre Trauer,
Unsere Verbannung ist!

Zeig uns Deinen Sohn, o Milde!
Gütige! Du süße Mutter!
Zeig ihn uns, Holdselige!
Maria!

Kann vor einem Bilde die Empfindung sanfter sprechen? es zärtlicher anreden? Der Geist im Bilde spricht, nichts wird geschildert.

So das kleinste Lied an die heilige Jungfrau; eins z. B., das ein Reisender von sicilischen Schiffern auf offnem Meer singen hörte. Die Melodie ist äußerst sanft und einfach:

O sanctissima,
O piissima,
Dulcis virgo Maria,
Mater amata,
Intemerata,
Ora pro nobis!
    »O Du Heilige,
    Hochbenedeiete,
    Süße Mutter der Liebe,
    Trösterin im Leiden,
    Quelle der Freuden,
    Hilf uns, Maria!« – H.

Die Todtenmesse endlich. Hier verschwinden alle Bilder.

Ewige Ruhe gieb ihnen, Herr!
Ewiges Licht umleuchte sie!
Dir ziemet Lobgesang in Zion, Gott!
Dir dankt man in Jerusalem.
Erhöre unser Flehn! es komme vor Dich!
Ewige Ruhe gieb ihnen, Herr!
Ewiges Licht umleuchte sie!


    Tag des Schreckens! Tag voll Beben!
Wenn die Grüfte sich erheben
Und die Todten wiedergeben.

    Welch ein Zittern! welch ein Zagen!
Wenn im Donner jetzt der Richter
Kommt und ruft, die uns verklagen.

    Furchtbar schallet die Drommete;
Aus den Grüften aller Erde
Zwingt sie Alles ins Gericht.

    Tod und Leben ringen kämpfend
Mit einander; es erbebet
Die Natur dem Kommenden.

    Und ein Buch wird aufgeschlagen,
Drin die Sünden, die uns nagen,
Alle wurden eingetragen.

    Und der Richter wägt und richtet;
Ungerächet bleibt kein Frevel,
Das Verborgne steigt ans Licht.

    Wie, o Armer! werd' ich aufsehn?
Welchen Schutzgott werd' ich anflehn?
Kaum der Fromme wird bestehn.

    König, schreckensvoll an Hoheit!
Quell der Gnaden! der Erbarmung!
Rette mich aus freier Huld! u. s. w.Der alte Gesang: »Dies irae, dies illa« ist auch ins protestantische Kirchenlied: »Es ist gewißlich an der Zeit« von Erasmus Alberus eingekleidet. Auch dessen Melodie ist der Ton der Drommete. – H. [Vgl. Herder's Werke, XIII. S. 376 f. Herder hat hier in den meisten Strophen den Reim nur theilweise oder, gar nicht wiedergegeben. – D.]

Aber auch die Kirchenmusik ungerechnet, erhebt sich jede wahre Musik ins Reich der Unsichtbaren, der Seelen. Der neuere böse Geschmack, eine Romanze hindurch zu trommeln und in ihr Alles zu schildern, zu kochen, zu malen, ist ebenso niedrig als widrig; erröthe jeder Künstler, der so wortspielerisch seine Kunst verschwendet! Tonkünstler, die dergleichen componiren, verführen die Dichter, wie die Dichter sie verführten.

Welch ein andrer Geist war Gluck! selbst wenn er für die Oper componirte, also das Sichtbare, das Spiel, und zwar selbst in Frankreich, wo auf Spiel zuletzt doch Alles ankam, begleiten mußte. Hört seine »Iphigenia in Tauris«, auch eine heilige Musik! Vom ersten Gewitter der Ouvertüre an bis zum letzten Hall des Chores: »Nach Griechenland!« ächzt und lahmt keine Note schildernd. In den Gesängen, die Gluck aus Klopstock componirte, schwebt er allenthalben auf Fittigen der Empfindung des Dichters.

Je mehr die Quelle des Gefühls vertrocknet, desto glänzender malen und schildern wir auch auf der Lyra. Zu unsrer Zeit, da das Oratorium beinahe ganz schläft oder auch zu Opern-Arien gemißbraucht wird, ruft jedem lyrischen Dichter und Tonkünstler die Muse zu, die einst einer edlen italienischen DichterinIn den »Sämmtlichen Werken« (Cotta'sche Ausg.) steht: »einem . . . . Dichter«. – D. zurief:

    Schlaf, Tändelei und Trägheit, ach, sie haben
Aus unsrer Welt verbannet jede Tugend.
Verscheucht von ihrer Laufbahn ist die Menschheit,
In Banden der Gewohnheit festgebunden.

    Und so erlosch denn jeder reine Lichtstrahl
Des Himmels, der in Glanz das Leben aufhellt;
Mit Fingern zeiget man auf irgend Jemand,
Der aus Empfindung reine Ströme leitet.

    »Was ist denn die Empfindung? Was die Myrte
Des bettelnden Gefühles?« Also prahlet,
Auf Ruhm und Wort und Geld erpicht, der Pöbel.

    Dich also werden Wenige begleiten,
Dich anmuthsreiche, zarte, reine Seele!
Um desto mehr bitt' ich Dich, holdes Wesen,
Verfolge Deine Bahn, groß – wenn auch einsam!



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