Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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11. Das Lustspiel.


Unterredungen.


1.

A. Ihre Blätter vom Trauerspiel habe ich gelesen; wo wollen Sie aber mit dieser Idee beim Lustspiele hinaus? Ist es nicht auch Drama? Und wo ist sein Ring des Schicksals?

B. In der Hand des Dichters, wie beim Trauerspiel; und zwar ist er im Lustspiel fast noch erkenntlicher als in diesem. Er heißt die Fabel der Komödie, ohne welche, sinnreich angelegt, verschlungen und entwickelt, kein Lustspiel taugt.

A. Und die Charakter-Komödien? die ächt philosophische Gattung?

B. Sind hinkende Stücke wie die ausgeputzten Charakter-Trauerspiele. Will ich Charaktere beschrieben lesen, so nehme ich Theophrast, La Bruyère oder Aristoteles' »Rhetorik«.

A. Hier sehen Sie sie aber dargestellt.

B. Ohne daß sie in eine Fabel greifen und mit ihr innig verwebt sind, hindern sie das Lustspiel. Isolirt steht sodann der breit angemeldete Charakter vor mir, geschildert, nicht handelnd. Angeputzt wird er und angezogen; rings um ihn werden Spiegel gestellt, daß man ihn ja von allen Seiten erblicke und wahrnehme; dann wird er entkleidet, man zeigt seine Höcker; wol gar wird er lebendigen Leibes operirt, secirt – eine peinliche Kunst, von der schon der Name Lustspiel sich lossagt.

A. Und wir haben doch so treffliche Stücke dieser Gattung!

B. Die trefflichsten sind nie ohne Fabel; und je besser es der Dichter verstand, desto sorgsamer ließ er den Charakter dem Gewebe der Fabel nur dienen. Oder vielmehr (denn was sollen die Schaarwerksnamen Dienst und Herrschaft bei Künsten des Schönen?) Fabel und Charakter entsprangen in seinem Kopf zugleich: der Charakter ward ein Motiv der Fabel, die Fabel ein Abglanz des Charakters. Auf keine Seite ließ er die Wage schwanken, geschweige, daß er mit aller Gewalt sie auf eine Seite herabgedrückt hätte.

A. Molière! Destouches', Regnard's Charakterstücke! Gresset und so viele Andre.

B. Gresset's Méchant ist ein mechanter, unerträglicher Charakter; er hat sich, wie mehrere von Destouches, bald von der Bühne verloren. Manche Stücke nennt man Charakterstücke, da sie es doch nicht sind; denn die Spielsucht z. B. ist ein Fehler, ein Laster, aber kein Charakter. Sodann werden Charaktere ja nicht von der Bühne verwiesen; vielmehr sind sie ihr unentbehrlich, da die Fabel nur durch sie und mittelst ihrer handelt. Nur dürfen sie der Fabel nicht gebieten; als Werkzeuge stehen sie unter der Fabel, oder vielmehr beide spielen zu Einem.

A. Der Unterschied will mir nicht in den Sinn.

B. Denken Sie an die unangenehme Hätschelei, die Sie jedesmal empfanden, wenn Ihnen Charaktere anders als durch Handlung, d. i. in der Fabel des Stücks selbst, exponirt werden sollten. Hier preisen junge Ehegatten sich einander so selig! »Seid's!« rufen wir ihnen zu; »zeigt, daß Ihr's seid! Nur schwätzt nicht! Ihr werdet unerträglich.« So bei jeder Schilderung des Charakters ins Gesicht oder hinter dem Rücken, mit Fehlern und Lastern, die von ihm oder vor ihm gesagt werden. Unsre Haut wird uns zu enge. »Jagt ihn vom Theater, wenn er nicht taugt,« rufen wir aus, »nur lasset uns mit ihm in Frieden! Gebt uns Handlung! wir sind im Lustspiel, nicht in der Charakter-Buchstabirschule

A. Da nehmen Sie dem Theater sein Lehrkatheder, sowie dem Schauspieler die Hälfte seiner Kunst; denn eben in Charakteren kann er sich ausnehmend zeigen.

B. In übertriebnen Charakteren, sie übertreibend! Den Wüthrich Herodes ausherodisirend, den Polterer überpolternd – eben dies Uebertreiben ist Verderb der Kunst. An Grimassen der Art hängt zwar der Pöbel: »Ach, er hat herrlich gespielt! Neben und hinter sich verdunkelte er alle Mitspieler. Man sah nur ihn.« Uebel gnug, wenn er so spielte; schlimm gnug, wenn es der Dichter darauf anlegte, daß dieser allein figurire. In einer wohlgewandten Fabel ist uns der Geringste werth; deshalb aber bleiben und bestehen immer Grade des Werthes.

A. Charakterstücke geben so schöne Verse, so treffliche Situationen.

B. Situationen gehören zur Fabel; eben dies beweist. Laufen Sie im Andenken die besten Charakterstücke durch, die die Bühne der Neueren hat, den »Geizigen«, »Tartüffe« u. s. w.: zuerst fallen Ihnen Situationen ein, in denen sich der Charakter zeigte. Ist die Fabel ganz aus solchen gewebt, ein Kranz glücklicher Situationen, so sind wir einig. Glänzt hie und da nur eine Situation hervor: mit den schönsten Versen und Reden lahmt das Lustspiel. Dergleichen Verse konnte man beim Lehrdichter, und vielleicht besser lesen, dergleichen Reden vom Redner hören. Zu solchem Zweck kamen wir nicht ins Theater.

A. Wird aber eben hiedurch die dramatische Kunst nicht philosophisch? Sind dergleichen Charaktere nicht bleibende Physiognomien der Menschennatur für alle Nationen, für alle Zeiten?

B. Nichts weniger. Eben das, was man auf der Bühne Charakter nennt, Sitten, Meinungen, Gewohnheiten, Eigenheiten sogar, verändern sich unaufhörlich mit Völkern und Zeiten. Bei Molière's ausgearbeiteten Charakterstücken stand schon vor dreißig Jahren das französische Theater leer; man lief zur Posse, zum italienischen Theater. »Ach,« hieß es, »solche Tartüffen giebt's nicht mehr; wenn Molière aufstünde, müßte er sie jetzt anders kleiden. Es sind alte Späße.« Dagegen an Molière's Stücken, in denen die Fabel herrscht, fand man immer Freude; der Médecin malgré lui, sein letztes Stück, wird auch auf dem Theater sein letztes, das dauerndste bleiben. Gehen sie die englischen Humour-Stücke durch, wie wenige der alten von Ben-Jonson u. s. w. haben sich auf der Bühne erhalten! Einfälle, Scenen, Situationen nimmt man aus ihnen und kleidet sie neu ein; die Charaktere selbst müssen neu gestützt oder umgeschaffen werden. Sie sind, sagt man, nicht mehr für unsre Zeiten. Und unsre älteren deutschen Charakterstücke, ob sie gleich so gar alt nicht sind –

A. Von denen wollen wir schweigen. Freilich haben sich in kurzer Zeit die Großvatersitten sehr geändert!

B. Was uns dagegen in alten und den ältesten Stücken bleibt, sind bei ächtem Witz treffende Charakterzüge, die der Situation entsprechen, kurz, die charakteristische Fabel.


2.

A. Wie wird's aber mit dem Schicksal in der Komödie? Mich dünkt es in ihr ein komisches Schicksal.

B. So ernst, als es die Tragödie haben kann; es ist das Wesen und die Verknüpfung der Fabel. Glauben Sie, daß der Dichter des lustigsten Spiels lachen müsse, wenn er die Fabel aussinnt? Und thäte er's, sein Lachen muß der heitersten Vernunft zugehören. Sonst ist die Posse des Anschauens nicht werth. Die Vernunft muß den Kranz der Begebenheiten flechten; mithin muß sie zuerst wegwerfen, was zu ihm nicht gehört.

A. Zum Beispiel alles Niedrige, Häßliche, Abscheuliche, das man nirgend, geschweige auf dem Theater zu sehen wünscht.

B. Zuvörderst also alle Laster.

A. Alle Laster? Keinen lasterhaften Charakter soll die Komödie als häßlich darstellen dürfen?

B. Keinen; dies ist nicht ihr Amt. Für Kanzel und Katheder oder gar für Gefängnisse. Richterstühle, Zuchthäuser gehört das Laster, nicht für das Lustspiel, das sich an Lastern weder erfreuen soll, noch sie zu bessern vermag. Haben Sie nie die Qual der Hölle empfunden, wenn ein Verruchter, komisch gehalten, durch alle fünf Acte unsern innern Sinn für Pflicht und Recht quält? Seine Familie hat er ins Unglück gestürzt, Weib und Kindern macht er Höllentage, den Freund hat er betrogen, das Mädchen verführt, den Herrn bestohlen, in Amt und Geschäft ist er von allen Seiten ein Schurke; und diesen Bösewicht, der in die Karre gehört, müssen wir fünf Acte lang vor uns sehen, allen Jammer, den er gestiftet hat und zu stiften fortfährt, mit Augen erblicken, ihn seufzend, weinend, zankend uns vortragen hören; zuletzt kommt ein edler Freund und rettet ihn, oder der gnädige Herr erscheint und vergiebt ihm; er weint Bußthränen, um – es wahrscheinlich im sechsten Act, wenn das Stück fortginge, noch ärger zu machen, als er es im ersten machte. Ein treffliches Lustspiel! in dem man für Unlust und Ungeduld die ganze Wirtschaft nach NewgateGefängniß in London. – H. wünschte. Aristoteles setzt es als ersten Begriff des Lustspiels, daß es mit straffälligen Lastern nichts, wohl aber mit Fehlern, mit Auswüchsen der menschlichen Natur zu thun habe, die lächerlich, aber nicht schädlich sind. Was Verderben nach sich ziehe (τὸ φϑαρτικόν), sei kein Gegenstand des Lustspiels.Aristoteles (»Poetik«, 5. 1) sagt, nicht alles Häßliche sei lächerlich, nur das, was keinen Schaden bringe. – D.

A. Welche Menge trauriger Lustspiele käme damit nach Newgate!

B. Sollen, dürfen wir über diese Bösewichter lachen? Verbietet uns dieses nicht die innere erste Regel des Rechts? Und warum dürfen wir über sie weinen? im Lustspiel weinen? Weshalb müßten wir die Folgen ihrer Eseleien fünf Acte durch mittragen? Die unzeitigste Philanthropie, die der Gerechtigkeit den Maßstab krümmt und jede wahre Theilnehmung mit dem würdigen Unglücklichen süßlich verschlemmt. Bei solchen Scenen laßt mir die weinenden Kinder, die heulenden Weiber weg vom Theater; und statt zu weinen, hänge sich der Bösewicht auf: Warum that er's nicht schon vor dem ersten Act? so wäre das ganze Stück unterblieben.

A. Das Häßliche (αἰσχρόν) gestattete Aristoteles indeß doch dem Lustspiel.

B. Das Unschädlich-Häßliche allerdings, insonderheit wenn es Lachen erregt; eben dies Lachen über die Ungestaltheit oder Unschicklichkeit zeigt, daß sie unschädlich sei.

A. Da räumen Sie dem Lachen, als einem untrüglichen Kennzeichen des Unterschieds zwischen Fehler und Laster, viel ein.

B. Nicht mehr, als ihm gebührt. Jeder lacht freilich auf seine Weise; auch dies ist in der Regel. Die Komödie soll uns aber nicht blos lachen machen, sondern lachen lehren.

A. Wie das?

B. Daß nichts lächerlich vorgestellt werde, als was lächerlich ist, daß es in dem Maße lächerlich vorgestellt werde, als es des Lachens werth ist, oder –

A. Oder?

B. Der Dichter selbst und seine Helfershelfer werden – lächerlich oder erbärmlich. Stellen Sie falsches Maß und Gewicht, geben Sie die edelsten Dinge, Sachen, Charaktere, Geschäfte und Personen einem Zotengelächter preis –

A. Da treffen Sie eben auf das, was die Gegner Shaftesbury's gegen das Lachen als Prüfstein der Wahrheit, später darauf J. J. Rousseau und Andre gegen die Komödie so stark eingewandt haben, nämlich: »Alles könne lächerlich gemacht werden, Alles nach den Sitten unsrer Zeit werde lächerlich gemacht.«

B. Von wem? Von Gecken, die dagegen das Lächerlichste nicht lächerlich und das Niedrigste bethulich finden. Glauben Sie gewiß, im unbefangnen Lachen (nicht im witzigen Hof- und Modegelächter, so wenig als in der groben Bauernlache), im unbefangnen Lachen äußert sich so ein sichres Kennzeichen der Natur als in der unwillkürlich, ja unwillig fließenden Thräne. Niemand als der Bösewicht oder der Gauner kann beiden entstehn; Niemand als sie wollen sich beiden versagen. So wenig man in blos körperlicher Rücksicht dem Husten, Gähnen, Niesen sich entziehen kann und darf, obwol man nicht eben laut gähnt, hustet und niest – man unterdrückt sie eine Zeit lang, und wider Willen kommen sie wieder –, ebenso unvertilgbar ist der gaukelnde Gott Jocus.

A. Lachern wol; sonst sagt man: »Der Weise lache nicht, er lächle nur.«

B. Mir ist gesagt: »daß man sich nicht besser befinde, als wenn man bei dem Lächerlichen lacht, nicht zürnt; wenn man leichte Dinge leicht ansieht und in Lilliput nie ein Brobdingnag erwartet; wenn man lacht, wo nicht anders als zu lachen, dagegen ernst ist, wo man ernst sein soll und, recht genommen, nicht anders als ernst sein kann

A. Und dies lehrte uns die Komödie?

B. Einzig sie. Sie hat, nach dem gemeinen Ausdruck, den Sack oder vielmehr die Wage des Lachens in der Hand, mit allen ihren Graden. Wem Alles gleichgiltig, ist ein Sinnloser; wer über Alles lacht, ist ein Geck; wer uns im Lachen verführt, ein Verführer. Daß wir in diesen Dingen des zartesten Urtheils das Richtmaß verloren haben, ist es ein Zeichen unsers sichern Geschmacks, unsers rein prüfenden Urtheils?

A. Gewiß nicht. Noch aber ist eine Grenze des Häßlichen und Verführenden der Komödie übrig, die ich kaum zu nennen getraue.

B. Zu Allem lassen sich Worte finden.


3.

A. Zu Allem lassen sich Worte finden. Sie wissen, was in unsrer Natur das Häßlichste werden kann, was die Natur daher selbst mit Scham und Schweigen umhüllt hat; wie wenn man dies, mithin das Lüsterne, zum Gegenstande der Komödie machte? Man gäbe Ehre und Schande preis, schlösse über sie ein geheimes Einverständniß des Nicht-Notiznehmens –

B. Man gäbe Ehre und Schande preis? preis dem Theater? Nun, so male es auf seinen Vorhang –

A. Was?

B. Den Urgott Priapus, oder galanter den Lingam. Wovon man in keiner ehrbaren Gesellschaft spricht, davon wird man doch auf der Bühne nicht sprechen, noch weniger es darstellen wollen? Das Lächerliche gehört der Komödie, nicht das Lüsternde, das Kitzelnde, das Wilde. Ein Lust- oder Trauerspiel, in dem sich Beinkleid und Schürze präsentiren, und zwar ein, sobald es sich präsentirt, gebietendes Beinkleid, dem alle Schürzen unvermeidlich gehorchen, und gegentheils eine ebenso mächtige Schürze, die, nachdem man sie einmal gesehen, Alles erlaubt macht, und der sogar Thränen gebühren: mit welchen niedrigen Namen sollten wir, lichtertragend, dies Lingamspiel nennen?

A. Und doch wird geweint.

B. Von wem? worüber? Jedem dieser Gegenstände hatten die Alten seine Weise bezirkt, das Grobe dem Groben, das Anständige dem Anstandliebenden: wir haben den Weg gefunden, im Anständigsten schamlos zu sein. Die feinste Sentimentalität solcher Herren existirt im Priapus. Sie setzen die geheime Convenienz darüber voraus, bauen darauf keck und kühn; die Weiber schlagen die Augen nieder –

A. Was ist zu thun?

B. Die Komödie führe ihr Amt sowol im Parterre als auf der Bühne, Lächerliches dem Lachen, ein Schändlich-Lächerliches in der Komödie selbst (φαυλότερόν τι, τὸ αἰσχρόν) dem Hohngelächter preiszugeben.

A. Dem lauten Hohngelächter?

B. Lieber einem kleinen Instrument, das sich in der Tasche tragen läßt; ja die Lippe trägt's in sich. Wissen Sie, was Persiflage heißt und ist?

A. Deutlich nicht.

B. Es bezeichnet einen feinen Begriff, noch mehr eine herrliche Uebung. »Le persiflage«, sagt ein französischer Schriftsteller,Mémoires d'un honnéte homme, Discours préliminaire. – H. »est la décomposition des objets imposans réduits à leur juste valeur.«Zu Deutsch: »Eine Zerlegung der uns sich aufdringend gebietenden Gegenstände, die man auf ihren rechten Werth zurücksetzt«. – H. Ist bei allen imposanten Gegenständen das Pfeifchen zu gebrauchen, bei welchem pfiffe es von selbst eher als bei dem imposanten Gott Priapus? Sie lächeln? Bei ihm wie bei jeder imposanten Narrheit ist's zu gebrauchen. Was der Dichter oder der Freund des Dichters hätte thun sollen und nicht that, das thut sein unbekannter Freund, das geistige Pfeifchen, le persiflage. Verbieten oder entwenden kann es uns Niemand. Wissen Sie, welche Stücke der neuern französischen Bühne ich für die feinsten halte? Die Parodien.

A. Parodien? Von denen so viel Uebels gesagt ist? über welche sich alle berühmte Autoren so laut und kläglich beschwert haben?

B. Eben weil die sich beschwerten, waren jene schwer. Und je leichter sie flogen, desto schwerer. Das Meisterstück einer Parodie ist die feinste Kritik eines Stückes, zumal wenn es la décomposition d'un objet imposant ist, réduit à son juste valeur. In unsern wohleingerichteten Staaten, wer wollte murren? wer eifern, stampfen, Lippen und Nägel beißen? Ein Mittel statt und gegen dies Alles ist –

A. Nach Ihrer Theorie Onkel Toby Shandy's argumentum fistulatorium, das Pfeifchen.

B. Wissen Sie auch, was unsrer braven, gutmüthigen, verständigen, aber zu geduldigen deutschen Nation bei vielen ihrer imposanten Gegenstände allein gebricht?

A. Das Pfeifchen! Lesen Sie aber Franklin: »Niemand kaufe das Pfeifchen theurer, als es werth ist!«


4.

A. Das Schicksal der Komödie aber?

B. Es steht fest: »Thorheit werde als Thorheit gezeigt; sie finde ihren Lohn als Thorheit. Nicht mehr und nicht minder.« Sie denken doch nicht, daß bei Fehlern der Menschen es einzig auf unser Lachen von der Natur angelegt sei? Wir könnten nicht lachen, wenn diese Fehler als solche von uns nicht erkannt würden. Die Ordnung der Natur lehrte sie uns kennen als Fehler, thöricht-unverderblich, und dabei possierlich. Hätte nicht die Natur auch Mittel, sie mehr oder minder zurecht zu fügen? Da liegt das Schicksal der Komödie, die Fabel.

A. Und wie fügte die Natur sie zurecht?

B. Durch Folgen. Auch der unschädlichste Fehler, einmal muß er vor dem Spiegel eigner oder fremder Vernunft erscheinen; einmal muß die Thorheit sich an der Klugheit oder an den Thorheiten Andrer stoßen. Siehe da die einfache und die zusammengesetzte komische Fabel! Dem Licht der Vernunft allein dargestellt, wird die Fabel einfach; den Thorheiten Andrer entgegen gesetzt, giebt es eine Intrigue, die, wohlgeleitet bis zur völligen Entwicklung oder Ahndung der Thorheit, ein lehrreich Vergnügen gewährt. Alle Sprachen sind voll Sprichwörter darüber, daß jede Thorheit ans Licht komme und ihre Gegnerin finde, daß sogar jeder Irrthum sich selbst strafe. Auf welche Weise und in welchem Maß dies recht geschehe, soll die Komödie nicht lehren, sondern zeigen; demnach ist sie ein Schauspiel der Welt, eine Schule der Weisheit.

A. Würde damit nicht aber unsre Eigenliebe, unsre Frivolität genährt? An Andern suchen wir Fehler auf, nicht an uns selbst; wir lachen über jene; damit werden wir überhaupt gewöhnt, über Fehler zu lachen und sie zu bemerken.

B. Fehler zu bemerken, ist kein Unglück. Die Weisheit des Lebens, sagt Horaz, fängt vom Erkennen und Wegthun der Fehler an.Epist., I. 1. 41. 42:
    Virtus est vitium fugere, et sapientia prima
    Stultitia, caruisse.
– D.
Wer sie an Andern, nicht an sich bemerkt, ist zu seinem eignen Schaden parteiisch; die Komödie ist daran nicht Schuld. Allgemein hält sie den Spiegel vor; sehe Jeder hinein und erkenne den Nächsten, sich, sodann Andre. Ueber Fehler, selbst seiner liebsten Freunde lachen zu können und zu dürfen, ist auch kein Unglück; vielmehr –

A. Doch wol kein näheres Band der Vertraulichkeit und Freundschaft?

B. Das engste. Wem ich nicht seine Fehler sagen darf, der hat das Recht, auch mein Lob nur zweifelhaft anzuhören. Forderte er gar, daß ich keinen Fehler an ihm wahrnehmen und erkennen, sondern ihn als Abgott verehren soll, der sei mein Freund nicht!

A. Aber auch scherzen über seine Fehler?

B. Gewiß! Eben dieser Scherz ist die Würze der Freundschaft, das Salz des Umgangs, die Blume des gemeinschaftlichen Gebens. Keine Gesellschaft ist vertraulicher, als wo man, nach dem bekannten Ausdruck, einander nichts übel nimmt; keine Tafel ist fröhlicher, als wo unbefangen der Scherz von Mund zu Mund, von Blick zu Blick hüpft. Auch das Lachen ist und bleibt ein unentbehrlicher Genoß des Lebens. Ohne seine Fehler möchte ich meinen Freund nicht; ich liebe ihn in seinen Fehlern, wenn ich diese nicht eben auch an ihm liebe. Die zarteste Sprache des Umganges ist Scherz; ich wüßte nicht, wie man Jemand freundlicher behandeln könne, als wenn man in ihm mit dem Geist spricht, der ihn belebt.

A. Wie Sie den Scherz nehmen, so nimmt ihn nicht Jeder.

B. Er lerne ihn also nehmen, oder er ist dessen unwerth. Wir sprachen vom Lustspiel. Dies muß auch dem Scherz sein Maß, seine Grenze bestimmen; nicht etwa blos darin, wie es selbst Scherze treibt, sondern am Meisten dadurch, wiefern es uns über seine Vorstellungen Scherz erlaubt. Durch alle Grade sei die Komödie hierin Meisterin, vom Scherz zum Spott, vom freundlichsten Lachen bis zum – verspottenden Gelächter. Wer hierin nicht Wage und Maß richtig anwendet, wird selbst ein Gaukler.

A. Deren es manche mancher Art geben möchte. Wir könnten Brant's »Narrenschiff« aus diesen Zünften trefflich ausrüsten.

B. Wolan! die erste Zunft seien die Marktschreier, die Personalitäten aufführen oder spielen. Wer in einer Thorheit nur eine Person erfassen und festhalten kann, ist ein komischer Pfuscher; wer einen vom Dichter allgemein gedachten komischen Charakter in die Nachäffung einer Person zu zwingen vermag, ist Hanswurst, in welchen Kleidern er seine Rolle spiele. Der Dichter stellt Thorheiten dar, nicht eines Menschen Thorheit; was kümmerte ihn dieser Eine? In Einem alle seine Brüder erkennen zu machen, das ist sein Ehrenkranz; verhaßter ist ihm nichts als Deutung oder Verkleidung seines allgemeinen Charakters in Den und in Jene. Nennen Sie weiter!

A. Die zweite Gaukelei möchte wol die sein, Stände aufs Theater zu bringen.

B. Warum nicht? Thorheiten aus und in allen Ständen. Stand ist etwas Allgemeines; Keiner von uns in seinem Stande ist sein Stand. Jeder Stand hat Thorheiten und geliebte Fehler, der eine mehr, der andre minder. Sind sie unverderblich, geben sie dem Scherz und der Freude Platz, warum dürften sie nicht auf dem Theater erscheinen? Muß es sich seit Molière der Arzt, der bürgerliche Edelmann, der Tartüffe, der Greffier gefallen lassen, aufzutreten, warum nicht auch der Richter? der Theolog? der Recensent? der Dichter? Auf der britischen Bühne sind längst alle Stände. Eben daß alle erscheinen dürfen, mindert das Auffallende, daß der und jener erscheine. Und was schadet es dem Stande, daß Der und Jener, der zu ihm gehört, diese, jene Lächerlichkeit an sich habe? Kann ich Quacker nicht herzlich lieben und ehren, wenn ich gleich über die schuldlose Eigenheit dieses komischen Quackers lache, der sich mir zum Vergnügen darstellt? Die Komödie ist eine Schule, die uns die brüderliche Lehre lehrt: »In allen Ständen giebt's Thorheit. Vertragt Euch unter einander!«

A. So auch Nationen, Religionen?

B. Nicht anders; auch dies sind allgemeine Namen. Stelle man ihre Thorheiten dar, nur wahr, nur lehrhaft!

A. Indem Sie aber Laster und Schande vom komischen Theater vertreiben und die Charakterstücke der Fabel unterordnen, wird es dieser nicht bald an Süjets fehlen?

B. Glauben Sie, daß der menschlichen Thorheiten so wenige sind? oder daß sie je ausgehn werden? Mit jedem Zeitalter verjüngen sie sich, mit jedem blüht herrlich auf ein neues komisches Theater. Trauriges Geschwätz, daß die Charaktere alle schon benutzt seien! Dafür waren sie auch abgenutzt; bemerke, ordne neu, und Du hast eine neue Fabel.

A. Eben diese macht den Dichtern Sorge. Der Fabelkreis ist so erschöpft, die Gänge des Komödienschicksals, die Intriguen wiederholen sich so sehr –

B. Ein Grübelnder ist's, der so im Schlaf redet. Wie Shakespeare die Sujets aus in- und ausländischen Geschichten, Romanzen und Erzählungen nahm, wie die französische Bühne den Spaniern den Inhalt ihrer besten Stücke schuldig ist: welche Menge Stoff in der Geschichte, in Novellen, Romanzen, Erzählungen aller Nationen ist noch vorhanden! Es fehlt nur an Künstlern, die ihn bearbeiten. Und wir? leben wir nicht fortwährend im Limbus der Thorheit? Lassen Sie alte Thorheiten abkommen, wir kleiden uns sogleich in neue Moden.


5.

A. Gern spräche ich noch von einer Mitte zwischen Trauer- und Lustspiel; mich dünkt, wir haben nur die beiden äußersten Ende betrachtet.

B. Vom bürgerlichen Trauerspiel, von der rührenden Komödie. Ein andermal, wenn uns die Zeit darauf führt.

A. Auch vom historischen und romantischen Trauerspiel, von dramatischen Gedichten, die weder Lust- noch Trauerspiele sind, von Ritterspielen, von Decorationsgedichten, den eigentlichen Schau- und Sehspielen.

B. Ein andermal, wenn uns die Zeit darauf führt.

A. Auch von den drei und anderthalb Einheiten, den Di-, und Tri- und Tetralogien, den Silbenmaßen des Theaters. –

B. Wenn uns die Zeit darauf führt.Hier folgte als Schluß des zweiten Stückes des zweiten Bandes der Adrastea: »Rom's goldnes Zeitalter der Dichtkunst unter Nero. Persius' Einleitung und erste Satire« (Herder's Werke. VIII. S. 93–99). Am Anfange des ersten Stückes des dritten Bandes stand Knebel's »Lied der Hoffnung«. – D.

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