Johann Gottfried Herder
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Johann Gottfried Herder

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8. Bilder, Allegorien und Personificationen.

    Erwache, sprach der Genius, und sieh
Rings um Dich her der Welt Allegorie,
Wie, seit der Schöpfer sprach: »Es werde Licht!«
Zu Dir die Schöpfung, Geist im Körper, spricht.
Bedeutungleeres ist rings um Dich nichts;
Und wie der ew'ge Wille spricht, geschicht's.

    Blick auf und höre jene Harmonie
Der Welten! Hohe Ordnung singet sie.
Wo Sternenkreis an Sternenkreis sich hängt,
Und liebend sich zur Mitte Alles drängt;
In allen Kränzen jener hellen Flur
Wohnet ein Geist, blüht ein Gedanke nur.

    Und tief hienieden, Erd' und Meer und Luft,
Vernimm, was Jedes bildend in Dich ruft!
Von Licht und Schall gewebet fliegt das Chor
Der bunten Vögel, singend laut, empor:
»Der Lebensgeist in unserm Element
Hat, was er hatte, schaffend uns gegönnt.«

    Im Sturm antwortet ihm das stumme Meer:
»Sieh meiner Bildungen unzählig Heer!
Der Welle zarter, kaum gesehner Schaum,
Der Stein, die Muschel, der Korallenbaum
Ward lebenvoll; der großen Mutter Plan
Vollführte ich zuerst, der Ocean

    Im Erdenreich, sind Pflanze, Thier und Baum,
Stein und Metall Dir wesenloser Traum?
Du wähnest nur zu denken? Du allein?
Ein ödes Grab soll Dir die Schöpfung sein?
Woher denn Dein Gedank'? und was ist er?
Ein Abbild nur in der Gedanken Meer.

    Von Allem, was der Weltgeist regt und pflegt,
Hat er Bedeutung Dir ins Herz geprägt.
Bedeutung ist der Geister Element,
Ein lebend Wort, das keine Sprache nennt;
Dein innres Wort, Dein Ahnen dieser Spur,
Nennt Dich, o Mensch, Ausleger der Natur.

    Ausleger nur? Nein! Deiner Regung Kraft
Enthüllt in Dir die höh're Eigenschaft.
Das Triebwerk der Natur kannst Du allein,
Ihr Meisterwerk, der Schöpfung Schöpfer sein.
Voll Mitgefühl in Freuden wie im Schmerz
Schlägt in Dir ihr, der Schöpfung, großes Herz.

    Erkenne Dich! Auf Deiner weiten Flur
Ward Deine Brust der Pulsschlag der Natur.
Erfüllen sollst Du, was sie laut verhieß,
einholen, was sie Dir zu thun verließ;
In Geist und Liebe nur vollendet sie
Sich selbst, der Wesen Einklang, Harmonie.


Ohne Zweifel geschah diese Antwort des Genius Einem, der die Welt oder die sogenannte Materie für todt hielt. Er bildete sich ein, daß nur er, Wenige mit ihm, denken: alles Andre sei brutum. Und glaubte vielleicht dabei, daß er sich an den Dingen denken könne, was ihm beliebe; es gebe keine göttlichen Ideen, die, wie Baco sie nennt, »als wahre Insiegel und Gepräge des Schöpfers in ausgesuchten Linien auf die Geschöpfe geprägt sind, wodurch eben die Dinge Wahrheit und Pfänder der Wahrheit würden.«Baco, De interpretatione naturae et regno hominis Aphorismi, 124. – H. Auf seine Idole, meinte er, jener Selbstische, komme es an; sonst sei Alles bedeutungsleer in der Schöpfung.

Wie anders spricht die Natur Jedem, der in ihrer Ansicht, in ihrem Genuß und Gebrauch Verstand und Herz verbindet! Kein Naturkörper ist ihm ohne Geist, kein Geist in der Natur ohne Körper. Seine Gestalt stellt ihn dar; seine Ereignisse und Wirkungen sind Ausdrücke seiner. Wie nun nennen wir dies Bedeutsame aller Bilder der Schöpfung?

Nach Quintilian und den Griechen könnten wir es nicht anders als Allegorie nennen; denn ein Andres wird durch ein Andres bedeutet. In diesem Verstande ist die ganze Natur, die ganze menschliche Sprache Allegorie; denn wie ein Andres sind Dinge und Gedanken, Gedanken und Worte!

In diese wahren, großen Allegorien der Schöpfung tief hineinzudringen, ist der Beruf sowol des Philosophen als des Dichters, ja jedes Verständigen in seinem Kreise. Alles spreche zu uns; nichts stehe uns leer da! Auch seien es nicht etwa blos äußere Ähnlichkeiten, die wir aufhaschen (ein leeres, oft verwirrendes Spiel des Witzes), sondern die Tiefen der Natur selbst, der in Körpern dargestellte wirksame Geist, eine Welt von Kräften, uns empfindbar worden durch Ausdruck. Glücklich ist, wem sie sich offenbart, diese Gedankenwelt; für wen sie nicht da ist, der leugne sie nicht, sondern schweige!

Wie kann ich den Charakter einer Person oder Sache erfassen, ohne daß ich ihre inneren Kräfte anerkenne, wenigstens ahne? Wie kann ich sie darstellen, wenn sie sich mir nicht darstellt? In allen Situationen, an denen die Empfindung Theil nimmt, überstrahlt Geist den Körper. Nicht, was wir sehen oder tasten, lieben wir, sondern was wir an Gemüth, an liebenswürdigen, anmuthreichen Eigenschaften frohlockend im äußern Gehäuse ahnen. Der Flüchtige nennt es ein »Ich weiß nicht was, von Grazie und Anmuth«; der Sinnige weiß, was es ist, und trügt sich selten.

Dichtern ist diese Allegorie die heilige Sprache; sie drückt Gedanken des großen Weltgeistes aus, wie er sie ausdrückte, ganz dastehend, wirksam-lebendig. Die Aeffchen und Kinderhäuschen der Welten, wie Baco sie nennt (modulos et simiolas mundorum), überlassen Dichter der reinen Abstraction des Philosophen. Und doch sind auch diese hohlen Nachbilder ohne jene wahren großen Urbilder der Natur undenkbar.

Das höchste Alterthum, das wenig schwätzte, aber tiefer empfand und dachte, hielt sich an diese Allegorien der erhabensten Art. Mit dem Mindesten sagten sie dabei viel, und wie rein! wie kräftig!


In unsrer Seele, dieser tiefen, verborgnen Welt, schläft unter andern eine sehr wirksame Kraft, die Bildnerin der Gestalten. Da unser Verstand der göttliche Lichtpunkt ist, der allenthalben aus dem Mannichfaltigen sich Einheiten schafft, sie beglänzt und umschließt und bildet: so schlummern in jedem unsrer Sinne gewohnte Fertigkeiten, dies Schöpfungswerk dem Verstande nachzuthun, allenthalben ein Eins zu finden und sich anzubilden aus Vielem. Kaum schließt sich unser Auge, so schweben ihm Bilder vor, heller, dunkler, trauriger, muntrer, ungestalt, schön, entzückend, nach der Beschaffenheit und Stimmung des Organs, das Seele und Körper vereint. Wo schlummerten diese Idole? wer weckte sie auf? Ohne unser Zuthun, uns unwillkürlich, oft uns verhaßt und widrig, verfolgen sie einander und verschweben. In Krankheiten sind Wachende diesen Träumen ausgesetzt; es giebt Menschen, die immerhin träumen; Andre, noch aufgeregter, sehen Gesichte. Wir haben nichts erklärt, wenn wir dies Bilder schaffende Vermögen die Dichtungskraft unsrer Seele, Phantasie, nennen. Denn diese Zauberin ruft nicht etwa nur gesehene, in uns begrabne Gestalten, wie sie uns einst erschienen, aus der Vergangenheit hervor, auch nie gesehene Gestalten läßt sie auftreten; sie schafft, sie wirkt. Ist sie etwa ein dunkles Abbild jener unendlichen Schöpferskraft, die, indem sie denkt, auch schafft, die, indem sie will, auch wirkt?

Und in dieser Gestaltenbildung, wenn sie guter Art ist, sind Menschen so froh und selig! Schafft nicht Jeder beinah sich auf seine Weise paradiesische Opiumträume? Er zürnt, wenn man ihn zur nackten Wirklichkeit aufweckt. In jenen ist Alles geistiger als vor dem körperlichen Auge, leuchtender das Licht, heller der Mond, entzückender der Klang der Töne. Die Gestalten, die der Geist erschuf, sind Geist, sind Leben.

Der Dichter ahmt diesem göttlichen Bildungstriebe nach, oder vielmehr er wirkt unter ihm mit Verstand und Absicht. Sind seine Gestalten leer, seine Formungen schwach, unbedeutend, unbestehend, unerfreuend, sich selbst und einander zuwider: er kann viel Andres, vielleicht auch ein Nützlicheres sein, nur ist er kein Dichter. Dagegen ein Andrer mit wenig Worten, mit wenig Bildern uns in eine neue Welt zaubert; wir sehen die Bilder, mit ihnen lebend.

In wie hohe Würde tritt hiemit die Dichtkunst! Sie wirkt in der Kraft, sie wirkt in der Macht, mit der der Schöpfer wirkt. O erschüfe sie also immer auch mit seiner Weisheit, mit seiner Güte, mit seinem Verstande! Ihr gebt uns geistige Welten; Ihr heißt uns lieben und hassen, Dichter! Laßt uns nur das Wahre, das Gute lieben und bewahrt uns vor dem Schattenreiche Pluton's! Was haben wir gesündigt, daß wir durch Euch wie Ixion, Sisyphus und Tantalus gequält werden müßten? Schafft heilbringende Gestalten, göttliche Bilder!

»O, wer den Ring, den Ring der Göttin hätte,
Der jeden Wahn verscheucht, der freundlich trüget,
Vor dem der falschen Kunst, der Gorgonette,
Die Larv' entfällt, die schädlich uns vergnüget,
Den Ring, in dem sich an der Anmuth Kette
Das Innigste zum Innigsten sich füget:
Er würde, frei von Dunst und Zauberbinden,
Nur Wahrheit schön, nur hold die Güte finden.«


Fortsetzung.

In der Rede werden dergleichen Gedankenbildungen gewöhnlich Personendichtung, in der Kunst Allegorie genannt; sind sie in Beiden Eins? Kann bildende oder zeichnende Kunst darstellen, was die Rede mit bestimmter Genauigkeit als ihre Schöpfung andeutet? Darf Rede sich gefallen lassen, was die bildende oder zeichnende Kunst in ihrer engen Werkstätte allein auszudrücken vermag? darf sie von ihr Gesetze nehmen?

Jedermann sieht das Hauptgesetz der Allegorie: »in ihr spreche Geist durch den Körper, wo möglich nicht symbolisch, sondern natürlich.« Mithin scheint hier die Kunst der Rede vorzutreten, indem sie spricht: »Ich bilde Gestalten.« Was bildet sie nun durch ihre Gestalten? wie weit reicht ihre Allegorie?

1. Allegorie der Kunst.

Bildete die Kunst der großen Schöpfung Alles nach, Alles, so stünde es in ihr auch wie in der großen Schöpfung da, verstandvoll oder verstandlos, nach dem man es in dieser kleineren Schöpfung ansieht. Oder vielmehr in der kleinen Kunstschöpfung stünde Alles schlechter da als in der großen Natur, d. i. leblos, unverbunden, da der große Genius des lebendigen Daseins Alles mit Allem zusammenfügt.

Also muß in der Kunst ein engerer, bestimmter Zweck vorhanden sein, zu welchem sich die Vorstellungen gesellen; und wer kann dieser sein als die Idee des Künstlers? Der Künstler aber kann Ideen nicht anders als nach seiner Kunst gesellen; denn den großen Zusammenhang der Natur erreicht er nicht. Mithin beschränkt sich seine Allegorie darauf, was er vorzustellen vermag, in jeder Art seiner Künste.

1. In der Bildnerei, die ganze Gestalten bildet, müssen diese durch sich selbst bedeuten; es sind große oder schöne Personificationen. Ein kleines Spielwerk durch Attribute, Symbole oder gar durch eine Beischrift erschöpft die Sache nicht; die ganze Gestalt spreche bedeutend!

Und sprechen nicht so alle hohe Göttergestalten? Der König des Himmels, Vater der Götter und Menschen, wie er dasitzt auf seinem Thron, zu seinen Füßen der Adler. Milde ist der Blick seines erhabenen Hauptes, weisheitvoll seine Stirn, mächtig sein Wink, der Himmel und Erde bewegt. Sein Blitz drohet; aber die andre Hand führt den Stab des Hirten der Völker. Wer sich ihm nahte, wer bittend sein Knie berührte, verstand den Künstler.

So spricht Pallas in ihrer still erscheinenden Gestalt, die aus Jupiter's Haupt sichtbar gewordene Tochter, seine Macht und Weisheit, seine ganze starkmüthige Gesinnung.

So die meergeborne Göttin, die Gestalt der Schönheit, gehüllt in Liebreiz, in Scham, Zucht und Anmuth; der Heldenjüngling Apollo und die Heldenjungfrau Diana, Grazien und Musen, Mercur und Amor.Vgl. Herder's »Briefe zu Beförderung der Humanität«, Brief 66 und 67. (Werke, XIII. S. 308 ff.). – D.

Jede Gestalt bedeutet ihre Idee, sie durch sich sprechend, natürlich. Symbole und Attribute mögen diese innere Bedeutung ihres Daseins näher bestimmen und erläutern (widersprechen müssen sie ihr nie); der reine Punkt der Allegorie indeß liegt in der Personification selbst, im menschlich dargestellten Göttercharakter. Kleinliche Deutungen, die an ihnen tändeln, widersprächen dem erhabnen Gedanken einer Erscheinung, die nicht als ein Spiel der Phantasie, sondern als ein geglaubtes, mächtig-holdes, durch sich selbst bedeutendes Wesen dasteht. Stellung, Handlung, Gliederbau drückt eine lebendige Natur aus, ihren Charakter.

»Natur und Kunst, o wie sollt' ich Euch trennen?
Geliebte Zwei, so innig fest vereinet!
Soll ich Euch Schwestern, Mutter, Tochter nennen,
Da Eine in der Andern mir erscheinet?
Ich wag's, in Jeder Jede zu erkennen;
Ein Thor, wer Beide zu entzweien meinet.
Der Weisheit Ziel ist, sie in Eins umschließen,
Natur in Kunst, Kunst in Natur genießen.«

2. Sobald die Bildung auf eine Fläche, ein Basrelief z. B., tritt, gewinnt sie ein andres Wesen; auf dieser Fläche nämlich bekommt eine Gedankendarstellung Raum. Wenn Götter und Göttinnen auch nur um einen runden Altar als Bildwerke wandeln, fortschreitend bilden sie einen Zug; jede Gestalt will ein Charakterzeichen, wodurch sie kenntlich wandle. Oder seien sie Verzierungen der Wand, des Hausgeräths, der Gefäße, der Throne, der Sarkophagen, nach Ort und Zweck nimmt jede Gestalt eine eigne Beziehung an auf dieser Fläche, zu dieser Absicht. Der Gott auf einem Becher ist nicht mehr der Gott auf einem Thron des Olymp's; Diana oder Pallas auf einem Sarkophag sind nicht die hohen Gestalten, die in der Schlacht oder auf Bergen erscheinen. Mitwirkend in einer Fabel, werden sie historische Wesen; im Moment der Handlung, an der sie Theil nehmen, liegt der Punkt ihrer Bedeutung. Wer, wenn er Diana mit ihrem Gefolge dem schlafenden Endymion scheu nahen oder sie von ihm hinwegschleichen sieht, sagt sich nicht selbst: »Eine Liebe Dianens und Endymion's ist nur Blick und Traum; Ares und Aphrodite lieben anders«?

Auf diesen Flächen der Verzierung gewann die Allegorie ein um so schöneres Feld, da sie meistens enge umschlossen war und ins Weiteste nicht ausschweifen konnte. Als schmale Einfassung zeigten sich z. B. kleine Genien in hundert Kinderspielen voll Bedeutung. Wer kennt sie nicht, diese lieblichen Spiele? wem müßte ihr Sinn erklärt werden? Amor, der, die Leyer in der Hand, auf dem Löwen reitet, Amor, der den Blitzstrahl Jupiter's selbst zerbricht, Liebesgötter, die mit Hercules' Waffen, mit Symbolen des Krieges, der Weisheit selbst, mit den Attributen aller Götter spielen: ihre Allegorie spricht verständig und lieblich. Die Geschichte Amor's und der Psyche in allen ihren Scenen ist der Edelstein in diesem goldnen Ringe, in welchem die größten Götter Genien wurden, um im engen Circus einer Allegorie vorstellbar zu werden. Bis zu Blumen der verzierenden Arabeske stiegen sie nieder.

3. Noch einen engern Raum gewann die Allegorie auf geschnittenen Steinen. Sind diese nicht Denkbilder? fordern sie also nicht Gedanken? Als Ringe der Hand, als Geschenke an Andre, auch ihrem innern Werth nach wollen sie eine anmuthige Erinnrung, sei sie Person oder Moment der Fabel. Welch einen Schatz trefflicher Vorstellungen hat uns die Daktyliothek der Alten aufbewahrt! Nicht jeden geistigen Begriff, nicht Alles in diesem Begriff wollten die Griechen bilden; vielmehr die Einfalt, mit der sie dergleichen Begriffe ansehn, der Wink, mit dem sie den zartesten Punkt der Handlung erfassen, die Leichtigkeit, mit der sie, ohn' ein Überflüssiges, ein Weniges und das Wenigste zu jenem Punkt der Erinnrung ordnen, dies macht sie zu Mustern, so wie des reinen, klaren Sinnes, so der süßen Gnügsamkeit und Weisheit der Allegorie. Ein verwirrter Kopf wird keine glückliche Allegorie treffen, keine erfinden. Entweder stellt er leere Bildungen hin, oder er verwirrt, er überladet.

4. Auf Münzen endlich, zumal unter den Römern, ward der Allegorie ein Staatsraum gegönnt, ansehnlich, aber kalt, oft anmaßend. Hier traten nun die personificirten Tugenden auf, die wir gewöhnlich Allegorien nennen, der Ruhm, das Glück, Annona, der Friede, die Sicherheit, die Hoffnung u. s. w.: metallische Allegorien, die den Griechen Gegenstände reiner Kunst kaum gewesen waren. Auf Münzen indeß, wo eine Inschrift sie erklärte, wo ihre Attribute bald eine angenommene, gangbare Münzensprache wurden, standen sie an rechtem Ort, so wie auch, wenn sie auf Triumphbogen oder auf Staats- und Ehrenplätzen erschienen. Genau betrachtet, wollen diese Wesen keine Personen sein; mit Unrecht nennt man sie Personificationen; Buchstaben sind sie des Kunstdenkmals.

5. Allegorische Gemälde endlich? Von griechischen Gemälden schweigen wir hier. Da ihre Künstler nicht eine gleiche Basis der Kunst mit den unsern nahmen, so können sie auch nach unsern Regeln der Malerei nicht beurtheilt werden. Von Basreliefs gingen die griechischen Gemälde aus und hielten sich immer in diesen Grenzen; mithin war ihnen an rechtem Ort die Allegorie unverwehrt. Unsre Malerei hingegen, die in das Weiteste hinausmalt, wo flöge sie mit ihren Allegorien hin? Gemeiniglich an die Decken der Zimmer, wo Hören und Genien, Nacht und Tag, Morgen und Abend, Ruhm und Glück schweben. Eine Uebersicht der berühmtesten dieser Allegorien in Italien und Frankreich wird zu ihrer Zeit folgen. Guercino's, Guido's Aurora, Raphael's Galathea, die Hochzeit der Psyche, sein Parnaß, Giulio Romano, die Allegorien der Carracci, des Reni, Salvator Rosa u. s. w. fordern eine Auseinandersetzung von vielseitiger Art.


Was sagt nun das Gesagte?

1. Allegorie der Kunst, wie wir das Wort gewöhnlich nehmen, fordert einen engen Umfang. Indem sie mit Wenigem viel, dazu dieses leise oder gleichsam stumm sagen will, ist sie ein zartes Memento. Nichts erdrückt uns mehr als kolossalische Allegorien; ein Gedanke, in Fels gehauen, groß wie der Berg Athos, wird klein, wäre es auch der größte Gedanke. Konnte, denkt Jeder, das nicht mit Wenigerm gesagt werden? Allegorien solcher Masse, Ruhm, Tugend, Zeit, Ewigkeit u. s. w. überlassen wir gern Triumphbögen, Siegespforten, Illuminationen, Grabmälern, der Abtei zu Westminster. »Sprich, daß diese Steine Brod werden!« könnte man bei manchem solcher Denkmale sagen. Im Leben hungerte der große Mann; im Grabe, vielleicht nach Jahrhunderten, giebt man ihm einen Stein, nicht ihm, sondern sich selbst, seinem Geschmack und Reichthum zum bleibenden Denkmal. Mit einer Allegorie wird er bezahlt.

2. Die Allegorie der Kunst spreche sich selbst aus; sie verachte eine Inschrift. Elender Erfinder, der in Worten sagen muß, was er schon in der Bildung sagen wollte! Er spricht mit zwei Zungen und übersetzt sich selbst. Ist die gebildete Allegorie rechter Art, eindringend, lieblich, unvergeßlich, an auslegenden, anwendenden, dankbaren, ja entzückten Epigrammen auf sie wird's ihr nicht fehlen. Je vielfacher in diesen ihre Bedeutung gewandt und angewandt wird, ihr um so mehr zum Ruhme! Gedanken oder Empfindungen zu wecken, war ihr Zweck; den hat sie erreicht. Eine Allegorie, auf welche Niemand eine Inschrift machte als ihr Finder, hat sich überlebt. Zum Emblem und auf Münzen gehört die Inschrift.

3. Jeder Gattung darstellender Allegorie gebührt ihr Ort, eine ihnen heilige Stätte. Wer seinen Gedanken selbst nicht ehrt, erwartet er, daß Andre ihn ehren werden? Stellten Griechen und Römer ihre erhabensten Götter an die Landstraßen? Sie gaben ihnen Tempel, und im Tempel den heiligsten Ort. Seine zartesten Gedanken, theilt man sie Jedermann mit oder den Freunden? Oft kaum sich selbst. So unsre Denkbilder; sie sind Verräther unsers Geschmacks wie unsrer Denkart, Siegelringe unsers Lebens. Wer täglich zwischen Allegorien ambulirte oder gar zwischen ihnen wohnte, im Farnesischen oder Mantuanischen Saal z. B., ich sehe nicht, wie er sich, zumal im letzten, entwinden könnte, selbst in heroischer Allegorie den Himmel zu stürmen. So die schlüpfrigen Allegorien, so die Denkbilder der Kothmaler, der Rhyparographen.

4. Je werther uns eine Allegorie ist, einen desto stilleren Platz werden wir ihr suchen, den wir uns als ein Heiligthum gleichsam selbst ersparen. Mit jedem Siegelringe siegeln wir nicht Jedem; noch weniger sagen wir Jedem die Veranlassung, in der uns diese Allegorie lieb ward. Keine sollte anders als von Situationen des Herzens oder des Verstandes veranlaßt sein; dadurch allein bleiben sie uns heilig. Es zeigt eine Leere des Geistes oder eine Oede des Herzens an, wenn wir bei Veranlassungen solcher Art die Allegorie, die sie aussprechen, uns nicht sagen. Die Empfindung sagte sie uns immer leise. Ein falscher Wahn ist's, daß wir Neuern an Denkbildern verarmt seien; unser Geist und Herz mögen verarmt sein, nichts weiter.

5. Kein Denkbild sei unschön, unfreundlich. Wenn wir der Bedeutung längst gewohnten, erfreue uns immer noch seine Form und Zusammenstellung, der glückliche Gedanke; er beruhige. Keine Allegorie rege wild auf; sie erhebe und stärke. Hercules selbst, wenn er den Cerberus aus der Hölle zieht, Arria, wenn sie dem Pätus den Dolch reicht: »Es schmerzt nicht, Pätus!« werde uns, dargestellt, ein erfreulicher Gedanke. Und da kein Moment der Handlung länger und gnügender wirkt, als eines schönen Anfanges oder Endes, so erfasse diesen die Allegorie der Kunst; die Mittlern Turbationen lasse sie andern Künsten. Keinen Laokoon möchte ich zum täglichen Denkbilde vor mir, trotz seines erhabenen Seufzers; lieber, wenngleich ohne Kopf und Arme, des Hercules Torso.

Daß wir noch keine Sammlung reiner, geprüfter, schöner Allegorien haben, zeigt, wie weit wir hinter den Griechen stehen, deren Kunstsinn allenthalben (im weitern Sinne des Worts) Allegorie, d. i. Seele im Körper, ausdruckvolle Bedeutung, in der Zusammenstellung klare Einfalt, überhaupt aber das Meiste im Mindesten liebte, suchte und wahrnahm. Wir allegorisiren (ἀλληγοροῦμεν) oft auf eine etwas schiefe Weise, indem wir ganz etwas Anders sehen, ahnen oder darstellen, als was die Kunst uns vorhält oder wir darstellen wollten.


2. Allegorien der Rede.

Offenbar sind Allegorien der Rede von einer andern Art als Allegorien, die die Kunst darstellt.

1. Jede Sprache ist voll Personificationen; anders konnte sich keine menschliche Sprache bilden. Der Verstand hatte Begriffe erfaßt; mit Der und Die brachte er sie unter Gattungen und Geschlechter; einige blieben durch ein geheimnisvolles Das (das Verhängniß, das Glück, das Schicksal) als Neutra dastehen; verhüllt gleichsam, ohne Geschlecht. Dem Weisen und Dichter blieb es überlassen, wohin er sie zähle.

Die Engländer rühmen ihre Sprache, daß sie vermittelst ihres Hermaphroditen-Artikels the das Weib in den Mann, den Mann in das Weib einkleiden könne; wir beneiden ihr diesen Zauberstab nicht. Einst nannte auch unsre Sprache Alles de (de Sonne, de Mond);Herder würde dies heute nicht mehr zu behaupten wagen. – D. wir danken es der Muse, daß sie die Geschlechter schied und ein höheres Das geschlechtlos ins Heiligthum stellte. Jedes Bild kündigt hiemit durch den Artikel sein Geschlecht selbst an; seine Vorstellung gewinnt durch diese bestimmte Form Klarheit.

2. Sofort ergiebt sich aus diesem Ursprunge der Sprachallegorie das Gesetz aller Allegorien der Dichtkunst und Rede; nämlich leicht müssen sie schweben; denn sie sind ätherischer Art. Geschöpfe der Phantasie und des personificirenden Verstandes, aus einem Hauch der Sprache genommen, in einem Hauch gebildet, müssen sie der Einbildungskraft leicht vortreten, sich lieblich anmelden und das, was sie sein wollen, durch sich selbst bewähren. Erliegen sie unter der Last fremder, drückender Attribute, wären diese auch Attribute der Kunst, wir kommen durch sie ganz um den süßen Wahn des geistigen Daseins jener Verstandesgeschöpfe. Erinnert durch diese Schwerfälligkeiten, greifen wir nach ihnen und finden uns, statt im Reich der Geistigkeiten, im Saal kalter Marmorbilder oder gar in der Werkstätte eines schwer arbeitenden Künstlers. Was dieser bedurfte, bedarf ja nicht der schaffende Geist der göttlichen Rede. Er spricht, so geschicht's; er gebeut, und die Bildung steht der Seele da.

3. Vornehmlich ist dies bei lyrischen Gedichten der Fall, wo auf dem Hauch der Empfindung die Bilder wie Geister vorüberschweben. Wer sie hier mit drückendem Blei belastet, hat sie getödtet. Leset Pindar, höret die Chöre der Griechen! Die Bilder, die Allegorien und Personificationen in ihnen, lassen sie sich zeichnen, meißeln, malen? Und warum müßten sie gemeißelt und gemalt werden? Stellt die Rede, der Klang und Ton der Empfindung sie der Seele nicht unendlich geistiger und inniger dar, als es der zeichnende Künstler thun könnte? Also bleibe dieser in seiner Werkstatt; aus ihr und den Bedürfnissen seiner Kunst schreibe er der Dichtkunst keine Gesetze vor, deren sie nicht bedarf, die sie vielmehr lähmen oder gar tödten!

4. Dies um so mehr, da die Kunst selbst ihre bildlichen Begriffe der Poesie allein zu danken hat und ohne sie ganz unverständlich spräche. Ehe Phidias bildete, stellte Homer seinen Zeus der Seele erhabner dar, als Phidias selbst ihn bilden konnte. Hätte Jener nicht gesungen, wären seine Gedichte nicht in der Schauenden Geist gewesen, wer hätte die Riesengestalt des Künstlers erkannt, geschweige verehrt?

Sehet Guercino's, Guido's Aurora. Wäre die Göttin nicht schon im Namen Aurora als eine Person gegeben, beide Werke dieser großen Künstler machten sie zu keiner Aurora. Dumpf frügen wir: »Wer ist die Göttin, die im Licht der Morgenröthe daher schwebt oder fährt?« denn keins ihrer Attribute, keine der sie begleitenden Handlungen macht sie zu dem, wozu sie der Dichter blos durch den Namen machte, zu einem daseienden Wesen. Die schönsten Allegorien der Kunst waren Märchen (Mythen) oder mußten es werden: so nur ward ihr Dasein gesichert; sonst verstob es. Amor war ein Gott, Psyche eine Göttin; in dieser festen Qualität konnten sie handeln; durch sie allein wurden ihre Handlungen verständlich. Versucht mit abstracten Begriffen dies Spiel, Ihr bildet Räthsel.

5. Nicht also von der zeichnenden oder bildenden Kunst empfängt die Dichtkunst Gesetze; desto strengere legt sie sich aber selbst auf. Eins der ersten ist: »nicht für die steinhauende oder zeichnende Kunst zu singen oder zu allegorisiren«. Wie hölzern ist dieser Trödel neuerer Verskunst! Die Muse dichtet nicht, sie singt nicht; sie meißelt und hobelt.

6. Dagegen ist ein wildes Gewirr von Allegorien der Rede, deren eine die andre stört und zerstört, auch keine Rede (λόγος). Ein Luftgeister- und Dämonentanz ist's um den Thurm zu Babel. Die Engländer lieben diese Tänze in ihren Monodien, lyrischen Poemen u. s. w. Durch Cowley sind sie in Schwang gekommen, der sich an Pindar einen dergleichen Luftwerfer dachte. Swift, Pope, Arbuthnot, Jener in seinem »Bathos«, Diese in ihrem »Scriblerus«, haben den Bilder- und Allegorien-Unfug ihrer Nation lächerlich zu machen gesucht; eher aber mag er seitdem zu- als abgenommen haben. Und Swift selbst, wie häßlich-lehrreich hat er oft mit Allegorien gespielt! Immer zwar witzig und verständig, dennoch aber oft häßlich.

7. Im »Zuschauer« gab Addison in der Sokratischen Manier des Cebes einige ausgesponnene Allegorien; auch diese wurden zur Mode, ja in mancher spätern Wochenschrift wurden sie gewaltig übertrieben. Da zieht sich eine Allegorie, aus ein paar Worten geschöpft, ein ganzes Wochenblatt hindurch, noch kaum geendet. Man könnte sie Wochenblatt-Allegorien nennen, wie es in Albion denn auch Zeitungs- und politische Pamphlets-Allegorien giebt, manche aus tollem humour gewebt. Wir gönnen England diese Spielwerke.

8. Allerdings sind durch die Allegorie, d. i. durch den Bilder schaffenden Verstand alle cultivirten Völker cultivirt worden. Nähme man der Sprache ihre Bildwörter, auch die sie nicht mehr dafür erkennt, es blieben ihr weder Namen, noch Zeichen der Handlung (weder Nomina noch Verba.), kaum Ausrufe (Interjectionen) und Pronomina übrig. Und auch diese sind Personendichtung. Vom höchsten Alterthum an drückte sich der Verstand gern in Allegorien aus. Ein neugefundnes Bildwort gab oft ein ganzes System, so wie man aus einem Goldkörnchen ungeheure Ballen glänzenden Goldpapiers fabricirt.

9. Als nach den dunkeln Jahrhunderten der menschliche Geist wieder erwachte, fand er's daher bequem, in Allegorien halb wachend fortzuträumen. Allegorien waren die ältesten geist- und weltlichen Romane; Allegorien blühten auf der Kanzel, an Höfen, in Turnieren, in Ritterspielen; sie tanzten auf dem Markt und auf dem Theater. Durch Allegorien und Embleme erzog man Prinzen.

10. Im Anfange des Jahrhunderts, von dem wir reden, tändelte und scherzte die Allegorie in Madrigalen, Liedern, Stanzen, Rondeau's, Briefen, Sonetten, meistens galant, artig. Die polite französische Sprache, die eine Menge feiner Abstractionen in Vorrath hat, gab ihr dazu viel Spielwerk. In Statuen, Gemälden, Heldengedichten, Kabeln erschienen Allegorien; die Säle in Versailles waren nach ihnen benannt;De l'Abondance, de la Paix u. s. w. – H. auf den Vorplätzen, in Galerien, auf Münzen, in Triumphbögen figurirten sie überschwänglich.


Da von diesem Allen später die Rede sein wird, warum sollten wir die Schatten eines Lamotte, J. B. Rousseau, eines Poussin, Le Brun, Le Sueur u. s. w. stören oder hie- und darüber mit ihnen hadern? Lieber erneuern wir das Andenken zweier fast vergessener deutschen Dichter, die diese Vorstellungsart liebten. Beide hatten das Schicksal der Allegorie selbst, dem großen Haufen unerkannt, wie Träume, vorüber zu schweben; Verständigen indeß haben manche ihrer Gedichte den Werth schöner Cameen für den Geist, für die Empfindung. Es sind die Dichter Götz und Gallisch.

Götzens Gedichte sind eine Daktyliothek voll lieblicher Bilder, ebenso bedeutungsreich als zierlich gefaßt und anmuthig wechselnd. Warum haben wir von ihnen noch keine ächte Ausgabe?Die wir haben, ist (verbessert oder verstümmelt?) von Ramler. Götz' Vermischte Gedichte, Mannheim 1785. Aber auch sie schon ist ein Cimelium schöner Gedanken. – H. [Höchst ehrenvoll hatten schon die »Briefe zu Beförderung der Humanität« (vgl. Herder's Werke, XIII. S. 460) dieses Dichters gedacht. – D.] Außer der griechischen Anthologie hat vielleicht keine Sprache einen solchen Schatz an Allegorien und Blumenkränzen als unsre in diesem Dichter.

Gallisch starb seiner Wissenschaft und der Muse zu früh. Seine Allegorien indeß: Freude und Kummer, deren Kind die Hoffnung ist, Kummer und Freude, die die Liebe versöhnt, Die Erinnerung, Die Schöpfung u. s. w., werden sein Andenken erhalten.Heute gedenken selbst die Geschichten der deutschen Literatur nicht mehr der »Gedichte von J. A. Gallisch«, die 1784 zu Leipzig erschienen. – D.


Allegorien der Kunst, nach alten Kunstdenkmalen.


Ein griechischer Hain.Von Herder selbst, mit Anklängen an Epigramme der griechischen Anthologie. – D.

Jupiter.
Allgewaltiger Zeus! In der Linken drohet Dein Blitz nur;
      Aber die Rechte hält Deinen friedseligen Stab.
Mild hinschauender Gott, o gieb uns Fürsten, wie Du bist,
      Deren Linke nur droht, aber die Rechte beglückt!
 
Liebe zerbricht Jupiter's Blitzstrahl.
Kühnes Kind, Du zerbrichst das Geschoß des donnernden Gottes?
      »Zorn und Gebot und Furcht wird von der Liebe besiegt.«
 
Pallas.
Vor Dir gehet die Furcht und das Schrecken, erhabene Pallas;
      Wie, und Dein Auge so rein, und Dein Erscheinen so still?
»Der aus dem Haupts des Herren der Welt Entsprungenen trübt sich
      Nimmer die Stirn; ihre Brust schreckt die Gefahren hinweg.«
 
Juno, die den Hercules säuget.
Unter dem Schicksal stehest auch Du, o gebietende Juno.
      Den Du da säugest, ist, den Du im Leben verfolgst.
Und Du führest ihn selbst als Gott einst in den Olympus;
      So, o Gewaltige, nur hast Du das Schicksal besiegt.
 
Phöbus.
Phöbus, erliebetest Du nur Lorbeer? »Auch in dem Lorbeer
      Liebete Daphne; sie sprießt einzig dem Liebenden nur.«
 
Diana und Endymion.
Schleichst Du, Diana, zurück und gönnst dem Geliebten den Traum nur?
»Himmlische Liebe, sie ist immer nur Blick und ein Traum.«
 
Aphrodite.
Blickst Du beschämt umher, o selige Mutter der Liebe?
      Willst Dich verbergen in Dich, schmiegend die zarte Gestalt?
»Birgt die Blume nicht auch ihre süßen Reize mit Unschuld?
      Alles Zarte verhüllt weise die Mutter Natur.«
 
Pluto.
Pluto, bleibe mir fern mit Deinem bellenden Hunde!
Hercules riß ihn hervor; das Unthier starb, da es Tag sah.
Also des Todes Furcht: sie entschwindet dem glänzenden Lichtstrahl.
 
Orpheus und Eurydice.
Glimmt in der Todten Reich noch Amor's brennende Fackel?
      Regt in der Schatten Gebiet noch ein Erbarmen die Brust?
Lange hören sie hart wie ein Fels des Jammernden Töne,
      Und Eurydice ziehn neidend sie wieder zurück.
Laßt uns lebend und liebend erfreunHier fehlt ein »uns«. – D. des menschlichen Herzens,
      Ehe der Tod es höhlt, eh' es die Parze zerdrückt!
 
Pan.
Allenthalben, o Pan, antwortet die bräutliche Echo
      Dir; Melodie und Braut ist Dir die ganze Natur.
Reiche die Flöte mir! »Nur mit dem Stabe des Hirten
      Tönt sie; der Unschuld singt bräutlich die ganze Natur.«
 
Bacchus und Ariadne.
Menschen erheitern, war, o Du Gott, Dein fröhlicher Wahnsinn,
      Und Du erheiterst sie selbst nur durch fröhlichen Wahn.
Dafür gaben die Götter Dir Deiner Empfindungen Mitklang;
      Eine Erretterin ward Deine Gerettete froh.
Fahre dahin, beglückendes Paar! Und der Nüchterne, Kalte
      Bebe dem Wagen zurück, eh ihn der Tiger erfaßt.
 
Pandora.
»Alle Seligkeiten entflohn der Büchse Pandorens;
      Armen Sterblichen uns blieb nur das Hoffen zurück.«
Reicher Gewinn! Der Genuß erschlafft und ermüdet; die Hoffnung
      Stärkt und erhebt den Muth, bahnet zu Thaten den Weg.
Und die Getreue verläßt auch den Sterbenden nicht. O Geliebte,
      Ewigkeiten hindurch fliege mir munter voran!

Allegorien der Rede.

Denkmale.

Die Erinnerung.
                  Die Freude sang in Silbersaiten
Entzückung mir ins offne Herz,
Mich lockten schmeichelnd ihr zur Seiten
Zu ihrem Reihen Lieb' und Scherz.
Vorüber drehten sich die Stunden
Und rissen Alles mit sich hin.
Ich fragte mich, was ich empfunden,
Und sah die ganze Schaar entfliehn.
»Fleuch,« sprach ich, »Traum, der mich berückte!«

Da winkte mir mit leiser Hand
Ein Mädchen, welches rückwärts blickte,
In halbverblichenem Gewand.
»Ich bleibe Dir,« sprach sie; »der Freude
Geht Hoffnung vor; ihr folgt mein Fuß.
Entzückender sind oft wir Beide
Als sie in täuschendem Genuß.«

Erinnrung nannt' ich sie und drückte
Inbrünstig sie ans volle Herz;
Erinnrung, die mich oft beglückte,
Zur Wollust macht sie selbst den Schmerz.
Wenn Freuden sich vorüberdrehen,
Bleibt freundlich sie und still zurück.
Es soll sie Mancher weinen sehen;
Ich sah sie stets mit heiterm Blick.

Gallisch.        

 
Die Versöhnung.
Zu dem Kummer sprach die Freude:
»Böser, warum fliehst Du mich?
Sieh, mein Schmeichellied, es wieget
Ja so gern in Schlummer Dich!
Wunden, die Dein Arm geschlagen,
Heilet spielend meine Hand;
Dennoch bleibt aus Deinem Herzen
Dank und Freundlichkeit verbannt.«

Und zur Freude sprach der Kummer:
»Deine Stimm' ist mir verhaßt.
Höhnest Du nicht meine Klagen,
Störest mich aus meiner Rast?
Wo Du nahest, muß ich weichen;
Fliehest Du, holt man mich nach,
Dornenkränze da zu flechten,
Wo Dein Finger Rosen brach.«

Und die Liebe sprach zu Beiden:
»Freunde, warum hadert Ihr?
Ueberlaßt Euch meiner Lehre,
Seid Geschwister, folget mir!
Auf, vergeßt die alte Fehde;
Bald vergeßt Ihr sie durch mich;
Dich, o Freude, lehr' ich weinen;
Lächeln lehr' ich, Kummer, Dich.

Gallisch.

 
Die Hoffnung.
Als einst sich auf blühenden Auen
Die Freude zu ruhen gesetzt,
Hat Kummer die schönste der Frauen
In Mitleid und Liebe geschwätzt.
Da hat sie ein Kind ihm geboren,
Das hat er als Tochter erkannt,
Sie sich zur Gefährtin erkoren
Und zärtlich die Hoffnung genannt.

Gallisch.

 
Lied des Lebens.In der ursprünglichen Gestalt des Gedichtes, in welcher es »Lebenszeit« überschrieben ist, fehlt der Chor, V. 4 bis 8 laufen ohne Unterbrechung fort, und es finden sich auch sonst manche Abweichungen. – D.
1. Die Zeit entflieht wie dieser Bach,
Wie dies Gewölk entflieht die Zeit;
Ein Thor sieht ihr mit Wehmuth nach,
Ein Weiser lebet heut.
Chor. Ein Weiser lebet heut!
2. Und eilt sie mit den Winden,
Er weiß in süßem Streit
Die Flügel ihr zu binden
In Scherz und Fröhlichkeit.
Chor. In Scherz und Fröhlichkeit.
1. Das Leben ist ein kurzer Weg,
2. Das Leben ist ein schmaler Steg,
Chor. Drum laßt uns diesen kurzen Weg,
Drum laßt uns diesen schmalen Steg,
So lang wir drüber gehen,
Mit Rosen übersäen!

Götz



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