Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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3. Newton's Theorie des Lichts und der Farben.

Newton's Theorie des Lichts und der Farben ist ebenso bekannt als berühmt; mit wenigen Ausnahmen ist sie das ganze Jahrhundert hindurch die herrschende geblieben. Indem er nämlich das Licht als Emanation seiner Theilchen aus der Sonne ansah, die in ungeheurer Geschwindigkeit zu uns gelangten, und ihm ein Prisma den gebrochnen Sonnenstrahl, der durch eine kleine Oeffnung in ein dunkles Zimmer fällt, in dem bekannten Spectrum als eine Erscheinung von sieben Farben darstellte: so lag es seinem System nah, den Strahl selbst als zusammengesetzt aus diesen farbigen Strahlen, gleichsam als einen Bündel von Farben anzunehmen, deren Summe den weißen glänzenden Lichtstrahl gebe.

Da sich keine dieser Farben prismatisch weiter verändern ließ und, mit einem erhabenen Glase aufgefangen, die Farbenstrahlen wieder ein weißes Sonnenlicht darstellen, so empfahl sich seine Theorie sichtlich dem Auge. Und da ebenso ersichtlich das Spectrum viel länger ist, als es dem Durchmesser des Strahlencylinders gemäß wäre, mithin die ausfahrenden Strahlen einander nicht parallel sind, also auch nicht alle gleich viel gebrochen werden können, ob sie gleich alle unter einerlei Winkel einfallen, so schien eine Theorie, die Farbe und Brechbarkeit mit einander verbände, dem Auge auch gleichsam gegeben. Newton bestimmte die Grade der Brechung für jede Lichtart, die rothe, violette, grüne, blaue u. s. w.; so ward denn sein System gangbar: »das Sonnenlicht bestehe aus farbigem Lichte, das kenntlich werde, wenn man es von einander sondere; die Farben seien Theile des Sonnenlichtes, einfach, keiner weitern Zergliederung fähig

Leonhard Euler war's, der diesem System nicht nur Schwierigkeiten, sondern selbst ein andres eignes System entgegenstellte, das sich insonderheit durch seine Harmonie mit einem andern Sinne empfahl. Was der Schall dem Ohr, ist das Licht dem Auge; wie jener aus Schwingungen der Luft, so, meinte er, entstehe Licht aus Schwingungen des feinen, höchst elastischen Aethers, von dem alle Himmelsräume erfüllt seien. Nicht nur das ungeheure Vacuum (Newton's leerer Raum) ward damit vertrieben, und die Furcht, jene immer ausströmende Sonne müsse an Lichtmaterie endlich verarmen, verlor sich damit ganz, auch die Schnelligkeit des Lichts schien dadurch begreiflich und mancherlei andre Phänomene.

Vorzüglich aber fiel die Aehnlichkeit des Farben- und Tonsystems in die Augen; und da Euler um dieses viel Verdienst hatte, so mußte ihm die Anwendbarkeit der Töne auf Farben leicht und natürlich scheinen. Auch diesem System indessen standen Schwierigkeiten entgegen, vornehmlich der Augenschein, daß sich nicht, wie der Schall, das Licht zu allen Seiten hinaus in Wellen fortpflanze u. s. w. Newtons System blieb also bestehen; zumal hingen ihm die Briten leidenschaftlich an und die britannischen Deutschen.

Auch hier haben die Zeiten Manches verändert und eine Hypothese in Gang gebracht, die beide Systeme zu vereinigen scheint.Von Goethe's gegen Newton gerichteten »Beiträgen zur Optik« schweigt Herder mit Absicht. – D.

1. Entsprang nämlich das Licht durch eine Zersetzung und Entwicklung des Aetherstoffs in den weiten Weltregionen (denn daß diese ein leerer Raum seien, war Newton blos Hypothese, die er seinem System, damit es mathematisch reiner dastünde, zum Grunde legen mußte; physisch ist, nach Allem, wie wir die Natur kennen, der leere Raum ein leerer Traum), so entspringt durch Bewegung der Sonne und aller Weltkörper Licht immer und ewig. Der ungeheure, dichte Sonnenkörper entwickelte seit Aeonen die größte Menge desselben, mit der er sich nicht nur bekleidet hat, sondern von der er durchdrungen scheint. Aus seinem Ueberfluß sendet er seinem ganzen Gebiet Ströme des Lichts zu, das an ihm, dem Regenten, dem Beweger und Beleber seines Weltalls, majestätisch sichtbar sich zeigt. Sein Kleid ist Glanz, sein Körper leuchtet. Der letzte Streif seiner Atmosphäre, das Zodiakallicht, glänzt noch als der Saum seines Kleides. An ihm wie durch ihn wird das Licht, aus dem weiten Aether gewonnen, sichtbar. Immerhin wird das Licht, es ist eine ewige Lichtschöpfung.

2. Im weiten, an sich dunkeln Himmelsraum findet es allenthalben homogene Materie, die es regt, mit welcher es fortströmt. Daher die ungeheure Schnelligkeit des Lichts, obgleich keine Sonnenpfeile, keine geschossene Strahlencylinder im dunkeln Himmelsraum sichtbar sein mögen. Am Planeten und in seiner Atmosphäre wird es sichtbar, wo es sich mit der Luft, dem Wärmestoff und tausend andern bindet. Nichts scheint begehrlicher als das Licht; auch wo es nicht durchdringt, dringt es ein, wohnt in Allem, treibend, nährend, belebend, zerstörend, freundlich, feindlich.

3. Durch Reflexion des Lichtes sehen wir also Weltkörper, das Licht selbst sehen wir nicht. Auch der Sonnenstrahl, den wir sehen, ist nicht ein reines Licht mehr, sondern mit Wärme und andern Stoffen gebunden. Uns Irdischen wird das Licht daher so bald eine Flamme, nicht durch sich, sondern unsrer vielgemischten Wohnung wegen, unsrer Behausung. Unter diesen Mischungen ist auch die dem Licht homogene Materie reichlich um und in uns; alle Planeten, wie es schon Kepler annahm, alle Weltkörper leuchten, mehr und minder. Ein Lichtstrahl macht uns also die ganze Gegenwart der Dinge sichtbar, nicht durch sich (welches der geschlossene Cylinder, wenn er keine mitwirkende, stillverborgene Materie vor sich fand, schwerlich thun könnte), sondern durch den allgegenwärtigen Lichtstoff, in welchen Alles gesenkt ist. Rück- und vorwärts sehen wir also, nicht das Licht, sondern Gegenstände im Lichte. Wir selbst und alles Lebende verarbeiten diese Materie; durch sie werden wir belebt und durch das, was ihr anhängt, zerstört. Sie selbst aber erscheint unzerstörbar, unverwüstlich, höchst einfach, mächtig, und doch so geräuschlos wirkend, sanftflüssig, stillverborgen.

4. Beide Systeme, der Strömung des Lichts aus der Sonne und der Vibration eines elastischen Aethers, scheinen sich also dadurch zu vereinigen, daß beide ihre Härten ablegen und zu ihrem gemeinschaftlichen Quell zurückgehn. Ist die Sonne der große Lichterreger unsers Planetensystems, so kommt natürlich das Licht von ihr; an ihr wird es in größtem Glanz sichtbar. Sie darf aber es weder in Cartesischen Kugeln, noch in Cylindern herunterschießen; die feine Materie, deren Zartheit nichts übertrifft, diese kann sich nicht anders als pfeilschnell in Linien uns offenbaren. Gegenseits, ist sie auflösend aus dem feinsten Aether gewonnen, so darf dieser nicht von der Sonne, als einer Glocke angeschlagen, vibriren und zittern. In sanften Strömen flößt das Licht sich fort und findet allenthalben seinen homogenen Träger, die himmlische Aura, bis es in Nähe unsrer Erde sich mit Feuerkräften waffnet. Längst hat ein Dichter beide Vorstellungsarten glücklich vereinigt, Milton:Am Anfange des dritten Buches des »Verlorenen Paradieses«. – D.

»Heil, heilig Licht! des Himmels Erstgeborner,
Oder des Ewigen mitew'ger Strahl!
(Darf ich so nennen Dich? denn Gott ist Licht!
In unzugangbar'm Lichte wohnet' er
Von Ewigkeit; dann wohnte er in Dir,
Glänzender Ausfluß unerschaffnen Wesens.)
Oder hörst Du lieber reinen Aetherstrom
Dich nennen, dessen Quell – wer forschet ihn?
Eh Sonn' und Himmel wurden, warest Du
Und kleidetest auf Gottes Stimme rings
Die Wasserwelt, die aus der dunkeln Tiefe
Aufstieg, gewonnen aus dem endelosen,
Formlosen Leeren, kleidetest sie an,
Gleich einem Mantel

Daß die Theorie der Farben hiemit auch eine andre Ansicht gewinne, werden wir zu einer andern Zeit sehen; jetzt lasset uns einen Hymnus auf den großen Licht-, Farben- und Tönewecker, die Sonne, hören!


Hymnus an die Sonne.In Knebel's »Sammlung kleiner Gedichte« (1815) steht das Gedicht mit wenigen, meist nur des Verses wegen gemachten Aenderungen. – D.

Hymnenvoll ist die Seele, sie soll sich in Hymnen ergießen!

Wie er dem Schooße des Meers entsteigt, der gewaltige Titan,
Sein viellockiges Haupt mit neuen Strahlen umwunden!
Erde schweiget, es schweigt das Meer, es schweigen die Lüfte,
Und ein heilig Gefühl durchdringt die Pole des Weltalls.
Lebenerwecker, komm! o komm, Du freundlicher Tongott!
Sing Dein unsterbliches Lied an der blauen Schale des Himmels!
Dein erwartet Natur! Es schliefen alle die Saiten,
Alle die Töne verstummten, die Du nun wiederum aufweckst.
Wie erwacht die frohe Musik! wie begeistert das Leben,
Ueber Länder und Meer und Städt' und duftige Seen,
Schattige Berge! Dein Strahl zieht von der Stirne des Felsen
Lieblich den Schleier herab und übergießt ihn mit Purpur.

Um mich erwacht der Gesang des regen Waldes. Der Reiher
Schwinget den schweren Flug und schlägt Dir entgegen den Fittig;
Vom Rohrdommel erschallt aus düstern Teichen Dein Loblied,
Und aus grünender Saat aufschwirrend singt es die Lerche.
Brüllend verläßt den Anger der Hirsch und suchet den Hain auf,
Und im lachenden Thal, wo alle Freuden sich sammeln,
Dringt der beseelte Ton von tausend Stimmen zu Dir auf.

Aber was ist Dein herrlicher Strahl dem begeisterten Menschen!
Allbelebendes Licht und allerquickende Wärme,
Ohne Dich wäre die Welt ein dumpfes finsteres Chaos,
Ginge den grausen Gang in ungeregelten Pulsen.
Alles erhält Bewegung durch Dich und Leben und Bildung
Und den schimmernden Reiz von tausend Farbengestalten.

Zeitenmesser, Du Ordner der irdischen, himmlischen Dinge,
Der in gewandten Kreisen das Jahr am Himmel herumführt
Und durch geringe Beugung der Zeiten Wechsel vollendet!
Treibst den Favonius an am frühen Morgen des Jahres,
Daß er die Erd' entschließ' und mit ihr wartende Keime.
Willig befolgt er sein Amt und lockt mit wärmendem Hauche
Glänzende Saaten hervor und brütet schwellende Knospen.
Mit ihm zugleich erwacht das Reich der Schönheit und Liebe;
Ihren goldenen Stuhl umtanzen die fröhlichen Stunden.

Feuriger dringst Du den Aether hinan und schaffest den Sommer.
Kaum verbergen uns noch die breiten Schatten der Ulme
Vor dem brennenden Strahl; er reift die goldenen Aehren,
Kochet süßer die Frucht der balsamduftenden Staude.

Langsam schreitet und träg der schwer belastete Herbst nach,
Schüttet sein Füllhorn aus, es laben sich Menschen und Thiere.
Fröhlicher lacht auf Hügeln, bekränzt vom luftigen Weinstock,
Bacchus' liebliche Frucht; sie weckt zu Gesängen und Reihen,
Unter dem Tanz erschallet der Ruf dem Gotte des Weinbaus.

Auch den Winter besuchest Du noch und leihest ihm Leben,
Wann der glänzende Tag von Bergen und Höhen daherstrahlt,
Ueberall die Natur vom Leichentuche bedecket,
Ausruht unterm Gewand und neues Leben bereitet.

Sonne. Dein hoher Strahl herrscht ewig über dem Weltall,
Und Du rufst Geschlechter hervor und siehst sie vergehen!
Von der Eos äußerstem Rand bis an die Gestade,
Wo Du die feurige Gluth in Abendmeeren versenkest.
Von dem brennenden Sand der Wüste bis zu dem Himmel,
Der mit starrendem Eis die traurigen Fluren umfesselt,
Giebst Du Allem Gedeihn und Lust und schmeichelndes Wohlsein,
Und es beten die Völker Dich an und jauchzen Dir Wonne.

Ewiger Quell des Lichts! Du nie versiegbarer! mich auch
Hat Dein Funken erweckt zur kurzen Dauer des Lebens,
Und Du hast es beseelt mit mannichfaltigen Freuden;
Aber es wird vergehn, und Du bleibst! Wechselnde Zeiten
Hauchen über das Rund, auf dem mein Wesen entstanden,
Wieder neue Geburt und neues Vergehen der Dinge.

Freue Dich Deines herrlichen Lichts, o goldene Sonne!
Tritt aus Wolken hervor und verbirg Dich wieder in Wolken!
Alles irdische Wesen ist Spiel. Doch wenn Du erwärmend
Künftig den leisen Strahl durch stille Cypressen herabsenkst,
Streu auf den Hügel ihn aus, der meine Asche bedecket,
Und erwecke Gefühle, die schönste Blüthe der Menschheit!

                                                                        v. Knebel.



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