Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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12. Berkeley.

Fragment.

Den Bischof von Cloyne in Irland, Georg Berkeley, würden wir den Fénélon seiner Nation nennen, wenn überhaupt dergleichen Bezeichnungen eines verdienten Mannes durch den Namen eines andern nicht eher irre führten als zurechtwiesen. Er hatte Kenntnisse, die Fénélon nicht hatte, wogegen ihm bei gleichem Zweck Fénélon's Gewandtheit fehlte. Eine sonderbare Ebenheit des Geistes und Charakters, die, indem sie unnützen Scharfsinn vermeidet, den feinsten Scharfsinn erfordert, war die Gabe, die ihn im Leben wie in Schriften auszeichnet. Vor seinem zwanzigsten Jahr schrieb er seine »Arithmetik, ohne Algebra aus Euklides demonstrirt«, die er 1707 herausgab, zwei Jahre darauf seine »Theorie des Sehens«,Theory of vision. Man sehe D. Reid's Urtheil darüber in seinen »Untersuchungen über den menschlichen Verstand«, in denen er sie selbst sehr genützt hat. – H. deren Grundsätze nicht nur als eine Philosophie dieses edeln Sinnes für Mathematik und Psychologie gelten, sondern auch, indem sie die Begriffe des Gesichts und Gefühls rein und zart unterscheiden, der Plastik, d. i. einer Theorie des Tastens, Raum gemacht haben. Durch D. Cheselden's Erfahrungen an einem Blindgebornen, dem das Gesicht gegeben ward, erprobten sie sich thatmäßig, als Grundsätze sind sie durch sich selbst bewährt. Sie führten ihn auf seinen – Idealismus.

Erschrecke Niemand vor dem Wort wie, dem Märchen nach, Malebranche auf seinem Todbette, als Berkeley mit ihm darüber sprach!Die lebhafte Unterredung mit Berkeley über die Erkenntniß Gottes soll Malebranche's Tod beschleunigt haben. – D. Der französische Philosoph, der Alles in Gott sah, mußte nah dem Tode sein oder zu fest an seiner eignen Vorstellungsart hangen, wenn er sich darüber ereifern konnte. Auch nach Berkeley sehen wir Alles in Gott, d. i. alle sinnliche Eindrücke und Vorstellungen sind die fein combinirte Sprache des höchstreellsten Wesens, das durch jeden Sinn zu uns auf eine diesem Organ gemäße eigne Art spricht, so künstlich, man möchte sagen, conventionell, als je eine Wort- oder Zeichensprache sprechen mag. An Gegenständen des Gesichts entwickelt Berkeley dies am Feinsten;In seinem »Hylas und Philonous«, im »Alciphron« u. s. w. – H. der Strahl des Lichts wird diesem Sinn, was der Schall des Worts dem Ohr ist, ebenso kunstreich. Indem er uns von den gewohnten groben Begriffen über die Materie entkleidet, führt er uns in eine Schöpfung, wo der vollkommenste Geist durch jeden Sinn zu uns spricht, höchstreell, prägnant und anmuthig. Ganz also ist sein Idealismus von der hohlen, leeren Larve unterschieden, die sich am Ende des Jahrhunderts den edeln Namen IdealismusBei Fichte und Schelling. – D. gegeben und selbst bekennt, daß sie keine Idee, sondern nur selbstgedichtete Traumgestalten gewähre, ohne Hoffnung, daß wir zu Erfassung einer Realität je kommen könnten. Berkeley's Idealism, der uns nicht nur Körper, sondern sogar den Raum entnimmt, gewährt uns dagegen eine Welt göttlicher Umrisse und Bezeichnungen voll inniger Wahrheit, vielseitig an Empfindungen wie an Gedanken.S. Berkeley's »Philosophische Werke«, Th. I. 1781, worin die Gespräche »Hylas und Philonous« enthalten. Warum die Uebersetzung der wichtigern und unbekannteren Werke Berkeley's nicht erfolgt sei, ist unbegreiflich. – H.

Dieser Idealismus führte ihn weiter, indem er die Leerheit der sogenannten abstracten Begriffe als bloßer Wortschälle zeigte, sobald sie sich nicht auf wirkliche Gegenstände beziehn, von denen sie ursprünglich abgezogen waren. Ob er hierin Recht habe, und ob nicht vielmehr in dieser sogenannten Abstractions- oder vielmehr in der eigentlichen idealischen Anschauungsgabe, zu der sie führt, die reellste Kraft der menschlichen Seele verborgen sei, darf hier nicht entschieden werden; gnug, Berkeley's Grundsätze, denen freilich alle Formular-Philosophen tapfer entgegen standen, liegen der Philosophie zum Grunde, die nachher durch Hume so viel Aufsehen gemacht hat. Nur daß sie bei Berkeley keine bloße Zweifelei, sondern der höchste Realism waren. Indem er Wortgespinnste verachtete, suchte er in Allem desto eifriger das einzig Bleibende, Feste, das Maß der Wahrheit.

Weder hievon indeß, noch von seinem Streit mit den Mathematikern und Fluxionisten über ihre Dichtungen, über ihre damals neuerfundene SpeciosaFrançois Vieta († 1603) hatte die sogenannte analysis speciosa, auch Speciosa allein genannt, erfunden. Vgl. Montucla, Histoire des mathématiques, I. 600. 601. – D. kann hier die Rede sein, so auch nicht von seinen Gesprächen über die Freidenker oder sogenannten kleinen Philosophen, die ihm sowol der Einkleidung nach als wegen der oft anzüglichen Sprache vielleicht am Wenigsten geglückt sind. Einem Plato und Shaftesbury stehen seine sowie Bischof Hurd's Dialogen weit nach. An seine Menschenfreundschaft halten wir uns; sie nebst einer feinen Kunstrichtigkeit des Geistes war der Grundstrich seines Charakters.

Auf seiner Reise nach Italien, die er mit Lord Peterborough that, hatte er Natur- und Kunstkenntnisse gesammelt und seinen Geschmack insonderheit in der Baukunst gebildet. Als er nach England zurückkam, besuchte er Künstler und Handwerker der verschiedensten Art, hielt sich in ihren Werkstätten oft und lange beobachtend auf, nahm an der damaligen Verlegenheit Englands bei dem sogenannten Südseehandel auch als Schriftsteller Antheil, nährte aber ein Lieblingsproject, das er auch als Dechant von Derry (eine Stelle, die 1100 Pfund trug) nicht aufgeben wollte. »Er ist«, schrieb Swift an den damaligen Vicekönig in Irland, Lord Carteret, »in Ansehung Titel, Reichthum und Würden ein ächter Philosoph und seit drei Jahren voll von dem Gedanken, zu Bermuda vermöge eines Freiheitsbriefes von der Krone eine Universität zu errichten. Er hat verschiedne unsrer hoffnungsvollsten jungen Theologen und Andre dazu zu bereden gewußt, deren Verschiedne schon gut versorgt und Alle auf dem besten Wege sind, gut versorgt zu werden. In England sind seine Eroberungen noch größer und werden, fürchte ich, in diesem Winter weiter um sich greifen. Er zeigte mir eine kleine Abhandlung, die er herausgeben will; in ihr werden Ew. Exc. seinen ganzen Entwurf eines akademisch-philosophischen Lebens und eines Collegiums finden, das er für indische Gelehrte und Missionäre stiften will, in welchem er für sich die ungeheure Summe von – 100 Pfund jährlichen Einkommens, für jedes Mitglied 40, für jeden Studirenden 10 Pfund fordert. Das Herz wird ihm brechen, wenn man ihm nicht seine Dechantstelle, die hier zu Lande die beste Versorgung ist und jährlich ungefähr 1100 Pfund einträgt, nimmt und sie dem Gutbefinden Ew. Exc. überläßt. Ich suchte ihn durch Vorstellungen von der Kälte des Hofes und der Minister, die Alles dies für unmöglich und für Träume ansehen würden, abzuschrecken; aber bei ihm schlägt nichts an. Also ersuche ich Ew. Exc., entweder solche Ueberredungen zu gebrauchen, welche an Tugend und Gelehrsamkeit einen der ersten Männer dieses Königreichs ruhig zu Hause zu erhalten vermögen oder ihn durch Ihr Ansehn zu unterstützen, daß er seinen romantischen Entwurf ausführen könne, der indeß immer höchst edel und großmüthig ist und von einem Mann von Ihrer vortrefflichen Erziehung unterstützt zu werden wohl werth ist.«

So schrieb der weltkluge Swift, und der Erfolg zeigte, daß er Recht gehabt habe. Berkeley machte 1725 zu London seine Abhandlung bekannt, er fand Beifall; drei Fellows gaben ihre Besoldungen auf und erboten sich, mit ihm zu ziehen. König Georg versprach 10,000 Pfund Beihilfe zu einem so frommen Unternehmen, wie er's selbst nannte, Andre subscribirten. Berkeley, voll Freude über den Fortgang seines Entwurfs,Man sehe die Verse begeisterter Hoffnung, die er darauf machte, im Original und übersetzt. Zerstreute Blätter, vierte Sammlung, S. 383 f. – H. [Die Verse stehen daselbst am Ende des Aufsatzes »Tithon und Aurora«; s. den folgenden Theil von Herder's Werken. – D.] bestieg mit seiner Gemahlin, die er einen Monat vorher geheirathet hatte, und einer ansehnlichen Summe Geldes aus seinem eignen Vermögen und einer Büchersammlung 1728 das Schiff, kam nach Rhode-Island, stand einstweilenSo schreiben Herder, Wieland und Andere ihrer Zeitgenossen; Adelung kennt dies einsweilen nicht, führt aber einstweilen als der allgemeinen, besonders oberdeutschen Mundart angehörend an. – D. den dortigen Geistlichen bei und hatte den Vorsatz, von hier aus auf dem festen Lande Ländereien für sein Collegium anzukaufen, als nach zwei Jahren vergeblicher Hoffnung der Minister Robert Walpole ihm schrieb, daß – aus der versprochenen Summe nichts würde. Sein Plan, seine Dechanei und ein großer Theil seines Vermögens waren also dahin; ungekränkten Gemüthes theilte Berkeley die mitgebrachten Bücher unter die amerikanische Geistlichkeit aus, schenkte dem Collegium zu Connecticut seine Meierei auf Rhode-Island, kam nach England zurück, gab den Subscribenten ihr Geld wieder und schickte fernerhin Geld und Bücher jenem Welttheil, dem er einmal seinen Enthusiasmus gewidmet hatte.

Indessen schlief auch für Europa sein menschenfreundlicher Geist nicht. Seit er im Jahr 1733 Bischof zu Cloyne in Irland war, that er nicht nur seinen Bischofspflichten Gnüge, sondern suchte auch dem Ort selbst aufzuhelfen und durch Anstalten sowol als Schriften im armen, verlassnen Irland Fleiß und Sittlichkeit emporzubringen, wie er wußte und konnte. Vielleicht sind seine in dieser Absicht verfaßten Schriften das Beste, obgleich das Unscheinbarste, was er geschrieben; was Swift durch Satire für Irland selten erzwingen konnte, förderte er durch Fragen und Zweifel, die bleibende, ewig feste Grundsätze enthalten, ernst und milde.Berkeley's Maxims; Discourse addressed to magistrates; A word to the wise; The querist u. s. w., zuerst in seinen Miscellanies, Dublin 1752, dann in der Quart-Ausgabe seiner Werke [in zwei Bänden, London 1784] gesammelt. – H. Und nicht Irland allein dienen sie, sondern jedem Lande, das dem durch Britanniens Uebermacht im Handel unterjochten, dürftigen Irland gleicht.

Zuletzt, bei verfallner Gesundheit, wollte er sein Bischofthum mit allen Einkünften aufgeben, um in Oxford als Privatmann zu leben. König Georg, dem diese seltne Großmuth eines Bischofs auffiel und dabei den Namen seines alten Bekannten Berkeley's nennen hörte, dispensirte ihn von der Entsagung eines jährlichen Einkommens von 1400 Pfund, mit der Freiheit, in Oxford zu leben. Er starb aber das Jahr darauf, den 14. Januar 1754. Pope's Vers über seinen Charakter:

To Berk'ley ev'ry virtue under heav'n,

sagt Alles, was über ihn gesagt werden kann. Auch sein Gaudentio di Lucca zeigt sein menschenliebendes Herz wie seine romantische Seele; es ist der »Telemach« dieses irischen Fénélon's, obgleich in ganz andrer Manier und Absicht.Vgl. Herder's Werke, II. S. 283. – D.


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