Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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VI. Unternehmungen des vergangenen Jahrhunderts
zu Beförderung
eines geistigen Reiches.


1. Chistianisirung des chinesischen Reiches.

Der Anfang des vorigen Jahrhunderts fand die europäischen, besonders die römischen Christen in großer Erwartung; ein Welttheil, wie das Kaiserthum China ist, der schlaueste Welttheil Asiens, war auf dem Punkt, christlich zu werden, oder war, so glaubten Viele, es schon geworden. »Welch ein Gewinn«, sagte man, »für den Himmel! Welch ein Gewinn für Europa in Ansehung der Wissenschaften und – des Handels!« Zu bald zerging diese Hoffnung.

Frühe nämlich war das Christenthum schon in das ferne China gedrungen und hatte daselbst in die Religion der Bonzen wahrscheinlich mitgewirkt. In den neueren Jahrhunderten, seit Missionen nach Asien geschäftig waren, hatte es der Verschlossenheit des Landes ungeachtet auch hieher an Emissarien nicht gefehlt.

Insonderheit waren die Jesuiten ebenso klug als thätig; sie ergriffen das einzige und edelste Band, das sie mit Kaiser und Reich verknüpfen konnte, das Band der Wissenschaften, der Künste. Versagen kann man ihnen den Ruhm nicht, daß seit dem Pater Ricci,Im Jahre 1583. – D. der ihr Ansehen dort eigentlich gründete, sie eine Reihe gelehrter, weltkluger, unverdrossener Männer dahin gefördert, die auch Europa mit Kenntnissen dieses großen Reichs und seiner anliegenden Länder, mit Kenntnissen ihrer Sprache und Bücher, ihrer Verfassung und Gebräuche sehr bekannt gemacht haben. In Europa selbst kennen wir manchen Staat weniger als China.

Nun war zwar währenderAeltere Ausdrucksweise, wie sie Herder öfter gebraucht. – D. Vormundschaft des unmündigen Kaisers Kang-HiIm Jahr 1664. – H. durch einmüthigen Schluß der Reichsstände das Christentum für falsch und dem Reich schädlich erklärt, auch bei Leibes- und Lebensstrafe verboten. Den angesehensten Vorsteher desselben, den Jesuiten Schall, hatte man ins Gefängniß gelegt und die Verfolgung gegen christliche Mandarine weit getrieben. Seit Kang-Hi selbst aber auf den Thron kam und aus Liebe zu den europäischen Wissenschaften auch ihre Lehrer liebte, seit er im Jahr 1692 die christliche Religion für gut, seinem Reich heilsam, seinen Unterthanen erlaubt erklärt hatte, den Jesuiten eine prächtige Kirche baute, eine Gesandtschaft an den Papst schickte u. s. w.: in wie großer Hoffnung lebte man, die Bekehrung des Kaisers und nach ihm des ganzen Reichs erwartend! Diese folgte nun zwar bis an seinen Tod nicht;Der Kaiser Kang-Hi starb 1722. – H. da die fremde Religion indeß während seiner langen Regierung im Reich geblüht hatte, und der Kaiser, trotz aller Feindseligkeiten, die andere Orden den Jesuiten durch den römischen Hof selbst erregten, seinen Freunden treu geblieben war, so hoffte und wirkte man fort. Unglaublich ist die Geduld, die der Monarch gegen die Eingriffe Rom's in die Rechte seiner Herrschaft erwies, indem er sie jederzeit nur gesetzmäßig zurücktrieb oder lähmte, übrigens aber den Papst für »unverständig erklärte, daß er in einem ihm fremden Lande gebieten wolle und über gesetzliche Gebräuche seines Reichs dem Kaiser selbst nicht glaube«.

Durch wie kleinfügige Streitigkeiten machte man die große Unternehmung zunicht, um welche sich damals die Jesuiten so viele und so feine Mühe gaben, da sie blos ein Cerimoniel betrafen! Tien z. B. heißt der Himmel in jener Sprache, mit welchem Wort die Chinesen auch Gott benennen; statt dessen sollten sie christlich Tien-Chu, »Herr des Himmels«, sagen. Die Ehre, die man dem Andenken des größten Lehrers der Nation, Kung-Tse, den wir Confucius nennen, und dem Andenken der Vorfahren überhaupt nach einem unverbrüchlich gesetzlichen Landesgebrauch erwies, sollte theils abgeschafft, theils verändert, von den Täfelchen der Vorfahren z. B. die Überschrift ausgelassen und nur der Name derselben darauf bemerkt werden u. s. w. Welche unselige Mühe man sich über Dinge dieser Art gemacht, wie bittre Streitigkeiten darüber geführt, welche Bibliotheken für und wider geschrieben worden, wäre unglaublich, wenn es nicht vor Augen läge, so daß der Papst selbst zuletzt alles Schreiben darüber verbieten mußte.

Und welche Gesandtschaften von Rom nach China, von China nach Rom! welche Congregationen in Rom! welche Machinationen in China! da dann, wie gewöhnlich, die französischen Fechter die lautesten,Maigrot, Tournon u. s. w. – H. die Italiener, Mezzabarba z. B., die vorsichtigeren waren, indem jene sich den Sitten dieses Reichs zuwider ebenso unklug als unverständig benahmen, überhaupt aber in Rom selbst die Sache sehr unchinesisch behandelt ward. Könnt Ihr die Sprachorgane einer Nation ändern? Wenn der Chinese z. B. den Namen Maria nicht aussprechen kann, weil ihm Buchstaben in seinem Alphabet fehlen,Dem Chinesischen fehlt mit Ausnahme einiger Mundarten das r. – D. die er nach seiner von Kindheit an gewohnten Mundart verändert, wer will es ihm wehren? Ebenso wenig könnt Ihr seine Vorstellungsart ändern, die an Gebräuchen und Cerimonien haftet; denn auch diese sind eine Sprache und in China mit dem Staat sowol als der Moral innig verwebt. Vom kindlichen Gehorsam geht dort Alles aus. Durch alle Stände bis zum Oberhaupt des Staats, ja bis auf die entferntesten Vorfahren verbreiten sich diese Cerimonien und Pflichten. Ihre Buchstaben, ihre Regeln und Sprüche, ihre klassischen Bücher, ihre häuslichen und öffentlichen Gebräuche, ihre Lebens- und Staatsweise ist auf dies Principium gegründet, ist darnach geordnet. Entweder mußte also der christliche Katechismus den heiligen Büchern gemäß, d. i. classisch gemacht werden, oder er blieb der Nation unverständlich, unannehmlich. So auch mit den Gebräuchen. Der an sein Land, an die Sitten seiner Vorfahren gefesselte, von aller Welt abgeschlossene Chinese ist ganz ein Chinese und wird es wahrscheinlich noch Jahrtausende hinab bleiben.

Sobald Kang-Hi starb, verbot sein Nachfolger Yong-Tsching das Christenthum, ließ im ganzen Reich, Peking ausgenommen, die Kirchen niederreißen und verfolgte die Christen, deren Anzahl die Jesuiten damals auf 300,000 angaben. Der Kaiser schrieb selbst einen Unterricht in der Religion für sein Reich.

Der gute Kien-Long, Nachfolger Yong-Tsching's, der seit 1734 das Jahrhundert hinaus ebenso billig und gerecht als klug regiert hat, liebte zwar die Wissenschaften der Europäer, sofern sie ihm in seinem Reich nützlich schienen, duldete auch das Christenthum in Peking, ja gab einigemal günstige Befehle für die Christen in den Provinzen. Da diese aber immer gemißbraucht wurden, schloß er endlich die Kirchenfreiheit auf einige bestimmte Plätze seiner Residenz ein, hielt den fremden Gottesdienst als gefährlich unter strengem Gehorsam seiner Reichsgesetze und ließ die Fremden überhaupt nie ohne sorgsame Aufsicht. So lange die Beherrscher Chinas wie Kien-Long denken, wird kein europäischer Cultus in China aufkommen, zumal der nicht, der sich durch Anmaßungen und Unruhen dem Reich so feindlich gezeigt hat. An wie viel Verbannungen, Gefängnissen und Stockschlägen christlich gewordner Mandarine sind die fremden Bekehrer Schuld gewesen! Und wofür litten diese Bekehrten? Für fremde Worte und Gebräuche.


Der einzige Gewinn, der Europa durch diese Bemühungen worden ist, sind Kenntnisse, die gewissermaßen die Ost- und Westwelt binden. Französischen und deutschen Jesuiten, den Vätern Gerbillon, Gruber, Couplet, Noel, Verbiest, du Halde, Amyot u. s. w. haben wir Mancherlei zu danken, wodurch Geist und Fleiß europäischer Gelehrter zum Studium der dortigen Sprache und Literatur, der dortigen Zeitrechnung, Astronomie, Geschichte, Naturgeschichte u. s. w. erweckt sind. Der einzige Deguignes hat hierüber so viel geleistet als eine chinesische Akademie; auch die von Pauw erregten Streitigkeiten über die Chinesen haben durch die Beantwortungen der Väter von dort aus zu mehrerem Licht geleitet. Die Philosophie, vorzüglich die politische Sittenlehre jener Nation hat in Europa vielen Beifall gefunden; Leibniz, Bilfinger, Wolff nahmen sich ihrer in Deutschland an, der Letzte fast mit einem ihm sonst ungewohnten Enthusiasmus.S. Rede von der Sittenlehre der Chinesen, in Wolff's »Kleinen philosophischen Schriften«, Theil 6. – H. In Frankreich sind die classischen Bücher der Chinesen in jedem Format erschienen, wie sich denn die chinesische Weisheit in französischer Sprache beredt und artig ausnimmt. Die Belehrungen der Kaiser an ihr Volk, die Antworten derselben an ihre Staatsdiener sprechen oft so väterlich als majestätisch,Siehe außer den bekannt gemachten classischen Büchern der Chinesen und des P. du Halde Beschreibung von China, die Mémoires, concernant l'histoire, les sciences, les arts, les moeurs, les usages des Chinois par les missionnaires de Pekin. Paris 1776 u. s. w. – H. und das Lob der reinsten Sittenvernunft kann man ihnen schwerlich versagen.

Wer sich über den Fortgang der europäischen Wissenschaften in China am Lebhaftesten gefreut hatte, war Leibniz; der große Mann sah ihre Verpflanzung aus der West- in die Ostwelt mit dem umfassenden Blick an, der dieser Erscheinung gebührte.Novissima Sinica, historiam nostri temporis illustratura. Edente G. G. L. 1697. – H. Den Umsturz seiner Hoffnungen erlebte er nicht; in den Streitigkeiten, die ihn vorbereiteten, war er stets auf Seiten der vernünftigen, billigen, gelinderen Meinung.


Was lehrt dieses Ereigniß, das so weitaussehende Hoffnungen auf einmal hinwarf? Die bekannte Regel der Nemesis: »Wodurch Jemand sündigt, dadurch wird er gestraft.« Despotische Macht stritt hier gegen despotische Macht, Gebräuche gegen Gebräuche; natürlich mußten in China die Römischen unter den alten ewigen Reichsgebräuchen, die Macht des Römischen Bischofs unter der Gewalt des Kaisers, der Oberpriester seines Reichs, ein Sohn des Himmels ist, erliegen. Wenige Pinselstriche eines kaiserlichen Edicts endeten den Handel; die zankenden Mönche erreichten ihren Zweck, und sofern hatte ihr Neid nicht übel gerechnet. Ob das angetretene Jahrhundert einholen werde, was das vergangene so schnöde verlor, ist eine mißliche Frage. In Ansehung der Freiheit stehn in China die Christen hinter Juden und Mohammedanern.

Einen Zug indeß macht der politische Scharfsinn der Jesuiten für alle Zeiten merkwürdig und vielleicht für die künftigen brauchbar. Als gelehrte Mandarine galten sie. Giebt's für europäische Missionare einen edleren Namen? Ist's ihre reine Absicht, Völker aufzuklären, das Wohl der Reiche nicht zu untergraben, sondern durch Wissenschaften und Sitten auf dem Grundstein ächter Menschlichkeit zu sichern, welchen Namen können sie edler führen, welch Amt ehrenvoller verwalten, als das Amt gelehrter, sittlicher Mandarine? Dann fliegt der Schwan, den dort die Patres aus kaiserlicher Huld als Ehrenzeichen an der Brust tragen, gen Himmel und singt den Völkern der Erde süßen Gesang.Hier folgte in der Adrastea zunächst »Das Buch der gerechten Mitte, Tschong-Yong genannt« (in Herder's Werken, VI. S. 229–234 abgedruckt), darauf die »Exempel der Tage«, 1–8 (daselbst, S. 235–244). – D.


Beilage.
Montesquieu von den Chinesen.Esprit des lois, L. XIX. Chap. 17. 18. – H.

Die chinesischen Gesetzgeber gingen weiter (als Lykurg); Religion, Gesetze, Sitten und Lebensweise mischten sie in einander. Die Vorschriften, welche diese vier Hauptpunkte betrafen, nannte man heilige Gebräuche; auf der genauen Beobachtung dieser Gebräuche beruhte die chinesische Regierung.Montesquieu sagte, dadurch habe die chinesische Regierung gesiegt. – D. Mit Erlernung derselben brachte man seine Jugend zu und verwandte seine ganze Lebenszeit darauf, sie in Ausübung zu bringen. Die Gelehrten gaben darin Unterricht, die Obrigkeiten predigten sie; und da sie alle kleinen Handlungen des Lebens umfaßten, so wurde, wenn man Mittel fand, sie genau ins Werk zu richten, China gut regiert.

»Zwei Dinge halfen dazu, diese Gebräuche dem Herzen und Geist der Chinesen leicht einzuprägen. Das erste ist ihre Schreibart. Da diese äußerst zusammengesetzt ist, so machte sie, daß während einem großen Theil des Lebens der Geist einzig beschäftigt war, diese Gebräuche kennen zu lernen, weil man lesen lernen mußte, um in Büchern und aus Büchern diese Gebräuche zu lernen. Das zweite war, daß diese Gebräuche nichts Geistiges enthielten, sondern blos Regeln einer gemeinen Ausübung waren; so trafen sie den Geist leichter und griffen tiefer in ihn ein, als wenn sie etwas Intellectuelles gewesen wären. –

»Daher verlor China seine Gesetze nicht, als es erobert ward. Da Lebensart, Sitten, Gesetze und Religion bei ihnen eins und dasselbe waren, so ließ sich dies Alles nicht auf einmal ändern; und da doch Einer, entweder der Ueberwundene oder der Ueberwinder, ändern mußte, so war es in China immer der Letzte. Denn weil seine Lebensart und Sitten, seine Gesetze und Religion nicht eins waren, so ward es ihm leichter, sich nach und nach dem überwundnen Volk, als diesem, sich ihm zu bequemen.

»Daher auch das Christentum schwerlich je in China aufkommen wird.Montesquieu bedauert dies ausdrücklich. – D. Die Gelübde der Jungfrauschaft, die Versammlungen der Weiber in den Kirchen, ihr nothwendiger Zusammenhang mit den Dienern der Religion, ihre Theilnahme an den Sacramenten, die Ohrenbeichte, die letzte Oelung, die Heirath einer einzigen Frau, Alles dies kehrt die Lebensart und Sitten des Landes um und stößt ebenso sehr gegen Religion und Gesetze des Reichs an. Die christliche Religion durch ihr Gebot der Liebe, durch ihren öffentlichen Gottesdienst, durch eine gemeinschaftliche Theilnehmung an den Sacramenten scheint Alles vereinigen zu wollen; die Gebräuche der Chinesen wollen, daß sich Alles sondre.

»Und da diese Sonderung am Geist des Despotismus hängt, so wird damit auch eine der Ursachen klar, warum die Monarchie oder eine gemäßigte Regierung sich mit dem Christenthum besser vertrage als der Despotismus.«



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