Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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8. Freimäurer.

In den letzten zwanziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts breitete sich von England her allgemach und im Stillen eine Gesellschaft über Europa aus, die sich die Gesellschaft der Freimäurer nannte; bald daraufAnderson's »Constitutionsbuch der Freimäurer«. Die erste Ausgabe war, wie mich dünkt, 1738. – H. (Zuerst gedruckt ward es 1723, in einigen Punkten geändert erschien es 1738, auf seine ursprüngliche Gestalt zurückgeführt 1756. Vgl. Hettner, a. a. O. I. S. 217 ff. – D.) erschien mit Unterschrift lebender Männer ein Constitutionsbuch derselben, das ihre Geschichte bis zum Großmeister Salomo und Nimrod, ja bis zur Schöpfung der Welt hinaufführte. Man wunderte sich und lachte; Swift spottete über ihre bekannt gewordenen Zeichen. Andre grübelten über das Geheimniß der Gesellschaft und suchten Licht; noch Andre vermutheten viel Arges dahinter. Die Brüderschaft indeß schritt im Stillen fort; in Deutschland, Holland, Frankreich, Spanien, in Italien, den nordischen Reichen, und wo nicht sonst entstanden Logen, mit welchem Namen sie ihre Versammlungen nennen: sie machten Aufsehen, wurden beobachtet und – hie und da verfolgt. Wiewol sie nun öffentlich und vielfach erklärten, daß ihre Verbindung mit Religion und Politik nichts zu schaffen habe, daß von Gegenständen dieser Art in der Gesellschaft zu reden oder zu unterhandeln, den Gesetzen ihrer Constitution zuwider sei, auch die hin und wieder bekannt gewordenen Gebräuche und Symbole keine Beziehung dahin zu haben schienen, so dauerte bei Staats- und Religionseiferern der Verdacht doch fort, so daß man ihnen am Ende des Jahrhunderts höchst lächerlicherweise sogar die französische Revolution beimessen wollte; wogegen sich die Gesellschaft nach wie vor, minder durch Protestation und Zank als durch ein stilles Bewußtsein schützte. Wie lange sie vorher da gewesen, scheint eine müssige Frage.

Statt dessen fragt die Welt: »Was hat die Gesellschaft gewirkt? wozu ist sie da? was giebt sie sich für Zwecke? was gebraucht sie dazu für Mittel?« Das Symbol ihres Salomonischen Tempelbaues ist so schön; die Symbole ihrer Werkzeuge zu solchem Bau, Bleigewicht, Winkelmaß, Zirkel u. s. w., scheinen der Sache angemessen; das Bild ihrer Verbrüderung, ein »festgeschlossenes Viereck, das von Ost gen West, von Nord gen Süd, von der Erde zum Himmel, von der Oberfläche des Erdbodens bis zu dessen Mittelpunkt reicht«, ist so groß, die Eintheilung der Arbeiten, »von Morgen zum Abend, mit Ordnung und Ruhe, mit Fleiß und Lohn«, die Säulen Muth und Stärke versprechen so viel, daß man zu wissen wünscht, was hinter diesen Symbolen sei, woran diese rüstige Verbrüderung seitdem gearbeitet, und was sie zu Stande gebracht habe. Lessing legte ihr eine so große, so feine Absicht unter.»Ernst und Falk, Gespräche für Freimäurer«. (Lessing's Werke, Th. XVIII. S. 145 ff.) – H. [Vgl. Herder's Werke, XIII. S. 111–120. – D.]

Nachfolgende Gespräche, die keine Ansprüche auf Lessing's dialogische Grazie zu machen scheinen, sind dem Herausgeber der Adrastea zugekommen, und da er über die vorgelegte Frage keine Antwort zu geben weiß, so antworte statt seiner eine zweite

 

Fama fraternitatisDie erste Fama fraternitatis, wahrscheinlich von Joh. Valent. Andreä, kam im Jahr 1616 heraus; sie betraf eine ganz andre, die Rosenkreuzergesellschaft. – H.

oder

Ueber den Zweck der Freimäurerei, wie sie von außen erscheint.

Faust. Horst. Linda.Wie der Name Faust von dem Zauberer hergenommen ist, so Horst wol von dem Herausgeber der »Zauberbibliothek«, Linda aus Jean Paul. – D.

Faust. Wenn man von nichts Anderm zu reden weiß, spricht man von der Freimäurerei oder von Geistern; laß uns also, Horst, auch davon sprechen! Die Freimäurer eilen zu ihren Logen. Es ist heut ihr St.-Johannisfest.

Linda. So lebt wohl, Freunde! Mein Geschlecht gehört zu diesen Geheimnissen nicht.

Horst. Wir Beide auch nicht, Linda. Du kannst sicher bleiben und zuhören, wie Du einem Märchen zuhörst.

Faust. Auch mitsprechen und sagen, wie Dir das Märchen gefällt. Zur Verteidigung der Gesellschaft habe ich Manches gelesen, das mich indessen doch nicht ganz befriedigt. Siehe das Constitutionsbuch, das mit dreister Stirn die Geschichte der Verbrüderung oder des Ordens, wie er sich nannte, bis zum Großmeister Nimrod, bis zu Seth's Säulen hinaufführt! Wer kann so etwas dulden?

Horst. Es ist die Geschichte der Baukunst, Faust, insonderheit der Baukunst in England, wie Jakob Anderson sie schreiben konnte, nichts weiter. Horaz Walpole hätte sie freilich anders geschrieben.

Faust. Christoph Wren auch; aber eben deswegen. Zwei so verschiedne Dinge mit einander zu vermengen, als ob sie eins und dasselbe wären, das Blendwerk ist zu massiv. So scherzen mit dem Publicum, d. i. mit der gesammten vernünftigen Welt, nur gemeine Mäurer.

Horst. Das Buch ist in England zu Vertheidigung einer Zunft, wer weiß unter welchen politischen Umständen? geschrieben.

Faust. Und die deutschen Logen nehmen es an? und bekennen sich zu dem grotesken Quid pro quo fortwährend?

Horst. Vielleicht weil es Züge der wahren Geschichte ihrer Gesellschaft enthält, die mit jener fremden verwebt sind. Ich mag in Sachen so ungewisser Art nie zu strenge urtheilen.

Faust. Und die Züge sondert Niemand? Wahrheit und Lüge, Schein und Sein Niemand? Die Gesellschaft läßt einen Schimpf auf sich, der sie in den Augen der Welt entweder als Blödsinnige oder als Täuschende darstellt! Wer tritt gern in solchem Verdacht auf? Und wenn er's zu seiner Zeit thun mußte, welcher honnete Mann sucht nicht die erste, beste Gelegenheit, das falsche Licht zu zerstreuen und sich auch nur vom Verdacht eines maskirten Truges loszusagen? Aus öffentlich geführten Streitigkeiten weißt Du, Horst, zu welchen elenden Hypothesen diese Maske Gelegenheit gegeben, und mit wie schlechten Schriften die Welt durch diese Irreleitung überschwemmt worden. Zu den ägyptischen, griechischen, gar ebräischen, persischen, indischen Geheimnissen, zu den Druiden selbst hat man seine Zuflucht genommen und sie zur Freimäurerei gemacht, so wie man denn auch die guten Mäurer zu Essenern und Gnostikern, zu Manichäern, Pelagianern, zu Jesuiten sogar zu machen sich nicht entblödet hat. Die Welt ist satt dieser Verdrehungen alter und voriger Zeiten; und wer ist daran Schuld als die Gesellschaft selbst mit ihrer räthselhaften Geschichte?

Horst. Wer liest solche Schriften?

Faust. Eine Menge. Bedenke, daß es Tausende der Gesellschaft giebt, die lesen, die von ihrem Ursprunge unterrichtet sein wollen und gewiß nicht Kritik gnug haben, den Geist voriger und entfernter Zeiten zu prüfen! Bedenke, daß es Brüder-Redner giebt, denen Alles recht ist, was von Geheimnissen und Symbolen vorspiegelnd gesagt wird! Bedenke, daß Truggeschichten der Art nicht etwa nur im Druck, daß sie als hohe Offenbarungen und Aufschlüsse unsinnig theuer im Dunkeln umhergehn, dem Verstande der Gesellschaft hohnsprechen und die wahre Geschichte verderben!

Horst. Wer kann gegen alle Lügen?

Faust. Gegen alle Niemand, gegen die aber, die man selbst veranlaßt hat, Jeder der Gesellschaft, der das Bessere weiß. Niemand muß zu einer Verbrüderung gehören wollen, die hinter einem solchen Schirm der Unwahrheit steckt, ja, die mit ihm als mit ihrem Geburts- und Ahnenschilde hervortrat.

Horst. Wenn man damit aber den wahren Ursprung verhehlen wollte?

Faust. Ist Verhehlen und Betrügen einerlei? Sage man, so viel man zu sagen gut findet, nur nichts Falsches! Wer kann und darf für seine Ahnen stehen? Sind wir die Ahnen? Die ganze bürgerliche, ja, jede Geschichte geht aus barbarischen Zeiten hervor; wer kann, wer darf können für diese untergegangenen Zeiten? Wir freuen uns, daß sie untergegangen sind; Ehre macht es uns, wenn wir zu ihrem Untergange beitrugen und etwas Besseres wurden. Wären, wie die Sage geht, die Freimäurer denn auch zuerst wirkliche Mäurer gewesen, was schadete es ihnen?

Linda. Gegentheils müßte es eine interessante Geschichte geben, wie sie sich zu einer so ausgezeichneten, durch alle Länder verbreiteten Gesellschaft emporgeschwungen haben. Ich wäre neugierig, eine solche Geschichte zu lesen und von außen wenigstens das Schloß der Geheimnisse zu schauen, zu dessen Innerm ich nicht gelangen kann. Es wäre mir lieber als manche geheime Burg unsrer neuen Romane.

Faust. Lessing in der Zueignung seines Ernst und FalkAn den Herzog Ferdinand von Braunschweig. – D. sagt: »Auch ich war an der Quelle der Wahrheit und schöpfte. – Das Volk lechzet schon lange und vergehet vor Durst.«

Horst. Mir soll es lieb sein, wenn sich ein Bruder fände, der der Gesellschaft diesen Dienst leistete.

Faust. Ein ehrliebender, redlicher Bruder, dabei ein genauer, ein kritischer Kenner der Geschichte. Ihn schmerze das Irrsal der Menge und der auf seine Gesellschaft geworfene Schimpf des Truges und des Betruges. Lessing und Andre stehen da, räthseln über die Geschichte der Masonei, und die Gesellschaft schweigt. Sind Männer wie Lessing denn keiner Antwort, keiner Berichtigung werth, zumal da, wie ich glaube, das Geheimniß der Gesellschaft längst bekannt und ihre Geschichte nur ein Familiengeheimniß ist?

Linda. Ihr Geheimniß längst bekannt? Du machst mich aufmerksam, Faust.

Horst. Mich nicht minder.

Faust. Es ist, wie Lessing sagt, ein Geheimniß, das sich nicht aussprechen läßt, das auch nicht ausgesprochen sein will, das aber die Gesellschaft selbst bezeugt.

Horst. Entweder Du bist selbst ein Freimäurer, Faust, oder – hast Du etwa einen Zipfel von Deines Vorfahren Mantel?

Faust. Den Ihr Beide habt, wenn Ihr aufmerken wollt auf das, was Jedermann bekannt ist, was auch Ihr seht und hört. Sagen die Freimäurer nicht selbst, daß sie mit Religion und Politik nichts zu schaffen haben? Nun denn! Von geistigen Zwecken, die man einer solchen Gesellschaft immer doch zutrauen muß, wenn sie nicht blos zu Gastereien oder zu Kindereien zusammenkommen soll, von geistigen Zwecken, was bleibt ihr übrig?

Linda. Darauf wäre die Antwort nicht schwer: Rein menschliche Beziehungen und Pflichten. Sobald sie in die Religion oder Politik einschlagen, gehörten sie der Kirche oder dem Staat und wären nicht mehr Freimäurerpflichten.

Faust. Linda, wenn ich ein Mäurer wäre, reichte ich Dir die Handschuhe. Religiöse und bürgerliche oder Staatsbeziehungen rein ab- und ausgeschlossen, was bleibt dem denkenden und thätigen Menschen, was bleibt einer bauenden Gesellschaft übrig als der Bau der Menschheit? Ein großes Werk! ein schönes Unternehmen! Alle blos bürgerliche Zwecke engen den Gesichtskreis, wie Lessing vortrefflich gezeigt hat; von ihnen rein abstrahirend, steht man auf einem freien und großen Felde. Vielleicht nennen sie sich darum Freimäurer.

Linda. Ein schönes Unternehmen! Alle Anliegen der Menschheit können, dürfen sich an dies unsichtbare Institut wenden; es denkt, es sorgt für sie. Es hilft, wo es helfen kann, und man ist Niemanden Dank schuldig. Aus einer Wolke gleichsam kam die helfende Hand und zog, ehe man sie gewahr ward, sich wieder zurück in die Wolke. Ich erinnere mich eines Romans, da ein hilfreicher Mönch so erschien; fast allgegenwärtig war er bei jeder Verlegenheit da, blickte, den Knoten lösend, hinein und verschwand wieder. Je fester sich der Knoten schürzte, desto pochender wünschte mein Herz: »Ach, daß doch bald der Mönch käme! Wo mag er jetzt sein? Warum ist er nicht schon da?« Bei kleinen Verlegenheiten meines Lebens habe ich mir zuweilen auch den Einblick des Mönchs gewünscht; dann gab mir selbst das Andenken an ihn Entschluß und Hilfe. Es ist angenehm, sich eine geschlossene, das Wohl der Menschheit berathende, im Stillen wirkende Männergesellschaft zu denken, denen ihr Werk gewissermaßen selbst ein Geheimniß sein muß, daran sie wie an einem endlosen Plan arbeiten.

Faust. Du siehst. Linda, warum Dein Geschlecht von diesem berathenden und helfenden Bunde ausgeschlossen sein darf und sein muß. Zuerst, weil Ihr einer solchen Sonderung menschlicher und bürgerlicher, Kirchen- und Staatspflichten nicht bedürft. Männer gehören dem Staat; ihrem Beruf und Stande, ihrer bürgerlichen Pflicht und Lebensart sind sie mit so viel Banden und Rücksichten, in denen sich Blick und Herz verengt, umflochten, daß ihnen eine kleine Losschüttelung dieser Bande, eine Erweiterung des Gesichtskreises über ihre enge Berufssphäre unentbehrlich, mithin Erholung und Wohlthat wird. »Hier sind wir«, mögen sie sich einander zusingen oder zusprechen, »die täglichen Lebensfesseln abgelegt, Menschen.« Sie suchen also ein Paradies, das Dein Geschlecht immer besitzt und nie verlieren darf, Linda, das jede Edle Deines Geschlechts als ihr Kleinod bewahrt. In der bürgerlichen Gesellschaft seid Ihr glücklicherweise nichts, Ihr bedürft immer einen Vormund. In der menschlichen hat Euch die Natur ihre liebsten Keime, ihre schönsten Schätze anvertraut; Ihr seid Kind, Jungfrau, dann werdet Ihr Ehegenossen, die dem außer dem Hause von Sorgen gedrückten, von Geschäften zerstreuten Mann im Hause ein Paradies, stille Einkehr in sich, Genuß seiner selbst und der Seinigen erschaffen sollen. Im Hause seid Ihr dem Mann, was in jenem Romane der Mönch war; dafür muß er für sich und Euch die Lasten des bürgerlichen Lebens tragen. Als Erzieherinnen der Menschheit lebt Ihr fortwährend im Paradiese, indeß der Mann außer demselben unter Dornen und Disteln den Acker baut. Ihr erzieht Eure Kinder, Pflanzen, Blüthen, Sprossen für die Nachwelt; das Geschäft erfordert Mühe, geht lange fort, lohnt sich aber reichlich; mit ihm ist Euer Beruf schön umgrenzt. Der Mann –

Linda. Der Mann bedarf eines Aufschwunges, und wir gönnen ihm solchen gern. Er muß sich zuweilen erweitern und erheben, daß er Mann mit Männern lebe, sonst wird er, bei aller Mühe und Liebe, selbst uns alltäglich. Verübelt mir's nicht, Freunde! Euer Geschlecht begrenzt oder, wie man sagt, bornirt sich zu bald und erschwert sich seine Fesseln. Oft sinkt Ihr unter ihrem leisen, aber fortwährenden Druck nieder und veraltet, veraltet vor der Zeit unter Gewohnheiten, die Ihr nicht ändern wollt oder dürft, nicht dürft, weil Ihr sie nicht ändern wollt. Vorurtheile umschlingen uns vielleicht leichter als Euch, aber an Euch sind sie drückender und fester. Mit unsrer mehreren Elasticität und Seelenfreiheit sind wir geborne Freimäurerinnen am reinen Bau und Fortbau der Menschheit. Welchen großen und schönen Gedanken hatte Sokrates, den ihm Aspasia nicht eingab?

Faust. Halt, Linda! Und doch gehört Ihr bei Euern großen Gedanken und Imaginationen doch nicht in dies geschlossene Viereck des Berathens und Wirkens. Läuft nicht die Phantasie oft mit Euch fort? Ist nicht der gute Trieb bei Euch immer voran? Ihr seid zu thätig, zu barmherzig; der Augenblick übernimmt Euch. Auf einmal würdet Ihr der gesammten Menschheit helfen wollen und Alles verderben. Schon deshalb gehört Ihr nicht in jenes stillberathende, leidenschaftlos wirkende Viereck della Crusca.

Linda. Was heißt das?

Faust. Es gab eine Akademie in Italien, die sich so nannte; das Sieb war ihr Sinnbild. Sie sichtete aber nur Worte; diese Gesellschaft, hoffe ich, sichtet Unternehmungen, Thaten.

Linda. Im Dunkeln, bei stiller Nacht? Daß sie nur nicht unthätig zu lange sichte!

Faust. Bei Licht, hoffe ich, und bei hellem Lichte. Was bürgerliche Gesetze allein thun können und thun müssen, sind die Kleien im Siebe, die sie Andern läßt; aber wohin die Gesetze nicht reichen, wo die bürgerliche Gesellschaft den Armen und Bedrückten, das unerzogene Kind, den talentvollen Jüngling, den gekränkten oder fortstrebenden Mann, die erziehende Mutter, die blöde Jungfrau vergessen oder verlassen, da tritt der Dienst dieser Unsichtbaren als rath- und thatvoller Hilf- und Schutzgeister ein.

Linda. Und mich dünkt, ihre Arme langen weit; sie kennen einander in allen Ländern. Manchem Jünglinge, höre ich, haben sie durch Empfehlung und Unterstützung, durch Rath und That fortgeholfen, der ihnen sein Glück dankt.

Faust. Und doch, Linda, wäre es ein großer Mangel der Gesellschaft, wenn sich ihre Glieder nur unter einander forthülfen. Sie würde damit eine Art Judenthum, ein Staat im Staat. Vielmehr wünschte ich, daß diese Unsichtbaren wie bedürfnißlose Geister, sich selbst vergessend, nach außen wirkten. Diese Parteilosigkeit machte die Gesellschaft zu einem Areopag des Verdienstes, der Sitten und der Talente. Träte sie jedem Edelwollenden, auch außer ihrem Viereck, unsichtbar zur Seite und unterstützte und belohnte ihn, weckte den Schlummernden, richtete den Gesunknen auf: wie Manches würde für die Zukunft still vorbereitet, was jetzt noch nicht gethan werden kann, was aber gewiß geschehen wird und geschehen muß! Deshalb habe ich's gern, wenn ich höre, daß die Gesellschaft talentvolle, rüstige Jünglinge, durch Stand, Rang, Güter, vorzüglich aber durch thätige Klugheit und Erfahrenheit vielvermögende Männer wählt. Jene, hoffe ich, bildet sie aus; denn sie führt ja die sichersten Werkzeuge der Richtigkeit als Symbole: diese braucht sie mit der Macht einer Gesellschaft in vervielfachter Kraft.

Linda. Allerdings vermag eine Gesellschaft tausendfach mehr, als zerstreute Einzelne, auch bei der edelsten Wirksamkeit, zu thun vermögen. Diese verlieren sich wie der getheilte Rhein zuletzt im Sande, oder sie singen wie die klagende Nachtigall einsam.

Faust. Jene unterstützen einander und durch sich Andre; sie wirken nicht nur durch vereinte, sondern auch mit Fortwirken in die Ferne des Raumes und der Zeiten durch eine beschleunigte, vermehrte Kraft. Eine Gesellschaft ist unsterblich; sie denkt und wirkt für die Nachwelt, der sie ihre Bemühungen zum Erbtheil überläßt, ein Erbtheil zum Vermehren, ein Anfang zum Vollenden. Wundern wir uns noch, Linda, daß die Gesellschaft sich unter ein Geheimniß verberge?

Linda. Das Geheimniß spricht sich selbst aus, stillschweigend; anders muß es sich nicht aussprechen wollen. Wer wird hervortreten und sagen: »Ich bin ein Vorsorger, ein Pfleger der Menschheit«? Höchstens wird er sagen: »Ich wünsche es zu sein, ich strebe darnach, es zu werden.« Und da sagt mein Klopstock: »Ein Mann sagt nicht, was er thun will, noch weniger, was er gethan hat; er thut und schweigt.«

Faust. Das bescheidne: »Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches ist mir fremde«,Der Terenzische Spruch, den Herder dem zweiten Theile seiner »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit« vorsetzte. – D. wäre also der Spruch der Gesellschaft.

Linda. Dem ich, ausgeschlossen von ihr, meinen Spruch beifüge, den Spruch der Dido:Virgil's Aen., I. 630:
    Non ignara mali miseris succurrere disco. – D.

»Leidenden beizustehn, das lehren mich eigene Leiden.«

Faust. Und das Symbol der Gesellschaft wäre mit Recht ein nie vollendeter Salomonischer Bau; seine beiden Säulen heißen Weisheit und Stärke.

Linda. Und das Sinnbild der Verbrüderung wäre mit Recht ein geschlossenes Männer-Viereck, in das kein Weib taugt.

Faust. Und es wäre nichts Anmaßliches in dem Ausdruck: »Das Viereck erstreckt sich von Ost zu West, von Nord zu Süd, von der Erde zum Himmel, von da bis zum Mittelpunkt der Erde.«

Linda. Wenigstens in der Hoffnung.

Faust. Und das Geschäft der Freimäurer hieße mit Recht Arbeit, vom Aufgange der Sonne bis zu ihrem Niedergange, unter Aufsicht, mit Vertheilung der Arbeit unter die Arbeiter, mit Ordnung –

Linda. Und mit Lohn in der stillsten Kammer, der eignen Brust.

Faust. Ist mir recht, so nennen sie's die mittlere Kammer, das Heilige Salomonis.

Horst. Lange habe ich Euerm schönen Traum zugehört. Woher weißt Du denn, Faust, daß dem Allem so sei? Du bist ja kein Freimäurer.

Faust. Um das Geheimniß der Mäurerei zu wissen, sagt Lessing, braucht man nicht aufgenommen zu sein. Selbst aus Schriften von ihnen oder über sie geschrieben, kenne ich's weniger als aus den Gesinnungen und Thaten mehrerer Glieder, die ich kannte. Und nochmals gefragt: was gäbe es, Religion und Politik ausgeschlossen, für ein andres, der Gesellschaft würdiges Geschäft als eben mit reinem Ausschluß jener Beziehungen das Beste der Menschheit für jetzt und die kommenden Zeiten?

Horst. Wie aber? wenn sie von der Oekonomie, von Künsten oder, ich weiß nicht, wovon sonst sprächen? Zum Dank für Eure guten Wünsche will ich Euch eine Stelle aus dem Aufsatz eines ihrer berühmtesten Großmeister, Christoph Wren, vorlesen.

 
Was ehemals die Freimäurer gethan, als sie noch wirkliche Mäurer waren.»Sammlung von Lebensbeschreibungen, größtentheils aus der britannischen Biographie«, mit Semler's Vorrede, Th. X. S. 489 ff. (Lebensbeschreibung des Christoph Wren), Note X. – H.

»Was wir Gothisch nennen, sollte eigentlich die sarazenische, durch die Christen verbesserte Baukunst genannt werden, die sich zuerst in den Morgenländern nach dem Verfall des griechischen Reichs durch den ungeheuern Fortgang dieses Volks, das der Lehre Mohammed's folgte, anfing. Dies Volk baute aus Religionseifer Moscheen, Karawanserais und Grabmäler, wo überall sie sich ausbreiteten. Sie bedienten sich hiezu der runden Gestalt, weil sie die christliche Figur eines Kreuzes oder die alte griechische Art, die sie für abgöttisch hielten, nicht nachahmen wollten; daher war auch alle Bildhauerei bei ihnen verboten. In allen ihren eroberten Städten bauten sie sogleich Moscheen auf. Die großen Marmorbrüche, woraus die überwundnen Städte in Syrien, Aegypten und in allen Morgenländern ihre Säulen, Architrave und großen Steine genommen hatten, waren jetzt verlassen; die Sarazenen mußten daher die Materialien nehmen, wie sie ihnen jedes Land anbot, es mochten nun Marmor- oder Quadersteine sein. Sie hielten Säulen und die Zierrathen an ihnen für ungeschickt, dagegen richteten sie, weil sie sich bei den Moscheen gern der runden Gestalt bedienten, bei einigen mit vieler Annehmlichkeit Kuppeln auf.

»Der heilige Krieg gab den Christen, welche in die Länder der Sarazenen kamen, einen Begriff von ihren Gebäuden, welche sie nachher in den Abendländern nachahmten. Nur sie verfeinerten sie, als sie häufiger Kirchen erbauten, täglich. Die Italiener, unter welchen doch einige griechische Flüchtlinge waren, und nebst ihnen die Franzosen, Deutschen und Flamländer, die eine Brüderschaft unter sich aufgerichtet hatten, wirkten päpstliche Bullen zu ihrer Aufmunterung und besondre Freiheitsbriefe aus. Sie nannten sich Freimäurer und schweiften von einer Nation zur andern, so wie sie Kirchen zu bauen fanden. Ihre RegierungVielleicht »Verfassung«, »Einrichtung«. – H. war ordentlich; wo sie sich wegen eines Baues, wozu die Frömmigkeit der Völker häufige Gelegenheit gab, niederließen, schlugen sie auf Hügeln ein Lager auf. Ihre Regierung führte ein Oberaufseher, und allemal der zehnte Mann wurde ein OberaufseherVielleicht »Aufseher«. Die Stelle scheint ungenau übersetzt. – H. genannt, der neun unter sich hatte. Die benachbarten Edelleute gaben ihnen aus Barmherzigkeit oder aus Bewegungen der Buße Materialien und Fuhrwerk. Diejenigen, welche in den Urkunden die genauen Rechnungen der Unkosten einiger unsrer Kathedralkirchen von 400 Jahren her gesehen haben, müssen ihre Einrichtung sehr schätzen und sich verwundern, wie geschwind sie so hohe Gebäude aufgeführt haben. In der That, die größte Höhe hielten sie für die größte Pracht. Man brauchte wenig Maschinen; sie trugen, was ein Mensch auf einer Leiter oder auf seinem Rücken fortbringen kann, von Gerüst zu Gerüst, ob sie gleich auch zuweilen Rollen und Räder hatten. Da sie von den Zierrathen oben an den Säulen keine Liebhaber waren, so war es ihnen leicht, in einer großen Höhe Stein auf Stein zu setzen; daher besteht die Pracht ihrer Gebäude in Zinnen und Thürmen. Sie bedienten sich scharfgespitzter Bogen, welche sich mit wenigem Centro erhoben. Dies erforderte leichtere Bindesteine und weniger Falzung; und doch trugen sie eine andre Reihe von doppelten Bogen, die von dem Bindestein sich erhoben. Indem sie nun damit abwechselten, so richteten sie ungeheure Gebäude auf, als z. B. die Thürme zu Wien, Straßburg und viele andre. Der Bau erforderte weniger Materialien, und die Arbeit wurde größtenteils mit flachen Formen gemacht, worin die Aufseher leicht 100 Leute unterrichten konnten. Man muß gestehen, diese Bauart schickte sich für die nördlichen Länder; Werke von gleicher Höhe und Pracht, die auf römische Art aufgeführt werden sollten, würden weit mehr kosten, als wenn man sich der gothischen Methode bediente.«


Das ist nun etwas für Dich, Faust. Nun suche die Freiheitsbriefe und päpstlichen Bullen auf, die sich diese Brüderschaft der Freimäurer erwarb! In ganz Norden sind wir ihr so viele prächtig-ungeheure Gebäude, die man nicht gnug anstaunen und bewundern kann, kurz, Freimäurern sind wir die schönste gothische Baukunst schuldig.

Faust. Wenn nur nicht wieder ein Quid pro quo, Kalk oder Staub in die Augen!

Linda. Die Zeiten gothischer Kirchen sind vorüber; der unsichtbare Bau in Salomo's Hallen am Tempel der Menschheit gefällt mir mehr.

Faust. Du hast mich herausgefordert, Horst. Wenn ich von Christoph Wren's Brüderschaft der Freimäurer auf den Bergen mehr als jetzt weiß, sprechen wir darüber weiter. Du bist auch dabei, Linda?

Linda. Ich kannte ein wißbegieriges Kind, das im Garten Blumen aus der Erde zog, um an der Wurzel zu sehen, warum sie so schön blühten. Seid Ihr nicht solche Kinder? »An ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen!« sprach unser Meister. Wenn eine Einrichtung da ist und Früchte bringt, möge sie entstanden sein, wie sie wolle, möge sie sich ihres Ursprungs zu freuen oder zu schämen haben, was kümmert uns dieser? Steht die Gesellschaft auf dem Gipfel, auf welchen wir sie wünschen, ist sie das, wornach zu allen Zeiten alle Guten strebten, jeder Religion und Staatsverfassung unbeschadet gleichsam das Auge und Herz der Menschheit: o, so bringt sie, über allen Unterschied der Stände, über jeden Sectengeist erhoben, den freien Seelen, die zu ihr gehören, die goldne Zeit zurück, die in unser Aller Herzen lebt! Kommt herab in den Garten, Freunde! der Abend ist schön.


Salomo's Siegelring.
Eine Fortsetzung des vorigen Gesprächs.

Faust. Horst.

Faust. Bei meinem lebhaften Gespräch mit Linda hieltest Du Dich, Horst, so schweigend!

Horst. Weil ich Euch fast vom Anfange der Unterredung an auf einem Nebenwege sah, auf dem die Rosse der Phantasie und der Empfindung mit Euch munter davonflogen. Sage mir, Faust: Werke der Wohlthätigkeit, menschenfreundliche Bemühungen und Entwürfe, wenn man sie auch edel verschweigt und aus Klugheit oft sogar verheimlichen muß, verpönt man, wie bei dieser Gesellschaft geschieht, die kleinste Entdeckung derselben so entsetzlich? Ein heiliges Feuer brennt auf dem Altar, und ringsum stehen nackte Schwerter? Du wirst mir sagen, die Entdeckung nicht dieser Werke und Anschläge, sondern der Zeichen und Merkmale der Gesellschaft sind verpönt; aber nicht so. Alles, was in ihr geschieht, soll ein Geheimniß sein; und wenn das, was in ihr und durch die Gesellschaft geschieht, keiner Verheimlichung bedarf, wozu der Eidschwur? Also, siehst Du, ist noch etwas Anderes dahinter, worauf Ihr bei Euerm edeln Eifer fürs Höchste und Beste der Menschheit nicht träfet, wozu sich aber die Brüderschaft selbst bekennt.

Faust. Und dies wäre?

Horst. A mystery, ein Kunstgeheimniß. Lies diesen alten Katechismus der Freimaurer!Jachin and Boaz, Lond. 1769. p. 13. – H. Freilich wird über den Aufgenommenen gebetet, »daß, wie er seine Hand ausstreckt zum heiligen Wort, er sie auch ausstrecken möge, dem Bruder zu helfen (merke Dir wohl, nur dem Bruder!), und zwar ohne seinen und seiner Familie Nachtheil«.That he may also put forth his hand to serve a brother, but not to hurt himself or his family. – H. Freilich wird ihm gewünscht, daß er in allen Tugenden von Stufe zu Stufe steige, und die Mäurerei auf der ganzen Erde gesegnet sei;That masonry may be blessed through out the world. – H. mithin soll und darf es keinen unmoralischen Freimäurer nach den Gesetzen der Stiftung geben; das aber wirst und mußt Du mir einräumen, daß Namen, Grade, Symbole, Zeichen, Lieder, und was man überhaupt vom Ritual der Gesellschaft weiß, die Sprache der Kunst führen.

Faust. Dahinter etwas Andres verbergend.

Horst. Wenn Du so abbrichst und unterschiebst, so kommen wir nicht weiter. Eben dies Andre suchen wir ja. Sieh also erst die Tapete an, hinter der es stecken soll; sie ist ein mit Symbolen der Kunst bezeichneter Vorhang. Nicht nur die Allegorie des Salomonischen Tempels, die Säulen Jachin und Boas, die Namen Tubalkain, Jabal, Jubal als Erfinder der Künste weisen darauf, sondern preiset ihr Gesang nicht Alle –

    who have enrich'd the art
From Jabal down to AberdoorStatt dessen jedesmal der dermalige Großmeister genannt wird: Also: vom ersten bis zum letzten Kunsterfinder. – H.
And let each brother bear apart.

    Wer je die Kunst bereicherte,
Empfange Ruhm und Preis
Von Jabal bis zu – –
Und jedes Bruders Fleiß.

    Was Menschen über Thiere hebt,
Erhebe unsre Zunft,
In Künsten Wahl, im Wirken Zweck,
In Wissenschaft Vernunft!

    Was uns vor Gluth und Kälte schützt,
Vor Krieges Barbarei,
Verdankt die Menschheit Deiner Kunst,
Ist Dein Werk, Mäurerei.

Lies das Original! Da klingt's noch höher.As men from brutes distinguish'd are,
    A mason other men excells.

For what's in knowledge choice or rare,
    But in his breast securely dwells.
Chorus. His silent breast and faithful heart,
Reserve the secrets of the art.

    From scorching heat and piercing cold
From beasts, whose roar the forest rends,
From the assault of warrior's bold
The mason's art mankind defends.
Chorus. Be to the art due honor paid,
From which mankind receives such aid.
– H.

Faust. Deine Übersetzung hat das Lied veredelt, Horst. Im Original finde ich ein bloßes Lob auf die eigentliche Mäurerei, die Mauern und Häuser aufrichtet und uns dadurch für Hitze und Kälte, für wilden Thieren, für Kriegsanfällen schützt, nichts weiter. Es ist ein Handwerkslied, wie jede Zunft dergleichen hat und sich zum Preise singt. Ich glaube an kein mäurerisches Kunstgeheimniß, als sofern jede Zunft, die eine Kunst treibt, jedes Handwerk sogar a mystery hat.

Horst. Du bist, wohin ich Dich haben wollte. Komm in den Garten! Linda singt zur Guitarre.

Faust. Vielleicht auch ein Freimäurerlied, oder was es zu sein verdiente.

Linda (einer Aeolsharfe gegenüber, die, am Baum hangend, dann und wann klagende Töne giebt. Linda singt):

        An die Aeolsharfe.

Harfe der Lüfte, Du bringst
Klagende Laute mir zu
Aus der Fülle der Welten;
Weltgeist, seufzet denn Alles in Dir?
    (In veränderter Tonweise sich selbst antwortend.)

    »Binde die Töne
Liebend zusammen,
Und sie werden ein Saitenspiel!

    »Tröpfelnd weinet der Bach;
Aber im Strome
Rauscht er prächtig einher.

    »Einsam trauert die Blume;
Aber mit andern im Kranz
Lacht sie, wie fröhlicher!«

(Pause. Die Aeolsharfe tönt. Linda fährt fort.)

    Harfe der Lüfte, woher
Dieser seufzende Ton?
Aus der Brust der Geliebten,
Ihrem entfernten Freunde gesandt?

    »Führe die Liebenden,
Weltgeist, glücklich zusammen!
Und der Seufzer wird Freudegesang.«

    Ach, Du tönest, Du tönst
Tieferen Schmerz,
Seufzer eines Verlassnen,
Dem die letzte der Hoffnungen floh.

    Horch! ich höre den Gram
Aller Verlassnen,
Einsam Wünschenden, Sehnenden,
Matt sich Mühenden.

    »Knüpfe sie, Weltgeist,
Wirkend zusammen,
Und sie erklingen, ein Saitenspiel!«

Faust und Horst (vor Linda tretend). Dank Dir, Linda, Dank! Du hast uns ins Herz gesungen, was Du oben sprachst.

Horst. Einzeln ist der Mensch ein schwaches Wesen, aber stark in Verbindung mit Andern.

Faust. Einsam müht er sich oft umsonst. Ein Blick des Freundes in sein Herz, ein Wort seines Rathes, seines Trostes weitet und hebt ihm den niedrigen Himmel, rückt ihm die Decke des Trauerns hinweg.

Horst. Im Namender Verbrüderung liegt also die Kraft –

Linda. Im Namen der Meisterschaft noch viel mehr. Der Meister, der seine Gesellschaft, ihr selbst unmerklich, mit seinem Geist zu beseelen weiß und durch sie auf die menschliche Gesellschaft unsichtbar wirkt; eine Verbrüderung, die diese Macht von ihm empfängt oder (soll ich sagen) diese Kunst lernt und sie, wo es sein soll, ausübt: Jener wird –

Horst. Wie das Ritual sagt, »die Sonne am Himmel«, diese der »Kitt«, das »Cement« der menschlichen Gesellschaft. Schöne Veredlung des Namens cementarii, den in den Diplomen früherer Zeit die Maurer führten!

Linda. Diese Mäurer, wirkend wie Genien, unter dem Siegelringe des Meisters –

Horst. Weissagerin, was sprichst Du aus? Den Ursprung der Gesellschaft. Höret ein morgenländisches Märchen; denn das Licht und die Mäurerei kommen von Osten.

»Als Salomo seinen Tempel aufführte« – Ihr wisset doch Beide, daß seinem Siegelringe, der alle Geheimnisse in sich faßte, die Geister und Genien dienten?

Linda. Ich weiß es. Von den vierzig Salomonen, die die ganze Welt, und vom ersten und größten, der das Geisterreich beherrschte, habe ich Märchen gnug gelesen. Vermittelst der Genien und Geister, die alle unter seinem Gebot standen, baute er den Tempel.

Horst. Diese Genien und Geister sind – das Urbild unsrer Freimäurer. Höret weiter!

»Alle standen unter seinem Befehl, zuletzt aber unwillig; denn der Bau des Tempels währte lange. Als Salomo vor Vollendung desselben seinen Tod voraussah, bat er Gott, daß sein Tod den Genien so lange verborgen bliebe, bis sie, seinem Siegelringe gehorsam, den Bau vollendet. Die Bitte ward erfüllt. Salomo starb betend im Tempel, indem er stehend sich auf seinen Stab lehnte. Ueber ein Jahr stand er also; die Genien, die ihn noch lebend glaubten, vollendeten den Bau des Tempels. Da kam ein Wurm in den Stab und zernagte ihn, der Leichnam sank, des Königes Tod ward kund; der Tempel indeß war vollendet.«

Da hast Du, Faust, das Urbild der Mäurerei und zugleich der Geschichte Hiram's im Ritual der Gesellschaft.S. Anderson's »Constitutionsbuch«, Aufl. 3. 1762. S. 408 ff.; Jachin and Boaz, S. 33. – H Dort und hier ein gestorbner Meister des Baues bei Vollendung des Tempels. Dort und hier eine unter dem Siegelringe des Meisters am Tempel bauende, durch einen Eidschwur gebundene geheime Gesellschaft. Suche nun nach, wie aus dem seinen orientalischen Märchen die Geschichte des Maurermeister Hiram's ward, und – Du kommst weiter.

Faust. Du erdichtetest doch nicht das Märchen, Horst?

Horst. Es steht in einem Buch, durch den Engel Gabriel vom Himmel gebracht, viel älter also als Karl I. in England; es steht im Koran. Setze den Tulband auf, Faust, und höre die 34. Sura, mit der Überschrift Saba:Weil darin das Volk von Saba erwähnt wird. Die Stelle beginnt in der Mitte der Sura. – D.

Wir verliehen dem David Vortrefflichkeiten und sprachen:
»Berge, singet mit ihm, abwechselnd, Chöre mit Chören!«
Und verbanden die Vögel, mit einzustimmen, erweichten
Erze für ihn und sprachen: »Daraus bereite Dir Panzer!
Fuge die Bleche zusammen und wirke Gerechtes! Ich sehe.
Was Ihr thut, Isaiden.« Desgleichen unterwarfen
Wir dem Salomo selbst die wehenden Winde; sie wehten
Monatlich ihm, am Abende jetzt und jetzo am Morgen.
Auch die Quellen geschmolzenen Erzes ergossen vor ihm sich,
Ja, die Genien selbst verbanden wir mit dem Eidschwur,
Ihm zu arbeiten
, und wer abwiche von seinen Befehlen,
Sollte schmecken die Pein der Gluth. Sie machten ihm Alles,
Was er befahl, Paläst' und Säulen, Kessel und Schüsseln.
»Wirket Gerechtigkeit,« sprachen wir, »Ihr von David's Geschlechte,
Dankbar! wenige sind's von meinen Knechten.« Und endlich,
Als wir beschlossen Salomo's Tod, den Genien sagte
Niemand ihn als der kriechende Wurm der Erde, benagend
Salomo's Stab. Da sank sein Leib, da sahen die Geister.
Hätten sie das Verborgne gewußt, sie hätten in Fesseln
Ihrer Strafe mit nichten so lange beharrt.

Lies darüber Sale's Anmerkung und der Commentatoren, so viel Du willst; kurz, die durch einen Eidschwur gebundenen, unter dem Siegelringe Salomo's am Tempelbau arbeitenden Genien sind – die Freimäurer. Selbst die Entstehung dieses morgenländischen Märchens kann ich Dir zeigen, so sonderbar sie Euch vorkommen mag. Weil in der Bibel stand, daß, »als der Tempel Salomo's gebaut wurde, man weder Hammer, noch Beil, noch irgend ein Eisengezeug im Bauen hörte«,1. Kön. 6, 7. – H. so dichtete die märchenreiche morgenländische Sage nicht nur weiter, sondern jede Nation dichtete eigen auf ihre Weise. Die Juden ersannen das Märchen vom Wurm Schamir, mittelst dessen der Werkmeister die größten Steine ohne Mühe gespalten, welchen Wurm Salomo, auf Anzeige des Dämons Asmodi, wo er zu finden sei, dem Auerhahn abgejagt habe.Buch Gittin [fol. 68]; Maasähbuch, Cap. 105. – H. [Vgl. Eisenmenaer's »Entdecktes Judenthum«, I. 350 ff. – D.] Zierlicher dichteten die Araber; sie ließen den Bau durch eidverpflichtete Geister und Genien vollenden.

Faust. Wie und wo diese aber, diese arbeitenden Genien, arbeitende, gar mordende Gesellen und aus Salomo Hiram wurde?

Horst. Dünkt Dir das ein Räthsel? Jede Zunft, jedes Gewerb schuf oder wählte sich in jenen rohen Zeiten, da sie entstand, ein dergleichen Symbol mit Legenden und Märchen. Noch jetzt, wenn in London Zünfte und Magistrate mit dem Lord-Mayor aufziehn, repräsentiren sie die Geschichte der Stadt aus den ältesten Fabelzeiten mit Personen und Emblemen von Trojanern, Römern. Briten, Sachsen, Normännern. Brutus, der König Lud, Androgeos, Theomantius erscheinen. Die Zünfte folgen, jede mit ihrem Helden, die Winzer mit dem Bacchus, die Weber mit der Penelope, mit der Ceres die Bäcker, die Schuster mit dem heil. Crispin und Crispianus, mit den Cyklopen die Grobschmiede, die Wollweber mit Bischof Blaise. Du weißt wohl nicht, warum, Linda? Weil er das Wollweben erfand. Merke Dir Deinen Hiram!

Linda. Ich halte mich an die Penelope. Erzähle weiter!

Horst. Die Musiker ziehn mit Apollo, die Apotheker mit Aesculap, die Schiffszimmerleute mit der Arche Noah; warum sollten die Mäurer nach dem, was uns Wren von ihren alten Thaten gesagt hat, sich nicht Hiram und den Tempel Salomo's wählen? Beide standen in der Bibel; jenes Märchen, durch die viel verändernde Sage empfangen, ward, wie in der mittleren Zeit alle morgenländische Sagen, handwerksmäßig europäisirt; was siehst Du hierinne Sonderliches und Wunderbares ?

Faust. Hiram's Ermordung steht nicht in der Bibel.

Linda. Wunderbare Männer! Um ein Nichts so bemüht! Ich habe von einem Juden-Kanon gehört, in welchem zwei Stimmen einander antworten:

»1. Abram ist gestorben,
      Ist todt! ist todt!
2.   Wo liegt er denn begraben?
1.   Zu Jerusalem.«

Indem die letzte Silbe lem mit bebenden Lippen festgehalten wird, fängt eine Secunde höher der Andre an: »Isak ist gestorben«, und so durch alle Patriarchen und Stammväter, bis sie sich Alle in lem versammeln. Mich dünkt, ich höre von Euch das klagende Lied:

»1. Hiram ist gestorben,
      Ist todt! ist todt!
2.   Wo liegt er denn begraben?«

Nun, wo liegt er begraben, Faust?

Faust. Das hoffe ich Euch künftigen Johannis-Abend zu erzählen.

Linda. Wolan denn! Nach Dsinnistan oder nach Jerusalem, Glück auf die Reise! Was soll ich sagen, meine Freunde? Dir, Horst, möchte ich sagen: »Der Zauberring Salomo's ist zerbrochen, die Geister sind frei!« oder in der neueren Sprache: »Das alte Wort ist verloren! Hiram schläft im Sanctum sanctorum. Jeder neu erwählte Meister tritt (ich habe das Ritual auch gelesen) als Sohn der Wittwe an seine Stelle und soll wirken

Oder soll ich Dir in Deiner Weise sagen: »Der Tempelbau ist noch nicht vollendet. Stehe der betende Salomo vor dem Allerheiligsten, als ob er noch lebte, ob er gleich längst todt ist! Kein nagender Wurm nahe seinem ihn unterstützenden Stabe!« Unentschieden reiche ich Dir diese Blume, eine Nachtviole. Als zwölf treue Brüder Hiram zur Erde bestatteten, wuchs sie auf seinem Grabe. Da wächst sie noch, unscheinbar am Tage, im Dunkeln erquickend und balsamhauchend.

Dir, Faust, gebe ich zu Deinen Untersuchungen ein morgenländisches Märchen mit auf die Reise; denn, wie Horst sagt, Licht und die Mäurerei kommen von Osten.

»Im Morgenlande also wohnte der wohlbekannte, aber selten gesehene und nie erforschte Vogel Phönix, dem man viel Wissenschaft und Kunst zutraute, ein Kind der Sonne, der Vogel des Paradieses.Vgl. Herder's Werke, VI. S. 43. – D. In dies flog er oft; von zween seiner Bäume baute er sein Nest, vom Baum der Erkenntniß und vom Baum des Lebens. Jahrhunderte lang lebte er, bis im Ringe des Schicksals die Zeit seiner Verjüngung und Erneuung kam. Dann zündete seine Mutter, die Sonne, das Nest an, die Zweige vom Baum der Erkenntniß gaben dem alten Phönix den Tod, die Zweige vom Baum des Lebens gaben dem jungen Phönix neues Leben.

»Mit dem Ende, ich weiß nicht welches Jahrhunderts starb Phönix, der Alte. »Mutter-Sonne,« sprach er im letzten Augenblick und sah sehnend auf sie, »ende meinem Geschlecht sein einsam verborgenes, nur seiner Seltenheit wegen gepriesenes, rätselhaftes Dasein! Belebe mich, wenn ich erwache, wie Du willst, nur frei im Fluge und Menschen nutzbar. Thu es, allsegnende Mutter!« sprach er und senkte sich nieder. Mit dem freundlichsten Blick antwortete ihm die scheidende Sonne, zündete sein Nest an, und aus der Asche des Verstorbnen erstand – kein Phönix mehr, ein lichter Genius schwang sich empor, ein verborgner Schutzgeist der Menschen. In Dsinnistan wohnt er; aber wem und wann er will, darf er erscheinen, warnend, helfend, segnend. Seine nützliche, stäte Thätigkeit beschäftigt und erfreut ihn so sehr, daß er sich nie mehr nach seinem alten Phönix-Neste sehnt.«

Faust. Dank, Linda, Dir für Dein Märchen! Künftigen Joannis-Abend erscheine ich aus Dsinnistan wieder.

Linda (die Guitarre nehmend).

»Weltgeist, binde die Töne
Liebend zusammen,
Und sie werden ein Saitenspiel!«

Hört Ihr, Freunde! Ist nicht die Aeolsharfe eine wahre fama fraternitatis?

(Die Fortsetzung kann zu ihrer Zeit folgen.)Sie ist unterblieben. – D.


Beilage.
Salomo's Thron.Onsely's Oriental collection, 1797. Jul. Aug. Sept. Aus einer morgenländischen Handschrift, »Geschichte von Jerusalem« betitelt. – H.

Salomo's Thron war Gold, sein Fuß Rubinen und Perlen;
Sieben Stufen führten zum Thron auf jeglicher Seite,
Zwischen Gärten, die Bäum' aus Edelgesteinen gebildet.
Früchte hingen daran und Blüthen; oben am Gipfel
Sangen Vögel mit tausend melodischen Stimmen, an Farben
Reich und schöner Gestalt. Aus Edelgesteinen gebildet
Hatten die Genien sie und Alles rings um den Thron her.
Alles lebt' an dem Thron. Sobald der König die erste
Stufe betrat, erwachte Gesang der Vögel; sie schwangen
Flügel breitend sich auf und flogen entgegen dem König.
Trat er höher hinan zur zweiten Stufe des Thrones,
Streckten die beiden Löwen die Klaun und neigten vor ihm sich.
Trat er zur dritten, so sangen Dämonen, Geister und Menschen
Alle das Lob des Ewigen, sein, des Ewigen, Alle.
Auf der vierten rief eine Stimme: »Denke der Gaben,
Die Dir der Ewige gab, Sohn David's, und sei dankbar!«
Stärker ertönte das Lied die fünft' und sechste der Stufen,
Bis auf der siebenten sich der ganze Thron belebte;
Vögel und Bäum' und Thier' bewegeten sich, bis der König
Saß. Da ergoß auf ihn von Vögeln und Thieren und Bäumen
Sich ein Regen süßer Gerüche. Des schönen Gefieders
Schönste zwei, sie flogen heran und setzten dem Mächt'gen
Auf sein Haupt die goldene Krone. Nah vor dem Thron stand
Eine Säule von Gold, auf ihr eine goldene Taube,
Haltend im Schnabel ein Buch, »Gesänge des Königes David's«.
Hin zum Könige flog die Taub'; er nahm die Gesänge,
Las sie seinem versammelten Volk; dann kehrte die Taube
Wieder zurück. Jetzt naht' ein Verbrecher dem Throne: wie schrecklich
Brüllen die Löwen und schlagen die Klau'n! es sträuben die Vögel
Ihre Gefieder, es schrei'n die Dämonen, menschliche Stimmen
Tönen darein; es erbebt der Verbrecher, und zitternd – bekennt er.



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