Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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5. Akademien unter Ludwig XIV.

Akademien der Wissenschaften und der Literatur.

Schon im Jahr 1666 war die Akademie der Wissenschaften gestiftet; mit Ausgange des Jahrhunderts (1699) ward sie erneut und in einem reineren Geschmack zusammengeordnet. Eins ihrer Hauptgesetze war, in Erforschung der Natur keine Lehrgebäude oder Träumereien a priori anzunehmen. Ihr großer Vorgänger Descartes hatte sie darin scheu gemacht; denn dieser große Mann hatte viel geträumt.

Keine Akademie in Europa verband so viele berühmte Namen unter einander als diese, vor und seit ihrer Erneuung; sie traf in den glücklichen Zeitraum, in dem sie aus allen Ländern Erfinder und Forscher sich aneignen konnte. Galilei's Schüler, Viviani, gehörte noch zu ihr und durfte in Florenz, Ludwig zu Ehren, sein Haus mit der Inschrift: »Aedes a Deo datae«, bezeichnen. In Deutschland Leibniz, Bernoulli, Tschirnhausen; in Holland Hartsoeker, Huygens, Ruysch, Boerhave; Newton in England; in Italien Cassini, Bianchini, Marsigli, Manfredi u. s. w.; der Schöpfer Rußlands selbst, Peter, ließ sich zu ihrer Zunft zählen. In Frankreich hat sie verdienstreiche Männer, den Kanzler de l'Hôpital, Vauban, Tournefort, de la Hire, Homberg, Malebranche, den Minister d'Argenson, und mit dem Fortgange des Jahrhunderts größere und größere Bearbeiter der Wissenschaft als ihre Glieder gekannt, bis vorm Ausgange des Säculums, fast ohne Widerrede und Eifersucht andrer Nationen, die größten Astronomen und Rechner, Naturforscher, die Alles durchspähten, Scheidekünstler, die eine neue Schöpfung entdeckten, in ihrer Mitte waren. Die Namen Réaumur, Mairan, Mariotte, Le Sauveur, Clairaut, Condamine, Buffon, d'Alembert, La Grange, La Place, Lavoisier, Fourcroi werden sich aus der Geschichte des menschlichen Geistes nie verlieren.

Verdienstreich ist die Hand, die zu einem Gebäude den Grund legt, in welchem sich die sonst zerstreuten und vergessnen Bemühungen der muntersten Geister sammeln. Ihr fortgehender Fleiß wächst zu einer Pyramide, die oben ein ewiger Kranz kränzt, indeß bei andern Nationen Einer hier, der Andre dort in den Grüften gräbt oder in den Felsenklüften haut, ohne vielleicht seine Mühe nur zu Tags fördern zu können, geschweige daß sie Pfeiler oder Säule eines Tempels würde. Keine Akademie hat ihre Beobachtungen so an einander hangend fortsetzen können, mithin sich fortwährend selbst gebessert, genutzt und geläutert als diese. Auch mit verändertem Namen ist und bleibt sie Ludwig's ewiges Werk, das die wildesten Zeitstürme selbst nicht haben vernichten mögen. Unzerstörbar bauen sich die Wissenschaften fort, reihen sich an einander und breiten ihre Erfolge still oder laut über die Welt aus.

Denn nicht das Gefundene allein ist Gewinn, sondern die Geister, die es finden. Je mehr diese sich mit einander einverstehn und, wenn auch nicht ohne Neid, wetteifernd nach einer Methode, zu einem Zweck, öffentlich unterstützt, mit einander arbeiten; je schlichter sodann ihr Vortrag, je klarer und verbreiteter ihre Sprache ist, je mehr diese sich von jedem Unrath entfernt hält, indem sie nur das Reinste der Wissenschaft rein lehrt: um so mehr wird eine solche Akademie eine Stiftung und Versammlung (ecclesia) des Geistes der Wissenschaften selbst, der über alle Völker reicht. Terrasson hat Recht, daß die Akademie der Wissenschaften auch den Geschmack vollkommner gemacht habe, indem sie die wahren Grundsätze der Urtheilskraft im Menschen nicht etwa disputirend feststellte, sondern thätig erwies. Genauigkeit (Präcision), Ordnung, Klarheit sind die Eigenschaften eines guten Geschmacks, denen sich das Verborgene der Anmuth unmittelbar aufschließt. In jedem Aufsatz, was er auch betreffe, in jeder Gedankenfolge reizt uns nichts so sehr als Genauigkeit, Ordnung, Klarheit.

Zu Verbreitung dieses Geschmacks trug ein wohlorganisirter Kopf, Bernhard von Fontenelle, Secretär der Akademie, über ein halbes Jahrhundert stillwirkend bei; auch im höchsten Alter blieb er ein liebenswürdig spielender Jüngling. Seine Schreibart, ihm eigen und unnachahmbar, möchte man die Analyse der Vernunft, den Stil des Unendlichkleinen (des infinement petits) nennen, so fein weiß er die Begriffe zu zerlegen, einen nach dem andern sanft und klar herbeizuführen, endlich aus ihnen ein Ganzes zu bilden, das in seiner zarten Zusammensetzung durch den lieblichen Schein einer ruhigen Einfalt oft ans Erhabne grenzt. Nicht seine Lobschriften allein (éloges des Académiciens),Oeuvres de Fontenelle, Tom. V. VI. – H. die Geschichte der Akademie selbst in den Auszügen, die er von den merkwürdigsten Abhandlungen gab, indem er sie, auch für Die, die dem Calcül nicht nachgehn konnten, in ein heitres Licht der Vernunft stellte, sie haben die Akademie auch außer ihren Sälen in die Denkart der Menschen verbreitet. Seine Nachfolger konnten keinen andern Weg einschlagen, als den er gebahnt hatte, es war der einzige rechte.

Glaubt Ihr, daß, wenn jene Akademie der Wissenschaften nicht gewesen wäre, Frankreich am Ende des Jahrhunderts hätte vollführen können, was es vollführt hat? Hätten ihm nicht alle Wissenschaften und Künste der Vernunft und des Maßes der Dinge zu Gebot gestanden, hätte der Geist genauer Zwecke und Mittel, dieser mit einem festen Maß zu jenen (der wahre mathematische Geist), nicht eine Reihe thätiger Menschen, die ans Spiel kamen, beseelt: nie hätte, was geschehen ist, ausgeführt werden können. Daß Euch dergleichen nie gelinge, dürft Ihr nur Eins, die genaue und strenge Wissenschaft als eine Aufklärerin stolz verachten. Die Verachtete rächt sich gewaltig.


Neben der Akademie der Wissenschaften blühte mit dem Anfange des Jahrhunderts (1701) auch eine andre Tochter Ludwig's oder vielmehr Colbert's, ihre etwas ältere Schwester, die Akademie der Inschriften, neu auf. Den Inschriften zwar hat sie wenig gefrommt, wie diese denn auch nur ein vorübergehender, untergeordneter Zweck zur Befriedigung des siegenden und bauenden Königes voreinst gewesen waren; dem menschlichen Verstande aber hat das Institut fast wie die Akademie der Wissenschaften Dienste geleistet. Denn wäre auch jene bleierne Gründlichkeit gelehrter Antiquare, jene Allwissenheit der Kritiker in Lesung der Alten vielen französischen Belletristen nicht eben gegeben gewesen: wo ein heller Blick, eine leichte Zusammenstellung hinreichte, erläuterten sie oft glücklich. Und dann, wer erkühnte sich, eines beliebten Nationalunterschiedes wegen Jedem, der zu dieser Nation gehört, gründliche Kenntniß der Alten zu versagen? Die großen Namen Casaubon, Saumaise, du Valois u. s. w. vor den Zeiten der Akademie, in diesen Zeiten eine gute Anzahl andrer würden ihn der Unwahrheit strafen; Fréret allein stünde statt Vieler da. Rühmlich ist's, daß man am Ende des Jahrhunderts Schriften, die dieser Forscher des Alterthums im ersten Viertheil desselben schrieb, endlich der Welt gegeben.Seine »Oevres« waren 1796 in zwanzig Bänden, fast ein halbes Jahrhundert nach seinem Tode (1749), erschienen. – D.

Ueberdem band sich diese Akademie nicht an Griechen und Römer; die Alterthümer des Vaterlandes, Frankreichs Geschichte, die Sprachdenkmale der Provençalen u. s. w. lagen auch in ihrem Gebiet; Mabillon, Montfaucon, Le Beuf, Curne de St. Palaye u. s. w. stehen hier abermals statt Vieler. Der Erste hat in seiner Art auch eine Wissenschaft geschaffen, die Diplomatik, wie Vaillant die Numismatik schuf; es ward nachher leicht, weiter zu gehen, nachdem die Grundsteine des Baues, zum Theil nicht ohne königliche Kosten oder Autorität, gelegt waren. Die besten Reisebeschreibungen Orients sind wir dem Aufwande Ludwig's schuldig; sie werden noch gelesen und sind in Manchem noch die besten. Auch die Auszüge oder Uebersetzungen, die größtenteils von Mitgliedern der Akademie aus morgenländischen Handschriften der königlichen Bibliothek gemacht wurden, klärten Europa auf, indem sie es sinnreich ergetzten. Herbelot's »Bibliothek« ist noch jetzt ein Hauptwerk, zu welchem seitdem wenig Neues hinzugefügt worden, und das Beste hat abermals Frankreich hinzugefügt. Galland's »Tausend und eine Nacht« hat mehr als tausend und einen Menschen vergnügt, vielleicht auch mehr als hundert und ein artiges Märchen oder andre sinnreiche Dichtung ans Licht gefördert. Mit Chardin's, Tournefort's, de la Loubière's und andern französischen Reisebeschreibungen wie mit den morgenländischen und Feenmärchen ging den Europäern in der alltäglichen eine neue Welt auf. Kühne und feine und nützliche Dinge sind unter dieser Zauberhülle morgenländischer Dichtung gesagt worden. In jeder dieser Rücksichten sind wir dem Geschmack Ludwig's an dem, was man damals belles lettres nannte, reichen Dank schuldig.

Aber auch hier gilt: »nicht nur was ausgerichtet ward, sondern auch wie es ausgerichtet wurde«; die Erweckung des Geistes, es auszurichten, ist der Zweck lebendiger Institute. Jene französischen Uebersetzungen der Alten, die man gewöhnlich ungetreue Schönen (belles infidèles) nennt, ihren Zweck haben sie dennoch erreicht. Sie gaben der Nation eine Menge Kenntnisse aus den Alten, auf eine Weise, die vom Lesen nicht wegscheuchte, sondern zu ihm lockte. Man glaubte nämlich nicht, längst verstorbner Alten wegen seine Sprache ummodeln und bei jedem neuübersetzten Autor sie neu modeln zu müssen; denn nicht buchstäbliche Uebersetzungen sollten diese genommenen Copien werden; nicht Kupferstiche einmal, Nachzeichnungen aus freier Hand sollten sie sein, wie man glaubte, daß die Sprache sie litt, die Nation sie bedürfe. Dem Wahn, eine lebende Landessprache à la Ronsard griechisch oder latein umformen zu müssen, hatte man längst entsagt. Der französischen Sprache, die, ohne ihren Werth und Charakter zu verlieren, weder gräcisiren noch latinisiren konnte, war ein Hauptgesetz nothwendig: »Keine Uebersetzung verderbe uns die Sprache!«

Ein Gleiches ist's mit der französischen Behandlung alter und neuer Geschichte, wie sie damals Gestalt nahm. Laßt Rollin, Crevier, Vertot u. s. w. nach ihrer Art alte und neue Geschichte erzählen: wie Viele haben daraus und daran gelernt! Könnt Ihr, so erzählt sie besser! das Gleichmaß aber, in und zu welchem jene verdienten Männer schrieben, litt keine andre als eine solche Umfassung der Begebenheiten für ihre Zeit, für ihre Leser. Hätten wir Deutsche damals in unsrer Sprache nur Amyots und d'Ablancourts, Gedoyns, Rollins und Vertots gehabt, wir wären weiter. In Ludwig's Zeitalter konnte ein Franzose zu seiner Bildung sämmtliche Schriftsteller des Alterthums in seiner Sprache, leidlich verstanden, klar übersetzt, lesen; können wir's jetzt noch ein Jahrhundert später in der unsern?

Endlich gewährten die Akademien in Frankreich den Vortheil, daß sie als königliche Institute Männern von Wissenschaft oder von Gelehrsamkeit und Geschmack eine Stelle im Staat gaben, unabhängig von lastenden Aemtern. Mit dieser Stelle gaben sie ihnen auch ein Verhältniß zur Gesellschaft, das dieser nicht anders als zuträglich sein konnte. In den Akademien mischten sich alle Stände, vom Cardinal und Minister bis zum Ordensmann und einfachen Gelehrten. Ludwig begegnete jedem ausgezeichneten Mann mit Achtung. Der Name Mann von Wissenschaft war damals ein Ehrenname, statt daß jetzt noch bei uns manche Stände kein verächtlicheres Wort kennen, als: »Ach! er ist ein Gelehrter!«


Beilage.
Duclos über Männer von Wissenschaft.Considérations sur les moeurs de ce siècle, par M. Duclos. Par. 1751. Chap. X. Sur les Gens de Lettres. – H.

Sonst waren die Gelehrten entfernt von der Welt, in ihr Studium versenkt; indem sie für ihre Zeitgenossen arbeiteten, dachten sie nur an die Nachwelt. Ihre Sitten, bieder und roh, hatten kein Verhältniß zu den Sitten der Gesellschaft; die Weltmenschen, damals weniger unterrichtet als jetzt, bewunderten ihre Werke oder vielmehr ihre Namen, glaubten sich aber ihres Umganges nicht fähig. Mehr aus Hochachtung als aus Abneigung hielt man sich von ihnen entfernt.

»Unvermerkt hat der Geschmack an Künsten, Wissenschaften und Kenntnissen so weiten Raum gewonnen, daß, wer ihn nicht aus Neigung hat, ihn wenigstens erkünstelt. Man sucht Die auf, die Wissenschaften cultiviren, und um so mehr zieht man sie in die Welt, je mehr Vergnügen man in ihrem Umgange findet.

»An beiden Seiten hat man hiebei gewonnen. Die Weltmänner haben ihren Geist cultivirt, ihren Geschmack gebildet, sich neue Vergnügen verschafft; die Männer von Wissenschaft haben sich Gunst und Achtung erworben, ihren Geschmack vervollkommnet, ihren Geist glänzend, ihre Sitten mild gemacht und über mehrere Dinge ein Licht bekommen, das ihnen Bücher nie hätten geben mögen.

»Genau gesprochen, geben die Wissenschaften zwar keinen Stand (état); Denen aber, die keinen Stand haben, vertreten sie seine Stelle und gewähren ihnen eine Auszeichnung, die oft dem Range vorangeht. Man hält sich ebenso wenig erniedrigt, wenn man dem Geist, als wenn man der Schönheit huldigt, es sei denn, daß man mit ihm in Ansehung des Ranges oder der Würde mitwerbend streite: alsdann kann der Vorzug an Geist ein Gegenstand der lebhaftesten Eifersucht werden. Sonst aber, ist unser Rang gesichert, so nehmen wir einen Mann von Geist mit mehr Gefälligkeit auf, als wir es einem Andern, der an Rang über ihm stände, kaum thun würden. Denn die Achtung, die man dem Geist erweist, zeigt, daß wir selbst Geist haben, oder macht wenigstens glauben, daß wir ihn haben, welches für Viele einerlei ist.

»Allenthalben ersetzt sich die Natur. Große Talente setzen nicht immer einen größeren Geist voraus; ein kleiner Springbrunn kann glänzender spielen als jener große Strom, der ruhig hinfließt, um ein Land nutzbar zu wässern. Männern von Talent gebührt ein größerer Ruhm, der ist ihr Lohn; Männern von Geist gebührt mehr Vergnügen der Gesellschaft, weil sie der Gesellschaft Vergnügen machen; sie verdienen diesen Dank. Talente theilen sich durch Umgang nicht mit; Personen von Geist aber entwickeln unsern Geist, breiten ihn aus; ein Theil des unsern gehört ihnen. Bald wird also auch der Umgang mit ihnen zur Vertraulichkeit, sogar, wenn sich Herz dabei findet, zur Freundschaft, bei der man an Rang und Stand gar nicht mehr denkt. Denn das bleibt gewiß, daß, alles Bestrebens nach Geist ungeachtet, honnete Männer in der Welt anders angesehen werden als Die, deren Talente man lobt und deren Person man gern nicht kennt.

»Spiel und Liebe, hat man gesagt, setzen alle Stände gleich; wäre das Sprichwort seitdem ausgesprochen, seit es zur Leidenschaft geworden ist, Geist zu haben, so hätte man gesagt: »Geist, Spiel und Liebe«. Das Spiel macht Stände gleich, indem es den Höheren herabsetzt, die Liebe, indem sie den Niedrigern hinaufhebt: der Geist – die wahre Gleichheit – ist Gleichheit der Seelen. Zu wünschen wäre es, daß auch die Tugend gleich machte; leider aber bringen nur Leidenschaften die Menschen dahin, daß sie nur Menschen sein wollen, vergessend alle äußern Unterschiede.Gerade, glaube ich, und bin's gewiß, daß Tugend die Menschen aufs Innigste gleich mache; denn wir leben weniger im Geist als im Charakter. Gleich brave Charaktere schätzen und achten sich als Brüder; sie finden sich nicht nur auf einer Stufe, sondern in einem Mittelpunkt, der innern Quelle des Lebens, dem Gemüth, miteinander. Da verschwindet alle Rücksicht auf Unterschiede der Meinungen, des Ranges, Standes, der Nation und Kleidung. Tugend macht gleich und vereint zum friedlichsten Wetteifer. – H.

»Fast alle Dummköpfe sind Feinde der Männer von Geist, Standes halber. Ihr Haß ist auch nicht müssig; sie verleumden diese als ehrsüchtige, gefährliche Leute. Sie glauben, daß man mit Geist nichts Anders thun könne, als was sie damit thun würden, wenn sie Geist hätten.

»Man wundert sich. daß man sein Herz, nicht aber seinen Geist loben dürfe, und hat daher schließen wollen, daß die Menschen den Geist höher schätzen als die Tugend. Sollte es nicht eine andre Ursache geben? Man liebt nicht, was man bewundern muß, und man bewundert ungern, gleichsam nur überrascht und gezwungen. Wenn Jemand sich als einen Mann von Geist ankündigt, je mehr man Ursache hat, es zu glauben, desto mehr scheint er uns zu sagen: »Ihr betrügt mich nicht mit falschen Tugenden; Eure Fehler verbergt Ihr mir nicht.« Er kündigt sich also als unsern Richter, als unsern Bemerker und Gegner an; das wollen wir nicht. Ganz anders ist's mit Dem, der uns die Güte seines Herzens versichert. Wir rechnen auf seine Nachsicht, selbst auf seine gutmüthige Blindheit gegen unsre Fehler, auf seine Dienstgefälligkeit, vielleicht gar darauf, daß wir auch etwas ungerecht gegen ihn sein dürfen, ohne daß er's ahne.

»Liebe zu den Wissenschaften macht ziemlich gleichgiltig gegen Rang und Reichthum; sie tröstet über manche Entbehrung und macht, daß wir diese wol gar nicht einmal bemerken. Menschen von Geist müssen also, Alles gleich gesetzt, sogar bessere Menschen sein als Andre. Sie genießen eine geheime Zufriedenheit, die sie Andern angenehm, wol aber auch zu Verführern ihrer selbst macht; für ihr Glück zu sorgen, sind sie nicht eben sehr geschickt und auch ziemlich unbesorgt darüber.

»Wenn Männer von Geist sich einander herabsetzen, freuen sich die Dummköpfe. Sie lernen sodann ihren Haß gegen jene unter eine Geberde der Verachtung zu verbergen, die eigentlich doch nur ihnen gehörte. Einst ließ man Thiere kämpfen, Menschen zur Kurzweil; jetzt geschieht oft das Gegentheil: Menschen gehn auf einander los, um Thieren ein Schauspiel zu geben. Unwürdige Kämpfe!«



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