Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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8. Französische Flüchtlinge.

Als der Allbeherrscher Frankreichs, ohne Veranlassung und in guter Meinung, seine reformirten ruhigen Unterthanen erst durch Geschenke zum Katholicismus zu locken, dann durch Aufhebung ihres Gerichtshofes, durch Ausschließung derselben aus jedem Dienst, endlich durch Dragonaden zu bekehren suchte, dachte er gewiß nicht daran, daß er damit für seine ungerechten Kriege und Verwüstungen allen nachbarlichen Nationen die reichste Vergütung gewähren sollte. So wollte es indeß, in Gestalt seiner Bekehrerin Maintenon,Die Eclaircissements historiques sur les Causes de la Révocation de l'Edit de Nantes etc., tirés differentes Archives du Gouvernement, 1788, setzen dieses außer Zweifel. Maintenon und durch sie der Klerus blendeten nach und nach den nicht harten, aber auch in der Frömmigkeit eitlen König. – H. Nemesis-Adrastea, da sie ihm, der von Liebes-, Kriegs- und Pracht-Eitelkeiten längst und immer verblendet gewesen war, durch eine fromme Eitelkeit den Sinn ganz verrückte. Zu Ludwigs Zeiten würde weder Richelieu, einen Colbert an der Hand, noch der harte Ximenes selbst Maßregeln der Art genommen, noch weniger sie auf eine Weise ausgeführt haben, die bei verschlossnen Grenzen aus den schönsten Provinzen Frankreichs die edelsten, bewerbsamsten, wohlhabendsten, sittlichsten Geschlechter höchst wohlmeinend zum Lande hinausjagte. So sollte es indeß sein! Den vorigen Verblendungen folgte diese natürlich; er war Europa diese Vergütung schuldig.

Die Wege der Sterblichen, auch ihre grausamsten Irrwege, laufen immer doch der hohen Macht in die Hand, der sich nichts entwinden kann, die Alles zu brauchen weiß und Alles zum Bessern lenkt. Jener Rosen-, Myrten- und Lorbeerkranz, der die jugendliche und männliche Stirn Ludwig's in hundert Künsten des Schönen geschmückt hatte, war welk und dahin; was in diesem Kranze, obwol ungefällig an Gestalt, zur Frucht für andre Nationen gereift war, auf hundert Wegen sollte es unter diese gesät werden, und Ludwig selbst sollte der Säemann sein. Mehr als seine politischen Unterhandlungen und Kriege, mehr als die schmeichelnden Briefe, die man hie und da an auswärtige Gelehrte geschrieben hatte, auch wol mit Geschenken begleitet, wirkte jene Vertreibung der Hugenotten zu Errichtung eines französischen Staats in Europa, anders als Ludwig ihn dachte.

Die Flüchtigen aus Frankreich brachten Gewerbe, Künste und Kunstfleiß in andre Länder; das Bücherschreiben gehörte mit darunter: denn an Sprechen und Schreiben waren sie gewöhnt. Da es aber in den mittäglichen Provinzen Frankreichs nicht sowol auf eigentliche Wissenschaft als auf Rednerei und Polemik angesehen gewesen war, was Wunder, daß in allen Ländern, wo es französische Colonien gab, Predigten und polemische Bücher, insonderheit Zeitschriften, Bibliotheken erschienen?Bibliothèque universelle, ancienne et moderne, choisie, Italique, Française, Anglaise, Germanique, raisonnée, critique, historique, impartiale, volante, amusante; Nouvelles, nouvelles litéraires, Journal litéraire, Correspondance, Ephémérides, Histoires litéraires, Magasins, Lettres, Recueils, Mémoires etc., etc. – H. Größtenteils waren sie Nahrungszweige dieser ausgewanderten Urtheiler. Bayle's Nouvelles de la République des Lettres hatten dazu den Ton angegeben, dem dann Chöre von Nachsängern folgten. Er war der Gründer dieser neuen Republik urtheilender französischer Bibliothekare in Holland, Deutschland, England u. s. w. Die Republik reichte weiter, als Ludwig's Waffen je reichten.

So ward die Kritik, das Höchste und Schwerste der Wissenschaft, Industrie, ein leichtes französisches Gewerb, aus Leserei und Correspondenz erwachsen, meistens in eine flüchtige Gesprächigkeit über Bücher und Begebenheiten sich verlierend. Denn daß jeder Artikel dieser Industrie-Bibliotheken eine Definitiv-Sentenz, ein Höchstes und Feinstes der Theorie in jeder Kunst und Wissenschaft enthalte, wer wollte dies von jedem Bücher-Colporteur erwarten?

Indessen war auch diese Handlangerei nicht ohne gute Wirkung. In einer lebendigen Sprache wurden die Schriften mehrerer Länder einander bekannt, da sonst jedes Land oft nur für sich allein gedacht hatte und lateinische Anzeigen nicht von Jedermann gelesen wurden, dem doch die ausländische Schrift diente. Ueberdem war der Ton dieser Bibliotheken selten anmaßend; statt eigner Urtheile gab man lieber verständlich-treue Auszüge aus den erschienenen Schriften; und ist's nicht dies, was der Leser vorzüglich wünscht? Endlich standen mehreren dieser Zeitschriften Männer von Werth vor, denen Männer von Werth beistanden. Zu Le Clerc's Bibliotheken, der Bibliothèque raisonnée u. s. w., haben Gelehrte von großer Wissenschaft beigetragen.

Bis über die Hälfte des Jahrhunderts hinaus hat diese französische Literarrepublik fortgedauert; zum Theil dauert sie noch. Das Journal des Savans, das in Paris unter Ludwig anfing, ging allen an bescheidenem Anstande vor, und die besten derselben folgten ihm in bescheidenem Anstande.

Und da sich diese Zeitschriften, die in verschiednen Ländern erschienen, durch keine Akademie beschränkt, durch keine Hauptstadt gebunden fanden, so war, wenn auch in der Folge die Reinheit der französischen Sprache litt, wenigstens ihre Ansicht der Dinge mannichfaltiger, ihr Horizont unter einem rauheren Himmel freier und weiter. Unglücklicherweise geriethen viele dieser literarischen Ankömmlinge selbst an einander; eben dieser Theil ihrer Schriftstellerei ist aber auch der vergessenste. Wer liest jetzt Claude's, Bayle's, Jaquelot's, Le Clerc's u. s. w. Streitschriften?

Vor Allen ist dem Letzten fast von allen Nationen und Professionen, insonderheit von Theologen und Philologen übel, vom Engländer Bentley am Gröbsten begegnet; und doch war Le Clerc, bei seinen unleugbar mittelmäßigen Kenntnissen in manchem Felde, in jedem ein sehr nützender Mann. Allenthalben hin warf er helle Blicke und ließ sich nicht irre machen, wenn man ihn auch als einen Ketzer und Unwissenden grob schmähte. An seiner Bibliothek war Locke selbst sein Gehilfe.

»Fremde Feinde,« sagt Duclos,Considérations sur les Moeurs de ce siècle, p. 249 – H. »würden den Gelehrten wenig schaden, wenn sie nicht unvorsichtigerweise ihnen selbst Mittel an die Hand gäben, sie zu verschreien, indem sie nämlich oft einander selbst aufreiben. Zur Ehre der Wissenschaften und zum Wohl Derer, die sie anbauen, wünschte ich, daß man sich von einer Wahrheit überzeugte und sie zum Grundsatz seines Betragens machte; sie ist diese. Selbst entehren können sich die Gelehrten durch die Schmähungen, die sie ihren Mitwerbern sagen oder anthun; sie können diese auch kränken, sich Feinde machen und den Beleidigten zu einer ebenso niedrigen Rache aufhetzen: den guten Ruf aber, den das Publicum einmal von einem Schriftsteller festgesetzt hat, diesen vernichten können sie nicht. Nur seinen eignen guten Namen setzt man durch Schmähungen hinunter. Eifersucht bezeichnet immer eine niedrigere Stufe, auf der man sich findet, so viel höher man auch in andern Rücksichten über dem Gegner sei. Eifersucht zeigt, daß man in irgend etwas sich unter ihm fühle.

»Kein Einzelner, so erhaben und berühmt er sei, keine noch so glänzende Gesellschaft kann das Urtheil des Publicums bestimmen; obwol Cabale freilich einen Mann oder sein Werk für den Augenblick heben oder ihm wehe thun kann. Im vorigen Jahrhundert wäre eine solche Besitznehmung der Stimme des Publicums eher noch angegangen, weil es weniger unterrichtet war oder sich weniger ein Urtheil anmaßte: heutzutage aber lacht man über dergleichen literarische Fehden und verachtet Die, die sich dabei unanständig betragen; seine Meinung aber über den Werth der befehdeten Werke ändert man deshalb nicht.

»Fleißig gearbeitete Werke, verständige, strenge, aber gerechte und honnete Urtheile, in denen man die Schönheiten einer Schrift ebensowol als ihre Fehler bemerkt, letztere mit neuen Aussichten, dies ist's, was man von Gelehrten erwartet. Wahrheit allein sollen ihre Untersuchungen zum Zweck haben; diese hat nie erbittert, nie die Galle erregt. Vielmehr wendet sie zur Cultur der Menschheit Alles hin, statt daß jene Zänkereien die Weisen ärgern, den Gelehrten selbst schaden. Dummköpfe, die Verstand gnug haben, um ihre Inferiorität zu fühlen, aber zu stolz sind, sie zu gestehen, sie allein haben Freude daran, wenn Die, die sie hochzuschätzen verbunden sind, sich einander selbst entehren.«

Der größte Theil der französischen Beurtheiler betrug sich anständig, auch wenn er selbst geschmäht ward; Le Clerc z. B. ließ Männern von den verschiedensten Talenten Gerechtigkeit widerfahren. Die französische Sprache selbst schien lateinische Grobheiten nicht zu leiden; wäre es nicht zu wünschen, daß alle Landessprachen dieser Latinität entsagten?

Insonderheit um die Kirchengeschichte haben sich mehrere französische Flüchtlinge verdient gemacht, indem sie nach den Magdeburgischen Centuriatoren und wenigen Andern, größtentheils auch von ihrer Nation, mit Anstand und Mäßigung einen freien Blick in dieselbe brachten. Das Schändliche der Verfolgungen, die Mißdeutungen mancher Ketzer, die Schwäche der Kirchenväter und Concilien deckten sie auf; und obwol keiner von ihnen zum höheren Ziel der historischen Kritik gelangte, so ward doch zu ihm durch ihren Fleiß der Weg geöffnet. So auch im Natur-, Staats- und Völkerrecht, und in der andern Geschichte. Dort und hier werden die Namen Beausobre, L'Enfant, Pelloutier, Basnage, Barbeyrac und so viel andre stets mit Achtung genannt werden.

Ein Gleiches gilt von ihren Predigten. Wenn diese in Ansehung der Sprache und Kunstform an Bossuet's, Bourdaloue's, Fléchier's, Massillon's u. s. w. glänzende Declamationen nicht reichten, übertrafen sie solche oft an Vernunft und reinerer Religionsansicht. Ja, mehr als ihre Predigten wirkten die Prediger selbst. Oft aus edlen Familien entsprossen, brave Männer, verehrte Väter ihrer Gemeine, einer anständigen Lebensart und Haushaltung gewohnt, zum Umgange mit den Größten und Kleinsten gebildet, brachten sie ein Muster der Hirtenpflege und Pastoralwürde in manche Orte, wo ein solches nicht eben landüblich war. Fast allenthalben, wo es französische Flüchtlinge gab, sind die Namen ihrer ersten geistlichen Führer verehrte Namen.

Fügt man zu diesem Allem die Gewerb- und Kunstindustrie hinzu, die Ludwig durch den Widerruf des Edicts von Nantes in so viele Länder verbreitete, hat er nicht, wonach er strebte, zwar keine allgemeine Monarchie, aber einen Gemeinstaat in Sprache und Künsten gestiftet, der im Gebiet der höchsten Haushaltung besser gedieh, als jene Monarchie während seines kurzen Daseins je gediehen wäre?


Beilage.
Wodurch verbreitet sich eine Sprache mit bleibender Wirkung?

1. Nicht durch die Gewalt der Waffen. So manche Horden haben sich seit den ältesten Zeiten von Asiens Gebirgen herabgestürzt; Tataren und Hunnen haben Jahrhundertelang Länder durchzogen; mit den Horden selbst wich auch die Sprache zurück und ging, außer wenigen Resten, in den durchzognen Ländern, unter. Die türkische Sprache, in welcher der Großherr allein Verträge unterzeichnet, so gebildet sie von manchen Seiten scheint, beim despotischen Besitz ihrer Reiche hat sie zur Alleinherrschaft über Zungen und Geister nie gelangen mögen.

Eben also die Sprache der deutschen Völker, die einst in Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, selbst in Afrika herrschten. Aendern konnten sie die Sprache der Eingebornen, vertilgen aber konnten sie solche nicht. Sie selbst verloren sich in den Geist ihrer überwundnen Völker.

Die Römer, ohngeachtet zu Anerkennung der römischen Majestät in allen Provinzen Gesetze gegeben waren und auf diese mit römischem Ernst gehalten ward, den Vortritt der griechischen Sprache vor der ihren konnten sie nicht hindern. In Gerichten durfte jene nicht gebraucht werden; Kaiser Claudius nahm einem asiatischen Abgesandten das römische Bürgerrecht, weil er kein Latein verstand; Tiberius, als in einem Befehl das Wort Emblem gebraucht werden mußte, unterließ das ganze Edict lieber. Dies Alles hinderte nicht, daß spätere Kaiser, Marc-Aurel, Julian, sogar in ihr schrieben und damit das übelste Beispiel gaben.

2. Wie nun war die griechische Sprache zu dieser Uebermacht gelangt? Allerdings trugen die Siege Alexander's sowie die von seinen Nachfolgern in Asien und Afrika errichteten Reiche zu Verbreitung ihrer Weltherrschaft bei; sie hatten solche aber nicht gegründet. Lange vor Alexander hatte sich die Sprache durch Colonien und Handel, durch Schulen, Schriften und Künste verbreitet; die innere Bildung und Art derselben, die gesprächige Gewandtheit der Nation selbst hatte sie umhergepflanzt.

Die Juden waren nie ein kriegerisches Volk; durch Waffen sollte das Christenthum nicht siegen: und dennoch sind die griechische, lateinische, alle neueren europäischen Sprachen voll jüdisch-christlicher Worte und Redarten. Wodurch? Durch Lehre, durch Ueberredung. Weiter und tiefer als das Gebiet der Römer reichte die Herrschaft des römischen Papstes, seiner Kirche, seiner Orden, seiner Schulen, seiner Universitäten. Der strengste Deutsche, wenn er Kirche, Bischof, Priester, Kanzel, Bibel, Altar, Messe, Evangelium, Epistel u. s. w. nennt, spricht christianisirte griechische oder lateinische Namen.

Und wie viele dergleichen fremde Worte von Kopf zum Fuß, von Mauer und Fenster bis zu Palast, Kanzlei, Kamin u. s. w. nennt er täglich! Europa's Sprachen sind ein bunter Teppich, dem Begriffe und Worte beinah vom ganzen Erdrunde aufgenäht oder eingewebt sind, aus Ost- und Westindien sogar, aus Afrika und der versunkenen Vorwelt.

3. Was sich fremden Sprachen gleichsam natürlich und am Festesten anfügt, sind Sachen, Gebräuche, Verrichtungen, Künste. Wenn diese eine Nation nicht gehabt oder gesehen hatte und jetzt durch Worte bezeichnet von einer andern Nation überkam, mit Sachen bekam sie Namen, mit Gebräuchen und Verrichtungen Redarten, mit Künsten und Gewerben eine neue Kunstsprache. Wollt Ihr dem Geist der Völker gebieten, so erfindet Künste, Gewerbe. So lange diese, werden auch Eure Begriffe, so oder anders geformt, dauern. Was die Mauren in Spanien nachließen, waren Worte von Dingen, die, ihnen eigenthümlich, auch nach ihrer Vertreibung im Geist und in der Verfassung der sie Austreibenden zurückblieben. Was aus ihrer Sprache Deutsche den südlichen Sprachen Europa's Jahrhunderte hinab unmerklich einverleibten, waren Jagd-, Kriegs-, See-, Bergwerks-, Hanthierungs-, Kunst-, Trinkworte; denn jede Nation malt sich selbst unaufhörlich.

4. Auch dann malt sie sich, wenn sie Eigenschaften der Dinge mit Geist bezeichnet. Wie heißt nun das Land, das, Spanien, Italien und Deutschland nachbarlich, von frühen Zeiten an in der Lage war, fremde Künste zu nützen und ihre Werkstätte, in Manchem ihr Mittelpunkt zu werden? Wie heißt die Nation, die, eigne oder fremde Ideen durch Sprache und Vertrieb zu verbreiten, sich von je her angelegen sein ließ? Schon die Scholastik, die in Frankreich vor Jahrhunderten die Nationen um sich versammelt und der nahen Verwandtschaft wegen zwischen der lateinischen und der französischen Sprache, diese in tausend Abstractionen zu Benennungen geistiger Eigenschaften gebildet hatte, sie ward bald eine feinere Scholastik der Völker, die der muntere und unternehmende Geist dieser Nation, der von je her bei den Umwälzungen Europa's, den Ritterzügen nach Orient, den Fehden mit dem Papst u. s. w. das Wort geführt hatte, andern Nationen früher oder später gemein machen mußte. Die häufigen Züge Frankreichs in die benachbarten Länder, die Züge der Benachbarten nach Frankreich trugen allerdings dazu bei, wie in früheren Zeiten die Eroberung Englands durch die Normänner, späterhin die mancherlei Verbindungen zwischen Frankreich, England und Holland auch ihre Sprachen und Redarten gemischt hatten; Geist aber oder Mode, Gebrauch und Geschmack gaben doch allenthalben den Ausschlag. Wo in einer Sprache etwas genauer ausgedrückt ist, oder wo man im Moment glaubt, daß es nicht glücklicher ausgedrückt werden könne, natürlich braucht man da oder modelt ihn nach, den Ausdruck. In Wissenschaften wie in Künsten sprechen Viele Französisch, Spanisch, Italienisch, Griechisch, Latein, ohne daß sie es wissen; denn nicht der Schall, sondern der Geist, die Seele der Worte ist Sprache. Würde Luther, würde Hugo von Trimberg unsre Schriften allenthalben verstehen, wenn sie wiederkämen und diese läsen?

5. Da sich also der Geist aller Nationen allen Nationen, die mit einander sprechen und handeln, unhintertreiblich mittheilt: am Nutzbarsten und Bleibendsten theilt sich die mit, die viel und genau denkt, die sich leicht, angenehm und so genau ausdrückt, daß über diesen Ausdruck nichts zu gehen scheint. Jeder, dem er zukommt, wird ihn sodann mit einer Art betroffener Freude, mit jenem stillen oder lauten εὕρηκα (Gefunden!) aufnehmen, das ihm unvergeßlich bleibt.

6. Wetteifer zwischen den Sprachen ist unvermeidlich und löblich, so lange Geister mit Geistern, Nationen mit Nationen umgehn; denn jede Sprache ist eine Tochter des Geistes und der Gesprächigkeit, d. i. des Umgangs. Plärrt aber eine Nation der andern sinnlos nach, denkt sie nicht die Gedanken in eigner Weise, so bekennt sie sich als ihre Unterthänig-Gefangene, die nicht anders als nach und aus ihrem Munde zu sprechen weiß. Daß die Feinheiten der französischen Sprache in die unsere so schwer zu übertragen sind, zeigt schon die Entfernung des Charakters beider Nationen von einander; die eigensten Eigenheiten, oft schöne Nichtigkeiten dieser Nation, müssen sie denn aber auch übersetzt werden?

7. Der sclavischen Nachahmungssucht im Gebrauch fremder Sprachen arbeitet man nicht dadurch am Kräftigsten entgegen, daß man einzelne Worte verbannt, sondern daß man den Geist seiner Nation in sich kräftig macht, zu sprechen und zu denken, sie also zu sich selbst erhebt. Denn zu jeder Rede gehören Zwei, der Redende und Der, zu dem ich rede. Verbindet dieser mit meinem Wort nicht ganz und im genauesten Umriß meinen Begriff, warum sollte ich, um ein schlaffes Mißverständniß zu vermeiden, nicht lieber das fremde Wort nützen, mit dem er meinen Gedanken denkt? Zwinge ich ihn aber, in meiner Sprache mit mir zu denken, so daß ihm diese nicht nur verständlich, sondern auch lieb wird, gern wird er der fremden entbehren. Manche Nation erschlaffte, wenn nicht zuweilen ein fremdes Gedankenmaß an sie gelegt, ein fremdes Gedankenziel ihr vorgesteckt würde; strebe sie jetzt nach ihm in ihrer eignen Denkart!

8. Der Reiche borgt nicht, sondern leiht; der Arme borgt gerne von ihm. Wäre Lavoisier's System der Chemie bei uns entstanden, so hätten wir ihm Namen gegeben, jetzt müssen wir fremde Worte nachsprechen oder nachmodeln. So ist's bei jeder Bezeichnung neuer Verbindungen der Begriffe und Gedanken. Lasset uns viel und genau denken, leicht und genau sprechen, so pflanzt sich unser Geist mit oder ohne unsre Sprache weiter; denn nur ein Menschengeist ist's, der in allen Sprachen spricht und denkt.



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