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91.

Basel, 27. Dez. 1887.

Nachdem gestern nachts G. und M. bei mir gekneipt haben und auch Ihrer ehemaligen Verherrlichung meiner Stube und meines Pianinos in Freundschaft gedacht worden ist, schicke ich mich an, auf Ihren werten Brief zu antworten und Ihnen ein so gutes Jahr zu wünschen, als auf diesem zweifelhaft organisiertem Erdball erhoffbar sein sollte.

Herzliche gute Wünsche habe ich für Sie immer gehabt, aber meine Weisheit ist nie weit her gewesen; ich bemühte mich im Grunde nur, dasjenige Genre zu erraten, in welchem Sie, wie ich dachte, am besten Erfolg haben würden. Nun aber sind Sie, wie mir klar wird, ein wahrer Rabenvater gegen Ihre Skizzen und angefangenen Sachen und verwerfen eins nach dem andern, weil dasselbe nicht »präsentabel« sei. Wenn es alle so machten, so wäre seit Anbeginn der Kunst kein Mensch zu etwas gekommen. Fassen Sie nur Mut zu Ihren eigenen Sachen und glauben Sie, dass auch in einer beiseite gestellten Arbeit immer etwas lebt, was Sie ein andermal brauchen können. – Da jedem Narr seine Kappe gefällt, so bleibe ich auch bei meinem Vorschlag zu einer Nausikaa Von dem in einem hier nicht mitgeteilten Schlusssatz des vorhergehenden Briefes im Vorbeigehen die Rede ist., und zwar meine ich nicht die Szene mit Odysseus, sondern nur einen landschaftlichen Anblick mit Figuren: les jardins d'Alcinous, mit jenem Weinlaubgang auf Pfeilern in der Mitte des Bildes, aus welchem in vollem Licht Nausikaa hervorträte, hinter ihr etwa zwei Dienerinnen im Schatten mit Fruchtschalen auf den Köpfen. Die Figuren stelle ich mir nur ein Viertel von der Höhe des Bildes vor. Nausikaa könnte einem sich an sie schmiegenden goldenen Hund flattieren, dergleichen ja ihr Herr Vater besass. Und weil der weise Bouguereau von der Wichtigkeit der Fonds geredet hat, so sollte es nicht unmöglich sein, die Figuren in einer Landschaft vortreten zu lassen, meinethalb mit »fast nur angedeuteten« Vegetabilien, doch so, dass das Auge durch Sonnenlicht und Wolkenschatten fabelhaft weitergeführt würde an ferne, duftige steile Rivieraküsten. Dies wäre ein Sujet, welches Sie mit ganz mässigen Ölstudien bei Winterszeit aus dem Gedächtnis zustandebringen könnten. Ich glaube nämlich nicht recht an Ihre Klagen über Schwäche des Formengedächtnisses in Ihrem frischen Alter; da lassen Sie mich jammern, der aus ganzen Galerien im siebenzigsten Jahr fast gar nichts auswendig behält. Darum würde es mir auch wenig helfen, wenn ich noch einmal nach Paris käme, um die neu aufgestellten Sachen in der salle des états zu besichtigen. (Ich bitte um Nachsicht, dass meine Handschrift plötzlich schlechter wird, es ist nämlich heute 9° Kälte und ich setze mit erstarrten Fingern neu zu schreiben an.) Statt Galerien nachzureisen, kaufe ich mehr und mehr Photographien. Man kann jetzt besonders von Alinari in Florenz eine Menge schöner Sachen, besonders unerreichbarer Fresken und Skulpturen ganz billig zu 75 Centesimi haben.

Das müssen nette Zeiten sein, in welchen die Kadaver von Riberas Alten zeitgemäss sind gegenüber von dem als déchu erklärten Murillo. Was doch in solchen kranken alten nervösen Riesenstädten wie Paris für Moden möglich sind, und was alles geschieht um der Sensation willen, die man bei einem bis aufs Mark usierten Publikum erregen muss, nur damit es nicht sage connu ça!


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