Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

79.

Basel, 30. Nov. 1884, abends.

An diesem schneenassen Sonntag abend, da ich doch in keine Konzerte mehr gehe, ist es Pflicht, Briefe zu schreiben. Vor allem meine höchste Verwunderung darüber, wie Sie in so kurzer Zeit das Radieren so ausserordentlich weit gebracht haben, dass Sie für jeden Pariser Luxusherausgeber eine wahre Akquisition sein würden. Sowohl in der Landschaft als in dem Architekturbild sind Ton, Haltung und Wirkung vollkommen und nicht nur die Technik. Nebenbei eins, was ich Ihnen – die Hand aufs Herz – nie zugetraut hätte, ist die mikroskopische Emsigkeit. – Das Architekturbild gibt mir die leise Hoffnung, dass mein ehemaliger Ratschlag zur Zeit Ihrer Aquarellmalerei, Phantasiegebäude mit Staffage zu schaffen, nicht ganz ohne Effekt geblieben sein möchte; Sie haben hier eine veine voraus wie vielleicht unter allen Pariser Eauxfortiers keiner. (Schreibt man Eaufortiers oder Eauxfortiers? Ich bitte um Belehrung.)

Hier in Basel wird's von wegen der Politik täglich ungemütlicher, und die Szene im Grossen Rat vom letzten Montag zeigt, welche Stunde auch für uns Leute von der Universität geschlagen hat. Sobald einmal feststeht, dass der hiesigen Masse die Aufhebung der Universität schmecken würde, so genügt eine Vormittagssitzung des Grossen Rates. Die Aufhebung der katholischen Schule war wohl nur eine viel geringere Angelegenheit, aber sie lehrte, wie kinderleicht das Zerstören ist. Eine Anzahl von Radikalen wünschen das Fortbestehen der Universität, aber wenn die Masse etwas will, so vermögen sie wenig oder nichts. Nahe ist die Sache noch nicht, aber ich fürchte, es wird einstweilen noch diverses anderes geschehen, womit Basel noch tiefer herunterkommt.

Meine kleinen Beschwerden, wie z. B. das Auftreten vor dem Publikum, sind wahrlich nichts im Vergleich mit dem allgemeinen Zustand. A proposito: ein paar Tage vor der Pythagorasvorlesung Am 28. Okt. sprach B. über »Pythagoras (Wahrheit und Dichtung)«. erschien hier Mr. X., und mir blieb nichts anderes übrig, als mit wahrem Kummer ihm zu offenbaren: ich sei stark präoccupiert. Gott gebe, dass man mir's nicht dauernd übelgenommen habe.

Meinen Glückwunsch zu dem neuen Modell vom Typus der belle jardinière! Ich möchte dies Wesen sehr gerne auch sehen und bin nun begierig, zu erfahren, ob dasselbe in der idealen Malerei dieses Jahrgangs oder des nächsten Salons überhaupt eine Rolle spielen wird, etwa wie um 1830 die schöne Vittoria von Albano in den damaligen römischen Malereien und Skulpturen. Wenn so etwas »grassiert«, kann man sich es schon gefallen lassen.

Auch dafür sind Sie zu beglückwünschen, dass Ihnen im neuen Atelier wohl ist. Ich muss mir lebendig vorstellen, wie Sie selbst, etwa in einer stilisierten wollenen Bluse, unter Ihrem Oberlicht aussehen! Wie wäre es, wenn Sie mit Hilfe eines Spiegels eine Radierung dieses Inhalts für Familie und Freunde liefern möchten?

Dass Ihnen Paris wieder recht gefällt, ist ein Segen Gottes, und ich kann Ihnen nur raten, sich dort festmöglichst zu akklimatisieren, denn mit dem hiesigen Wohlergehen sieht's zweifelhaft aus. Seit den deutschen Reichstagswahlen kommt es mir vor, die Welt sei um eine Nuance anders beleuchtet als zuvor, und die blöden Scherze, womit Bismarck im Reichstag die Sozialdemokraten begrüsst hat, gingen ihm wohl nicht von Herzen. Im Reichstag würden dieselben wohl nie die Majorität haben, auf der Gasse aber schon! – Ein eigentliches Aufgepasst! wird es freilich erst geben, wenn bei irgendeinem Anlass offenbar würde, dass schon ein Teil der Armee angefressen sei. – Ich habe das Gefühl, dass diese Lage von Deutschland bereits stündlich auf uns einwirke.

Einstweilen gehen die Leute hier (obwohl mässig) ins Theater, und nächsten Donnerstag gibt man im Musiksaal Schumanns Faustmusik, und diese darf selbst ich nicht schwänzen, aber ich bleibe in der Nähe der Tür, um vor der zwanzig Minuten langen Schlussfuge (Alles Vergängliche usw.) verschwinden zu können, denn diese hat mich schon einmal vertäubt, und man verwitscht Mundartlich: man kriegt mich dran. mich nicht noch einmal damit.

Der Tod der Frezzolini hat auf B. gewirkt, nicht auf mich, sintemal ich sie niemals gehört hatte; wohl aber hat in dieser Woche der Tod der Fanny Elssler mir Impression gemacht, da ich sie 1843 in Brüssel in einem grossen Ballett (ganz herrlich, und zwar mit einfachen Mitteln) gesehen hatte. Jetzt ist die Person, die ich als eine dreiunddreissigjährige sah, als eine vierundsiebzigjährige in Wien verstorben.

Paris est plein de ces astres éteints, sagt Daudet im Nabab von solchen alten Theaterzelebritäten, aber in Wien ist auch ein solches Depositum beisammen, und diesen Sommer ist dort einundachtzigjährig die Haizinger gestorben, welche ich auch noch in ihrer berühmten Schönheit gesehen hatte.

Die Halle gedeiht leidlich, doch soll man das Glück nie verrufen, und vielleicht kommt gerade morgen wieder dieser und jener, der mir den Mund schliesst oder mich doch vorsichtig macht. Das ist für mich keine Kleinigkeit, da ich fast nur noch durch die Halle mit der weitern Menschheit zusammenhänge.


 << zurück weiter >>