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5.

Verona Sonntag, 6. Aug. 1876.

Der 28., da wir fortreisten, war ein Freitag, also der 1. August ein Dienstag, und an diesem sind wir in Innsbruck angelangt, und bis dahin haben Sie Bericht. Heute muss der 6. August sein. Wir müssen dies mühsam ausrechnen, sintemal wir Burckhardt reiste zusammen mit einem jüngeren Basler Freunde. völlig nach dem Zufall leben.

Aber herrlich leben wir. Innsbruck auch für Sie ein wundervoller Ort, Verpflegung vom besten, der 1875er Rote so gut, dass laut Aussage eines weisen alten Mannes zehn Jahre lang kein solcher zu trinken gewesen. Man trinkt nämlich in ganz Nordtirol einen Südtiroler von fast überall gleichmässiger Güte, der aber im jedesmal laufenden Jahr muss ausgetrunken werden. Hiezu haben wir kräftigst beigetragen, das weiss Gott. Innsbruck: letzter Barock vom Reichsten und Schönsten vorherrschend, daneben Schönes und Älteres; ferner eine Galerie mit einigen Perlen. Wenn Sie einmal dort wären, man brächte Sie schwer wieder fort. Unten Prachtrokoko und oben ewiger Schnee, und zu jeder Stunde der köstliche Wein.

Am Donnerstag, nach vollständig eineinhalb Tagen Aufenthalt fuhren wir an einem Strich über den Brenner nach Bozen, in den vollen heissen Süden, wo nächtlich auf dem grossen Platz gekneipt wurde; am Morgen die heisse strahlende Prachtwelt von vier zusammenlaufenden Alpentälern mit lauter Schlössern und Klöstern bis in alle Höhe, sonst alles Reben, Feigen usw. Und auf diesem letzten Vorposten eine deutsche gotische Hallenkirche mit einem reichen Prachtturm von sechseckigem durchbrochenen Oberbau, voll der schönsten Sophistik! Vormittags noch fuhren wir nach Trient, und merkwürdigerweise bin zuletzt ich noch mehr der nach Italien Vorwärtstreibende geworden als G. Es ist eben ein Götterland um dieses Etschland.

Beim Einzug in Trient die volle Renaissance, bemalte Fassaden, gruppierte Fenster alla Veneziana mit balconcini, oben herrliche Sparrendächer, ja ein reicher Quaderpalast Tabarelli mit gewaltigem steinernen Prachtgesimse. Auf dem Domplatz eine Mordsfontaine mit Skulpturen in drei Stockwerken; durch die ganze Stadt dann noch Barock so schön man will. Alles schon ganz tiefsüdlich. Abends in der Dämmerung führte ich G. nach dem von mir zuvor ausgekundschafteten Orto degli ulivi, wo wir zwischen Ölbäumen, Lorbeeren und Oleandern (bis 24' Höhe!) etwas kneipten. Dazu sangue bellissimo. – Gestern wollten wir eigentlich vorerst nur bis Roveredo, aber dies und Gardasee sanken in den Schlund der Nichtberücksichtigung, weil der gewaltige Magnet Verona schon auf uns zu stark wirkte. Also langten wir in Gottes Namen gestern mittag hier an, wo es nicht heisser ist als in Trient, aber doch sehr heiss, wenn auch sehr viel erträglicher als zu Mailand im Juli. Es lässt sich ganz gut aushalten.

Leider war gestern nachmittag die seit kurzem sehr vermehrte Galeria pubblica unsere Hauptaufgabe, und hier geriet G. in stillsichtbare Verzweiflung über die unerhörte Masse Schund, welche in etwa zwölf grossen Sälen zusammengetan ist. Ich hielt stand so gut es ging. Hernach tröstete uns ein frisches Bad und wir waren wieder voll Wissbegier und sind es bis zu dieser Stunde, nachdem wir heut morgen eineinhalb Dutzend Kirchen durchgejagt. Gestern nachts im hellen Vollmond demonstrierte ich G. an der Porta Nuova den Festungsprachtstil des Sanmicheli; es war so deutlich wie am Tage. Mit den bösen Stechfliegen ist es uns bis jetzt ganz leidlich gegangen, und ich weiss jetzt wieder für ein andermal, wie sich der August hierzulande ausnimmt. Es ist eine bis jetzt wundervolle Tour voll des angenehmsten und lehrreichsten Bummelns gewesen.

Von Venedig aus, wo wir eine Woche bleiben, schreibe ich Ihnen wieder, und wenn Sie dann sogleich dazu tun, kann mich auch eine Antwort von Ihnen erreichen, die mir lieb wäre, auch wenn sie aus wenigen Zeilen bestände.

Ich will Ihnen nicht predigen: Sie müssen auch wieder einmal nach Italien, denn wenn Sie Zeit hätten, so täten Sie es ohnehin, aber Ihr Genuss würde gegen früher noch sehr vervielfacht sein. Beneidet mich jetzt alle, ich bin für diesmal der Glückliche.


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