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4.

Rom, Freitag, 16. April 1875.

Zunächst herzlichen Dank für Ihren Brief, den ich Dienstags erhielt und mit grösstem Vergnügen in mich aufnahm. In Sachen von Barocco und Altertum geht es uns wie den beiden Brüdern in Hebels Schatzkästchen, wovon der eine lutherisch und der andere katholisch war; da sie meist durch längere Abwesenheit getrennt waren, wurde jener katholisch und dieser lutherisch. »Die Bekehrung«. Warten Sie aber nur, ich bringe für Sie eine nur geringe, aber sprechende Photographie mit, die Seitenansicht der Treppe von Pal. Madama in Turin! Ich sah neulich bei meiner zweistündigen Tour durch Turin diese Treppe wieder. – Von athenischen Photographien habe ich hier nur die geringen Blätter vorgefunden und einiges gekauft; zu unerschwinglichen Preisen hat vielleicht Aubat an Via Condotti etwas, der Repräsentant des Braun von Dornach, der ja jene Unsterblichkeitssalbe für Photographien erfunden haben will, wie einst Thetis den kleinen Achill in den Styx tauchte, aber an den Fersen, wo sie ihn hielt, blieb er verwundbar, und so werden auch die Braunschen Mixturen zwar dem Erfinder einstweilen ein schönes Geld eintragen, da er heischt, was er will, aber den Säuren der Luft werden sie auf die Länge auch nicht widerstehen.

Was Sie von den Erweckungsgeschichten melden, ist zwar in der Form so fehlgegriffen als möglich, aber der tiefere Grund ist doch der, dass der Weltoptimismus anfängt, ein Loch zu kriegen. Es sind Parallelerscheinungen zu Schopen! Schopenhauer. Die nachher erwähnte Stelle im 3. Buch der Welt als Wille und Vorstellung, § 43. Es wird noch mehr der Art kommen und wir müssen die Augen offen haben. Übrigens freut es mich, dass Sie in Schopen das Prinzip der Lichtwirkung nach Massen anerkannt gefunden haben. Ich hatte bisher die Stelle immer übersehen.

Neulich suchte ich richtig in Pal. Altemps das Nebenhöfchen rechts auf und fand es; die kleine vermauerte Halle mit den Grisaillen ist ja vom Besten der goldenen Zeit! Schönsten Dank! Der Hof war reichlich mit Federvieh besetzt, so dass der Duca d'Altemps wohl ein würdiger Abonnent des »Organs für Hühnerfreunde« werden könnte, welches irgendwo in Deutschland herauskommt. Der weisse Pfau war aber nicht mehr dabei, sondern ein prachtvoller farbiger, welchem ich Ihren Gruss an seinen Vetter mitgab.

Ich habe nun an Photographien und anderem Schund über 600 Franken verklopft und heute den Spediteurgehilfen auf dem Zimmer gehabt; wie man den Schreiner kommen lässt, um für einen Toten den Sarg anzumessen, so hat dieser für das Ergebnis eines sechzehntägigen Kaufens das Mass für die Kiste nehmen müssen, mit der er morgen früh aufrücken wird. Denn die letzten Tage (bis nächsten Dienstag abend) will ich Rom gemessen und nichts mehr kaufen. Rütimeyer Ludwig Rütimeyer, Ordinarius der Zoologie an der Basler Universität. hat mich einstweilen schriftlich aufgefunden, und heut abend sind wir zusammen, hoffentlich lange, denn in guter Gesellschaft ist noch nichts besseres erfunden worden als Hockenbleiben. Leider will er schon morgen fort.

Der Scirocco, dessen Regengüsse zuletzt Tag und Nacht fortdauerten, hat endlich vorgestern um Mittag plötzlich einem scharfen Nordwest mit klarem Himmel Platz gemacht; es war Zeit, denn allgemach hatte man jenes Gefühl, an den Beinen schimmlig zu werden. Ich kam eben aus dem Vatikan; während des Essens heiterte es sich auf und ich beging das Ereignis festlich, indem ich ins Kasino Rospigliosi eilte und die Aurora sah. Abends ging ich nach S. Pietro in Montorio und dann in eine Kneipe vor Porta S. Pancrazio und trank einen halben Liter, und als ich wieder nach S. Pietro in Montorio hinging, war es gegen Sonnenuntergang und die nähern Teile der Stadt schon im Dunkel, alles übrige aber, vom Pincio bis zum Lateran, in feuriger Sonnenglut, und in Frascati funkelten alle Fenster! Da habe ich doch heulen müssen. Es ist aber etwas Eigenes mit dieser römischen Landschaft; man sollte einmal mit dieser uralten Person ein ernsthaftes Wort darüber reden, was sie eigentlich für ein Privilegium hat, den Menschen zeitweise auf das Höchste aufzuregen und dann in Wehmut und Einsamkeit stehen zu lassen? – Auf dem Heimweg, nachdem ich im Falcone, im untern Römerstübchen links, zu Nacht gegessen, wollte ich, weil der Halbmond fast senkrecht über die Welt dahinging, mir wieder wie vor Zeiten bei solchen Umständen das Pantheon aufschliessen lassen, erfuhr aber offiziell, dass man es nachts nicht mehr öffne, was ein positiver Rückschritt ist.

Im übrigen ist Rom noch in all seinen wesentlichen Teilen, ausgenommen die Gegend um S. Maria Maggiore, leidlich intakt und hat noch jene ganze Fülle vornehmer architektonischer Anblicke wie keine andere Stadt auf Erden; es ist gar nicht immer die klassische Schönheit des einzelnen Gebäudes, welche entscheidet, sondern ganze Gruppen sind wie selbstverständlich in verschiedenen Zeiten nach einem gleichartigen grossen Model zusammengestellt worden. Freilich, wenn in einer Stadt der Weltherrschaft fünfundzwanzig Jahrhunderte in die Hände speien, kann schon was Stattliches herauskommen. (Hier fällt mir ein, dass fünfundzwanzig Jahrhunderte, welche in die Hände speien, kein schönes Gesamtbild abgeben, doch wenigstens ein kurzweiligeres als les quarante siècles censés de contempler l'armée française le jour de la bataille des pyramides.) Und auch das Neueste ist wenigstens so gut oder noch besser als anderswo. Der Bahnhof gefällt mir weiss Gott besser als in Paris die Gare du Nord mit ihrem Neógrec; Podestis Fresken im Vatikan sind besser als der meiste Kaulbach, und selbst das Denkmal der Immacolata auf Piazza di Spagna dürfte sich, abgesehen von seiner Bedeutung, künstlerisch noch immer sehen lassen, denn die Propheten sind gar nicht schlecht. Das lächerlichste Denkmal, das ich auf dieser Reise gesehen, ist unstreitig der Brunnen in Chambéry, wo aus einem Obelisken vier mächtige Elefanten hervorschreiten, die also innerlich im Obelisken zusammenhängen? Und nun denken Sie sich diesen gemeinsamen Stuhlgang! Es wird einem übel. Dafür wurde ich in Turin erquickt durch die herrlichste aller Reiterstatuen, den Emmanuele Filiberto. Von Carlo Marocchetti, 1838 enthüllt.

Den Deutschen, mit Ausnahme des mir werten Bode, habe ich mich bisher völlig entziehen können; es wimmelt noch jetzt davon, nachdem der Abmarsch nach Neapel bereits begonnen hat und die Photographen Tag und Nacht kaum genug Ware für Souvenirs haben schaffen können. Freilich sagt mein Hauptlieferant Crippa, ein drolliger Milanese, »la fotografia sinora non è che una fanciulla«, es muss noch ganz anders kommen. Was ich meinerseits gegen diese Kunst auf dem Herzen habe, deutete ich Ihnen schon neulich an, und bin seither sehr darin bestärkt worden. Ich weiss, wo sie die Kunstgeschichte fördert, aber auch, wo und in welchen schreienden Fällen sie dieselbe plötzlich im Stiche lässt. – Heute gegen Mittag, als ich aus dem Vatikan kam und im Pal. Farnese stand, schritten vier Deutschinnen mit vier Bädekern in den Händen ganz militärisch gegen den Palast, und keine war auch nur leidlich, obwohl sie jung waren. Und überall dies laute jebildete Reden! – »Es wäre köstlich jewesen, bei Papstens zu Tee zu jehen, allein Sie bejreifen wohl, bei die jetzigen Verhältnisse …«

In fünfzehn oder sechzehn Tagen, wenn alles gut geht, bin ich wieder in Basel und werde dann erst recht erzählen können und dann auspacken, wenn die Kiste glücklich angelangt sein wird. Erwarten Sie nur keine schönen und ausgewählten Blätter, sondern lauter Ausschuss, di scarto, zum massenhaften Vorzeigen; es sind keine fünf Blätter darunter, die über 1 Lira gekostet hätten.


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