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65.

Basel, 25. Juni 1882.

Ihre Briefe vom 17. Mai und 8. Juni liegen schon so lange unbeantwortet vor mir, ich bin aber noch für fünf Wochen das nämliche arme geplagte Tier wie seit Mitte April und muss in einem fort oxen und memorieren, und habe schlechterdings keine freien Stunden als die von abends 9 Uhr an und dann Sonntag nachmittag, den ich mir nicht kann nehmen lassen, wenn ich nicht krank werden soll. Wenn ich einmal Ende Juli auf der Reise nach Berlin bin, werde ich etwa wieder die einsamen Abendstunden dem Briefschreiben widmen können, bis dahin müssen Sie einige Geduld mit mir haben. Das einzige Vernünftige, was in den letzten Tagen geschehen, ist, dass Nationalrat und Ständerat das abgeschmackte Zündhölzchengesetz den Bach hinabgeschickt haben, aus einem Grunde, den niemand hat öffentlich bekennen dürfen: nämlich wegen der enormen Verhasstheit selbigen Gesetzes, das mit der grössten Frechheit umgangen wurde. Die neuen Fabrikanten selbst machten heimlich neben den neuen Zündhölzchen auch alte! Keine Kneipe, welche Zulauf haben wollte, durfte neue halten. Und als man an den eidgenössischen Zollstätten Koffer aufmachte, um nach Kontrebandehölzchen zu spähen, kam die lächerliche Ohnmacht unserer Grenzpolizei gegen wirkliche Defraudanten auf das deutlichste an den Tag. Ich glaube, dies hat den Gebietern beinebens auch jeden andern ernsthaften Schutzzoll verleidet, ausgenommen was leicht kontrollierbarer Massentransport ist.

Ihre Briefe sind mir im höchsten Grade interessant, und ich möchte Ihnen so gerne meine Teilnahme durch eingehendes Gespräch mit Ihnen an den Tag legen. Was mir aber wirklich in hohem Grade zu denken gibt, ist Ihr viel zu grosses Format des ausgestellten Aquarells. Dasjenige der Skizze hätte die rechte Grösse gehabt, und zwar wäre ich für delikate, zierliche Ausführung; ebensoviele Ausführung wie im grossen Format, nur viermal kleiner, dort liegt, glaube ich, Ihr Avenir. Sie werden überhaupt erleben, dass ein Rückschlag im Sinne der zarten Ausführung im Anzug ist, und dass viele geniale grosse Ölschmierereien zu croûtes werden. Courbet ist ein Ende, kein Anfang. – Zeichnen Sie beim Studium nur so gross als möglich; Ihre Leute haben ganz recht, verkleinern kann man immer. – Wie gerne möchte ich mit Ihnen politisieren über Netscher, Berghem usw. – Das ewig Weibliche der Parisienne muss man im Flug, im Vorübergehen erhaschen; da hilft kein Modellstehen, sondern nur Ahnen, wie ein solches Skelettchen gebaut sein müsse, um sich im Gang so und so zu wiegen. – Zu Ihrem beginnenden Ölfrevel kann ich nur meine Benediktion geben, bleibe übrigens auch hier dabei: kleine Dimensionen und zarte Ausführungen und Prachtarchitekturen verwegenster Art, die Staffage aber immer ein kleines Evénement und halb selbständig und höchst studiert. So gebe ich in alter Keckheit wohlfeile Ratschläge, bleibe aber Ihr getreuer

J. B.


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