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50.

Basel, 6. Dez. 1880.

Nun habe ich zwei Briefe von Ihnen (vom 13. Nov. und 4. Dez.) zusammenkommen lassen und muss jetzt eilig antworten. Wichtiges für mich ist in der Zeit nichts vorgekommen mit Ausnahme des Todes unserer A. O., welcher die ganze Familie tief erschüttert hat. Ich danke Ihnen herzlich für Ihr Beileid.

Dass Sie noch immer bei Lesoufaché sind, zeigt doch, dass sein Bureau nicht gar so übel sein muss, wie Sie dergleichen tun. Denken Sie nur, wie unvollkommen unser aller Schicksal ist, höchstens G. ausgenommen, welcher jetzt wirklich gute Tage hat. Nur hat auch ihm letzten Samstag passieren müssen, dass er sich (wie schon früher einmal) mit der Haarbürste ins Auge fuhr; doch hat er heut nachmittag wieder ein wenig auf dem Bureau erscheinen können. Ich möchte nur wissen, welch ein Kobold bei ihm eine Ideenverbindung zwischen Haarbürste und Augen zuwege gebracht hat. Inzwischen machen Sie Entdeckungen im Louvre. Lassen Sie sich diese Sonntage um keinen Preis rauben, das gibt die besten Erinnerungen, die man aus einer solchen Stadt mitnehmen kann, solche, die mehr aushalten, als was man in Opern und anderen kostspieligen Instituten sehen und hören kann. Ich wollte nur, ich könnte im Louvre recht mit Ihnen herum, ich wollte Ihnen ausser jenem leuchtkräftigen Bellini noch einen leuchtkräftigen Giorgione (Madonna im Freien, mit einem Donator) zeigen, und so manches andere, das ich auch erst ganz allmählig habe auffinden müssen. – An jener untern Treppe, von der Sie schreiben, sind ausser den Figuren der Incantada noch andere schöne Sachen. – Den Cuyp mit seinen honigblonden Kühen sollten Sie einmal in der National-Galerie kennen lernen!

Ausserdem haben Sie aber an der architektonischen Betrachtung von Paris unendlich viel mehr als unsereiner, der nur die Hauptsachen kennen lernt und auch diese obenhin. Sie sehen mit ganz andern Augen, nämlich Lösungen von Problemen, Parallelen von Ausdrucksweisen dessen, was noch heute vorkommt. – Ihre Entdeckungsreise im Faubourg St. Germain hat mich sehr ergötzt; St. Thomas d'Aquin habe ich nie offen gefunden, da es an Werktagen wohl nur frühmorgens geöffnet wird. – An S. Augustin ist doch wirklich nur die Kuppelsilhouette geniessbar, um deretwillen das Ding überhaupt gebaut erscheint; an der Sainte Trinité ist vieles sehr geschickt, aber das Ganze von einer schändlich kalten, rein ästhetischen Profanität beseelt und die Choranlage (mit den Seitengalerien) reines Pfuschwerk. Warum nicht eine romanische Kirche, meinethalb in den reichsten erlaubten Formen, hinbauen? Warum mit des Teufels Gewalt du nouveau? aber du nouveau mauvais.

Gegenwärtig haben wir hier furchtbar viel Musik; Rubinstein hat das Publikum gebrandschatzt, und nun haben sie wieder im Theater eine fremde Koloratursängerin, die Schuch-Proska, welche ich ebenfalls nicht hören werde. Man sollte gegen diese fremden Zugvögel, die das Publikum hernach auf Monate lahmlegen, aus Kräften Front machen, d. h. ihnen einfach nicht kommen, Freitag war Armida, und zwar sehr vorherrschend gut. man wird sie wohl noch zweimal geben, und da fehle ich nicht.

Hat man Ihnen geschrieben, dass sich bei der Volkszählung vorige Woche bloss für die Stadt (ohne die drei Dörfer) einundsechzigtausend sog. Seelen ergeben haben? und alles, was Hosen trägt und zwanzig Jahre alt und nicht Fremder ist, darf stimmen und uns das Gesetz machen. Wie soll das mit unsern Aprilwahlen werden? Die Zeit wird's lehren. Ich sehe in ganz Europa nichts anderes als eine unwiderstehliche Zunahme der Kräfte von unten herauf, welchen man ja ganz express das Messer in die Hand gedrückt hat. Auch Frankreich wird, wenn auch sachte, immer mehr abwärts geraten. Einmal kommt es schon wieder anders, aber wann? wie? und durch wen?

Dazu die persönlichen Erfahrungen, von welchen Sie sprechen, die jeder Alternde in seinem besondern Leben macht, von diesem und jenem, was verloren geht und eines Tages nicht mehr vorhanden ist. Daneben die einzige Rettung, so lange sie vorhält, nämlich sich in Arbeiten vergraben zu können. Ich will hierüber nicht weiter fortfahren, da ich glaube, wir denken ohnehin ähnlich.

Nun bleiben Sie wenigstens gesund. Von meinem Asthma kann ich so viel rühmen, dass es nicht zunimmt, und das ist schon etwas. Aber ich bin jetzt so weit, dass ich mich »in acht nehmen« muss.


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