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Briefe an einen Architekten

1.

Verehrter Herr und Freund!

Basel, 1. Febr. 1870.

Es freut mich vor allem, dass Sie das Gefühl haben, dass es wohlgetan gewesen, mit Rom zu beginnen. In einem gewissen Sinne wird Ihnen allerdings nachher »nichts mehr grossartig genug sein«, wie Sie es zum voraus ahnen. Es gibt an andern Orten ebenso grosse Bauten, aber nirgends mehr diese sich bis ins Geringste hinein verratende, sich von selbst verstehende Grösse des Masstabes, und nirgends mehr vollends so viele originelle Einzelerfindungen und Ideen.

Vor dem Fundament in Via Giulia Gemeint sind die Mauern des Erdgeschosses des von Bramante für Julius II. begonnenen, aber nicht zur Vollendung gelangten Tribunal- und Verwaltungsgebäudes. möchte man wirklich weinen; im Hinblick aber auf das viele Unvollendete, Vereitelte und Verpfuschte, was der Passionsweg durch die Geschichte der Architektur Ihnen noch zeigen wird, rate ich, einstweilen mit den Klagen noch sparsam zu sein. Übrigens glaube ich einmal von Geymüller gehört zu haben, dass noch eine Skizze eines Stückes der Fassade erhalten sei, ich bin nur leider so aus allen italienischen Sachen heraus, dass nichts mehr, was ich nachträglich erfahre, recht haften will.

Um das Höfchen bei Palazzo Altemps sind Sie sehr zu beneiden. Wie Zahlloses der Art habe ich übersehen, schon deshalb, weil ich vor meiner letzten Reise 1853/4 keinen Letarouilly und überhaupt auch sonst fast kein Sammelwerk zur Präparation benützen konnte.

E. E. Publikum weiss überhaupt nicht, unter was für kümmerlichen Umständen der Cicerone auf die Welt gekommen ist. Nun, er hat mir hernach die Professur am Polytechnikum verschafft Im Jahre 1855. Vom Herbst dieses Jahres bis Frühjahr 1858 lehrte Burckhardt am Eidgen. Polytechnikum (jetzt Technische Hochschule) in Zürich Kunstgeschichte. Von hier aus erfolgte dann sein Ruf als Ordinarius an die Universität seiner Vaterstadt Basel, welches Amt er bis zu seiner Demission, 1893, vier Jahre vor seinem Tode, versah., und daraufhin hat sich mein Schicksal überhaupt wieder etwas erholen können.

Sie werden in Italien noch so manches sehen, wovon Sie nicht begreifen, wie ich es habe übergehen können – denken Sie nur immer, ich hätte es nicht gesehen oder bei meiner damals erst allmählich erfolgenden Augenöffnung nicht erkannt. Ach, was sind Sie glücklich, Sie sehen jetzt jede Stunde etwas, das durch Formenbildung, Proportion und Lichtwirkung schön ist. Sie leben in einer Stadt, wo der mässigste Korridor, die bescheidenste Treppenrampe die Nähe der Grössten irgendwie verraten. Wir hier sind recht brave Leute, aber zuzeiten erstaunliche Knorzer, und wenn man aus Italien wieder nach Basel kommt, fallen einem die Häuser über dem Kopf zusammen.

Ganz begierig wäre ich, von Ihnen zu vernehmen, wie Sie jetzt Paris und Rom gegeneinander verrechnen, und was Sie jetzt von dem künstlerischen Gewissen einiger berühmter Pariser Architekten denken. Denn blosse Geschmackssache sind Nouveau Louvre, Opéra usw. nicht mehr, wenn man seine Schule in Italien gemacht hat oder gar Grand prix de Rome gewesen ist; man muss etwas von seiner Moralität aufopfern, um solchergestalt der Mode gefällig zu sein. Wie völlig ohne Grösse sind diese einzigen neuen Pariser Bauten! Von den speziellen Gründen der Hässlichkeit zu schweigen. Wer Millionen wegwerfen könnte, um Zeitgenossen zu blamieren, der müsste einmal an irgendeinem Boulevard mit einem Stück echten, derben Italiens aufrücken. Vielleicht gingen den Parisern dabei die Augen auf. Und zwar müsste es nicht eine römische Fassade, sondern eine im Stil des Sanmicheli sein, damit sie einmal sähen, wie Monsieur Garnier Der Erbauer der Grossen Oper. seine Aufgabe hätte fassen können, und wie Pracht und Würde sich nicht ausschliessen.

Ich denke nun, wie Sie mit Ihrem Skizzenbuch herumwandern und stenographisch bald da, bald dort Grundrisse, Profile, Verhältnisse und – rasch à l'estompe – die Beleuchtung irgendeines architektonischen Anblicks fixieren und daneben irgendeine fleissige Detailaquarelle ausarbeiten. Der Himmel gebe Ihnen mildes Winterwetter.

Crostate und süssen Wein möchte ich auch gern wieder in Rom geniessen, wäre auch für beides noch empfänglich. Grüssen Sie von mir unbekanntermassen den weissen Pfau im Pal. Altemps.

Noch eines: für alles, was ins Gebiet der Notizen, Namen, Strassennachweisungen, Jahrzahlen usw. gehört, verlassen Sie sich nicht auf Ihr Gedächtnis, sondern wenden Sie jedesmal eine Zeile und ein paar Sekunden dran.

Seien Sie bestens gegrüsst
von Ihrem ergebenen
J. Burckhardt.


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