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61.

Basel, 31. Jan. 1882.

Unter bestem Dank für Ihr Schreiben vom 17. fange ich diesen Brief an, ohne zu wissen, ob ich morgen oder übermorgen fertig werde. Ich pflege des Abends, wenn Briefe geschrieben werden sollen, jetzt eher träge und schläfrig zu sein, bis ich mein Pianino aufmache und mich damit wieder erwecke. – Auf den keineswegs schmerzlichen Verlust des X. ist der für alle Nähern sehr schmerzliche seines Sohnes gefolgt. Ich für meine Person glaube freilich Gründe zu haben, es denjenigen zu gönnen, welche schon zu Anfang dieses Jahres, 1882, aus der Welt dürfen; ich mag mich wehren wie ich will, so peinigen mich schlimme Ahnungen schon für eine ganz nahe Zeit, und ich weiss, dass es hie und da auch andern so geht. Ich bitte Sie, in welche Hände kann nicht Frankreich fallen, nachdem eine so bübische Staatsaktion wie dieser Abschied des grossen Mannes möglich war? Der Rücktritt Gambettas. Von einem solchen Individuum, das die Nation zwei Monate lang rein zum Narren hält, sollte doch mindestens entre gens sérieux nicht mehr die Rede sein – und nun frägt alles nur: wie bald wieder oben auf? In Orient und Okzident, Nord und Süd wird an neuen Teufeleien gekocht, und ich empfinde ganz deutlich einen brenzlichen Geruch. Wir dürfen uns nur diesen Gedanken nicht zu viel hingeben, sondern müssen arbeiten, was das Zeug hält, um guter Laune zu bleiben und den Schlaf zu behalten.

Dass Sie zunächst auf die Architektur, so wie sie in Paris betrieben wird, verzichten wollen, verarge ich Ihnen nicht; ohnehin wird ja wohl infolge des Kraches auch ein gewisser Stillstand im Bauen eintreten. Aber ganz würde ich doch nicht mit dem Bauwesen brechen und auch die Verbindungen, die Sie noch haben, nicht völlig aufgeben. Es kann ja nach einigen bösen Monaten wieder eine temporäre Ruhe kommen.

Wegen des Joh. Bapt. Weenix ist zu melden, dass dieser es ist, welchen ich meinte; sein Sohn, Jan Weenix, ist allerdings der so viel berühmtere, der grosse Maler toter und lebender Tiere (besonders Hasen) und Accesoires. Leider habe ich von dem einzigen im Louvre vorhandenen Bilde des Vaters, les corsaires repoussés, keine Erinnerung mehr, während mir seine Bilder in München recht gegenwärtig sind. Übrigens ist auch Hubert Robert sehr lehrreich und selbst Panini. Und wenn es sich um ein genre mixte aus Watteaustil und Architektur handeln sollte, so bliebe Ihnen bei Ihrer reichen architektonischen Phantasie noch ein grosses Feld offen, und Sie könnten in die Watteau-Lancret Societät hinein die erstaunlichsten durchsichtigen Glorietten komponieren, erhaltene und halb zerfallene und überwachsene. Wenn ich so unverschämt war, von einem solchen genre mixte als Spezialität zu sprechen, so leitete mich hiebei nur die Ansicht, dass Sie auf diesem Wege am schnellsten eine Superiorität über andere erreichen möchten. Der Kniff ist dabei, dass man durch Phantasiebehandlung dem wirklichen gemalten Italien entrinnt, für welches ja die Franzosen doch keinen Sinn haben.

Die Elendigkeit der Katzen bei den grössten Malern ist für mich eine alte Klage. Warum haben sie nur auch solche Tiere immer ohne Not angebracht, wenn sie es doch nicht recht konnten? Übrigens bin ich überzeugt, dass in unsern Zeiten ein wirklich grosser Katzenmaler Millionär würde. Was haben nicht seit Rosa Bonheur die Leute mit Ochsen und Kühen verdient? – und für ganz meisterhafte Katzenbilder würden hie und da stille reiche Leute mit mächtigen Summen herausrücken, wenn sie dergleichen nur bekämen. Beinebens müsste man freilich auch Teppiche, Möbel und Kinder malen können.

Wir sind in voller Gegenwehr begriffen gegen das Projekt der Demolition der Barfüsser-Kirche. Heute war Rahn Der bekannte Züricher Kunsthistoriker, der im Frühjahr 1912 starb. hier zu Besprechungen; auch Prof. Vögelin in Zürich hat Hilfe in der Presse zugesagt. Meine Hoffnung ist aber trotz allem nicht gross, da die jetzige Majorität im Grossen Rat es viel zu sehr liebt, sich drückend geltend zu machen. In der letzten Not werden wir zum Referendum greifen, auch wenn es nicht helfen sollte, nur um unser Gewissen zu retten Die Rettung der Kirche gelang; sie beherbergt jetzt das Historische Museum..

Am Samstag ist neunte Symphonie, da geht man hin. Überhaupt scheint ziemlich viel Musik im Lande zu sein und die Oper ist unbegreiflich gut; leider bin ich schon zu alt, um mich noch leicht zu entschliessen, hinzugehen. Es ist so angenehm, ausserhalb des Aufführungsgeredes leben zu können! – Am nächsten Dienstag ist bei V.s Nahen Verwandten Burckhardts; ihre Villa hat Alioth gebaut. kolossale Gesellschaft mit Ball; nach meiner Aulavorlesung muss ich ebenfalls hin, aber nur pour faire mon apparition, und vor dem Souper darf ich mich gottlob schieben.

Nun leben Sie wohl, fassen Sie Feuer für jenes genre mixte und bleiben Sie munter.


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