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Jakob Burckhardt

Vorbemerkung

Die im Folgenden der Hauptsache nach zur Publikation gelangenden Briefe Jakob Burckhardts an einen Architekten sind an den aus einer angesehenen Basler Familie stammenden Herrn Max Alioth gerichtet. In der Nähe von Basel, in Arlesheim, wo sein Vater eine Floretspinnerei hatte, 1842 geboren, besuchte Max Alioth das Gymnasium in Basel, an dessen obersten Klassen Jakob Burckhardt von 1858 bis 1883 den Geschichtsunterricht erteilte, eine Tätigkeit, die er neben seinen Vorlesungen an der Universität als Lehrer der Geschichte und der Kunstgeschichte mit tiefer innerer Befriedigung versah. Alioth hat diesen Unterricht Burckhardts kaum noch genossen, da er schon 1858 nach Lausanne an die Ingenieurschule kam. 1861 erwarb er sich sein Diplom. Aber die Architektur übte dann eine so starke Anziehungskraft auf ihn aus, dass er sich in Berlin gründlichen architektonischen Fachstudien unter Adler, Strack, Bötticher u. a. widmete. Adler besonders nahm sich seiner an. Fruchtbare Freundschaften mit schweizerischen und deutschen Studierenden wurden geschlossen; Heinrich von Geymüller, der sich später als Erforscher der Geschichte der Renaissancearchitektur so reiche Verdienste erworben hat, ein Vetter Alioths, trat diesem in Berlin besonders nahe. Von deutschen Freunden sei der ausgezeichnete Architekt Wallot vor allem genannt. Nach Abschluss seiner Studien in Deutschland arbeitete Alioth zunächst längere Zeit im Atelier Questel in Paris, dann in dem Bureau des Architekten de Rutté in Mülhausen i. E. Nach Basel zurückgekehrt, begann er die selbständige Arbeit als Architekt. Damals muss er Jakob Burckhardt nähergetreten sein. Schon aus dem ersten Brief der nachstehenden Sammlung ersieht man, wie teilnehmend, herzlich der überfünfzigjährige Burckhardt mit dem noch nicht dreissigjährigen Alioth verkehrte, wie er bei ihm das lebhafteste Verständnis für seine liebsten ästhetischen Interessen voraussetzen konnte. Anfang 1870 war Alioth zu einer grösseren Studienreise nach Italien, vor allem nach Rom gefahren. Dass er sie im Sinn und Geist des Verfassers des »Cicerone« und der »Geschichte der Renaissance in Italien« angetreten hat, versteht sich bei dem gebildeten Basler Architekten von selbst. Eine reiche Ernte an Zeichnungen und Aquarellen brachte er von seinem dreivierteljährigen Aufenthalt im Süden heim.

Von jenem ersten Briefe Burckhardts an geniesst Alioth nun während langer Jahre das Glück dieser Korrespondenz. Sozusagen von allen Reisen Burckhardts gehen Briefe an ihn, meist wohl bestimmt, auch dem Freundeskreis des Adressaten mitgeteilt zu werden, in dem Burckhardt in Basel zu verkehren pflegte, an der muntern Gesellschaft dieser jüngeren geistig lebhaften Männer sich freuend, die verschiedenen Berufen angehörten, aber einig waren in der begeisterten Verehrung für diesen unvergleichlichen geistigen Anreger und Förderer. Und wie dann späterhin Max Alioth, dem trotz den verheissungsvollsten Anfängen als Architekt in seiner Vaterstadt nicht alle Blütenträume gereift waren, in Basel seine Zelte abbrach und in Paris 1880 wieder eine Stelle in einem Architekturbureau annahm, um dann, an seinem Beruf immer weniger Freude findend, es mit der Malerei zu versuchen: da war es wieder Burckhardt, der ihm in allen seinen Plänen mit liebevoller Aufmerksamkeit und bestgemeintem Rate nachging. Späterhin ist Alioth doch aufs neue zur Architektur zurückgekehrt. Nach fast zehnjährigem Aufenthalt an der Seine vertauschte er Paris mit Frankfurt a. M., um sich wieder in das Joch der Arbeit auf einem Architekturbureau zu spannen. Die letzten Briefe Burckhardts sind nach Frankfurt gerichtet. Die Sehnsucht nach der Vaterstadt trieb aber bald Alioth nach Basel zurück. Mit neuem Eifer und nicht ohne Erfolg nahm er seine Tätigkeit wieder auf; da beschlich ihn eine langwierige Krankheit, der er Anfang 1892 erlegen ist.

Von dem Architekten Alioth hat H. von Geymüller in den für die Leichenfeier verfassten Personalien geurteilt, er gehöre unbedingt zu den zwei oder drei besten Architekten, die Basel im neunzehnten Jahrhundert hervorgebracht hat. Daneben besass Alioth, wie angedeutet, viel Talent für die Malerei, so dass er sich eine Zeitlang ganz auf diese glaubte konzentrieren zu können. Ein vortrefflicher Gesellschafter, verfügte er über die Gabe witziger Improvisation, und seine musikalische Begabung war gleichfalls keine alltägliche. Den besten Ausweis für seine geistigen Fähigkeiten und seine keineswegs gewöhnliche Persönlichkeit bildet wohl der Umstand, dass ihn Burckhardt einer so anhaltenden, eingehenden Korrespondenz gewürdigt hat.

Wie prächtig sich des Gelehrten Physiognomie in diesen Briefen zeichnet, das mag die Lektüre ergeben. Der unbeschreibliche Reiz dieser Schreiben beruht wohl vor allem darin, dass sie in das Leben und Schaffen Burckhardts den deutlichsten und anschaulichsten Einblick gewähren. Wie diese nach aussen hin so fabelhaft einfache Existenz ganz in den Dienst des Geistigen gestellt war, das allein schon ist ein wahrhaft beglückendes Schauspiel. Und so pessimistisch die Weltstimmung Burckhardts auch sein mochte, die gute Laune bricht doch immer wieder sonnig und siegreich durch. Überall fühlt man sich einer erstaunlich reich ausgestatteten Persönlichkeit gegenüber. Gewisse Grenzen seines ästhetischen Verhaltens zeichnen sich scharf in den Briefen. Man mag sie bedauern, sie zu vertuschen hätte eine Fälschung des Bildes bedeutet. Und den Kenner Burckhardts werden sie ohnehin nicht überraschen. Aufs neue leuchtet aus den Briefen, wie er mit allen Fasern seines Wesens in der teuren Vaterstadt wurzelte, der sein Bestes zu geben sein höchstes Anliegen stets war.

Dieser und jener Passus in den Briefen musste unterdrückt werden; es ist aber fast nur Ephemeres, was keine Aufnahme fand, und billige Rücksichten sollten bei allen Briefpublikationen beobachtet werden. Die Auslassungen sind sämtlich im Einverständnis mit der Besitzerin der Briefe, der einzigen Tochter des Adressaten Fräulein Marie Lucie Alioth in Basel, die mich mit der Herausgabe betraut hat, zum Teil auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin erfolgt. An dem mitgeteilten Text ist selbstverständlich nichts geändert worden. An Stelle der Namen traten in den meisten Fällen Initialen. Sparsame Anmerkungen sorgen für Erläuterungen, namentlich in sprachlicher Hinsicht. Für die Anrede und Schlusswendung der Briefe mögen die zwei ersten und das letzte Schreiben die Formel anzeigen. Die Rechtschreibung unterwarf sich den heute herrschenden Regeln. Die Photographie Burckhardts beruht auf einer Amateuraufnahme aus den letzten Jahren des Gelehrten; ebenso die Aufnahme, die Burckhardt zeigt, wie er mit seiner Mappe auf dem Gang in die kunstgeschichtliche Vorlesung beim Münster vorbeischreitet. Das Porträt Alioths ist nach der Photographie eines guten Ölgemäldes hergestellt.

Als Charakteristikum gut geschriebener Briefe hat Rousseau einmal die leichte Lebhaftigkeit bezeichnet. Jakob Burckhardt besass diese Kunst in vollendetem Masse.

Zürich, im Juli 1912
H. Trog


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