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76.

Basel, 17. Febr. 1884.

Sie werden denken, ich habe Sie auf Ihren reichhaltigen Neujahrsbrief hin lange warten lassen oder das Antworten gar vergessen. Aber bis letzten Dienstag lag mir noch eine Aulavorlesung auf dem Genick, und so etwas wirft bei mir allgemach einen Schatten auf ganze vorangehende Wochen, seitdem ich anfange, alt zu werden. – Das grüne Weib kenne ich als Typus von Rom her recht wohl, ein solches lehnte Anno 1853 jeden Nachmittag unweit San Silvestro aus dem Fenster, und überdies haben wir ja hier im Museum Böcklins Viola. – Von Courbet, Manet usw. kenne ich nichts Eigenhändiges, nur gelegentliche Publikationen, z. B. im neusten Heft der Gazette des beaux arts, und das Genre widert mich erstaunlich an. Es ist möglich, dass ich Landschaften und Tierbilder dieser Leute bewundern müsste, aber ihre Menschheit ist mir fürchterlich. – Von Watteau ist im letzten Herbst in Berlin sehr Kostbares auf einer dortigen Ausstellung von Werken aus dem Privatbesitz zu sehen gewesen, nämlich der Kaiser gab dazu die Bilder her, die aus dem Erbe Friedrichs des Grossen stammen, und sein Privatbibliothekar Dr. Dohme publizierte hierauf eine schöne Schrift mit Illustrationen über Watteau und hatte die gute Idee, mir selbige zu senden.

Das Schicksal der Künste, worüber Sie sehr gediegen philosophieren, erscheint mir doch noch um einen Grad dunkler, nicht nur, weil es auf die bedenklichste Weise ins allgemeine Weltschicksal möchte verflochten werden, sondern weil die möglichen Besteller und Abnehmer ein gar zu meliertes Korps geworden sind und Kirche und Vornehme nicht mehr den Grundton angeben. Ich will Ihnen aber keine unerfreulichen Gedanken wecken; uns hält's noch aus – dies unser Wahlspruch. In Frankreich wird man vielleicht noch lange mit wachsendem Jacobinismus weitermanschen; eine erlösende Krisis ist noch lange nicht in Sicht. Wie es bei uns geht, wissen Sie aus den Zeitungen.

Dieser Tage hielt Hr. X. seine zweite Hochzeit mit vierundzwanzig Kutschen, deren Enfilade den ganzen Münsterplatz einnahm. Es hat etwas Wohltuendes, praktischen Optimismus in vollem Glanze vorfahren zu sehen; mitzumachen braucht man ja nicht.

Der liebe Freund Geymüller wird inzwischen in Paris angelangt und hoffentlich u. a. mit der Fürsorge für die fünfte Auflage meines Cicerone tätig sein. Ich habe ihm eine Menge Verbesserungen zugesandt, die ihm das Gros der widerwärtigen Einzelarbeit ersparen, und er hat mir noch im alten Jahr deren richtigen Empfang gemeldet.

In unserer Bande ist alles beim alten, und ich bin neulich mit G. und M. nach Steinen gepilgert wie vor Alters, und man ass u. a. Forellen. Auf dem Heimweg waren wir bei Bäbeli, welches zwar ein wenig magert, aber alle Hauptsachen, z. B. Teint, Zähne und Augen noch hat wie vor Alters und auch die angenehme Sprechstimme, die ich bei Weibsleuten für ein Principale halte. – In Grenzach ist Luise Die Wirtstochter zur Krone. nach dem Tod von Mutter und Bruder jetzt völlig vereinsamt und (soviel ich habe merken können) sehr der Frömmigkeit ergeben, welche alldort (bei völliger Nullität des Dorfpfarrers) durch Chrischonabrüder gehegt wird. Es ist ganz in der Ordnung so, und kein Aufklärungsstaat und keine Reformkirche wird es hindern können, dass ernsthafte und bedrängte Leute sich im Christentum, und zwar im wirklichen, nicht im optimistisch umgedeuteten, ihren Trost suchen. Und wenn man sie dabei auf die Länge schikanieren sollte, so werden sie auch das Martyrium nicht fürchten. Die Katholiken fürchten es schon jetzt nicht. Innehaber der Macht, welche dieselbe missbrauchen, um dergleichen zu hemmen, sind schon jetzt zum Anspucken und könnten einmal einen Widerstand der seltsamsten Art durch solche Minoritäten erleben.

Nun wünsche ich Ihnen für den Rest des Winters, dass Sie mit gesellschaftlichen Zumutungen möchten bestens verschont bleiben. Ich meinerseits bin ja glücklich, wenn ich an den Abenden, da nicht Halle ist, um 9 Uhr meine Feder auswischen und bei einem Schluck roten Weines einsam am Klavier sitzen kann. Ich habe ganz herrliche Sachen von Cherubini, welche jetzt, vierzig Jahre nach seinem Tode, in Mailand bei Ricordi herauskommen.


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