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47.

Frankfurt a. M., Freitag abends, Sept. 1880.

Endlich finde ich wieder eine Stunde, um von meiner Wanderung weiter zu berichten. Von Strassburg fuhr ich eines Regenabends nach Weissenburg, wo eine sehr noble frühgotische Abteikirche ist, in Gesellschaft eines Deutschen aus Texas, der wieder nach Texas geht und mir den ganzen Lebenswandel, wie er dort geführt wird, erzählte, u. a., dass die in der Einöde zerstreuten Deutschen in zwei Parteien geteilt sind, namens: die Pfeifenstummel und die Zigarrenstummel, und dass man einander mit Schlägen und selbst Messerstichen heimsucht. Denken Sie sich um Gottes willen, dass wir dort wären und unsere Partei wählen müssten! – Von Weissenburg fuhr ich vorgestern durch die Pfalz (wo Neustadt eine Perle von Lage ist) nach Speyer, wo man es mit Freskozyklen und blauen goldgestirnten Gewölben richtig dahingebracht hat, dass der Dom nur noch halb so gross aussieht als früher. – Abends nach Mannheim, wo ich gestern früh eine Galerie durchzumustern hatte, die unter drei- bis vierhundert Bildern zwanzig ausgezeichnete enthält. Dafür aber im Schloss ein opulentes Vestibül-Treppenhaus usw. An einer Strassenecke sah ich folgende für unsere Zeit bezeichnende Affiche: Fahnen waschecht, die gemalten Fahnen wasserecht, Transparente, Illuminationsartikel aus der Bonner Fahnenfabrik in Bonn a. Rh. Alleinige Niederlage bei F. C. Menger, Mannheim, Str. soundso. Wollen wir nicht in der Schweiz eine Filiale gründen? – Gestern um mittag fuhr ich nach Darmstadt und ging in die Galerie, sowie auch heut morgen wieder. Das ist schon anderes Wetter als in Mannheim. Abends im Theater sah ich die zwei ersten Akte von Zar und Zimmermann, und endlich einmal die Rolle des Bürgermeisters, so dumm sie ist, gut und mit Takt gegeben. Der Chateauneuf war ein Tenor von seltener Höhe und Helligkeit. Die katholische Kirche (von Moller), die Sie vielleicht gesehen haben, innen kreisrund auf Säulenumgang, hat reines Oberlicht wie das Pantheon, durch eine Rundöffnung inmitten der Kuppel, und das ist doch das edelste Licht, was es gibt, so dass bei aller Nüchternheit der Formen die Kirche eine unerwartete Weihe hat. – Nachmittags heut nach Frankfurt, wo ich nur bummelte. Unglaublich viel üppige deutsche Renaissance wird jetzt hier in derbem rotem Sandstein verzapft; seit drei Jahren ist eine Masse hinzugekommen. Das hat zum Teil Lübke zu verantworten. Das neue Theater dagegen, welches in einigen Wochen eingeweiht werden soll, ist gute klassische Renaissance und Kalkstein, enorm reich und grossartig, kostet auch schon gegen 6 Millionen Mark, was die Stadt bezahlt. Der hohe Oberbau, welcher in Paris, grand opéra, nur auf der zweiten Hälfte sitzt, geht hier ganz symmetrisch über das ganze Gebäude. Alles schön, nur wüsste ich gern: 1. welche neue Opern vorkommen, 2. welche Stimmen in dem enormen Raum dieselben singen sollen. Im übrigen ist Frankfurt ganz das alte, wie schon Dingelstedt einst dichtete:

Jeder Winkel eine Bud'
Und die dritte Nas' ein Jud.

Um hier mit Vergnügen zu wohnen, würde ungeheuer viel Geld, nämlich eins der Häuser im Grünen am Rande der eigentlichen Stadt, nötig sein. – Während man in einem Städtchen wie Weissenburg die herrlichsten Lagen in Gärten und dabei die Aussicht in die nahen, grünen Vogesen hätte – dafür aber nur in Weissenburg wäre.

Auf meiner bisherigen Tour hatte ich zwar nur wenigen Regen, aber dafür fast lauter Wolkenhimmel, was in Galerien betrübt wirkt. Nur die altdeutschen Bilder leiden weniger, alle übrigen Schulen sind kaum zu geniessen. Der Gedanke, nach Cassel zu gehen, ist mir völlig verleidet, ich will etwa nächsten Dienstag wieder in Basel sein. Was mich nicht hiezu bewegt, dennoch aber angeführt zu werden verdient, ist, dass die Gasthöfe sündlich teuer sind, doch war der »Deutsche Hof« in Mannheim wenigstens sehr gut.

Nehmen Sie nun mit diesem Wisch vorlieb, ich muss nun etwas essen und dann die letzte Hälfte der Zauberflöte – gottlob noch im alten Theater – anhören. Denn wie sich Mozart in der neuen Prachtbude ausnehmen wird, ist mir noch sehr zweifelhaft.


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