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11.

München, Dienstag, 7. August nachts 1877.

Gestern und heute gingen jedesmal drei bis vier Nachmittagsstunden in der heissen engen Bude eines Antiquars mit Aussuchen von Sachen vorbei, worunter denn für mich wohl Schätze sind; aber es ist hart, mit einem halbtauben entêté zu verkehren, der sich beim Abschluss seiner anfänglichen Preise nicht mehr entsinnen will. Immerhin glaube ich leidliche Käufe getan zu haben, da er einzelnes zwar stark überschätzte, von anderem aber nicht den nötigen Begriff hatte.

Ferner war mir in München angenehm aufgefallen, dass ich die Melodie des »kleinen Postillons«, welche Basel seit letzter Messe verpestete, hier nicht zu hören bekam – aber siehe da, bei Pschorr, wo ich heut abend »mei Bier« trank, spielte das Orchester richtig die Melodie mit Pathos, und Publikum sang mit; da sie übrigens rasch und mit Feuer gespielt wurde, machte sie sich ganz vortrefflich. Das Orchester bei Pschorr (hier spreche ich als ein von Philistern Eingeweihter) kriegt abends 5 Mark für die fünf Mann! wenig! aber sie dürfen extra einsammeln und sind offenbar treffliche, nur schicksalswegen ausrangierte Musiker. Heute spielten sie ein Stück, wo sie immer zwischen ihr Geigen- und Klarinettspiel hinein ein paar Takte sangen, und Publikum sang mit. Das ist doch noch immer fideler als die sog. venezianische Nacht, welche heut im englischen Café vor sich geht; nämlich die Nacht ist bis zum Eingang eine ordinäre Münchner Nacht, sobald man aber bei einem Eingang mit der Gasflammen-Inschrift: Willkommen (in Kursiv: d'un parfait mauvais goût) 1 Mark bezahlt und unter die Tausende von farbigen Lampen tritt, wird die Nacht aus bisher unerklärten metaphysischen Gründen plötzlich eine venezianische; auch hörte ich (von draussen, denn ich ging nicht in den Schund hinein), wie das Orchester den alten, abgestandenen Carneval de Venise mit allen möglichen Variationen vortrug.

Das alte München König Ludwigs I. ist auch sehr abgestanden. Wenn man, wie ich, bei Antiquaren die Publikationen von damals, die frommzarten Konturstiche, die romantischen Künstlerporträts und die ganze damalige knotige Romantik in Bau-, Bildnerei und Malerei an den Augen vorübergehen sieht – wie gänzlich ist das alles vorbei! – Dieser Tage war ich abends in der Ludwigskirche; Cornelius imponierte mir in gewissen Sachen noch immer, aber das Gebäude ist von einer jammervollen Miserabilität, so dass man nur streiten kann, ob das Äussere oder das Innere schlechter sei. Wie herrlich dagegen die majestätische Theatinerkirche und St. Michael! Neben diesen beiden ist alle moderne Bauerei hier so matt und schwach, dass einem »relativ übel« wird. Doch nehme ich Triumphbogen und Propyläen und alte Pinakothek aus. – Und während diese Neuern so wenig Grosses vermögen, haben sie die Frauenkirche, die ich vor einundzwanzig Jahren noch mit ihren herrlichen Barockgittern an den Kapellen und mit dem köstlichen Triumphbogen über dem Grab des Kaisers Ludwig, mitten im Schiffe (und demselben zur schönsten und leichtesten Unterbrechung dienend) gesehen hatte – diese Kirche haben sie nun streng gotisch purifiziert; vor allem natürlich ein blaues Gewölbe mit Sternen, so dass sie nur noch halb so hoch wie früher aussieht, darunter die achteckigen Pfeiler jetzt crêmegelb usw. – anstatt dem Himmel zu danken, wenn ein so mässig ausgestattetes gotisches Gebäude vom heitern Barock ist in die Kur genommen worden.


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