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84.

Basel, 30. Dez. 1885.

Es wäre mir, was den Inhalt Ihres Schreibens betrifft, ganz besonders viel wert, wenn ich Sie in Gegenwart der von Ihnen kopierten Venezianer recht gründlich über das eigentliche Lebensgeheimnis derselben ausfragen könnte. In Italien habe ich von Künstlern immer nur einzelnes darüber aufschnappen können, aber das habe ich nie zu ergründen vermocht, wie Tizian bei oft herzlich wenigem effort d'âme dennoch einen so grossen Eindruck hervorbringt, und das müssten Sie mir erklären, gerade z. B. bei Anlass der vierge au lapin, welche ja auch in den Linien ein wahrhaft ungeschicktes Bild und doch so wunderschön ist.

Ihre Entdeckungsreisen im alten Paris sind höchst interessant, und von dem Bau in der Nähe des Hôtel de ville haben Sie doch hoffentlich eine kleine Skizze genommen? Das muss ja ein Bijou sein! Wie manche reiche Leute könnten sich, wenigstens auf dem Lande, mit mässigen Mitteln ideale kleine Anlagen schaffen, in einem klassischen Sinn, wie ich mir jenes Gebäude denken muss. Es ist ja nicht nötig, dass alles in einem Karree, unter einem Dache und heizbar und verglast sei, man könnte doch auch freie Räume für den heissen Sommer schaffen, in welchen sich noble Leute nobel ausnehmen würden. Aber es längt Es reicht. meist nur zu einem elenden Pavillon, in welchem sich kein Mensch wohlbefindet.

Der Photographieladen im Louvre würde mich, wenn ich dort wäre, ein schönes Geld kosten, denn ich gerate, wenn ich wichtige Sachen photographiert sehe, völlig unter eine Art von magischem Kaufzwang. Im Grunde sollte ich alt und weise genug sein, um meine Sammlung endlich für geschlossen zu erklären. Letzten Frühling bekam ich in Mülhausen etwa zwanzig Braunsche Ausschussblätter einer frühern Louvre-Publikation (die für mich noch lange schön genug sind) zu 1 Frank 50 Cents das Stück.

Dass Ihnen der Zentralanblick von Paris, von der Tuilerienbrücke aus gegen Pont-neuf hin, ans Herz gewachsen ist, kann ich mir denken, verlassen Sie sich aber nicht darauf, dass dies ewig so bleibe, und gehen Sie einmal nach London hinüber, um zu sehen, welchen infamen Eisenbahnbrücken die schönsten Perspektiven geopfert werden, wenn der »Verkehr« es verlangt. Eine Pariser Stadtbahn, die man nur über der Erde anlegen kann, ist imstande, Ihnen durch jenes herrliche Bild einen dicken eisernen Strich zu machen. Sie kennen Charing Cross nicht.

Frankreich hat allen Charme für die übrigen Völker verloren; man fürchtet sich weder mehr vor seiner Industrie noch vor seinen revolutionären Ideen und lacht zur grossen Ausstellung von 1889, während die Defizitrechnungen derjenigen von 1878 noch nicht bezahlt sind. Es wäre die höchste Zeit, dass es besser käme! Denn wir in der Schweiz sitzen auf einer und derselben »Düngerwiese«. Unser zwanzigjähriger innerer Friede 1850 bis 1870 hing daran, dass Frankreich in einer festen Hand war.

Meine Gesundheit hält sich im ganzen recht löblich, aber in meinem Amt gedenke ich mich doch im Laufe dieses Jahres etwas erleichtern zu lassen. – Die letzte Extravorlesung (2.März) hat ein leichtes Thema, NB. nichts von den Rahmen, denn diese ausserordentlich heikle Frage werde ich von mir abweisen, um ausschliesslich vom Format und seinen Beziehungen zur Komposition zu handeln Das Thema des Aulavortrags lautete: Format und Bild..

Sylvester.

Zwischen meine Abschlussrechnung und das Sortieren meiner Korrespondenz von 1885 hinein will ich Ihnen noch ein Prosit zurufen.

Es ist über Nacht schön und kalt geworden, doch noch immer mässig. G. und Sp. gingen gestern bei vollem Schneewirbel nach Wyhlen; ich konnte mich nicht entschliessen, mitzustampfen. Mein Fersenrheumatismus hält sich seit der Basler Messe so schön stille, dass ich ihn nicht mit Durchnässung im Schnee wieder zu neuer Munterkeit aufrufen will.

Redtenbacher ist dieser Tage nach kurzer Krankheit gestorben, wenige Wochen nachdem er sein sehr nützliches Buch »Architektur der italienischen Renaissance« hatte erscheinen sehen. Ich bin nun froh, dass ich ihm noch zu rechter Zeit einen Dankbrief geschrieben habe. Dieser talentvolle Mensch war im Verkehr mit amtlichen Leuten wie es scheint völlig ein Pechvogel. Doch hatte er noch zuletzt einen Regierungsauftrag, nämlich das Inventar der ausserkirchlichen Kunst- und Baudenkmäler im badischen Land aufzustellen.


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