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88.

Basel, 17. Nov. 1886.

Glücklicherweise erfährt man aus Ihrem werten Brief, dass Sie wieder genesen sind; hoffentlich werden Sie nun recht Sorg' haben zu Ihrer Gesundheit und der grossen Worte Schopenhauers über den Wert derselben als ersten Erdengutes eingedenk sein. Ich meinerseits bin sehr froh, dass ich nicht mehr leisten muss, was ich schon von Kräfte wegen jetzt nicht mehr leisten könnte, wie ich ganz deutlich inne werde. Es lottert hie und da bei mir, doch will ich das Klagen noch gerne sparen. Von den Aulaexhibitionen sind jetzt gottlob zweie vorüber; ich kann Ihnen gar nicht sagen, mit welchem Widerwillen ich in meinen alten Tagen vor dem Publikum auftrete. Gealterte Schauspieler, welche um des lieben Brotes willen bei stets abnehmendem Erfolg doch noch auf die Szene müssen, geniessen mein tiefgefühltes Mitleid, da ich mich so ziemlich an ihre Stelle versetzen kann.

Von der Neugestaltung der salle des états hat mir nun auch B. erzählt, zugleich aber auch von »Restauration« alter Niederländer, und dass z. B. die femme hydropique des Gerard Dow, welche ich bereits arg übertüpfelt kannte, jetzt wie neu aussehe!! – Was die salles supplémentaires betrifft, die ich schon 1874 und 1879 in zwei verschiedenen Beständen kannte, so mögen Sie nur wissen, dass bei allen meinen Aufenthalten in Paris der Louvre ganze wichtige Bestandteile bald mehr, bald weniger hatte. Im Jahre 1869 sah ich z. B. die salle des états plötzlich vollgehängt mit wichtigen, meist niederländischen Bildern, welche auf Louis Napoleons Befehl aus allen Ministerien und anderen Günstlingsresidenzen hatten müssen dem Louvre zurückgegeben werden. Es war damals durch Morny enormes bon genre geworden, grosse Gesellschaften in Sälen voll alter Bilder zu geben, und gewisse Leute hatten hiezu ihre Stellung rückhaltlos missbraucht. Da die jetzige Machthaberschaft alle Ursache hat, die allgemach minder zahlreich gewordenen Vergnügungsfremden wieder mehr an Paris zu fesseln, so möge sie nur den Louvre ja recht hegen und pflegen, welcher neben den Theatern und Restaurants doch mindestens der dritte Magnet ist. Der grosse Coup auf 1889 wird es nicht tun und könnte noch in der Pfanne missraten. Mein spezieller Abscheu bei dieser Entreprise ist der Riesenturm, welcher offenbar als Reklame für die gedankenlosesten Tagdiebe von ganz Europa, Amerika etc. zu wirken bestimmt ist. Mit allem andern wird man nicht so renommieren können gegenüber denjenigen, welche sagen: connu ça! Denn um diesen Turm zu sehen, wird man nach Paris zur Ausstellung reisen müssen. Dazu soll das Ding noch eine scheussliche Fasson bekommen.

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Idealismus – Realismus … als ich anfangen wollte, nachzudenken, fand ich, dass mein ganzes Denkvermögen über lebende Kunst völlig eingerostet sei. So viel aber empfinde ich noch, dass ich die Exekration einer vielleicht gar nicht mehr fernen Zukunft gegen den ganz rohen Realismus voraussehe, mag derselbe mit noch so viel Talent vorgetragen sein. Die Photographie hat für Wiedergabe von gleichgültigen oder widrigen Gegenständen ja immer noch viel mehr Talent.

Bleiben Sie nur bei der idealistischen Richtung; nur ein Anblick, welcher einem Künstler hat irgendwie lieb werden können, wird auch andern auf die Dauer lieb sein. Nur solchen Werken lässt sich nachsinnen, während der Realismus seine Patronen sogleich verschiesst; denn das Erstaunen vor dem rendu bei odiösen Gegenständen hält nicht lange vor, der Ekel aber bleibt. Auch braucht man keine Engel mit Fäckten Flügeln. zu malen, um Idealist zu sein.

Keine Woche vergeht jetzt, ohne dass ich zwei- bis dreimal über alte Gemälde oder Antiquitäten konsultiert werde, und bisweilen bekomme ich doch sehr gute Sachen zu sehen.


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