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35.

London, 30. Aug., Samstag nachmittag.

Soeben habe ich St. drunten bis an seinen Cab begleitet; er gedenkt schon heut abend auf der Insel Wight zu baden. Was nun in den letzten drei Tagen uns durch ihn gelungen ist, davon wird er wahrscheinlich nur ganz bescheiden schreiben, so dass ich die Pflicht habe, seine ganze Grösse zu offenbaren.

Hören und staunen Sie! Mittwochs hatte St. mit Hilfe seines guten Englisch, distinguierten Aussehens und kühnen Auftretens es möglich gemacht, dass wir in die berühmte Bridgewater Gallery konnten, wo mindestens zwei echte Rafaels, mehrere Tiziane ersten Ranges usw. uns entgegenleuchteten. – Donnerstags führte er mich zum Herzog von Wellington, wo sonst der Eintritt ungeheuer schwer ist, mit Kostbarkeiten und Gemälden von horrendem Wert, u. a. Correggios Gethsemane! Dann zu Lord Dudley-Ward, wo wir Rafaels drei Grazien und Vierge à la Légende, Tizians drei Lebensalter, einen riesenhaften Murillo und unerhörtes Anderes sahen. – Dann in die Grosvenor Gallery mit Tizians Jupiter und Antiope, zehn (10) Claude Lorrains, Spanier nach Belieben, Unika von Rubens usw. – Freitags führte er mich zu Lord Northbrook (ehemals Bankier Baring), wo das Staunen noch einmal von vorne anfing mit Rafaels früher Madonna, mit Murillos grossem Selbstporträt en pied mit dem Jagdhund In Wahrheit das Porträt des Andrés de Andrade; vgl. Justis Murillo., mit mindestens zwei richtig benannten Jan van Eyck (Miniaturen von ganz unschätzbarem Wert), mit Pordenones gewaltig schöner Herodias usw. usw.; dies alles flankiert von Ruysdael, Hobbema und allem, was nur gross und berühmt ist. – Nach Tische besuchten wir den Earl of Lansdowne, nur »zweiten Ranges«, aber doch mit zwei Murillos, mit einem der sublimsten Seb. del Piombo (Kolossalporträt) usw. usw., und mit einer ganzen grossen Galerie antiker Statuen, worunter ein Exemplar der Berliner Amazone des Kresilas von ziemlich guter Erhaltung. – Ich bin überzeugt: wenn wir mehr Zeit gehabt hätten, er würde mich in die berühmte Privatgalerie der Königin in Buckingham-Palace gebracht haben. Er besitzt geheime magische Künste gegenüber von Concierges und Kustoden. Einiges tat der glückliche Moment, da die Herrschaften seit Vertagung des Parlamentes auf dem Lande und doch wahrscheinlich zu einer kurzen nochmaligen Visite in der Stadt gerüstet sind, bevor man die Bilder mit Vorhängen zudeckt. – Sie können denken, was ich allgemach für Augen machte, als diese Schätze sich auftaten. Und Grosvenor Gallery kann ich vielleicht Sonntags noch einmal sehen, seitdem ich dort durch St. »eingeführt« bin.

Jetzt ist's aber bald Zeit, dass ich zusammenpacke, und Mittwochs geht's nach Calais, wenn das Meer nicht gar zu abscheulich ist. Ich bin zur Stunde noch unentschieden, ob ich nach Belgien oder gleich nach Paris reise. Vom Kontinent aus schreibe ich sogleich wieder.

Jetzt muss ich schliessen, da ich noch ins Southkensington-Museum zu fahren habe und der Brief von Sabbats wegen noch heut ins Briefloch muss; liesse ich ihn heute liegen, so ginge er erst Montags fort.

Mein Kopf ist voll wie ein Haus; das Herrliche dieser letzten Tage kam zu massenhaft. – Gestern abend von Lansdowne weg fuhren wir in den Regentspark zu den Tieren, um uns zu erholen, und fanden eine Menge menschlicher Ähnlichkeiten, wofür wir ja nichts konnten.


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