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66.

Basel, 21. Juli 1882.

Ich habe nun noch eine Woche Dozieren vor mir, fange aber an, schon etwas zu lumpen, d. h. ich mag nicht mehr bis 9 Uhr arbeiten, sondern will lieber vor meiner Abreise noch einige Briefschulden tilgen. Für die Vorlesungen der nächsten Woche ist vorgearbeitet, und so kann ich am Ende dieses sauren Semesters noch etwas verschnaufen, bevor ich den Waggon besteige.

Zuerst bitte ich: nehmen Sie die frechen Ratschläge in meinen bisherigen Briefen mit Nachsicht auf; unsereiner sieht ja die Dinge nur sehr von ferne und kennt ja vor allem das artistische Pariser Publikum nicht. Von einer Ansicht aber kann ich mich kaum losmachen, dass nämlich Ihr individueller Vorteil bei Ihrer jetzigen späten Ausbildung als Maler nur in der oft bemeldeten Spezialität liegen könne: Verbindung von Phantasiearchitektur mit Genreszenen. Hier ist ein Vorsprung, den Sie mit Sicherheit können valieren machen neben all den Pariser Malern von Historien, Genre, Mythologie usw., bei welchen es mit der architektonischen Perspektive hapert und mit der architektonischen Phantasie völlig nichts ist, so dass sie vorkommendenfalls immer Hilfsmaler brauchen. – Ihr Ausdruck l'architecture des architectes hat mich unbändig ergötzt; Sie haben es fortan mit der Architecture idéale zu tun, bei welcher man keine Kostenberechnung braucht.

Die Architektur, immer hochphantastisch, kann nur mit idealen, d. h. zeitlosen und heimatlosen Menschen zusammenpassen. Sehen Sie im Louvre in den Landschaften der Caracci, des Domenichino und Poussin alle Staffagen durch, u. a. auch wegen der idealen Draperien in gedämpften Farben, welche an den betreffenden Figürchen vorkommen, violett, lila, bräunlich usw.

Eine andere Nüance von Aufgabe wäre die, nur ein kleineres Stück Phantasiearchitektur, gleichsam einen Ausschnitt davon und zwar wesentlich Vordergrund zu geben und dieses dann nur mit einer oder zwei Figuren, aber grösseren, zu staffieren – nur nähert man sich damit zu sehr dem Thema, welches Gérôme so glanzvoll abgeweidet hat, und ich glaube, Sie bleiben besser bei den grossen Architekturen mit den zahlreicheren ganz kleinen Figuren.

22. Juli.

Obiges schrieb ich gestern abend und sehe nun einseitigen Eifer darin und Zudringlichkeit, während ich Sie doch auf keine Weise wirklich fördern kann. Ich plädiere übrigens nur zugunsten einer der so ausserordentlich selten gewordenen, noch nicht abgegrasten Weiden. Für meine Person bin ich allerdings überzeugt vom Weiterleben des künstlerischen Vermögens im Grossen vermöge der beständigen Güte der Natur; eine ganz andere Frage aber ist, ob nicht Gattungen von Kunstwerken zeitweise erschöpft werden können, wenn eine Anzahl bedeutender Künstler die möglichst günstigen Motive aufgefunden und verbraucht haben. Auf diesem Punkt ist das Genrebild und auch das antike Genrebild schon seit längerer Zeit angelangt, und nur noch ein greller Sachinhalt, ein schrillender Witz oder ein ganz fürchterlicher Jammer kann noch die Aufmerksamkeit wecken. – Dagegen sind Armidens Zaubergärten noch nicht erschöpft, und das verlorene Feenschloss im Hochgebirge, und selbst ferne Steilstädte im feurigen Sonnenglanz über kühlen Stromschluchten wären ein Thema. Mir schwebt ein Bild dieser Art vor mit der kleinen Gruppe des barmherzigen Samariters im Vordergrunde, die Stadt aber hiess Jericho. Denn im Text heisst es: Exiit homo de Jericho et cecidit inter latrones. Jetzt aber genug für heute.


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