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23.

Bologna, 13. Aug. 1878.

Zu allervörderst meinen schönsten Dank für Ihren Brief. Er gibt mir, nebst einem von L., das auf Reisen unschätzbare Gefühl, dass daheim alles in Ordnung ist; sodann erfahre ich doch auch manche Neuigkeiten. Wenn aber der Dalben Schwinsbogen St. Alban-Schwibbogen; B. wohnte in der St. Albanvorstadt. unrettbar fallen musste, so ist es mir im ganzen lieber, dass dies während meiner Absenz geschehe und dass das Gestäube, womit er sich wehrt, vorüber sei, wenn ich heimkomme.

Die Hitze ist seither wiedergekehrt, aber sehr leidlich und ohne mir jenen unauslöschlichen Durst zu bringen, den ich bei Julireisen in der Lombardei empfand und dann regelmässig mit einem schlechten Magen büsste, weil ich in Mailand, Venedig usw. zu viel Wasser trank.

In Modena habe ich gar nicht mehr skizzieren mögen, obwohl die Hülle und Fülle für mich dagewesen wäre. In S. Bartolommeo ist eine perspektivische Gewölbemalerei mit zahlreichen Figuren von Pozzo, welche derjenigen von S. Ignazio in Rom an Wert am nächsten kommt. S. Agostino, das Pantheon aller heiligen und berühmten Leute des Hauses Este, ist eigentlich ein flachgedeckter Prachtsaal, dessen Hallen sich gegen den Altar hin mit gedrängten Säulen- und Pilastermassen verengern, wozwischen man in ein lichtes Kuppelchor (dreiviertel einer Ellipse) hindurchschaut. Der prachtvolle theatralische Effekt lässt mich vermuten, dass nur der ältere Bibbiena dies Schaustück könne komponiert haben. Es reut mich jetzt doch, dass ich keine Skizze riskiert habe. In der Galerie war ein köstlicher kunsteifriger Custode, mit dem ich zweieinhalb Stunden von einem kritischen Bild zum andern ging und kaufte, was das Zeug hielt.

Gestern bei der Einfahrt in Bologna in offener Droschke musste ich bekennen: diese Hallenstadt hat eine grössere Zahl schöner und malerischer Strassenanblicke als die vier bis fünf übrigen italienischen Grossstädte, die ihr ja an einzelnen Gebäuden überlegen sind. Gestern abend sah ich einen nagelneuen, in gutem gemässigtem Barock erbauten Palast, der aussieht, wie die nobelsten alten; eine reiche Marchesa (Lambertazzi oder so was) hat ihn auf Spekulation erbaut und vermietet ihn hoch, während sie in einem kleinern alten Palast daneben wohnt. Das kann man freilich nur im jetzigen Bologna, wo sich viele Behörden und Reiche aus den verlassenen Nachbarstädten zusammendrängen. Eine ganze Anzahl Strassen, die früher mit Gassensteinen gepflastert waren, haben jetzt Steinplatten. Freilich die Krüge und die Munizipalfinanzen in Italien gehen heutzutage zum Brunnen, bis sie brechen. Ich liebe die Pracht, aber ein Wahnsinn wie der neue Palast der »cassa di risparmio« geht doch über das Mass und erinnert mich an den wirklich schönen und reichen Bahnhof in Zürich, der jetzt der verkrachten Nordostbahn so übel auf dem Magen liegt. (In dem bankrotten Florenz hat die Sparkasse vorige Woche wirklich fünf Tage lang nicht bezahlt, bis man ihr zu Hilfe kam.)

Die Italiener sind ganz wie vor Zeiten: gestern nachts im grossen Tagestheater unter freiem Himmel bei deliziöser Luft wurde Norma vor mindestens tausend Zuschauern gegeben, Platea 50 Cts. I. Platz 1 Lira usw. Es waren sogenannte Sänger dritten Ranges, aber noch immer ganz respektabel, und nun hätten Sie dies Publikum von kleinen Handwerkern, Geschäftsleuten, Wackesen usw. sehen sollen, wieviel besser es sich benahm, als so oft das Publikum der vornehmen und teuren Theater tut, wo man schwatzt, mit dem Stock den Takt gibt, beliebte Stellen nachsingt usw.; hier war lautlose Stille, mit Ausnahme der Applausstellen; dies geringe Publikum wollte seine alte herrliche Lieblingsoper wirklich hören. Es war schade, dass im Augenblick da Norma die grosse Arie »casta diva« begann, der helle Vollmond gerade hinter eine Wolke ging. Das Auditorium war sehr genügend mit etwa neunzig Gasbecs beleuchtet; man verliess sich nicht auf den Mond.

Eins ist und bleibt schrecklich: das beständige Ausspucken. Auf der Eisenbahn habe ich einem, der eine Virginia rauchte, nachgezählt: er spuckte etwa fünfzigmal. In den Kirchen spucken die Betenden beständig; unter jedem Betstuhl ist eine nasse oder getrocknete Lache. So kommt es, dass dies so heitere und angenehme Volk sich periodisch in lauter Spuckgestalten verwandelt. Und um eines beneide ich die Leute: dies schöne vollständige Zahnwerk! So einer kann sagen, er zähle die Häupter seiner Lieben und sieh, es fehlt kein teures Haupt. Es ist ein Vergnügen, diese Menschen gähnen zu sehen.

Irgendwo habe ich folgendes écriteau abgeschrieben: Egisto Tarpuzzi, profumiere. Also Aegisth, der den Mord Agamemnons stiftete, hat am Ende seinen Namen an einen Parfumeur abgeben müssen. Was sich wohl der Vater und der Herr Pfarrer dachten, als einst dieses Kind getauft werden musste?

Heut früh war ich in S. Domenico und konnte glücklicherweise die weltberühmte Arca des Heiligen zwischen zwei Messen ganz bequem besehen, ohne Custoden usw. Hermann Grimm hat wirklich recht: von den zwei knienden Engeln ist derjenige links, welcher als frühste Jugendarbeit Michelangelos galt, von einem frühern oder weniger Entwickelten, und der anonyme rechts ist in der Tat von ihm, wie schon die Willkür der Schädelbildung und die Draperie beweist. – Man lässt in S. Domenico noch einige alte Dominikaner aussterben, welche jetzt das kolossale Gebäude hüten, dagegen ist das noch grössere und höhere S. Francesco, das ich noch in seiner alten Pracht oft und viel gesehen, jetzt Militärmagazin.

Ich bleibe nun hier bis Freitag vormittag. Dann geht's in die Romagna und Mark Ancona; vierzehn Tage später, also etwa 28. oder 29. Aug. komme ich wieder hieher. Jetzt ist es aber Zeit, nach der Pinacoteca zu gehen und der h. Cäcilia guten Tag zu sagen. Der arme Neptun des Giovan Bologna ist ohne alles Wasser; alle Sirenen bringen aus ihren trockenen Brüsten beim besten Drücken und Pressen keinen Tropfen hervor. Nur am Geländer läuft ein Brünnlein, zu welchem sich beständig Dürstende drängen. Es ist doch eine Schande, dass eine Stadt hart am Fuss eines Gebirges wie Bologna kein laufendes Wasser hat. Sonst ist alles, was zum »Leben« gehört, in bester Ordnung.


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