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31.

Montag, 11. Aug.

Journal-Fetzen.

Um doch etwas von dem zu sehen, was die Welt Londoner Sehenswürdigkeiten nennt, schlich ich abends ins Royal Aquarium, eines jener vielen Rieseninstitute, wo man 1 Shilling zahlt, um plötzlich in eine Art von höchst konzentrierter Messe oder Jahrmarkt versetzt zu sein, denn es ist wirklich wieder ein Raum fast so gross wie der Münsterplatz. Das Zentrum der Länge nimmt ein Konzert ein, wo Romanzen gesungen und Tänze gespielt werden; der Rest ist alles: Trödelbuden verlegener eleganter Ware, Mädichen, Kneiptische, zuletzt in einem zwar verschämten, aber endlosen hintern Gang eine Kunstausstellung, wo dasjenige hinkömmt, was kein vernünftiger Mensch gratis begehrt – und doch musste ich denken: Daran hat hie und da einer doch Blut geschwitzt, bis er es herausbrachte. Endlich – da das Institut einst als Aquarium angefangen hat, schwimmen und krebsen noch schandenhalber hinter einigen grossen Glasscheiben mit Gaslicht von oben soundso viele hundert Fische, vom Turbot bis zum Hecht, und ganz riesige Krebse und Krabben herum. Zuletzt kann man noch mit Hilfe des Billets zu sehr reduziertem Preis in ein anstossendes Öperlein gehen – ich ging – die Ouvertüre war hübsch, ja schön, enthüllte sich aber allgemach als die der lustigen Weiber von Windsor – dann fing eine Oper an, aus lauter Fetzen von Bekanntem und Volksliedern, so dass ich bald Lust bekam, auszuharren; ich ging aber doch heim und fing diese Epistel an. Hätte ich jemanden hier, so wäre schindluderswegen dies Royal Aquarium ein ganz angenehmer Ort für einen Abend. (Da es royal heisst, geht ja wohl die Königin auch hie und da hin?)

Wer hat aber heut in der National Gallery 5 Sovereigns auf ein Brett gelegt für Photographien? Das war ich. Und es wird mein letztes Geld hiefür nicht sein. Jedes Blatt der sog. mittleren, eher kleinen Ausgabe kostet einzeln 1½ Shillings – da sagte ich einfach: ich nehme Minimum hundert Blatt zu 1 Shilling – und ohne weiteres Markten sagte der Mann ja – später freilich erschien der eigentliche Photographienprinzipal Signor Morelli, dürr wie eine Leiche, und wollte wieder heraufmarkten; da machte ich Miene, alles liegen zu lassen, und behielt meinen Kauf. Nur für Tizians Bacchanal, das etwas grösser ist, wurden beharrlich 2 Shillings verlangt, so dass ich für meine 5 Sovereigns nur neunundneunzig Blatt habe. Diese sind aber eben unentbehrlich, weil nach den Originalen gemacht. Ein Nachkauf von zirka vierzig Nummern zu demselben Preis von 1 Shilling steht mir noch bevor. Hätten sie mehr, ich kaufte mehr. – Es wird im Britischen Museum nur sehr wenig nachzukaufen geben, da ich mir alle Hauptsachen, die man haben kann, schon vor drei Jahren kommen liess, und was im Southkensington zu haben ist, das will sehr wenig sagen, wie ich schon neulich meldete. Bleiben die Kupferstichhändler, und da verlasse ich mich lieber auf Paris, schon weil man dort bekanntlich französisch spricht und weil mit Franzosen an sich viel angenehmer zu handeln ist.

Der auf heut aus Amerika angesagte Sturm ist wenigstens bis jetzt noch nicht eingetroffen und vielleicht irgendwo im atlantischen Meere krepiert. Wenn's doch Gottes Wille wäre!

Heut standen drei alte Ladies vor dem Kardinal in der National Gallery; ich hätte viel darum gegeben, wenn ich ihre Betrachtungen hätte hören können. Endlich habe ich auch einen Hauptaufseher erwischt, welcher mir sagte: die Weisen wüssten bis heute weder den Maler noch den Gegenstand; das Bild sei seit drei Monaten da; man glaube, es sei aus Italien gekommen. Letzteres würde mich am deutschen Ursprung und Inhalt nicht im mindesten irre machen, denn Bilder pflegen zu reisen.

Dienstag morgen, 12. Aug.

Der Sturm ist wieder ausgeblieben; es ist une matinée rayonnante.

I speak some english – ich spucke einiges Englisch, wird wohl die beste Übersetzung sein; es kommt mich hart an und ich habe nun einmal den Willen nicht, mir den Akzent dieser Sprache anzueignen, während ich im Französischen und Italienischen mir alle mögliche Mühe gebe um den richtigen Akzent. Dann gibt es, selbst in Stellungen, wo man Kenntnis des Französischen fordern könnte, fast nie einen Engländer, der es spricht. Es mag auch wohl der Widerwillen sein, selbst wenn sie es verstehen, denn es geht ihnen mit dem französischen Akzent wie mir mit dem englischen: sie mögen ihn nicht lernen und wissen, dass sie sich beim Französisch-Sprechen gauche und lächerlich ausnehmen. In Italien habe ich aber eine ganze Anzahl Engländer sehr gut und selbst graziös italienisch sprechen hören.

In der National Gallery begegnet man auch Mohren; gestern war ein ganz Schwarzer und ein Kaffeebrauner miteinander da und schienen sich sehr eifrig ihre Anschauungen mitzuteilen, freilich sah ich sie nur vor englischen Bildern, deren actuality sie schon anziehen mochte. Ich möchte doch gerne wissen, was sie vor Rafael für Bemerkungen machen. Der »Lazarus« im grossen Bild des Sebastian del Piombo mag ihnen schon zusagen, denn dieser Orientale ist schon halb einer »von unsere Leut«, nur prätentiöser als die zwei guten Gallery-Mohren.

Dagegen ist mir aufgefallen, dass gar keine deutschen Philologen und Archäologen hier sein müssen, die ich namentlich im Britischen Museum von weitem kennen würde. Die Leute haben doch jetzt ihre einzigen grossen Ferien; ich glaube aber, es tut hie und da ein deutscher Altertumsforscher dergleichen, als wäre er in London gewesen, und ist doch nie über den Bach. Ich meinerseits kann sie perfekt entbehren.

Heut abend sah ich die Tonfiguren aus Tanagra in Böotien, von jenem Fund, der sich in alle grossen Museen von Europa verlaufen hat. Ich weiss nicht, hat das Britische Museum die meisten bekommen, aber eine Auswahl der allerlieblichsten gewiss; deliziöse Weibchen, welche promenieren, Toilette machen, sogar etwas kokettieren oder in schönem Nachdenken stillstehen. Man hatte dergleichen von jeher, zumal in München sehr schöne; Tanagra ist nur ein besonders reicher neuer Fundort.

Dagegen hat Freund Lübke von den Funden in Zypern zu viel Aufhebens gemacht; es ist ein lehrreicher Zwischenstil zwischen Assyrien, Phönizien und Griechenland, weiter nichts. O Gott, das blosse merkwürdige Altertum dringt beharrlich und immer von neuem in die Geschichte der Kunst, d. h. des Könnens ein und ist doch so oft nur eine andere Fasson des Wenig- oder Nichts-Könnens. Ich habe eine schöne Zeit in meinem Leben damit vertan.

Heut wieder an die zwanzig Photographien in der National Gallery gekauft, jetzt bin ich aber wenigstens dort am Ende, sie haben weiter nichts mehr. Ich glaubte, es würden noch etwa vierzig werden. Es sind zum Teil köstliche und ohne Ausnahme lehrreiche Sachen.

Mittwoch morgens.

Wenn ich nur Interessanteres zu schreiben hätte! Wenn man aber fast nur mit Sachen und beinahe gar nicht mit Leuten umgeht, wie das hier mein Schicksal ist, so kann man auch nur von Sachen erzählen, während doch die Leute eher der interessante Teil wären. Es sei denn, dass auch aus dem stummen Kunstwerk irgendeine Stimme der Vorwelt deutlich zu uns spreche, wie z. B. aus der Nadel der Kleopatra. Aber ich wage mich kaum mehr in die Nähe; gestern – ich hatte den ganzen Tag keinerlei Spirituosen zu mir genommen, was ich ja auf den Abend verschiebe – ich war stocknüchtern – entzifferte ich – und zwar nicht im gewöhnlichen Ägyptisch, sondern in einem Dialekt wahrscheinlich aus dem untern Delta – die deutlichen Schreckensworte: »Lausbueb, mach' dass d' furt kunnsch!« – Ich hatte nicht den Mut, zu fragen: »Majestät, meinen Sie etwa mich speziell?« – sondern wandte mich verhüllten Hauptes von dannen.

Kommen Sie doch für eine Woche nach London, ich würde mich schon einrichten; aber Englisch müssen Sie doch von der Gewerbeschule her noch etwas loshaben, ich muss es ja auch mörden.

Heut ist abermals schönes Wetter und dazu ein frischer Ostwind; ich glaube entschieden, dass der Sturm irgendwo im Atlantic schlechte Geschäfte gemacht hat und nach Amerika zurückgekehrt ist, was für einen Bankrottierer ohnehin das Klügste ist.

Zum Symbol meiner Dankbarkeit für Ihre Briefe hier eine kleine Edition des Don Felipe cuarto von Velasquez aus der National Gallery.


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