Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

51.

Basel, Weihnacht 1880.

Zu allervörderst meinen schönen Neujahrswunsch, obwohl wir beide alt genug sind, um zu wissen, wie wenig die Wünsche bewirken können. – Es freut mich sehr, dass Sie den rechten Giorgione (Madonna mit Donator und Heiligen) nun gefunden haben; allerdings ist ausser der Pastorale (welche Sie an Tizians amor sacro e profano erinnert hat) kein drittes Bild von Giorgione mehr im Louvre, aber es sind ja in ganz Venedig kaum drei ganz sichere, dieweil Giorgione schon dreiunddreissigjährig starb. Die Madonna »im Krautgewölbe« von Mantegna Gemeint ist die Madonna della Vittoria. ist eines der souveränen Hauptbilder des Louvre. Es ist ganz recht, dass Sie sich ohne alle Kunstgeschichte, rein aus Vorliebe, allgemach in die ältern Italiener hineinfressen; Sie haben ja nicht die amtliche Verpflichtung wie ich, jedem Maler historisch die Provenienz seines Könnens oder die Stufe nachzuweisen, welche er innerhalb seiner Zeit und Schule einnimmt, und können daher völlig con amore verfahren. In den Landschaften der Eklektiker, Caracci, Domenichino, Albani usw. steckt ein süsser Duft von Mittel-Italien, obschon keine einzige Vedute sich darunter befindet. Es ist der allgemeine Parfum der Campagna und des römischen Gebirges, aber unendlich frei wiedergegeben.

Für die Bauten von Paris, ja für das ganze Kunstparis fehlt absolut ein Guide (wie für Wien laut Architekt Stehlins Aussage einer existieren soll). Selbst der grosse Guide, der für die Ausstellung von 1867 erschien, ist stumm, sobald man wissen will: wer hat dies und jenes Gebäude komponiert? von wem ist dieses und jenes bestimmte Fresko oder Glasgemälde usw.? – Man hat Boudoirwerke über Paris, aber keinen irgend genauen Guide artistique, – warum? deshalb, weil von all den gens de lettres, die auf dem Boulevard herumlaufen, keiner so was machen mag. Ein Verleger aber sollte sich schon finden, denn das Unternehmen wäre von Auflage zu Auflage ein zwar kleines, aber völlig sicheres. Ich möchte wetten, dass es aus der Zeit um 1750 etwas Besseres gibt, als für 1880 existiert, natürlich wohl einseitig und nur für die Statuen und Gemälde der Zeit seit 1660 oder 1550, für diese aber wirklich genügend, während man für den jetzigen Bestand der Werke und deren Urheber geradezu nichts oder nur einige Hauptnamen erfährt. Vielleicht weiss Bädekers Paris und Murrays Paris viel mehr als irgendein französischer Guide. – Ziehen Sie in diesem milden Winter nur recht fleissig in Alt-Paris herum, und ich bleibe dabei, Sie sehen eben doch mit ganz andern Augen als ich und erkennen gelöste Probleme, wo ich höchstens irgendeinen Reiz für das Auge zu verspüren glaube.

Armida zum zweitenmal letzten Sonntag – so lautete die Affiche, aber Armida war heiser geworden, und ich fügte mich darein, statt dessen die zwei ersten Akte des Wilhelm Tell zu hören. Einstweilen stöbere ich in meinem Klavierauszug der Armida, um mich für weitere (hoffentlich noch zwei) Aufführungen zu präparieren, und finde Perlen wie Rinalds Szene: heiteres Wonnegefild usw. und herrliche Duette. Wie kommt es aber, dass man Armida gibt? Daher, dass absolut nichts Neues mehr wirklich gedeiht und Wagner doch unmöglich über die drei bekannten Opern hinaus (Holländer, Tannhäuser, Lohengrin) gegeben werden kann. – Ein starker Versuch von ihm, mit den Nibelungen gewaltsam ins Berliner Opernhaus einzudringen, ist missraten, und nun gibt er sich das Ansehen, als hätte er es nicht gewollt. Jetzt gibt das Viktoriatheater die vier Marterabende, ich glaube, mit dem Leipziger Personal. Wenn Sie Comte d'Ory hören können, so versäumen Sie es doch nicht; laut Hiller wäre es nächst dem Tell weit die vorzüglichste Oper Rossinis von der ernsten Gattung und soll ganz wundervolle Melodien haben. – Sie werden sehen, dass man auch in Paris aus blossem Hunger auf gutes Altes kommen muss, sintemal mit Robert und Hugenotten und Muette de Portici keine Aufregung mehr hervorzubringen ist und von den neuen Opern eine nach der andern in der Wiege stirbt. – Weiss man denn noch nichts von Gounods »Serment de Zamora«, oder wie die Oper heisst, die vorbereitet wird?

Gestern bekam ich von Karlsruhe auf Allerhöchsten Befehl eine ganz prachtvoll ausgestattete Riesenmappe mit fünfunddreissig grossen Photographien nach Gemälden der Galerie. (Das wird verdolmetscht: man will an Lessings Stelle keinen neuen Galeriedirektor mehr ernennen, braucht aber durchaus einen neuen Katalog, und en müssen Hofrat Wagner und meine Wenigkeit wahrscheinlich im Frühjahr zuwege bringen.) Sie können denken, mit welchen tiefen Reverenzen ich geantwortet habe.

Möge der Himmel bei Aufsuchung einer neuen Wohnung Ihnen einen guten Genius senden. Ich weiss aus Erfahrung, wie kritisch ein solcher Entschluss ist.


 << zurück weiter >>