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57.

Basel, 10. Sept. 1881.

Soeben sendet mir St. aus Mailand diejenige Epistel zu, welche Sie schrieben in der Meinung, der dortige Kongress sei noch beisammen, wir sind aber seither nach allen Winden zerstoben und nur St. hütet nun die verödeten Mauern. Dies ist jedoch im poetischen Sinn zu nehmen, denn in Wirklichkeit grodlet Wimmelt. Mailand von Leuten wegen der Ausstellung, so dass z. B. meine Wenigkeit nur durch starke Verwendung noch ein Zimmer in der Gran Bretagna erhielt. Mailand ist aber jetzt überhaupt nicht mehr das alte; Bauten und Geschäfte sind in schwindelhaftem Schwung, man wandelt nicht mehr, sondern man läuft. Jeder nimmt, soviel er irgend erwischen kann, und eine Ahnung sagt mir, dass so ungefähr gegen 1883 oder 1884 hin ein formidabler Krach diesem Treiben ein einstweiliges Ende machen könnte.

Sonst war Italien trotz mörderlicher Hitze ganz ungemein schön, und meine Briefe an G., die Sie gelesen haben, ersparen mir den weitern Bericht hierüber. Nur muss ich speziell für Sie noch beifügen, dass Massa (bei Carrara) von ganz sublimer italienischer Schönheit ist, hoch-poussinesk und wahrhaft feierlich. Ich blieb express einen Abend und einen Vormittag dort und bummelte nah und ferne. Nun hat man von allen Nestern der Riviera, von Nizza bis Spezia, eine grosse Menge von Photographien, wahrscheinlich, weil dies zu den patentierten Souvenirs der Winterkurgäste gehört, während von Massa kein Mensch redet – aber in dem an sich sehr mässigen, lustigen kleinen Gasthof zu Massa hingen aus den zwanziger Jahren drei grosse Lithographien, welche die Landschaft im Stil von Koch und Reinhard darstellten. Es war also doch vor mir, lange vor mir, einst ein Nordländer hier eingekehrt und hatte es versucht, für Massa Lärm zu schlagen. – Was die Riviera betrifft, so müsste dieselbe, wenn die jetzigen Zeiten des Luxus der Reichen fortdauern könnten, in wenigen Jahren nichts als ein vierzig Stunden langes Hotel werden, wo das ganze reiche und kränkliche Europa (die Davoser Leute ausgenommen) den Winter zubrächte. Sobald das Meer ruhig wäre, würde man nichts mehr als Husten hören. Es wird indes dafür gesorgt sein, dass auch diese Bäume nicht in den Himmel wachsen. Es ist in Italien ähnlich wie in Frankreich: Anwachsen der Geschäfte und alles Materiellen bei starker Abnahme der politischen Sicherheit, welche zu solchen Geschäften und betreffenden Genüssen gehören würde; die guten liberalen und selbst radikalen Erwerblinge können lange vor den Volksführern auf die Knie fallen und sie anflehen, keine Dummheiten zu machen. Die Volksführer müssen eben, um wiedergewählt zu werden, die geschreilustigen Schichten der Volksmassen für sich haben, und diese verlangen, dass stets etwas geschehe, sonst glauben sie nicht, dass »Fortschritt« vorhanden sei. Aus diesem cercle vicieux kommt man beim suffrage universel überhaupt nicht mehr heraus. Eins nach dem andern muss geopfert werden: Stellen, Habe, Religion, distinguierte Sitte, höhere Wissenschaft – solange die Massen auf ihre meneurs drücken können und solange nicht irgendeine Gewalt drein ruft: Haltet's Maul! wozu vorderhand noch nicht die leiseste Aussicht vorhanden ist. Und (wie ich Ihnen schon längst geklagt) diese Gewalt kann beinahe nur aus den Bösesten hervorgehen und haarsträubend wirken.

Heute fange ich wieder an, im Pädagogium An der Prima des Obergymnasiums, wo Burckhardt noch bis 1883 den Geschichtsunterricht erteilte. meine Stunden zu geben (vier wöchentlich), obwohl ich das Recht zu völligen Ferien hätte. Man gibt damit ein gutes Beispiel und die Mühe ist nicht gross. – Daneben werden die gekauften Photographien sortiert, in Serien an den Buchbinder gegeben, nachher etikettiert und zuletzt in die Mappen verteilt. Dies ist schon mehrmals meine Herbstbeschäftigung gewesen, ein ganz angenehmes Wenigtun. – Leider hat man mir die Rektoratsrede aufgehalst, weil der Prof. Miaskowski mitten aus seinem Rektorat heraus nach Breslau abgegangen ist und ich nun bei Steffensens Kränklichkeit der Älteste in der betreffenden Fakultät bin. Es macht mir zwar keine grosse Arbeit, aber grosse Unruhe.


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