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24.

Bologna, 15. Aug. 1878, abends.

Ich reise morgen in der Richtung nach Ancona ab, um die dortigen Städte abzuweiden, werde aber hier in Bologna nachher noch eine Station machen und Montag, 26., und Dienstag, 27. August hier nach Briefen fragen. Ich bin gern zufrieden, wenn Sie mir nur melden, ob etwas Wesentliches passiert ist oder alles noch auf dem alten Fleck steht.

Seither habe ich hier einiges gekauft; der Hauptphotograph per le cose dell' arte war musterhaft liebenswürdig und gab mir ohne Markten bei Ankauf von zirka dreissig Stücken den Rabatt (von 1 Franken auf 80 Centesimi). Auch die Antiquare offen und ehrlich, nicht wie in Rom, wo sie sogleich mit dem Preis in die Höhe schnellen, sobald sie merken, dass der Fremde etwas zu haben wünscht. Ich freue mich schon auf den zweiten Aufenthalt in Bologna. – Zum Skizzieren komme ich hier nicht mehr, das geht besser in den kleinen Städten; auch habe ich mit den Antiquaren usw. zuviel Zeit verschwatzt. Ich bin wieder auf dem Punkt wie anno 1854, da ich schon auf Italienisch dachte.

Heute ist Assunta, und da musste ich leider erleben, dass eine meiner Lieblingskirchen allhier, San Salvatore, innen völlig mit jenen abscheulichen Ornati behangen war, da die Säulen schmutzigpurpurrote Hosen mit verschundenem Goldbesatz tragen, wie etwa die Clowns bei Seiltänzern. Es ist der einfach-schönste Barock in Backstein, den ich kenne, innen farblos – wenn nur bewusste Hosen nicht gewesen wären. – Vorher war ich im Bade; es fliesst in Bologna dort hinein ein Arm jenes Flusses Reno, auf dessen naher Insel Augustus, Antonius und Lepidus anno 42 v. Chr. das zweite Triumvirat schlossen, d. h. jenen Aderlass dekretierten, welcher viertausend Römern aller Parteien, Konservative, Fortschritt, Zentrum und Nationalliberal das Leben kostete. Nun badet man in Steinkammern, in welche besagter Fluss Reno sein Wasser, aber auch seinen Schlamm hineinführt, und ich fürchte, dreckiger heraus- als hineingekommen zu sein; tauchen mochte ich den Kopf nicht. Es war mir fast, als müsste ein altbackener Sch…kegel des Kaisers Augustus zur Öffnung hereingeschwommen kommen; soweit geht aber meine Verehrung für das Altertum nicht, dass ich so etwas angenehm befunden haben würde.

In Italien wird von den Wühlern auf dieselbe Auflösung hingearbeitet wie überall; hier erscheint u. a. ein ganz arges sozialistisches Hetzblatt, la Stella. Überhaupt ist es schon so weit, dass auch die sog. anständigen Blätter enorm vieles voraus zugestehen müssen, als selbstverständlich, was bereits ganz bedenklich lautet. Und wenn man die Zeitungsjungen mit dem schrillen Ton ausrufen hört: la gahzittah! la Stellah! so geht es einem durch Mark und Bein. – Seitdem man weiss, wie fast in allen grossen Städten von Deutschland die Sozialisten ihre Kandidaten durchgesetzt haben, kennt man überhaupt die wahren Majoritäten in den städtischen Massen.

Es ist heiss, aber bewegte Luft – und eine Schönheit und Klarheit in derselben! Ich wollte nur, es gäbe einen Bläue-Messer, um diejenigen Leute zu überführen, die an das Himmelblau von Italien nicht glauben wollen. Jetzt, gegen sieben Uhr hin, mischt sich gegen den Horizont jener wunderbar sanfte, grünliche Ton hinein; fern über die Dächer leuchtet, flammend davon abstechend, in der Abendglut der gewaltige Oberbau von S. Petronio in mein Fenster. – Nun freue ich mich auf das Adriatico, wo ich den Schlamm des Reno wieder von mir waschen werde. Rimini und Fano sind ja Badeorte.

Wie es einst einen Abbé Trublet gab, welcher den Voltaire erzürnte durch eine Abhandlung »über die wahren Ursachen der Langweiligkeit der Henriade«, so studiere ich hier über die wahren Ursachen der Langweiligkeit vieler Bilder der Caracci – nicht aller! Aber ich weiss jetzt den Punkt anzugeben, wo namentlich Lodovico Caracci umschlug: es war, als er nur noch das Allgemeine seines Wissens gab und keine psychologischen Kämpfe mehr um die einzelnen Charaktere und ihr Tun bestand; zuletzt mit der kolossalen Annunziata über der Apsis von S. Pietro merkte er es selber, wurde melancholisch und starb.

Dessenungeachtet ist der Wein hier vortrefflich und dito das Essen, nur hat man bei der Hitze einen ganz mässigen Appetit, und ich suche mein bis jetzt vorzügliches Befinden auf alle Art zu schonen. Glücklicherweise ist es nicht so heiss, dass der Julidurst wiederkäme, der mich dem schlechten Wasser in die Gewalt gäbe. – Heut abend ist wieder Norma und ich gehe wieder hin.

Die Glace-Wirtschaft ist hier gut organisiert und wohlfeil. Aber mein Sommerröcklein offenbarte seit einigen Tagen böse Defekte, und ich kaufte ihm heut einen Kameraden, der mich samt Änderungen (eine Tasche mehr usw.) und Flicken seines Vorgängers nur 17 Franken kostete. Es ist freilich leichte Ware, aber mehr verlangt man ja in diesem Klima nicht, als dass der Rock die verschiedenen Taschen trage und mit dem Menschen im Zusammenhang erhalte.


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