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44.

Basel, 22. August 1880.

Seit ich vor drei Wochen an Sie geschrieben, habe ich Ihren grossen schönen Architekturbrief erhalten und hätte nun schon längst antworten sollen, aber es passiert hier schlechterdings nichts, und man sieht einander nur noch als Rarität. In neun Tagen also wird X.' Sehnen erfüllt, und ich glaube, er hat die Beschwerden des Brautstandes satt bis zu oberst. Es gibt aber auch nichts, was einem vernünftigen Menschen den Ehestand so verleiden könnte wie die jetzige Gestalt des Brautstandes und der Hochzeit. Zwei oder drei Monate hindurch wird unter horriblem Wichtigtun und lautem Trompeten der Trousseau und das Mobiliar besorgt, indes die beiden Schlachtopfer von einer Brautgastierung zur andern geschleppt werden, – während doch zwei junge Leutchen ganz perfekt ohne allen Trousseau zusammenleben und denselben dann allmählig anschaffen könnten. Der stärkste Beweis hiefür ist die Hochzeitsreise, während welcher man ja den ganzen Trödel daheim ungebraucht lässt. Unter Vorwand dieser Vorbereitungen hat dann der arme Hund so lang' warten müssen. Die Hochzeit selber ist in allen Zeiten und bei allen Nationen barbarisch organisiert gewesen und geblieben und steht in schreiendem Gegensatz zu aller delikatern Empfindung. Das Vorbild, wonach sich die Jahrtausende gerichtet haben, ist höchstwahrscheinlich die Hochzeit von zwei Personen aus verschiedenen barbarischen Stämmen der Urzeit, welch letztere bei solchem Anlass unter möglichstem Pomp und unter heftiger Rivalität des Auftretens eine Art Annäherung oder Versöhnung zelebrierten. Und davon kommt es nun, dass noch im neunzehnten Jahrhundert n. Chr. selbst ein armer Teufel nur unter dem lächerlichsten Tross und Trödel und Aufwand Hochzeit machen kann, und die beiderseitigen Gäste sind der Abglanz grosser feindseliger Stämme oder Clans der alten Welt. Goethe hat einmal gesagt, wenn irgend etwas in Stille und Bescheidenheit abgetan werden sollte, so wäre es die Hochzeit, aber freilich meinen nun die Spötter, er, Goethe, habe eben seine Ursachen gehabt, sich Anno 1806, zwei Tage nach der Schlacht von Jena, in aller Stille und Eile mit seiner alten Vulpia durch den Konsistorialrat Griesbach trauen zu lassen. Verzeihen Sie diesen Exkurs, ich habe eben niemanden mehr, mit dem ich schwatzen kann.

Also die Tuilerien sollen demoliert werden! Vivat Ihr alter »Zorngroschen«, welcher sich aus irgendwelchen Gründen für Erhaltung ausgesprochen hat. Übrigens wird wohl so bald die Gewalt wieder in einer andern Nuance von Händen sein, dass auch im Bauwesen unterschiedliches anderes entschieden wird oder liegen bleibt; freilich so viel Zeit könnte schon noch übrig sein, dass inzwischen die Demolition stattfände, denn Umreissen geht heute geschwind.

Die Stichbögen an der Palais de Justice-Fassade habe ich einfach für Aberwitz erklärt. Nur ein hundsföttischer Besserwisser und Geistreichscheisser konnte auf diese Idee kommen, und wo mir inskünftige ein Bau dieses Duc vor Augen kommen sollte, habe ich das Recht, zu allererst nach irgendeinem Zeichen ebenderselben enormen présomption qui frise la folie mich umzusehen. Zur Zeit der Madeleine glaubte man noch an das Klassische und konnte dabei leer sein, aber man durfte kein Ensemble durch »Ideen« wie jene des Duc verderben. (Aus Metternichs Memoiren erfährt man, dass Napoleon um 1810 im Sinne hatte, die im Bau begriffene Madeleine zu einem Monument expiatoire für Louis XVI. zu machen, was seither anderswo so viel bescheidener unter der Restauration ist verwirklicht worden.) Das Innere der Madeleine hat durch das reine Oberlicht bei mir einen Stein im Brett gegenüber von allem. Ich halte den Bau für einen wertvollen einzigen Besitz von Paris, denn keine andere moderne Hauptstadt hat einen Bau dieser Art von diesem Range, soviel mir bekannt ist.

Ihre Entdeckungsfahrten im Gebiet der Cabinets inodores sind über die Massen löblich. Sie sollten denselben aber die Krone aufsetzen durch Publikation eines Planes der Stadt, auf welchem dieselben sämtlich etwa durch points rouges deutlich markiert wären; den Titel eines solchen Planes habe ich mir schon vor langen Jahren ausgesonnen, nämlich Cacographie de Paris.

Vorgestern ist L.-B. am Typhus mit Diphteritis gestorben, was jetzt hier grassiert. Wie kurz hat er seine Unabhängigkeit geniessen können! Verzeihen Sie einem alten Beobachter von Schicksalsdetails diese Reflexion.

Nun will ich sehen, ob es als Abschluss des heutigen Regensonntags noch tunlich ist, nach Grenzach in die Krone zu pilgern.


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