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18.

Frankfurt a.M., Dienstag, 4. Sept. 1877.

Gestern fuhr ich von Würzburg über Aschaffenburg (höchst malerisch, auch einiges zu sehen und zu studieren, drei Stunden Aufenthalt) hieher und »stieg ab« im Württemberger Hof. Der Gasthof ist verwohnt, verlebt und schmierig, aber Frankfurt ist und bleibt doch die souveräne hohe Schule für alles Gasthofswesen; der Oberkellner und seine ganze Schar freundlich und prevenant, ganz als gälte es, an mir einen bleibenden Kunden zu gewinnen, während in andern Gegenden, auch in der Schweiz, das Benehmen oft so ist als dächte man: »So wie wir dich traktieren, kommst du doch nicht wieder, also lassen wir uns gehen und führen uns (Kellner, Wirt usw.) auf als Flegel.«

In Würzburg ist Barock und Rokoko in grenzenloser Fülle und Auswahl in fast sämtlichen Kirchen und vollends in der ganz gewaltigen, kaiserlich prächtigen Residenz der alten Fürstbischöfe, letztere ganz, völlig harmonisch, aus einem Geld und Stück gebaut und dekoriert um 1750. Hier passt geradezu alles zusammen; als Dekorationsmaler aber funktionierte der grosse Giovan Battista Tiepolo. Es ist wieder eine andere Schattierung als zu München in den Zimmern Karls VII., und auch die fünfzehn Jahre (zirka), welche zwischen beiden Bauten liegen, sind schon etwas fühlbar. Aber man muss eben allgemach, wie ich, diesen Sachen nachgehen, um in diesen Nuancen den unermesslichen Reichtum von Geist und Können zu ahnen, welcher in den damaligen Dekoratoren waltete. Auf morgen nachmittag habe ich mir das Schloss von Bruchsal ausersehen, wo ein genialer Mensch im Bischöflich Speyerischen Dienst mit viel geringern Mitteln hat arbeiten müssen. – Das Schloss von Bamberg ist merkwürdig für den früheren Dekorationsstil um 1680. – Im Schloss von Aschaffenburg werden nur die Reihe von Zimmern, wo der letzte Kurfürst von Mainz gehaust und gedekoriert hat (geringer Louis XVI.), gezeigt und das Dasein anderer Luxusräume geradezu geleugnet. Ich kann aber nicht glauben, dass die Hauptresidenz der alten Kurfürsten von Mainz nichts Reicheres enthalten habe, als was man für gut findet zu zeigen. Das Schloss selbst ist eines jener kuriosen Stücke deutscher Renaissance nach 1610, da man sich noch nicht bemüssigt fand, von den Italienern das Treppenhaus zu lernen, sondern mit vier plumpen Treppentürmen in den vier Ecken des Hofes aushalf, alles mit Wendeltreppen. – Über die Bedenklichkeiten der deutschen Renaissance, wie sie auch hier grassiert, mündlich ein Mehreres. – Im hiesigen »Hôtel Francfort« oder Aktienhotel, dem Kolossalbau des Mylius, herrscht dagegen die italienische Renaissance bis an die Grenzen des Glaubhaften; denken Sie sich ein Gebäude reichsten Stils en fer à cheval und vor dem Garten herum gegen die Strasse oder Platz eine als Kreissegment vortretende durchsichtige Halle Das Motiv dieser Halle hat Burckhardt im Briefe skizziert.. Das hat Mylius »gederft«, wie die Frankfurter sagen.

Im ganzen kann ich wohl mit der Reise zufrieden sein, aber nun ist's Zeit nach Hause, weil der Geschichtsprofessor wieder hinter seinen Büchern sitzen muss. Vom Photographienelend habe ich mich gestern abend durch einen letzten Kauf für emanzipiert erklärt. Man kann aber bis auf den letzten Moment nicht wissen.

Die hiesige sogenannte Pfarrkirche oder Parrkirche (wie die Frankfurter sagen) ist nun in der Restauration (nach dem Brand von 1866 (beinahe fertig und wird sehr schön; auf der Turmspitze ist dieser Tage die Kreuzblume aufgesetzt worden. – Heute abend ist Tannhäuser, welchen ich jedoch werde ungesehen lassen, da ich nachmittags nach Mainz hinüberfahre und wohl erst zu spät wiederkomme. – Alle Welt freut sich der neuen russischen Schlappe; im übrigen habe ich in Würzburg von Aufgeklärten stark räsonnieren hören über das innere Leben des deutschen Reiches, und dito gestern von einem reichen Berliner auf der Eisenbahn. Dass der Kulturkampf den Katholizismus nur gekräftigt habe, ist bei diesen Leuten ein unverhohlener Gegenstand der lauten Klage. Ich nenne brieflich denjenigen nicht, der mir sagte: »es bricht eine allgemeine Nacht herein.«


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