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29.

London, 4. Aug. 1879.

Sie glauben gar nicht, mit welchem Vergnügen ich heute früh dero Epistel empfing, woraus ich u. a. ersehe, dass man Sie nach der hohen Kinschburg Hohkönigsburg im Elsass. hinaufgelotst hat, wo ich mich schäme nie gewesen zu sein. Ich habe mich dafür immer mit einem Traumbild beholfen: wie schön es sein müsste, von dort etwa früh vor Sonnenaufgang nach dem Schwarzwald hinüberzusehen. Ich habe noch manche solche Traumbilder vorrätig, an welchen ich mich ergötze.

Ich denke immer, wie schön es wäre, wenn Sie mit mir hier spazieren würden und wir der Londoner Architektur hie und da Huldigungen brächten und ihr dann wieder hie und da ein böses Maul anhingen. Es ist hier nämlich nur ganz mässig warm und hie und da etwas Regen dazwischen, in summa von wegen Hitze ist es sehr gut auszuhalten, und in Amiens war es ganz anders heiss! Also sollt Ihr mich von dessentwegen nicht bemitleiden, sondern nur, weil ich sechs Wochen in völliger Einsamkeit die grössten Eindrücke in mich hineinfressen muss. Ich habe soeben der (französischen) Wirtin unten, einer klugen und ehemals schönen Frau, eine begeisterte Predigt über allerlei gehalten, nur um etwas zu schwatzen.

In meiner Nähe habe ich zum Bummeln die schönsten Strassen von London, Pall-Mall, Piccadilly etc., Whitehall, das Parlament etc. Aber man macht grässliches Zeug. In Trafalgar Square ragt jetzt herein ein siebenstöckiger, skulpturreicher, ovaler Steinwanst, welcher der Vollendung entgegengeht und Grand Hôtel heissen wird, für diejenigen Sterblichen, welchen es egal ist, per Tag 50 Shillings auszugeben. Daneben aber muss ich sagen: Die Engländer sind darin gross, dass sie sich nicht im Stil genieren; wenn es einem Spekulanten in Teppichen, in Steingut, in Schuhen oder in Guttapercha-Artikeln beliebt, sein Haus anglonormannisch oder venezianisch oder gotisch oder Renaissance oder Elisabethan-Style zu bauen, so tut er es; und an der Behandlung des Materials sollten auch Sie Ihre Freude haben! Eine Menge Malereien an Fassaden werden noch teils in Glasur, teils in echtem Mosaik ausgeführt. Dem Backstein gewinnt man das Unglaubliche auf bisweilen ganz geniale Weise ab. – Vor neunzehn Jahren gab es ein paar Club-Houses und Banken, welche geschliffene Granitsäulen, resp. Halbsäulen hatten, jetzt hat es bald jeder grosse und anspruchsvolle Butiker, zugleich mit der Zunahme der riesigen Glasscheiben, die damals noch eine Rarität waren.

In Sachen des Southkensington-Museum habe ich mir jetzt eine Raison gemacht: ich will mitnehmen, was ich gerne mag, und nicht für die sonstige Welt die Schweine hüten. Aber es war die höchste Zeit, dass ich kam, nur um wenigstens zu erkennen, was ich noch kann und was nicht mehr.

Nachdem ich mich heute im Britischen Museum noch rasch in den ägyptischen Hieroglyphen orientiert hatte, machte ich mich des Abends an dem Themse-Embankment an Entzifferung der vierten Seite des Kleopatra-Obelisken und las mit grosser Mühe: »Wer diese Schrift ergründen will, muss ein rechter Dubel sein.« (O Isis und Osiris, dachte ich, das fängt gut an; – aber es kommt vielleicht hernach etwas freundlicher.)

 

Journal-Fetzen.

6. Aug.

In welchem merkwürdigen Buch des Schicksals steht es denn eigentlich geschrieben, dass man über einige der grössten Entwicklungen der italienischen Skulptur und Malerei nur in London sich Rats erholen kann? Das will ich Ihnen sagen: es ist u. a. der Catalogue raisonné der National-Gallery, wo schonungslos gesagt ist, welcher Nobile in Italien und welche Behörde ihre Gemälde an die Engländer sukzessive verkümmelt hat, und zwar NB. meist erst seit dem Regno, seit 1859/60. Für einen patriotischen Italiener muss dieser Katalog eine der schmerzlichsten Lektüren sein. Und bis nach London kann ich den Sachen noch nachreisen; was aber Russen und Amerikaner verschleppt haben mögen, dem kann ich nicht mehr folgen. Hier in London ahnt man wenigstens bei den leitenden Persönlichkeiten, welche die Ankäufe leiten, einen wirklich grossen Sinn. Namentlich aber bei den Lenkern vom Southkensington-Museum, welche rechnen: es müsse doch am Ende in ihrer hochbegabten und noch relativ frischen Nation ein Geist wach werden, der diese herrlichen Sachen sich zu eigen mache und auf seine Weise daran weiter spinne. – Ja, wenn nur nicht business allem voranginge, wenn nur nicht schon das Gewinnen des täglichen Unterhaltes so heillose Efforts nötig machte. Was da fehlt, ist die Musse, die Mutter aller Kontemplation und des daher stammenden Aufschwunges. Die stärkste Anstrengung hat sich ja die Kunst nie zu ersparen begehrt in ihren grossen Zeiten, aber diese Anstrengung muss mit einer inneren Sammlung abwechseln, welche auf dieser Insel nur das Eigentum von the happy few sein kann.

Einstweilen ist für die Kunst so viel gewonnen, dass man wenigstens wieder Fassaden baut, ohne sich darum zu grämen, ob das Haus nach neunundneunzig Jahren an den Marquis von Westminster oder an den Herzog von Bedford usw. heimfällt. Obiger Marquis soll vor kurzer Zeit durch Heimfall einer gewaltigen Anzahl von Häusern sein enormes Vermögen noch einmal beträchtlich vergrössert haben oder haben grösser werden sehen, soweit er es überhaupt noch übersehen kann. Und er kann doch nicht mehr als essen und hat vielleicht einen schwächeren Magen als ich. Und mein Bett im Paris and Europe-Hotel ist vortrefflich, so dass er auch nicht besser schlafen kann. Vielleicht hat His Lordship auch keine bessere Digestion als ich – was bleibt dann übrig? Zigarren darf er vielleicht aus Rücksicht nicht einmal rauchen, was ich doch darf. Er hat gewiss seine Loge in den vornehmsten Theatern, ennuyiert sich aber darin. Das Nobelste, was er hat, ist seine prächtige Gemäldesammlung, wovon ich aber nicht weiss, ob sie ihn wesentlich freut. Dann noch die Oberhaussitzungen, welche unter Umständen schmerzlich langweilig sein können. Und das Präsidieren bei Gott weiss wie vielem Sport, der ihm vielleicht verleidet ist bis zum Halsheraushängen!

Abends.

Ich komme eben aus einem der prachtvollsten Kaffeehäuser von London, Spiersandponts, welches vermutlich geschrieben werden muss: Spears and Punts; nein, es heisst Spiers and Pond. Zuerst eine riesige Halle von lauter Majolika, was alles can be washed – wenn nur nicht die verfluchten Decken in carton-pierre wären! – Das Büfett zweimal so lang (doch lange nicht so hoch) als unserer Herren Häupter Stühle in S. Martin, und auch am Büfett alle Füllungen Majolika, dann eine Nebenhalle – das Niedlichste, was man von engem Hochraum sehen kann – macht es sie nicht glustig? – am ganzen obern Zweifünftel Raum lauter schwebende Göttinnen in Majolika – und von da geht eine dito Treppe aus; – morgen abend werde ich dort mein dinner nehmen, es mag kosten, was es will. Wenn dann noch die Hexerei mit den verborgenen Gasflammen usw. hinzukommt … wer kann da widerstehen?

Im übrigen gibt es eine Sache, die mich noch mehr interessiert. Geben Sie wohl Obacht! In der National-Gallery, tückischerweise im spanischen Saal, ist seit ganz kurzer Zeit ohne Etikette, Nummer und Namen ein Porträt ausgestellt – Sie glauben wohl eine zauberhafte junge Dame? Nein, sondern ein verdriesslicher alter Kardinal, und alle Welt stürzt auf das Bild zu und einer fragt den andern: wer und von wem ist das? Heute gab es doch einen Augenblick Gedränge davor!

Und nun ist unser einer doch zu einer unabhängigen Ansicht über so etwas verpflichtet! hic Rhodus, hic salta.

Dieser Kardinal ist fürs erste ein Individuum aus den Jahren 1550-1590. Oho! das ist ganz einfach Granvilla, oder Kardinal Charles de Guise! Nein, meine Herren, keiner von beiden, denn Granvilla kenne ich wie meinen Handschuh von dem Bilde des Musée de Besançon her, und den Guise ebenfalls. Es ist ein Sechziger, in einem mit Elfenbein eingelegten Lehnstuhl, und wenn man nach der Nationalität fragt, so ist es auf den ersten Blick am ehesten ein Deutscher, und zwar von keckem deutschem Adel, obwohl ohne alle Idealität. Er hat hundsmässig viel gesehen und auch einiges ausgestanden und rechnet allen Idealisten aus, wieviel Egoismus au fond in denselben steckt. – Die Behandlung ist wie die eines Meisters, der alle möglichen Schulen kennt und sich diesmal – aber vielleicht nur diesmal – alle mögliche Mühe gegeben hat. Jetzt ratet!

Der, welcher diesen roten Kragen und diese weissen Byssus-Ärmel gemalt hat, kannte auch wohl etwa ein Bild von Andrea del Sarto. Der, welcher diese wundervolle Hand – aber vielleicht nur diese – gemalt hat, kennt vielleicht Arbeiten des Baroccio von Urbino, von dessen ersten Arbeiten – wer weiss? Er hat vielleicht eine ganze, noch dazu sehr ausgesuchte Galerie vor sich gehabt.

Jetzt will ich frech sein: es ist ein Bild von Joseph Heinz und stellt etwa den Kardinal Dietrichstein, einen grossen Diplomaten vom Hofe Kaiser Rudolfs II. und zugleich wohlbesoldeten heimlichen spanischen Parteigänger d. h. Pensionär vor. Ich will nur bei Zeiten eine Priorität für meine Meinung konstatieren. – Anno 72 im Belvedere sah ich das wundervoll energische Porträt Rudolfs II., wahrscheinlich von Heinz, und seither glaube ich an die Möglichkeit von weitern wundervollen provinzialen und momentanen Aufschwüngen. Es ist doch kein Katzendreck, wenn so ein Bild neben allen Velasquez die Augen der Menschen magisch auf sich zieht. Ich muss aber diesem Kardinal noch weiter nachdenken, und wenn ich noch einige Male meine Ideen ändern sollte, so mögen Sie sich nicht wundern.

Sonst habe ich zum erstenmal endlich das Wunderbild von Rubens, le chapeau de paille gesehen; es ist aber ein Filzhut mit Feder und heisst eigentlich le chapeau de poil, was irgend ein versoffener englischer Kunstfreund falsch verstanden hat. Unter dem Filzhut aber logiert des Rubens zweite Frau, Helena Forman, wahrscheinlich im Brautstand gemalt. Mit Ausnahme des rechten Backenrandes ist alles im Schatten des breiten Hutes, aber zugleich im vollsten blonden Licht, der Teufel weiss wie – und alles überleuchtet von zwei ganz fabelhaften dunkelblauen Augen.

Nachdem ich nun fünf Tage in der National Gallery und in Hamptoncourt bloss der Malerei gehuldigt, geht es morgen den ganzen Tag nach Southkensington-Museum. Aber der rätselhafte Kardinal wird mich doch auf Schritt und Tritt begleiten.

Donnerstag, 7. Aug.

Und der Kardinal ist unter allen Umständen von keinem damaligen Italiener, Spanier oder Franzosen gemalt; so bleiben nun nur Niederländer und Deutsche übrig, und zuletzt bleibt's bei einem Deutschen am Hofe Rudolfs II., der ja die prachtvollste Galerie aus allen Schulen besass. Im Bart ist noch jedes Haar besonders gemalt, und doch hat das Ganze eine vollendete Haltung.

An Ankäufe wird's vielleicht heute zum erstenmal gehen, ich trinke aber nicht mehr in die Hitze wie früher. Das Leben ist wirklich gottlos teuer; ich zahle täglich im Hotel, allerdings für ein gutes Zimmer, doch drei Treppen hoch, 5 Shillings, für Bedienung und Licht 1 Shilling – dann kommt ausnahmsweise billig der reichliche Kaffee mit Anken Butter. 1 Shilling. Also täglich im Hotel 7 Shillings. – (Dafür aber bin ich kontraktlich völlig freigesprochen von der Table d'hôte, von der man sonst bei einem Franzosen, wie mein Monsieur ist, nicht loskommt; das Zimmer würde nämlich an sich nur 4 Shillings kosten.) Nun bleiben noch meine zwei Repas den Tag über, welche mich bei aller Mässigkeit 5 Shill. kosten – und abends meine Flasche Rotwein 2 Shill. – dazu per Tag 1 Shilling Zigarren – und so haben Sie 15 Shillings Notausgaben beisammen und mit den Pennies an die Dienstboten 16 Shillings = 20 Franken. Das Extra macht dann freilich wenig, da ich lauter Gratis-Sehenswürdigkeiten frequentiere (oder höchstens zu ½ Shilling) und fast nur Eisenbahn fahre.

Nun behüte Euch Gott, ich will jetzt ins Southkensington.

Das ist aber doch wüst, dass abends auf dem Trottoir gewisse Damen einen alten Mann wie ich buchstäblich anrempeln. Man sollte es ihnen verbieten.


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