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83.

Basel, Samstag, 18. Juli 1885.

Dr. O. spediert mich diesmal nach Baden-Baden, wohin ich 29. ds. abzudampfen gedenke; ich bade drei Wochen, bummle dann etwa noch eine Woche und kehre jedenfalls vor Ende August wieder hieher zurück.

Von Ihrem Bouguereau sah ich neulich im Musée zu Mülhausen ein herrliches Rundbild: Amor und Psyche, gewiss eins der allerbesten Werke der neuern französischen Schule; ich bin zu sehr aus aller lebenden Kunstwelt heraus, um zu urteilen, aber ich weiss wahrlich nicht, welcher jetzt Lebende sonst so etwas zustande brächte. Was ist aber das für ein absurdes Thema des Constant, wovon Sie melden? Getötete Haremsweiber! Voriges Jahr waren es getötete Kardinäle, die auf einem Bündel beisammenlagen. Damals hiess der Exekutant Laurens, das ist aber ganz gleich; euer fiebriges verpfeffertes Paris macht eben mehr und mehr solche Themata möglich. Ist denn das rendu gar alles und der Gegenstand nichts mehr? – An das Bild des vorigen Jahres von Constant entsinne ich mich sehr wohl: es sind die Sklavinnen im Moment da der Herr kommen soll; in der Tat höchst effektvoll, namentlich die, welche sitzend sich anschickte, die Honneurs zu machen.

Auf der elsässischen Ausstellung werden wohl u. a. alte Bilder der Mme. Kestner gewesen sein, welche deren sehr schöne haben muss. Dass VanderMeer van Delft Sie durch seine Lichtmalerei verhext hat, ist mir von Erfahrungen bei andern Malern her nicht befremdlich; leider ist seine »Person« Die weiblichen Gestalten auf Vermeers Bildern. fast immer so gleichgültig!

Inzwischen haben Sie Viktor Hugo und seither auch das Bastillenfest überstanden. Wenn es nur nicht mit dem armen Frankreich so handgreiflich abwärts ginge! Auch unsere Schweizer Zustände werden sich so lange auf der schrägen Fläche abwärts bewegen als die von Frankreich. Die zwei ersten Jahrzehnte unseres Bundeswesens waren so ruhig und vernünftig gewesen – kein Wunder, denn daneben hielt Louis Napoleon die Kräfte der Zerstörung darnieder; seither wurde es dann auch bei uns »anders«.

Die B.sche Mauer an der Rittergasse ist endlich heut bis auf wenige Reste gesunken. In dem Genist über dem gotischen Torbogen fand man eine Anzahl Skelette von Mardern und Iltisen, welche wahrscheinlich dort vor Alter und Krankheit zu krepieren pflegten – oder von Standesgenossen getötet wurden; ferner ausgesoffene Eier und Nussschalen.

Am Schulhaus beim Münster ist man mit dem Erdgeschoss nahezu fertig. Es wird ein ganz enormer Kasten, der über Delphin und Antistitium Das vornehme Haus zum Delphin und die Amtswohnung des ersten Münsterpfarrers, des Antistes. seinen Schatten werfen wird. Wenn's aber einmal mit dem jetzigen Schulenwahnsinn kracht, dann kracht's auch gleich recht. Was dann aus diesen Schulpalästen werden wird?

Helfen Sie einstweilen dafür sorgen, dass die Franzosen wieder ein nationales Idol wie V. Hugo bekommen; man sollte in ganz Frankreich Nachsuche halten! Aber wenn ihr Ihn hättet, der liebe Neid der Demokratie würde ihn nicht mehr anerkennen.


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