Ludwig Tieck
Fortunat
Ludwig Tieck

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Vierter Akt

Erste Szene

Barbierstube.

Flint, einige Gesellen.

Flint: Frau! Frau!

Die Frau kömmt herein.

Frau: Was gibt's?

Flint: Das Feuer ist schon wieder ausgegangen. Neue Kohlen! Sieh, alle die Locken, die sehnsüchtige, die melancholische, und die hoffnungsvolle müssen neu aufgebrannt werden; für die zerstreute geht es noch an, daß sie die Flügel so hängen läßt. – Feuer! Feuer! Unser Metier ist feuriger Natur. – Bursche, sind alle die Rasiermesser abgezogen?

Erster Gesell: Ja, Herr Flint, alles in der saubersten Ordnung.

Flint: Rennt, springt, tummelt Euch, wenn es auch nicht nötig ist, aber es muß in meinem Laden nicht melancholisch hergehn; lebhaft! Ein viver Mensch macht lieber drei Gänge für einen – Frau, der Herr Leibarzt ist völlig in Ungnade gefallen.

Frau: So?

Flint: Ein großes Evenement. Herr Theodor ist sehr krank, ich mußte ihn heut morgen im Bett rasieren, den Kopf ganz in Kissen eingehüllt, und er seufzte recht schwer; man sagt, daß er sich den Verlust seines Bedienten Dietrich (unser Gevatter, Frau) so zu Gemüt gezogen hat. Ja, der Mensch ist doch verschwunden, keine Seele weiß, wie: sie sagen, und das hat Wahrscheinlichkeit, die französische Gesandtschaft habe ihn aufgefangen, um hinter einige Staatsgeheimnisse zu kommen. Herr Reymund, der Goldkoch, ist nun Faktotum am Hofe; er wird Erster Minister werden, der Grillenfänger.

Frau: Mann, schweig, du redest dich noch einmal um den Kopf.

Flint: Je was, wir leben in einem freien Lande, ich werde mein Pfund nicht vergraben. Es sind sechs Gesandte und dreizehn junge Prinzen aus allen Gegenden von Europa angekommen, die alle unsre Prinzeß heiraten wollen, das große Heiratsgut sticht ihnen in die Augen. – Du da, die Kräuseleisen an den rechten Ort gelegt! – O ich weiß alles, alles, beim Rasieren, wenn den Staatsmännern das Messer an der Kehle sitzt, und man ihnen dann recht um den Bart zu gehen versteht, sagen sie alles. Mir sind die innersten Falten des Kabinetts kein Geheimnis.

Ein Laufer kömmt eilig.

Laufer: Schnell, schnell an den Hof, Meister Flint! Ihr sollt eiligst vor den König geführt werden.

Flint: Mein Himmel – ich – der Anzug –

Laufer: Wie er geht und steht, hat Seine Majestät gesagt. Ich soll Euch mitbringen.

Flint: Nun, so gehn wir. Doch, den Hut wenigstens.

Schnell mit dem Laufer ab.

Frau: Da haben wir das Malheur, sein loses Maul hat ihn gewiß ins Unglück gestürzt; er spricht über alles, über alle Minister, spaßt über den König, nennt ihn immer einen guten Mann, sagt, er möchte mal auf acht Monat den Staat regieren, spricht, daß das Parlament nichts tauge; o weh, den Mann seh ich nicht wieder, ich und meine Kinder sind elend auf zeitlebens.

Erster Gesell: Es ist vielleicht nicht so schlimm, Frau Meisterin, vielleicht hat die sehnsüchtige Locke am Hofe sein Glück gemacht, die Erfindung gefiel der Prinzessin ganz vorzüglich.

Der Leibarzt kömmt.

Leibarzt: Rasiert mich schnell, Ihr wißt, wie ich es gern habe. Setzt sich.

Gesell: Der Bart wächst stark bei der Hitze. Barbiert ihn.

Frau: Ach, Ihr Hochgelahrt, mein Mann, der unglückselige Mensch, ist schnell nach Hofe zitiert – wißt Ihr nicht, warum?

Leibarzt: Nein!

Frau: Ach, wenn es vor Hochgelahrt ein Geheimnis ist, so muß es fürchterlich sein. Er wird doch wohl nicht festgenommen und unter die Miliz gesteckt?

Leibarzt: Nein!

Frau: Hat Euch denn kein Mensch, auch der Herr Reymund, nichts davon gesagt?

Leibarzt: Nein!

Frau: Ist der König gnädig, oder ungnädig, könnt Ihr mir das nicht sagen?

Leibarzt: Nein! – Er schneidet mich ja, Flegel.

Gesell: Hochgelahrt sprechen das Nein so pastetisch aus, und mit so großer Paraphrase, daß Dero ganzes Gesicht aufläuft, so kann man das Schneiden dann nicht gut unterlassen.

Frau: Er wird hingerichtet, gewiß, sie haben lange von oben kein Exempel statuiert: nun muß er gerade daran glauben. – Da kömmt ja unser Gevatter, der Herr Hofschneider, gerannt.

Der Hofschneider kömmt schnell herein.

Schneider: Ist Euer Mann nicht hier?

Frau: Ach, leider Gottes, nein, der ist gewiß schon rekolgiert.

Schneider: Er muß gleich kommen. Es gehn große Dinge vor. Wir bekommen alle Hände voll zu tun, und die ganze Welt wird umgedreht.

Frau: Und mein Mann hat auch dabei zu tun?

Schneider: Der eben hat die Hauptsache zu besorgen. Da kömmt er, seht nur, wie ihm das ganze Gesicht glüht.

Flint tritt herein.

Flint: Da seid Ihr schon Meister – Frau, gleich setz dich hin! Du hast dir doch seit kurzem die Haare nicht verschnitten?

Frau: Nein, aber –

Flint: Bringt nur schnell, schnell den großen eckigen Reifrock und was dazugehört, die Unterlage, das Gestell. – Herunter mit der Haube, Frau! – Gesellen! die Pomaden, die Eisen, die falschen Haare, die Wulste, die Kissen, in größter, größter Eile herbei, und was fehlt, schnell, schnell gemacht! Tummelt euch! Unser Regiment ist da.

Schneider: Ich habe vorgearbeitet, weil man mir schon heute morgen einen Wink zukommen ließ.

Flint: So geht, und gleich wieder her! – Hört, bleibt, seht! Gevatter, was hab ich hier um den Hals? Den kleinen Nasenorden, den mir des Königs Majestät mit eigner Hand umgehängt hat. – Nun rasch an die Arbeit!

Hofschneider ab.

Frau: Mann, du reißest mich entsetzlich in den Haaren.

Flint: Hat nichts zu sagen, des Vaterlandes wegen. – Die Pomade her; so aufgesteift! – Frau – ach, Herr Leibarzt, ich bin jetzt ein anderer Mann, ich habe Rang, Ober-Geheimer-Staats-Haupt-Regulateur – das klingt – das Brenneisen her! – nicht wahr? – Helft die Wülste, die Kissen unterlegen – gebt die Elle her, Maß zu nehmen – eine volle Elle hoch muß das Toupet sein – mehr Pomade! Das erkleckt nicht, denn es ist ein Turmbau; – der Herr Reymund, das ist ein Mann! – das Parlament hat eine neue Etikette und Kleiderordnung publiziert, ich bin vernommen worden im geheimen Staatsrat, ich habe einen heiligen hohen Eid ablegen müssen, nichts, was ich erfahre, sehe, ergründe, zu verraten – jetzt hab ich Einsichten – den andern Kamm, Gottlieb: Friedrich, steife du da jene Seite – Peter, steige auf den Schemel, oben muß das Toupet in Form eines Herzens zusammengehn; – lange haben wir auf Ihn gezählt, sagte der König zu mir, das ganze Land vertraut Ihm, Meister – aber Sein Leben steht auf Seiner Treue – hier muß Baumwolle untergestopft werden. – Potz! was kriegt die Frau für ein majestätisches Ansehen.

Lady Dorothea kommt mit Bedienten und einem Schneider.

Lady Dorothea: Ist es denn wahr, was man sagt, daß eine neue Kleiderordnung und Mode eingeführt ist, wovon man hier die Probe sehen kann, und daß morgen bei der großen Cour niemand anders als im neuen Kostüm erscheinen darf?

Flint: Hat seine völligste Richtigkeit, und ich bin eben im Begriff, die Normaldame einzurichten.

Lady Dorothea: Das sieht aber abscheulich aus, Meister.

Flint: Erhaben, lassen wir nur erst das Ensemble beisammen sein. Übrigens würde mich Lady beglücken, mich künftig Ober-Geheimer-Staats-Haupt-Regulateur zu nennen, wozu mich des Königs Majestät allergnädigst zu ernennen geruht haben.

Leibarzt für sich: Ich begreife, der Herr Reymund hat in der Tat keinen üblen Ausweg gefunden.

Der Hofschneider und seine Gesellen kommen mit Reifrock, Schnürleib, Kleid u. s. w.

Schneider: Hier, Gevatter.

Flint: Zieh an, Frau, umgelegt, eingeschnürt, so – helft, Kinder. – Halt! erst noch recht eingepudert, weiß, ganz weiß muß die Frisur von oben und unten sein, hinten und vorne; weiß in so großer Masse ist erhaben. – Nun, Gnädige, wie gefällt's? Seht den Reifrock! grün Atlas, wie die Erde gleichsam mit Wiesen, Wald und Blumen; dann erhebt sich die feste Schnürbrust, die Hügel, die Berge; Geschmeide um den Hals, wie Quellen und Bäche; das Gesicht – hier, die rote Schminke aufgelegt, die schwarzen Muschen – sonderbar, bizarr, anlockend, wie Sonnen-, Mondschein und Finsternis – und nun oben, oben der höchste Berg, wie Jungfer und Schreckhorn, echter Montblanc mit seinem ewigen Schnee, herabrinnend die Perlen und Steine, wie Wasser, das sich auflöst, und mit dem Geschmeide des Halses zusammenfließen will. – Gibt es etwas Lehrreicheres, Tiefsinnigeres, Kunstmäßigeres? – Heut ist der Tag des Triumphes für den Ober-Geheimen-Staats-Haupt-Regulateur. – Seht, Gnädige, so hoch, und noch etwas höher tragen die Prinzessinnen die Frisur; Gräfinnen, sollen nur dreiviertel Ellen hoch haben, die übrigen Edeldamen etwas über eine halbe Elle. – Ist alles fertig? – Nun komm, Frau, auf dem großen Markt ist eine Bühne für dich erbaut, da wirst du als Normaldame hingestellt, der ganze Adel nimmt dich in Augenschein, um das Muster von dir zu nehmen. Das hättest du dir wohl nie träumen lassen. – Eigentlich hätten die Glocken geläutet werden müssen. – Gesellen, Bursche, nehmt die Brenneisen, die Wärmpfannen, die Kohlenbecken – du, nimm die alte Zither – trommelt, klingelt, lärmt, was ihr nur aus euch bringen könnt, heut ist unser Triumph – und so auf den Markt!

mit den übrigen, unter lautem Getöse ab.

Lady Dorothea: Der Mann kömmt um den Verstand. Zu ihrem Schneider: Meister, nehmt Euch ein Muster nach diesem Anzuge, um mir die Kleider morgen zu besorgen.

Ab mit ihrem Gefolge.

 


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