Ludwig Tieck
Fortunat
Ludwig Tieck

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Vierte Szene

Palast.

Margarethe stürzt herein.

Margarethe: O weh! Jammer und Weh! Zeter und Mordio! O weh! Sünde und Schande! Muß ich das erleben? O meine arme unglückliche Prinzessin!

König und Königin kommen schnell herein.

König: Was gibt's?

Königin: Was schreist du, Unglückliche?

Margarethe: Soll ich nicht schreien? Soll ich mir nicht die Haare ausraufen? O arme, unglückliche Eltern!

König: Sprich! Rede! Bei meinem Zorn! Du machst mich ungeduldig.

Margarethe: Ach, Agrippina! Du Reizende, du Schöne, nun so Elende, nun so Entstellte!

Königin: Himmel! Was ist denn meinem armen Kinde begegnet? Sammle dich, sprich.

Margarethe: Wir kamen vom Spaziergange, die holdselige Fürstin war fröhlich und gesprächig, sie aß mit dem größten Appetit zwei schöne Äpfel, die ich ihr hatte kaufen müssen, sie stand vor dem Spiegel und lachte; ich ging indes hinaus, ihr den neuen Spitzenaufsatz zu holen, der ihr so himmlisch steht: plötzlich hör ich ein lautes Aufschreien, ich erschrecke, ich horche, da erkenne ich die Stimme meiner Prinzessin, sie klagt, daß sie geboren ist, sie will sterben, ins Grab will sie sich legen, ich begreife nicht, ich lasse vor Erstaunen die Brabanter Spitzen fallen, laufe hinein, und finde sie, und sehe sie – o wie soll ich beschreiben, was ich sah, was ich fand?

König: Nun?

Margarethe: In der Stube steht und heult ein wildes Wesen mit zwei langen graden Hörnern auf dem Kopf, das zieht an den Hörnern, als wenn es sie ausreißen wollte, und weint und verzweifelt.

Königin: Und wer war das Tier?

Margarethe: Ach, scheltet, nennt sie nicht so: unsre arme, unglückliche Prinzessin war es.

König: Ich will nicht hoffen – Agrippina?

Margarethe: Sie selbst.

Königin: Mein liebstes Kind, meine reizende Tochter?

Margarethe: Ach! Niemand anders.

König: Was hat das zu bedeuten? Wunder über Wunder! Erst verschwunden, wiedergekommen! nun gar Hörner auf dem Kopf! Aber ist es denn auch wahr? Bist du nicht vielleicht über die Weinflasche geraten, und hast ihren Kopfputz für Hörner angesehn?

Königin: O komm, meine süße Agrippina, komm, und zeige, ob dies ungeheure Elend wirklich über uns gekommen ist.

Sie geht hinein, und führt Agrippina heraus, die zwei Hörner auf der Stirn hat.

König: In unsrer Familie! das soll in die Chronik kommen! Abgebildet für die Nachwelt im Holzschnitt!

Agrippina: Nein, Teure, nein, ihr könnt mich nicht erdulden,
Verstoßt mich in die Wüste zum Getier,
Des Bild ich trage, laßt dort Wolf und Bär
Die Glieder mir zerfleischen, daß vertilgt,
Vergessen sei mein Schimpf, mein Angedenken.

Königin: O mäßge dich, es gibt wohl Rat und Hülfe.

König: Spring, Margarethe, lauf, da ist der Schlüssel!
In meinem Laboratorium ist Herr Reymund,
Dann geh in Eil zu meinem Leibarzt hin;
Still darf man das nicht in die Tasche stecken.

Margarethe ab.

Agrippina: Und weiter nur verbreitet sich die Schande,
Und größer wird nur mein Verzweifeln noch.

Königin: O fasse dich, mein Kind, die Menschenkunst
Wird für dein Unglück doch noch Mittel wissen.

König: Der Leibarzt muß, er steht dafür in Lohn,
Hat Rang am Hofe, ein Rezept verschreiben,
Wonach der Auswuchs wieder rückwärts sinkt.

Reymund und Margarethe noch draußen.

Reymund: Elende!

Margarethe:           Ungeschickter!

Reymund:                                             Tölpel!

Margarethe:                                                       Narr!

Beide treten ein.

König: Was gibt's?

Reymund:               O Majestät, ein schrecklich Unglück,
Ich weiß nicht ob ich diesen Schlag verwinde:
So herrlich waren niemals noch die Zeichen,
Das Werk war dem gekrönten Ende nah,
Ich observiere mit gespannter Angst
Und in entzückter Trunkenheit, da rennt
Die alte Furie auf mich los, und stößt
Mir an den Ellenbogen, meine Hand
Fährt aus, ich wende mich, und stoße – stoße –
O hört es, König! – stoße die Phiole
Um und entzwei, und alles rinnt ins Feuer,
Das schlägt in roter Lohe drüberher
Vor Freude knisternd, als wenn's mich verlachte.

König: Und alles ist umsonst?

Reymund:                                   Vergeblich alles,
Es muß von vorn die Opration beginnen.

König: O Ungeschickte –

Margarethe:                     Laßt mich auch nur reden:
Er wollte gar nicht hören, stand verdutzt
Wie angenagelt da und sah ins Feuer,
Ich rief ihn zwei- und dreimal; wer nicht hörte
War er, der alte graue Hexenmeister:
Da nahm ich ihn beim Arm, so zart anständig,
Wie nur ein Kavalier die Dame faßt,
Da springt er 'rum und wacht aus seinem Traum,
Plump wie er ist, fällt er mir auf den Leib,
Wir beide stoßen so das Ding ins Feuer.

König: O Unglück über Unglück! Seht nur her,
Was wir indes an unserm Blut erleben.

Reymund: Ich staune. – Mein gnädige Prinzeß,
Wie seid Ihr zum Portentum denn geworden?

Königin: Nun helft mit Eurer Wissenschaft und Kunst.

Der Leibarzt kömmt.

Leibarzt: Was will die Majestät – ei heiliger
Galen und Äskulap! Was seh ich da?

König: Ja, ja, mein Freund, das sieht hier traurig aus.
Ist Euch die Krankheit je schon vorgekommen?

Leibarzt: Niemalen, das ist neu und unerhört,
Das macht mich dumm, geht gar und gänzlich über
Den Horizont mir. – Wie? Woher? Warum?
Wie abzuhelfen? Das sind alles Fragen,
Die noch in keinerlei System verzeichnet.
Ei! ei! wie hart! und eben recht, und rund
Als wie gedrechselt. Wißt Ihr Rat, Herr Reymund?

Reymund: Ich stehe wie vernagelt.

Leibarzt:                                             So wie immer:
Geht, teure Fürstin, dort mit ihm hinein,
Die kleine Säge nehmt, versucht mit Vorsicht
So weit es geht, von oben wegzuschneiden.

Agrippina mit Reymund und Margarethe ab.

Königin: Ach, das muß Strafe wohl des Himmels sein.

Leibarzt: Was sollt er denn mit Hörnern grade strafen? –
Sollt sich wohl harte, unverdaute Speise
Zum Haupte wenden, dort versteinern gleichsam,
Im Tode lebend wieder Wachstum suchen
Und so die Stirn durchdringen? Ist's ein Hirschhorn,
Den die Prinzeß im Trank, als Gallert liebt?
Gibt's so wie Überbeine, Überköpfe?
Sind Hörner nur Leichdornen, so vergrößert?
Ist's Nagelwuchs und Trieb auf falscher Bahn?
Ich muß darüber lesen, gründlich denken.

Drinnen: Weh! Weh!

Leibarzt:                     Welch ein Geschrei?

Königin:                                                         Mein armes Kind!

Reymund kömmt zurück.

Reymund: Vergeblich! Wie es mir gelingt, ein Stück
Des Hornes abzusägen, schießt es gleich
Mit neuer Kraft und wie elastisch vor,
Das Schneiden macht ihr Schmerz und fruchtet nicht;
Was soll man drum sie nur vergeblich quälen?
Sie weint und hat sich in ihr Bett verhüllt.

Leibarzt: Ich rate, hohe Majestäten beide,
Daß man Collegium medicum versammle:
Der Kasus ist zu wichtig und zu selten,
Daß ich allein ihn auf die Schultern nähme;
Doch mit gemeinem Rat hat man mehr Mut,
In Corpore kann unsre Kunst nicht irren,
Wir stehn dann wie in Batterien verschanzt
Und schießen mit Erfolg die Krankheit nieder.

König: So sei's, denn wohl ist dies der beste Rat.

Königin: Unselges Kind, wie hast du das verschuldet?

Reymund: Die Kohlen werden nun erloschen sein.

Alle gehn ab.

 


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