Ludwig Tieck
Fortunat
Ludwig Tieck

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Achte Szene

Wüste.

Andalosia, Agrippina.

Andalosia: Hier nun, wo rings die öde weite Luft,
Die taube See, ein mitleidlos Gefilde,
Hier –

Agrippina:     Weh mir! Weh! Wie bin ich hergeraten.
Wo bin ich denn? Wo ist mein Haus? Mir schwindelt,
Es bricht mein Herz, und alles was ich denke
Stürzt gegen Wahnsinn, sucht den Ausweg dort –
Zusammen sinken mir die Knie – o bester,
O liebster aller Menschen, wie ich dich
Nicht kenne, laß mein Flehn, die Tränen dich
Bewegen, sei nicht taub der Hülfsbedürftgen –
O halte mich, ich falle –

Andalosia:                           Lehne dich
An diese Brust; – mit diesen süßen Tönen
Kehrt alle Zärtlichkeit in mir zurück. –
Setz dich hieher – an diesen Baumesstamm.

Agrippina: O Himmel sieh, wie voll von roten Äpfeln,
Daß sich die Zweige biegen, süßer Duft
Würzt rings die Luft und stärkt die matten Sinne,
Die Zunge lechzt – ach, könntest du, mein Teurer,
Mir eine dieser holden Früchte brechen,
Den Gaumen mir in Todesnot zu laben?

Andalosia: Ich hole dir den größten dieser Äpfel –
Was tät ich nicht für dich? Bist du gestärkt,
Dann sprechen wir von meiner bittern Kränkung;
Nur fürcht ich, wenn ich oben pflücke, regnet
Das reife Obst herab, dich zu verletzen.
Trag diesen Hut, er schützt das zarte Haupt.

Setzt ihr den Hut auf und steigt auf den Baum.

Agrippina: Ach, stürze nicht –

Andalosia:                                   Gleich bin ich oben.

Agrippina:                                                                       Wirf
Herunter schnell mir. – O du gütger Himmel,
Wär ich auf meinem Schlosse doch daheim! Sie verschwindet.

Andalosia: Hier, nimm – wie? was? bin ich im Traum? Ich rase,
Ich sterbe, breche mit dem Baum zur Hölle. Springt herab.
O Tor! o blöder, dumpfer ungehirnter Tor!
So recht, du Schalksnarr! Kannst du nicht den Leib,
Die Seel ihr nach noch werfen? Stirb!
Streck deinen Leichnam hin in feuchten Moder,
Daß Kröten, Molch und Schlangen ihn verzehren!
Spei aus den Geist, der nur in deinem Leibe
Wie ein Verbrecher im Gefängnis wohnt!
Reiß nieder rings die Mauern, brich die Ketten,
Und stürm dich los mit lautem Hohngelach,
Das Weite, Freie, Leere zu erfliegen! –
Wer bin ich denn? Ich bin schon längst vernichtet,
Und ein Gespenst der Albernheit haust noch
Und spielt in diesen Gliedern, höhern Geistern
Mit Affengrinsen und mit Schalkheitstand
Ein Teil der Ewigkeit hinwegzuscherzen.
Wo find ich mich? Renn ich mit diesem Hirn
An Baum und Fels, von ihnen mir Vernunft,
Die sie belästgen möchte, einzudrücken?
Getiere ihr des Waldes, wilde Tauben,
Kuckuck und Häher, Star, du kleinster Tor,
Lacht munter, scheltet mit den lautsten Tönen!
Ja du des Meeres stummgeborne Brut,
Mit Schnalzen öffne deine nassen Kiefern,
Und deute mir das Ohr, das mir nur mangelt,
Um umzuziehn, die langgeöhrten Brüder
Am Markt, in Mühlen, höflich zu befragen,
Wo's edle Herrlein Andalosia blieb. –
Dahin nun beides, hin die Edelsteine,
Hin sie – und ich mit diesem Dummkopf fest
Noch eingekeilt in dieser Zeit, mir immer,
Mir immer noch bewußt, daß ich es bin,
Die Rarität, die abgeschmackteste,
Merkwürdig gnug für Geld sie sehn zu lassen. –
Narr, schone dich, du rasest dich sogar
Um deine Narrheit – auch zum Aberwitz
Und zur Verzweiflung will dir Kraft gebrechen –
Das Auge dunkelt – nimm dein Allerletztes,
Den Apfel, den du dir erbeutet hast,
Verzehr ihn, leg dich dann in jenen Busch
Zum Schlummer oder auch zum Sterben hin.

Er geht ab, lautes Geschrei der Turteltauben, des Kuckucks und andrer Vögel, er kömmt mit zwei Gemshörnern auf der Stirne zurück.

Das ist zuviel! das fehlte noch dem Helden,
Da tritt er wieder auf die Bühne hin. –
Wer mir gesagt, ich würde meinen Zustand,
Den vorigen trostlosen, bald beneiden –
Geprügelt, lederweich, mit Kieselsteinen
Geworfen hätt ich ihn, mit Fuß und Zähnen
Gebissen und zerklopft – oh, leugne nicht,
Es ist zuzeiten so erfindungsreich,
So völlig unerschöpflich das Geschick,
Daß noch vielleicht aus jedem dieser Hörner
Mir Kirschen- oder Mandelbäume blühen,
Auf eignem Grund und Boden mich zu nähren.
Ha! irgendwo muß doch ehmalige
Vernunft anschießen, sich verkörpern wollen,
Und so geschah's in diesen langen Hörnern.
So will ich denn auch die Vernunft gebrauchen,
Der Kopf soll denken, mir nicht müßig ruhn,
An renn ich wütend gegen diese Bäume –
Krach! eins! – das hat noch nichts geholfen – krach!
Krach! wieder! aber nichts, das sitzt so fest,
Daß ich mir eh'r den Nacken bräche; – krach!
Vergeblich! unerschütterlich; o wehe!
Und mehr als weh! und lauter als Geschrei
Werf ich den Ruf hin durch die kahle Wüste,
Daß wenn hier irgendeine Furie haust,
Ein Teufel höhnisch im Gebüsche lauert,
Das alte schadenfrohe Reich der Nacht
Im fernen Wald, in Felsenklumpen brütet,
Sie sich der Angst, der Not erbarmen mögen!
O weh mir! weh! o Hülfe! Rettung! Hülfe!

Ein Einsiedler kömmt.

Einsiedler: Geduldig, Wesen! Was beginnst du, Wunder?
Was rennst du mit der Stirn an diese Bäume?
Was klagst du, daß dein Wehgeschrei die Öde
Durchschallt, die lange schon verlernte Worte
Des Menschen nachzusprechen?

Andalosia:                                           Heilger Vater,
Bist du ein Engel, mir gesandt zur Rettung?
Bist du ein Mensch? Schlägt dir ein Herz, o Alter,
In diesem weiten rauhen Kleide, hilf!
O tröste mindestens, o sprich zu mir,
Dein Mitleid rede, weine, hilf mir schrein!
O Mensch! – ich – sieh – ich, rate, hilf – Erbarmen!

Einsiedler: Nun sammle dich, kehr dir erst selbst zurück;
Das höchste Elend, wie es uns umlagert
Und in uns stürmend bricht, trifft es im Innern
Uns selbst nur noch, so scheut es sich, mit Grimm
Uns anzublicken, krümmt sich furchtsam, kriecht,
Wie es als Ungeheur entgegentrat:
So wie die Heiligen der Wüste lächelnd
Mit Augenwink die Leun und Tiger zähmten.

Andalosia: O guter Rater, Ihr könnt leichtlich sprechen,
Was habt denn Ihr wohl in der Welt verloren?
Vielleicht einmal ein wenig Haar des Barts,
Wenn Ihr Euch durch die Dornensträuche drängtet!
Doch wüßtet Ihr, was ich besaß, was mir
Durch Tücke, Zufall, eignen Blödsinn jetzt
Entrissen ward, dann wundertet Ihr Euch,
Daß ich noch atmen, sprechen, leben kann.

Einsiedler: Dir ist mein Schicksal wie deins mir verborgen;
Doch nenne mir, was dich am meisten quält,
Vielleicht kann ich dir dennoch Hülfe schaffen.

Andalosia: Ein göttlicher Gesandter wärst du mir,
Wenn du dies Scheusal, dieses Hörnerpaar,
Mir könntest von der Stirne nehmen, daß
Nicht Aff und Bock her aus dem Walde springen,
Als Bruder mich und Vetter zu begrüßen,
Daß ich mich Mensch, wenn auch im Elend fühlte.

Einsiedler: Wohl dir, daß dies der nächste Wunsch des Herzens;
Im Elend bist du menschlich doch geblieben,
Und es ist mir vergönnt, die Ungestalt
Von dir zu nehmen. Siehst du jenen Baum
Mit wengen grauen Blättern, kleinen Äpfeln?
Den einen brech ich, iß ihn, und sogleich
Wird deine menschliche Gestalt erscheinen.

Andalosia ißt, die Hörner fallen ab:
Wohl mir! Wie dank ich dir, o heilger Mann!
Wo bin ich denn?

Einsiedler:                 Auf menschenleerer Insel
An Irlands Küste; einst, vor alten Zeiten,
Trieb hier ein Zauberer die argen Künste,
Verlockte Reisende, ließ Schiffe stranden,
Und pflanzte diesen Baum mit bösen Früchten;
Da ward es einem heilgen Eremiten,
Der längst vor mir in meiner Klause wohnte,
Vergönnt, den zweiten Baum so zu begaben,
Daß er des Zaubers Wirkung mag vernichten.
Du bist, seit ich hier bin, der erste Mensch,
Der diesen Strand betritt, nur selten fahren
In weiter Ferne Fischer mir vorüber,
Auch weiß ich nicht, wie du hierhergekommen.

Andalosia: Nachher davon, doch welches Schicksal warf
Euch aus der Welt in diese ferne Öde?

Einsiedler: Ich war bei Sankt Patricius' Fegefeuer
Im Kloster Mönch, und meiner Sünden wegen
Sucht ich noch stillre Einsamkeit, gelobte,
Freiwillig nie ein menschlich Angesicht
Zu sehen wieder, ließ von guten Fischern
Hieher mich führen, der Betrachtung ganz
Der Abgeschiedenheit geweiht, den Leib
Mit Wurzeln nährend und der Frucht der Bäume.

Andalosia: So ist kein Mittel von hier zu entkommen?

Einsiedler: Wir müssen an dem Strand ein Feuer machen,
Und lauschen, bis sich Fischerkähne zeigen,
Mit Zeichen sie dann rufen. Komm und ruhe
In meiner Hütte, und erquicke dich
Mit dem, was meine Armut bieten kann.

Andalosia: Ist es erlaubt, von diesen beiden Äpfeln
Mit mir zu nehmen?

Einsiedler:                     Ja, mein lieber Sohn,
Wenn du nicht in der Welt damit willst freveln,
Denn mir gehört und niemand diese Frucht.
Komm denn, erhole dich und sei beruhigt.

Sie gehn ab.

 


 


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