Ludwig Tieck
Fortunat
Ludwig Tieck

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Vierte Szene

Straße.

Fortunat tritt auf.

Fortunat: Ich bin zum Unglück geboren, alles hin, alles fort, was ich besaß, und keine Aussicht, keine Hoffnung, etwas wiederzugewinnen, wenn meine Freunde, meine Landsleute mir nicht aus der Not helfen. O die verdammten Würfel! verflucht, wer sich mit ihnen einläßt, wer ihnen traut!

Felix kommt.

Felix: Schleichst du auch so in der Dämmerung durch diese einsame Gegend der Stadt?

Fortunat: Ja, mein Felix, mein geliebter Bruder; ich habe dich schon in deiner Wohnung gesucht, ich hatte dir etwas Nötiges, Dringendes zu sagen.

Felix: Ich war verdrüßlich fortgegangen, und ich bin auch noch nicht vergnügt. Was hättest du mir mitzuteilen?

Fortunat: Lieber, jetzt kannst du zeigen, ob du mein Freund bist: durch unbeschreibliches Unglück, durch unbegreifliches Mißgeschick, so daß mir auch kein einziger Wurf zuschlug, habe ich alles das Meinige verloren, meine guten Kleider schon verkauft, alles eingebüßt.

Felix: Und du hast gar nichts übrigbehalten?

Fortunat: Auch keinen Heller, um mich heut abend nur mit einem Bissen Brot zu erquicken.

Felix: Armer Schelm. Nach deiner Art zu leben, und wie du uns dazu anführtest und aufmuntertest, dacht ich, welche Goldgruben dir zu Gebote ständen. Ei! ei! das ist eine traurige und böse Sache, eine jämmerliche Aussicht auf viele, viele Wochen.

Fortunat: Hilf mir nur mit wenigem.

Felix: Ja, wie soll ich dir helfen, guter Junge? Geht es mir denn besser? Ich bin in Verzweiflung: ich habe alle Waren verkauft, aber auch alles Geld dafür rein, rein ausgegeben: ein Tag ging nach dem andern hin, ein Vergnügen folgte dem andern, und die Mädchen hier sind ja mit ihren Forderungen unersättlich, man ist zu schwach, zu dumm, zu jung, ihnen etwas abzuschlagen. Glaube nur, ich habe weit mehr Geld in der kurzen Zeit durchgebracht, als du, mir schwindelt der Kopf, wenn ich daran zurückdenke; und wo ich nur die Dreistigkeit dazu hergenommen habe, und was nur mein Vater dazu sagen wird! Zum Glück habe ich doch noch einiges als Bezahlung in Waren abliefern müssen, aber ich kriege keinen Heller darauf; bei zwanzig Kaufleuten, die freilich meinen Lebenswandel mit angesehn haben, bin ich schon herum gewesen. Was bleibt mir übrig? Gottlob, daß noch ein alter Faktor aus Zypern hier ist, der morgen zurückreiset, bei diesem habe ich mich angebettelt, daß er mich nur frei zurücknimmt. Aber das Glück, mein Freund, das mir nun zu Hause blüht, kannst du dir denken, denn seit die Insel steht, hat noch kein junger Mensch in der kurzen Zeit so viel Geld verschwendet. Wenn du dahin zurückwillst, glaub ich wohl, daß der alte Balthasar dich auch mitnähme, er ist eine gute Haut.

Fortunat: Nimmermehr! Eher hier verhungern, als in solchem Zustande nach Hause kommen.

Antonio kommt.

Antonio: Gut, daß ich dich finde, mein teurer, mein liebster Fortunat, ich habe dich schon allenthalben gesucht. Du mußt, du wirst mich retten. Ich will heut über meine Kasse gehn, um wieder einmal eine recht großmütige Ausgabe zu machen, und sehe, daß ich alles, alles bis auf den untersten Boden schon rein ledig gemacht habe. Sei so gut und gib mir lieber eine etwas ansehnliche Summe, daß ich bald mit Ehren zurückreisen kann, ich hoffe dir dann etwa in dreiviertel Jahr, oder einem Jahre höchstens, mit einer Kaufmannsgelegenheit alles mit meinem herzlichsten Danke wieder zu übermachen.

Fortunat: Ha! ha! ha! Kamrad und bester Antonio, das Schicksal macht dich bitter ironisch und spaßhaft.

Felix: Ja, ja, es ist mein Seel zum Totlachen! Ha! ha! ha!

Antonio: Lachen Freunde über die Not ihres Gefährten?

Fortunat: Und wenn mir das Messer an der Kehle säße, so müßte ich lachen.

Felix: Ja, ich müßte herausplatzen, und ständ ich schon unterm Galgen.

Sie lachen.

Antonio: Aber diese Begegnung –

Felix: Nimm doch nur Vernunft an, Pinsel, da du kein Geld bekommen wirst; daß es ihm und mir ebenso geht, wie dir; wir kommen alle aus demselben Kloster, wo wir das Gelübde der Armut abgelegt und geschworen haben, kein Geld bei uns zu tragen. Er wollte bei dir borgen, und ich dachte dich anzusprechen.

Antonio: Lachen kann ich freilich nicht, wie ihr, aber eine wunderliche Sache ist es.

Walther kommt.

Walther: Nun? da stehn die drei Gänse beisammen und halten Rat, auf welcher Wiese sie heut grasen sollen. Hör, Felix, heut will ich endlich einmal mein Versprechen gutmachen, und mit dir schmausen, du hast selbst gesehn, wie mich Fortunat niemals freigeben wollte; heut bin ich dazu aufgelegt, recht ausgelassen zu sein. – Keine Antwort? Verdient mein freundschaftliches Anerbieten, meine Herablassung keinen Dank? Fahr wohl, Narrengesicht mit der aufgekrempten Nase! so bleib ich bei meinem Prinzen, meinem Fortunat, der ist es auch würdiger.

Fortunat: Ach! Walther! Walther!

Walther: Nun, was gibt's? Was sind denn das für physiognomische Anstalten, für ein Alterweiberton? Ihr seht ja aus, als wolltet Ihr die Kranken pflegen und Buße predigen.

Fortunat: Ach! wertester Walther, wir sind in einem erbärmlichen Zustande.

Walther: Wieso? Ich will doch nimmermehr hoffen –

Fortunat: Zwischen uns allen dreien ist kein Kreuzer zu teilen, alles ist verloren, verschwendet, verspielt, verschenkt.

Walther: So? Also mit dem Aussatz der Armut seid ihr behaftet? Fort, daß euer Atem mich nicht ansteckt! Also so schnell, ihr fremden Gimpel, haben sie euch gerupft? O ihr armseligsten aller armseligen Windbeutel! Dazu mußtet ihr über das Meer segeln? Mehr hat mein guter Rat nicht bei euch gefruchtet? Man wirft sich nur weg, mit solchem Gesindel umzugehn.

Fortunat: Ihr habt uns ja nie gewarnt, immer zum Verschwenden aufgemuntert.

Walther: Ich wollte euch zu etwas erziehn, das sich sehn lassen durfte; ihr habt mir ja nie gesagt, daß ihr arme, bettelhafte, lausige Wichte wärt; da ich sah, daß ihr mit Teufels Gewalt das Geld wegschmeißen wolltet, so habe ich euch doch gezeigt, es auf gute Art zu tun.

Fortunat: Aber helft, ratet uns nun, mein Freund.

Walther: Helfen? Womit? Euch Geld geben, daß ihr es wieder an Huren wendet, versauft und in Spielhäusern verliert? Auch habe ich keins. Rat? Ihr seid zu dumm, Rat anzunehmen. Hängt euch, je früher, je besser, das ist mein Rat. Ich schäme mich vor allen Menschen, daß ich mich mit euch abgegeben habe.

Fortunat: Da Ihr so grob und gemein seid, so wißt, daß ich Euch auch nicht brauche; vergeß ich denn ganz das Wesen, das mich auf dieser Welt am meisten liebt? Hier stehn wir gerade vor ihrem Hause. Sie wird sich meiner annehmen, sie wird für mich tun, was ich für sie getan habe. Pocht an.

Drinnen: Wer ist da?

Fortunat: Dein Fortunat, deine Seele; mach auf, mein Herz, mein Engel.

Betty öffnet das Fenster: So spät und so unerwartet, mein Geliebtester? Komm herein! Bringst du mir den Perlenschmuck, den du mir versprachst? Gib mir einen Kuß, du trauter Herzensjunge.

Fortunat: Ach, Betty, liebst du mich denn wirklich? Willst du es mir beweisen?

Betty: Fordre mein Leben, mein Blut, du meine Seele.

Fortunat: Ich bin ganz verarmt, leih mir, gib mir zurück die dreißig Pfund, die ich dir vorgestern gab, oder nur zehn, nur fünf, um meiner dringendsten Not fürs erste abzuhelfen.

Betty: Anne! Anne! komm doch mal her!

Anne am Fenster: Was gibt's denn?

Betty: Sieh doch einmal da drauß den ruppigen, schäbigen Schuft an, der wie ein hungriger Werwolf da vor mir steht, und mich um zehn, oder dreißig Pfund anspricht, mit demselben Gesicht, das er wie ein abgeprügelter Kater in den Mondschein hineinstreckt. O du armseliger Lump! Um das Meinige willst du mich bringen? Was hab ich von dir? Meine Zeit habe ich bei dir verloren, meine Freunde, Grafen und Herren von mir verscheucht; und nun kommst du, und willst borgen? Borgen von mir?

Fortunat: Kannst du so mit mir sprechen? Ist es dieselbe Betty, die ich sonst kannte? Wenn du kein Geld hast, laß mich ein, es ist kalt, mich hungert, laß uns in Traulichkeit noch einmal eine gute Mahlzeit, eine Flasche Wein miteinander genießen: das kannst du doch wohl für den tun, für den du dein Leben aufopfern wolltest?

Betty: Auch noch kein Glas Dünnbier, du jämmerlicher Kerl. Anne, wenn er nicht geht, so lauf nach der Scharwache. Macht das Fenster zu.

Fortunat: Träum ich? Nein, es ist Wahrheit, aus ihrem Munde spricht mein härtestes Verhängnis und schilt so bitter meinen Leichtsinn, meine verlorne Zeit, meine verdorbnen Sitten. O ihr Sterne! daß ich das erleben, daß ich mich so verachten muß.

Antonio: Das war ein schlechter Trost, Bruder.

Walther: Kann denn dein Magen das vertragen, Welscher? Bist du denn so gar nichtsnützig, daß die Kreatur, die du erhalten, gekleidet hast, die dich bestahl und plünderte, daß die so mit dir reden darf? Schämst du dich nicht, daß du ihr nicht mit derselben Hand einige Zähne einschlugst, mit der du sonst ihre verbuhlten, geschminkten Wangen gestreichelt hast? Nein, du hast keinen ehrlichen Blutstropfen mehr im Leibe, keine Faser von einem Manne an dir, wenn du das alles so gelassen, ohne Erwiderung hinnimmst.

Fortunat: Du hast recht, meine Geduld, meine demütige Sanftmut ist schimpflich. Ich rufe sie noch einmal heraus. Nun sollt ihr sehn, daß ich auch Galle habe. Er pocht an. Betty! Betty! – Nein, nicht Betty; wie käme eine solche geschminkte, elende, seelenlose Puppe zu einem christlichen und ehrlichen Namen? Du Scheusal, aus Schminke, Lügen, Wein, und gestohlnen und erbettelten Näschereien zusammengesetzt, mit seidnen Fetzen behängt, die Unkeuschheit, üppige verstellte Umarmung, Küsse auf widerwärtigen Lippen erst erkaufen müssen, höre, wie ich dich verachte und verabscheue! Der Henker, der Karrengaul, das elendeste Vieh ist in der Schöpfung besser und edler, und nimmt einen höheren Rang ein, als du, für die scheußlichste Sünde lebend, in ihr atmend, selbst verpestet um andre zu verpesten!

Man hört drin laut lachen.

Walther: So war's recht; wenn das Affengesicht auch tut, als macht sie sich nichts daraus, so ärgert sie sich doch, die Worte zu hören, und du hast auch dein Herz etwas erleichtert. Nun leb wohl, fahrt alle wohl, ihr guten Kinder, und betragt euch ein andermal klüger. Geht ab.

Felix: Da stehn wir, als wären wir blind mit dem Kopfe gegen eine Mauer gerannt.

Antonio: Und gar keinen Trost gibt es? Wenn er auch nur so klein wäre, daß sich eine Mücke darin baden und erquicken könnte, es wäre doch etwas.

Felix: Komm, der alte Balthasar muß dich auch mitnehmen nach Zypern, wie mich, und die Zehrung auslegen.

Antonio: Ja, das muß er, und wenn ich ihm zu Füßen fallen sollte. Aber unsre Alten, die werden Gesichter schneiden, wenn sie uns so ankommen sehn!

Felix: Wenn nur der erste Empfang schon vorüber wäre! Gewiß werden sie wieder die Schuld auf den Fortunat schieben. Lebe wohl, lieber Bruder, Gott gebe, daß wir uns einmal fröhlicher wiedersehn.

Antonio: Gehab dich wohl, unser Jammer verträgt nicht viele Worte.

Sie gehn ab.

Fortunat: Sie können leichter gehn, sie finden Freunde,
Verwandte, Eltern, ihre Heimat wieder;
Nur Furcht ist ihre Not, es hängt ihr Herz
An nichts und reißt darum so leicht sich los.
Doch ich? Die undankbare Kreatur! Ich kann
Sie nicht, die Schönheit nicht vergessen.
Es ist nicht möglich, daß so ganz verhärtet,
So ohne Mitleid, sanfte Regung, Liebe,
Ihr Herz versteinert wäre. – Betty! Betty!
Geliebtes Kind, vergib mir, was ich sagte,
Mein Mund nur sprach, nichts kam aus meinem Herzen,
Ich tat's nur, die Gesellen zu beschwichtgen,
Daß sie mich nicht verhöhnten. Sei mir gut,
Erbarme dich und schenk mir deine Liebe,
Entsinne dich der süßen Wonnestunden,
Der Zärtlichkeit, der sehnsuchtsvollen Tränen,
Die beide wir gerührt geweint. Tu auf
Und sage nur, daß du mich liebst, ich will
Ja nichts von dir, nicht Gold, nicht Schmuck, nicht Geld,
Nur dieses Wort, daß du bereust wie ich.

Betty am Fenster:
Zum letztenmal, du unverschämter Bettler,
Pack dich von meinem Hause, diese Fenster,
Die Wand hier wurden dazu nicht gebaut,
Daß solch Gesindel dumm sich dran betrüge;
Gehst du nicht gleich, salb ich dir so den Kopf,
Daß du an mich gedenkst. Gleich fort von hier!
Daß sich nicht Gäste von Reputation
Von solcher Vogelscheu verjagen lassen. Wirft das Fenster zu.

Walther, der vortritt:
Ich habe hier im Winkel noch gelauert,
Weil ich mir fast gedacht, es käme so.
Ei, junger Mensch, willst du denn noch nicht einsehn,
Daß du ein Gimpel bist? Sich so erniedern,
An Liebe glauben bei der feilen Dirne!
Da nimm, du gute Haut, die sieben Schilling,
Tu dir im Wirtshaus heut noch was zugut,
Geh mit Tagsanbruch in die Lombardstraße
Zum Kaufmann Herrn Hieronymus, der braucht
Noch treue Leute, sag, ich schicke dich,
Er fragte letzt, ob ich nicht einen wüßte
Ihm zu empfehlen. Bist du nun gescheut,
So kannst du immer noch mit Rechtlichkeit
Und Fleiß, Geschick, was werden in der Welt,
Entgehst dem Beutelschneiden und dem Galgen.
Leb wohl, und werde klüger, junger Mensch. Ab.

Fortunat: Ja klüger, besser; wahrlich, es ist Zeit!
Nun geh ich, mich zu sättgen, zu erfrischen,
Um dann mein Glück beim Kaufmann zu versuchen.
Die Not kann uns mit jedem Ding versöhnen,
So komm ich nun in London in die Zunft,
Der ich von Zypern weg entlaufen wollte. Geht ab.

 


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