Ludwig Tieck
Fortunat
Ludwig Tieck

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Zweite Szene

Garten.

Daniel allein.

Daniel: Dietrich! Komm hieher! Da sitzt der Junge und frißt die halbreifen Feigen hinein, und denkt an nichts Höheres. –Fall nicht, klettre behutsam herunter! – Der Junge hat mein Seel was vom Affen! Die Geschicklichkeit, Behendigkeit, und frißt das Obst so sauber hinein, daß man keine Spur davon gewahr wird; kann auf Reisen was aus ihm werden, wenn er so fortfährt.

Dietrich springt herunter: Da wär ich!

Daniel: Und hat noch beide Backen vollgestopft, daß sie ihm platzen möchten. Friß, käu erst hinunter, junges Blut, dann wollen wir ein gescheites Wort miteinander sprechen.

Dietrich: Nun sprecht, Vater, ich bin schon fertig, aber sauber gescheit, denn lange kann ich nicht versäumen, auf den Baum da drüben scheint gerade die Sonne so recht heiß, die sind in fünf Minuten auf der wahren Höhe vom besten Geschmack.

Daniel: Ich dächte, du hättest nun die Kinderschuh vertreten, und wichtigere Sachen im Kopf.

Dietrich: Ich höre ja; sind meine Ohren etwa nicht groß genug?

Daniel: Der alte Herr ist tot, der junge Wildfang Andalosia denkt auf Reisen zu gehn und will dich mitnehmen.

Dietrich: Gut, ich bin dabei, wenn er mich mitnimmt.

Daniel: Aber es ist nicht genug, daß du als ein Esel auf einem Pferde hinter ihm reitest, du sollst auch vernünftig, menschlich sein, mein Sohn, und nicht wie ein Vieh, verstehst du, das mit den Hörnern vorwärts sich immer weiter in die fette Wiese hineinfrißt, ohne rechts und links von den moralischen und allegorischen Kuhblumen, Stiefmütterchen, Vergißmeinnicht, Jelängerjelieber Notiz zu nehmen.

Dietrich: Richtig, das ist so die gewöhnliche Art, wie 's Vieh dergleichen hineinfrißt, dumm, stumm, ohne alle Reflexion und Applikation.

Daniel: Mein Einziger, ich habe gesucht durch die Welt zu kommen, habe auch etwas vor mich gebracht, und denke es noch weiter zu bringen, besonders wenn ich mit dem Einfaltspinsel, dem Ampedo, allein hier zurückbleibe; darauf sieh auch immer unterwegs, denn wenn der Junge dem Alten nur etwas nachschlacht, so fallen immer viele goldne Brosamen nebenbei: drum gib auch nicht zu viel für dich selbst aus, sei nicht, wie so manche Großtuer, die sich in der Fremde bei neuen Bekannten wollen sehen lassen, oder gar andre Diener beschämen, so daß sie das Geld mit Fäusten wegschmeißen; keiner dankt's ihnen, sondern sie werden nur ausgelacht: findest du aber einmal Gelegenheit, zu einem Traktement bei anderen zu kommen, da Sohn, friß dich recht voll und dick, schone dich nicht, denn dann hat der Mensch den meisten Segen davon.

Dietrich: Das sollt Ihr mir nicht zweimal sagen, Vater, ich will Euch gewiß in der Fremde Ehre machen; man soll von dem jungen Zyprier zu reden haben.

Daniel: Solltest du aus dem Dienste kommen, so richte es so ein, daß du dem Herrn aufsagst, aber ich hoffe, du kommst wieder mit ihm zurück.

Dietrich: La, la, nachdem mir der Herr gefällt.

Daniel: Will es dein Schicksal oder Unglück, daß sie dich vielleicht irgendwo zum Soldaten wegnehmen, und du marschierst nun gegen den Feind, o lieber Dietrich, dann ja auf dem Marsch die Augen allenthalben gehabt, merke dir jeden Weg und Steg, du glaubst nicht, mit welcher Sicherheit man nachher davonlaufen kann, wenn man sich die Wälder, die Bergpässe und Hohlwege recht ins Gedächtnis geprägt hat.

Dietrich: Die Brücken aber auch, oder wo das Wasser nicht tief ist.

Daniel: Gewiß, mein Sohn, wo du aber auch sein magst, so halte nur an der einen goldenen Hauptregel fest: sei nicht zu dienstfertig! Ein solcher williger, auf jeden Ruf und Pfiff aller Narren herbeispringender Schlingel wird ein Packesel für die ganze Welt. Und hat er Dank? Nein, für seine verfluchte Schuldigkeit wird es ihm angerechnet. Stellt er sich aber recht dumm, kriecht recht langsam, hört nicht, sieht nicht, schnauzt jeden an, dem er es bieten darf, so haben sie gar nicht die Dreistigkeit, was von ihm zu fordern, und tut er dann einmal etwas ungeheißen, ei so geht ein wahrer Sonnenschein in allen Gesichtern auf.

Dietrich: Recht, es gibt so Narren, die herumspringen, als wenn sie sich zerreißen wollten, sie fahren mit den Ellenbogen an Tische und Wände, und schlurren Schuh und Stiefeln ab, daß es zum Erbarmen ist: das sind so die wahren Büffelochsen um Gottes willen, die Fleder- und Borstwische, Ofengabel und Bratenwender, Besen und Nähnadeln, Schlösser und Tischler und alles zugleich sind, und am Abend nichts als müde Beine haben, Beulen zum Dank, das Essen versäumen, und noch dazu heben ihnen die andern nie etwas auf.

Daniel: Ich sehe, du bist nicht ohne Einsichten und wirst dich also nicht unter die Füße treten lassen. Solltest du im Auslande dich verlieben, oder verheiraten – (ja, mein Sohn, da hilft nun gegen das Schicksal nichts) – so wirst du ein Hahnrei, es ist ein alter Familienschaden – stell dich mal ein wenig in die Sonne – so – das Gesicht etwas höher – ja, Sohn, du hast so den wahren Ausdruck, alle die Lineamente dazu, es kann dir fast nicht entgehn. Darum heirate nicht, oder sei über Vorurteile weg.

Dietrich: Es ist im Grunde ein alter Aberglaube, Vater, wie mit den Hexen und dem Blocksberge: habt Ihr schon einen mit Hörnern laufen sehn?

Daniel: In der neuen Zeit, Sohn, wo alles so weich und gemütlich ist, wachsen sie vielleicht nach innen. – Mein Segen begleitet dich. Da kommen unsre Herren, und, wie es scheint, im Streit.

Ampedo und Andalosia treten auf.

Andalosia: Dietrich, mach dich bereit, sogleich zu reisen.

Ampedo: Er kann und wird nicht reisen, bleib!

Andalosia: Geh, sag ich!

Ampedo: Bleib, sag ich!

Dietrich: Bleiben? Gehn? Beides zugleich ist nicht möglich.

Andalosia: Ich werde meinem Bedienten doch befehlen dürfen?

Ampedo: Aber, lieber Bruder, es ist nicht recht, daß du so schnell nach unsers Vaters Tode alle seine ausdrücklichen Verordnungen umstoßen willst.

Andalosia: Alles, was in der Welt verordnet wird, kann nur gehalten werden, insofern es mit der Vernunft besteht, das ist bei allen Sachen die stillschweigende Bedingung; da sich aber das bei unsers Vaters Testament gar nicht erweislich machen läßt, so ist es auch billig, daß wir nicht zu viele Rücksicht darauf nehmen.

Ampedo: Was ist denn vernünftig?

Andalosia: Alles, was uns bequem ist.

Ampedo: Dietrich und Daniel, geht auf jeden Fall fort, bis wir euch rufen.

Andalosia: Macht euch fort!

Daniel: Immer so ungestüm und herrisch!

Sie gehn.

Ampedo: Ich bin der Ältere, und werde die Asche und die Gebote meines Vaters mehr ehren, ich bin im Besitz der Wunderkleinode für dieses halbe Jahr, und will nicht, daß sie geteilt werden.

Andalosia: Lieber Bruder, Eigensinn ist keine Liebe, und Hartnäckigkeit keine Vernunft. Reise mit.

Ampedo: Das will ich aber nicht; ich bin nur froh, wenn ich zu Hause bleiben kann.

Andalosia: So laß mich also reisen und gib mir den Säckel.

Ampedo: Wenn ich mich noch zur Teilung entschließen könnte, so müßte ich doch den Säckel behalten.

Andalosia: Liebster, wenn du mich je geliebt hast, wenn du ein brüderliches Gefühl in dir trägst, so laß mir diesen und nimm den Hut, du kannst dich mit ihm auf allerhand Art erlustigen.

Ampedo: Was soll ich mit dem alten verwitterten Filz? Ich habe wohl gelesen, wie oft unser Vater in unterirdischen Löchern, oder in Gefängnissen in tausend Ängsten gesessen hat, ich mag dergleichen nicht. Und wohin soll ich mich wünschen? Ich finde es doch nirgend besser als hier. Fremde Länder mag ich nicht sehn, hier bin ich bekannt, alles Unbekannte macht mir Angst: ich könnte auch die Art, das Wort, die Kunst vergessen, mich zurückzuwünschen, und so säß ich da draußen, wo der Pfeffer wächst, und keiner wüßte, wo ich geblieben wäre. Kann dem alten Hut nicht einmal die Kraft verlorengehn? Sieh nur selbst, wie er schon abgegriffen ist. Soll der Mensch auf Filz seine ganze Wohlfahrt bauen? Ich glaube immer, unser Vater hat auf seinen tausend Reisen dem Wünschhut seinen besten Nervensaft schon abgezapft.

Andalosia: Sei kein Tor, lieber Ampedo –

Ampedo: Quäle mich nur nicht mehr, da hast du den Säckel. Das war von Kindheit auf deine Art, alles durchzusetzen. Aber mir ahndet, daß es uns beide gereuen wird.

Andalosia: Laß dich, mein zärtlichster Freund, für deine Willfährigkeit umarmen. Ich habe schon so viel für dich gemünzt, daß mir die Finger noch weh tun, du hast an Geld für viele Jahre den größten Überfluß.

Ampedo: Der Säckel hat's gefühlt, daß wir ihn beschäftigt haben, schau, er sieht ganz mager, blaß und schwindsüchtig aus, und selbst Gemsenleder, wovon er gemacht zu sein scheint, muß es empfinden, wenn man ihm so oft aufs Fell greift; der mag auch vielleicht in eine Nervenschwäche versinken, daß er nachher nur noch Kupferdreier in seinen Eingeweiden hervorbringen kann.

Andalosia: Sei unbesorgt, mein Bruder, und lebe wohl.

Ampedo: Sparsam werde ich leben, weil ich in tausend Ängsten stehe. – Da kommt der langweilige Mann, unser Oheim, Graf Limosin.

Graf Limosin kömmt.

Limosin: Traute Neffen, ich traure mit euch, zarte Jünglinge; weiß ich doch noch, was es meinem Herzen kostete, als mein Vater, der Graf Nimian, und meine Mutter, Marfisa, starben; diese Schläge sind für unser empfindendes Herz die schwersten.

Ampedo weint: Ja, lieber Oheim; ach! Ihr seid so gut, und unser Vater war so gut, und wir –

Limosin: Ihr seid ebenfalls gut, traute Herzen. Hat mich der selige, liebe, freigebige Mann, dem ich schon mein lebelang so viel zu danken hatte, nicht auch in seinem Testament so reichlich bedacht, daß ich es gar nicht annehmen dürfte und könnte, wenn es nicht gerade von ihm, dem Einzigen herrührte, und doch mache ich mir noch ein gewisses Gewissen daraus, meinen jugendlichen frohen Andalosia, und meinen zärtlichen und gesetzten Ampedo so zu berauben.

Andalosia: Nein, Oheim, genießt es nur froh und wohlgemut, wir gönnen es Euch von Herzen.

Limosin: Kenn ich nicht eure Liebe? Zarte Pflanzen des edelsten Stamms!

Andalosia: Ich wollte eben zu Euch kommen, um Abschied von Euch zu nehmen, denn ich denke für einige Jahr auf Reisen zu gehn.

Limosin: Bemühe dich nicht, Neffe: wie schön, daß ich hier vorbeikam, indem ich aufs Schloß zur Majestät des Königs will. – Umarmt mich, teure Kinder, meine Rührung ist zu groß, der Segen des Himmels begleite euch allerwege, besonders dich auf deinen Reisen, geliebtester, teuerster, edelster, schönster Andalosia. Küßt ihn, geht ab.

Andalosia: Der Schelm! Ich weiß, daß er mir beim Umarmen lieber den Hals umdrehte, wenn er nur dürfte.

Ampedo: Er ist so übel nicht, Bruder.

Andalosia: Lebe glücklich, guter Ampedo, wir sehn uns vielleicht bald wieder; Diener, Pferde, alles ist zu meinem Zuge bereit.

Gehn ab.

 


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