Ludwig Tieck
Fortunat
Ludwig Tieck

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Vierter Akt

Erste Szene

Straße in Konstantinopel.

Volksgedränge.

Erster Mann: Seit Konstantinopel steht, ist wohl noch nicht solches Gedränge in den Straßen gewesen.

Zweiter Mann: Wo hinaus, Mann? Sieht Er denn nicht, daß Er hier nicht durchkommen kann? Die Leute sind doch wie das liebe Vieh.

Dritter Mann: Ihr könnt doch wohl etwas Platz machen. Und warum sagt Ihr liebes Vieh? Ihr seid wohl aus der Familie.

Erste Frau: Seht doch den Angstmenschen! Aus der Familie! Und das leidest du auch so, dummer Mann? Kannst ihm keine Antwort geben, Schafsgehirn?

Zweiter Mann: Am besten sich mit solchem Pöbel nicht einzulassen.

Dritter Mann: Pöbel! So 'n Kerl mit seinem lieben Vieh will von Pöbel sprechen! Weiß Er, wen Er vor sich hat? Ich bin der Tafeldecker beim Gastwirt zur goldnen Traube.

Erste Frau: Da haben wir's! Tafeldecker, Bedienter! Powrer Mensch, mein Mann ist Bürger und Viehmäster.

Dritter Mann: Seht doch die große Charge!

Erste Frau: Kurz und gut, andre wollen auch die Krönung des jungen Kaisers mit ansehn, die Decken sind schon gelegt, der Thronhimmel ist schon abbrettiert, die Noppelgarden stehn schon parat, gleich muß der Zug vor sich gehn.

Alexis, Isidore, Wasmuth und Helena kommen.

Alexis: Macht uns ein wenig Platz, liebe Leute.

Erste Frau: Nun, wollt Ihr denn etwa mit Eurer Koppel durch unsern Leib marschieren, junger Mensch?

Isidore: Wir hätten zu Hause bleiben sollen, Alexis.

Erste Frau: Ja, guter Alexis, ja, Ihr brauchtet hier mit Euren Ellenbogen nicht so um Euch zu stoßen, um Eurer Trödelware Platz zu machen.

Helena: Trödelware? Oh, liebe Frau, nur nicht so hoffärtig, ich habe Euch gekannt, als Ihr noch schlechter aufzogt als wir, dankt Gott, daß Ihr ein bißchen zu Glück gekommen seid.

Erste Frau: Noch schlechter? Ei Gott im Himmel sollte doch jeden Christenmenschen vor solcher Schande bewahren! So in lauter Fetzen bin ich in meinem Leben noch nicht gegangen.

Isidore: Komm, Alexis, wir wollen nach Hause.

Alexis: Weine nicht, Isidore, sei zu stolz, dich von diesem Pöbel betrüben zu lassen.

Erste Frau: Pöbel? O nun wird mir übel. Ich merke, das Wort ist mit den neuen genuesischen Schiffen aus der italienischen Lombardei herübergekommen.

Wasmuth: Seid ruhig, Frau, Ihr habt ein zu großes Maul.

Abel tritt auf.

Abel: Platz da! Platz! Mauert euch nur nicht in meine Tür hinein, weg da, ihr verhindert mein Gewerbe.

Erste Frau: Geht aus dem Fenster oder Schornstein, wenn Ihr nicht aus der Türe könnt, hier wird sich kein Mensch drum grämen.

Abel: Das Volk ist heut wie besoffen und toll, und die Weiber am meisten.

Erste Frau: Besoffen, sagt Ihr, Herr Abel? O ja, wir dürfen Wein trinken. Euch ist er lange verboten gewesen, armer Mensch; nun Ihr Euch zum Christentum bekehrt habt, ist er Euch wohl noch was Neues und steigt Euch rasch zu Kopfe? Nicht wahr?

Abel: Unverschämtes Gesindel! Ich werde meine Pferde mit dem Wagen herausjagen, so werdet ihr wohl Platz machen. Schnell in das Haus ab.

Erster Mann: Was sagtet Ihr da, Frau Viehmästerin?

Erste Frau: Es ist ja bekannt, er ist vor etwa zwei Jahren als ein Türke zu uns gekommen, bettelarm und stellte sich so fromm, als wenn er allen Heiligen die Füße abbeißen wollte. So tauften sie ihn denn aus Barmherzigkeit, und etliche Vornehme schossen zusammen, daß er wie ein ehrlicher Mann leben konnte; so fing er an zu wuchern, und hat nun diesen großen Gasthof gekauft, aber niemand will bei ihm einkehren, weil er die Leute so übermäßig schindet.

Zweite Frau: Ganz recht, Gevatterin, und er soll ehedem schon mal ein ordentlicher geborner und getaufter Christ gewesen sein, und sich in der Türkei zu einem reinen Gaten gemacht haben, des Geldes wegen. Abel nennt er sich, aber er sollte Kain heißen, der hochmütige Spitzbube!

Einige: Platz! ich höre schon die Musik.

Andre: Weg, eilt, daß wir noch etwas zu sehn kriegen.

Die meisten ab.

Isidore: Wenn wir zu Hause geblieben wären, hätten wir das nicht erlebt.

Abel kömmt zurück.

Abel: Noch da, Isidorchen? Seid Ihr denn gar nicht neugierig, mein allerliebstes Kind?

Alexis: Komm, Liebe, es ist die höchste Zeit.

Abel: Was der junge Mensch eifersüchtig ist! Wer weiß, ob die junge Einfalt mich doch nicht einmal Euch vorzieht, und ich hätte sie Euch wohl längst weggeheiratet, wenn sie nur eine irgend räsonable Aussteuer hätte, aber sie ist ja ärmer als eine Kirchenmaus.

Isidore: Zum Heiraten gehören zwei, Herr Abel.

Abel: Wie schnippisch, und wie hübsch es ihr steht, wenn sie einem so grob begegnet.

Wasmuth: Herr Abel, Euch steht es auch gut, wenn Euch so grob begegnet wird. Kommt, Frau und Tochter, nun wird mir selber die Zeit lang.

Gehn.

Abel: Was solch Lumpengesindel noch hoffärtig sein kann, Volk, das nicht das liebe Brot hat. Aber hübsch ist sie bei alledem. – Was kommt denn da angezogen? Vielleicht Fremde, vielleicht Gäste; es hat ganz den Anschein. Mir wär's schon recht, denn das verdammte Vorurteil macht, daß die wenigsten bei mir einkehren, weil ich ein neuer Christ bin, weil man sagt – ja die verfluchten bigotten abergläubischen Zeiten, wodurch ein ehrlicher Mann in seiner Nahrung gehindert wird.

Fortunat, Leopold kommen.

Fortunat: Wir sind nun schon die ganze Stadt durchwandert, wir versäumen die Festlichkeiten, und kommen doch nicht unter. Welch Gedränge! Welche Menge Volks! Sieh, hier ist noch ein Gasthof.

Abel: Befehlen meine gnädigen Herren vielleicht ein Quartier?

Fortunat: Könnt Ihr uns aushelfen? Seid Ihr vielleicht der Wirt von diesem großen Hause?

Abel: Untertänigst aufzuwarten. Ist Euer Gefolge stark?

Fortunat: Zwölf Pferde und acht Diener.

Abel: Alles bei mir steht so würdigem Herrn zu Befehl, ich werde gleich Anstalten machen.

Fortunat: Eile, mein Leopold, zurück und bringe die Leute hieher.

Leopold: Nachher, Herr Wirt, werd ich mit Euch des Quartiers, der Bedienung und Speisung wegen rechnen. Geht ab.

Fortunat: Ich will hineingehn und die Zimmer betrachten.

Abel: Spazieren der Herr Graf hinein. – Herrlicher Fund! Wenn nur der alte Murrkopf nicht bei ihm wäre! – Hier, edler Herr Graf, treten wir gleich in den großen Saal.

Gehn hinein.

 


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