Ludwig Tieck
Fortunat
Ludwig Tieck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiter Akt

Erste Szene

Zimmer.

Daniel, Diener.

Daniel: Macht nur das Essen, Kinder, deckt den Tisch, denn ihr wißt wohl, wenn der gnädige Herr zu Hause kömmt und findet nicht gleich alles fertig, daß er sich nur hinzusetzen braucht, so mault er den ganzen Tag. Diener ab. Das ist eine Not mit solchem simpeln, stillen, langweiligen Herrn! Der Alte hatte noch auf seinem Sterbebette mehr Leben. – Aber, seh ich recht? Wahrlich, der Herr Andalosia! So ganz allein? Ohne Gefolge? Was hat das zu bedeuten?

Andalosia tritt ein.

Daniel: Ist's möglich, gnädiger Herr, daß meine alten Augen Euch so unvermutet wiedersehn? Ach, welche Freude! so wird doch nun hier einmal die alte traurige Langweile und Einsamkeit etwas aufgeheitert werden!

Andalosia: Wo ist mein Bruder?

Daniel: Da unten in der Allee nach der Meierei zu, auf seinem gewöhnlichen Spaziergange, er muß bald kommen, denn nun hat er schon seine Milch und sein Butterbrot verzehrt, nun hat ihm der alte Meier schon die Geschichte von den jungen Gänsen vorgetragen, und er selbst wird auch wohl schon seinen Traum von heute nacht auseinandergesetzt haben, so daß er nicht lange mehr ausbleiben kann.

Andalosia: Er ist gesund und froh?

Daniel: Lieber Himmel, Ihr kennt ja selbst unsern gnädigen Herrn: gesund, ja, und froh auch auf seine Weise. Er verlangt nicht viel von der Welt.

Andalosia: Wie treibt ihr es denn nun hier?

Daniel: Den einen Tag wie den andern; was Gott uns an Zeit beschert, die verbrauchen wir denn auch mit seinem Beistande; aber das versichre ich Euch, wir könnten hier eine Universität errichten, um die Langeweile im ganzen Lande gründlich und auf ewige Zeiten zu stiften. Ich sage manchmal: geht doch an den Hof. – Nein. – Macht eine kleine Reise! – Nein. – Ladet einmal Gäste. – Nein. – Wollt Ihr denn nicht vielleicht heiraten? – Nein! – Um acht Uhr morgens steht der Herr auf, sein Frühstück nimmt ihm eine Stunde weg, dann zieht er sich an und wieder aus, sucht andre Kleider vor, und wechselt sie wieder mit dem Schlafrock. Eine unglaubliche Lust scheint er am Auf- und Zuknöpfen zu haben, denn ganze Stunden kann er damit hinbringen, oder Handschuhe zwanzigmal anprobieren. So kommt denn die zwölfte Stunde, und er wallfahrtet nach der Meierei. Dann wird gegessen und der Nachmittag ebenso hingebracht. Höchstens geht der Herr einmal auf die Jagd, aber nicht um zu schießen, nur seinen Leuten zuzusehn.

Andalosia: So hast du es aber gut, und wenig oder nichts zu tun.

Daniel: Sagt das nicht, muß ich doch nach allem sehn, damit die Wirtschaft nicht zugrunde geht; auch ist der Herr Bruder so genau und geizig, daß man beinahe sein eigenes Geld zusetzen muß. Über jeden Groschen weitläuftige Berechnungen, dann hat er noch das Unglück, nicht zu kapieren, und weil er nicht rechnen kann, denkt er, jeder Mensch will ihn betrügen.

Andalosia: Er mag nicht so ganz unrecht haben.

Daniel: Und der liebe Eigensinn! Wenn ich ihn an- oder auskleide, macht er alles verkehrt und das läßt er sich auch um alle Welt nicht abgewöhnen. In der ganzen Christenheit zieht man doch gewiß den rechten Stiefel zuerst an: er immer den linken! jeden Morgen halte ich ihm den rechten hin – nichts da; ich bitte, ich werde böse, ich werfe den Stiefel weg, nehme ihn wieder, halte ihn einladend, recht einladend hin, nichts! er bleibt auf seinem Kopf, und will ich wohl oder übel, muß ich nach halbstündigen Debatten ihm doch gegen Vernunft und Überzeugung nachgeben. Das ist ein Kreuz mit solchem Herrn.

Andalosia: Du bist ein Narr.

Daniel: Außerdem hat er sich noch eine verdammte Sache angewöhnt, er ist der ärgste Topfgucker von der Welt, und wie er es anfängt, ist unbegreiflich; denn oft stehn wir ganz ruhig in der Küche und schwatzen, mit einem Male ist der gnädige Herr hinter uns, keiner hat ihn gesehn, keiner hat ihn kommen hören; in keiner Stube ist man sicher, es ist, als wenn er durch die Wände gehn könnte, dadurch wird alle Gedankenfreiheit gehemmt, und es ist gar kein Spaß in solchem Hause zu machen. Aber wie kömmt es nur, mein Herr Andalosia, daß Ihr so allein und ohne Gefolge reiset?

Andalosia: Ein andermal davon.

Daniel: Aber mein Sohn, der Dietrich, wird doch wenigstens bei Euch sein?

Andalosia: Dein Sohn? Der junge Esel hat sich wie ein Halunk gegen mich aufgeführt: als er glaubte nichts bei mir gewinnen zu können, war er von meinen Leuten der einzige, der mit Grobheit und Undank mich verließ, ob ich ihn gleich mit mir nehmen wollte.

Daniel: Ist es möglich? Hat das schlechte Kind so aus der Art schlagen können? Muß ich in meinem Alter den Gram erleben, Vater eines ungeratenen Sohnes zu sein? Wart Bösewicht! Dir will ich den Text auslegen, wenn ich dein undankbares Gesicht einmal wieder zu Gesicht kriegen sollte!

Andalosia: Kommt nicht mein Bruder da den Baumgang herauf?

Daniel: Er ist es, gnädiger Herr. Nun will ich gleich anrichten lassen.

Andalosia: Und ich will ihm entgegengehn. Ab.

Daniel: So recht, Dietrich! Ich sehe, das liebe Kind hat Verstand, er wird sich schon in der Welt zurechtzurücken wissen. Er hat nicht mit dem jungen Herrn in Kompagnie eine miserable Figur machen wollen und Hunger und Kummer leiden. Ephraim! Benjamin!

Zwei Bediente kommen.

Ephraim: Was gibt's, Herr Daniel?

Daniel: Noch ein Couvert aufgelegt! Unser gnädiger Herr ist aus fremden Landen zurück. Du, Benjamin, suche nachher bei der Aufwartung zu erhören, warum er wiedergekommen ist, welche Fatalitäten er gehabt hat, denn von unserm Herrn Ampedo kriegt man doch nichts heraus, so maulfaul wie er ist und bleibt. Marsch!

Die Bedienten ab.

Andalosia, Ampedo kommen.

Daniel: Es ist angerichtet, gnädige Herrschaft!

Ampedo setzt sich in einen Sessel: Ich kann nicht mehr – die Überraschung – der Schreck – du, Daniel, geh!

Andalosia: Geh, Alter! ich habe mit dem Bruder zu sprechen.

Daniel: Wenn Euch nur nichts zustößt.

Ampedo: Laß mich allein. – Daniel geht ab. O Bruder, Bruder, die entsetzliche Geschichte, die du mir erzählt hast – die Unbesonnenheit, mit der du dich unglücklich gemacht hast – mir schwindelt's und dreht sich's in allen Sinnen.

Andalosia: Fasse dich nur wieder.

Ampedo: Ist bald gesagt. Da haben wir nun deine unglückliche Art und Weise und die Folgen davon. Hab ich's nicht vorher gesagt? Wie hab ich gewarnt! Aber natürlich ist bei dir alles vergebens; denn wer sich für den Allerklügsten hält, muß immer die allerdummsten Streiche machen. Das ist der Gang der Natur.

Andalosia: Es ist ja aber noch nicht die Hoffnung verloren, daß ich den Säckel wiedergewinnen könnte.

Ampedo: Etwa auf die Art, die du mir vorschlugst? Daß ich dir den Wünschhut gebe?

Andalosia: Ja, denn so wird es mir leicht –

Ampedo: Einmal für allemal, daraus wird nichts. Wir haben geteilt, da du es durchaus so wolltest, und nun behalt ich auch mein Kleinod, und laß es niemals aus den Händen! Daß du den Filz auch noch törichterweise durchbrächtest, und wir nachher das leere Nachsehn hätten!

Andalosia: Aber, so laß dir doch nur sagen –

Ampedo: Nichts! Diesmal wirst du mich nicht so weichherzig und nachgiebig finden. Ich bin es meinem Vater und uns beiden schuldig, daß ich unser übriges Gut erhalte und für dich mit Verstand habe; dazu bin ich der Älteste und ich werde meine Rechte nicht unter die Füße treten lassen.

Andalosia: Wenn man nicht mit dir sprechen kann –

Ampedo: Man kann mit mir sprechen, aber vernünftig; und jetzt ist überdies die Zeit zu Tisch zu gehen; komm nur hinein, ich muß mich stärken und auf meinen Schreck zu erholen suchen.

Sie gehn.

 


 << zurück weiter >>